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Wirtschaftsaufschwung - Sozialentwicklung

Geschrieben von Dirk Baas am . Veröffentlicht in Allgemeines

Zur Erinnerung an die soziale Lage im Jahre 2009 an dieser Stelle noch einmal ein Interview von Dirk Baas, epd mit Pfarrer Dr. Wolfgang Gern, damaliger Sprecher der Nationalen Armutskonferenz und Vorstandsvorsitzender des Diakonischen Werkes in Hessen und Nassau am 16. Dezember 2009
Ich weiß nicht, wie sich das bei Ihnen anfühlt, mir gibt es einiges zu denken.


Frage: Die wachsende Armut in Deutschland ist längst kein Tabu mehr. Armutsberichte und Studien werden publiziert, dennoch reagiert die Politik nur zögerlich. Haben sie dafür eine Erklärung?

Gern: Die Beteiligung der Armen an den Wahlen in Land und Bund geht rapide zurück – und zugleich deren gesellschaftspolitische Partizipation. Dass arme Menschen sich nicht mehr von der Politik vertreten sehen und deshalb der Wahl fern bleiben, ist ein Warnsignal. Es gibt Stadtteile mit einem hohen Anteil an Armen, in denen die Wahlbeteiligung sehr gering ausfällt. Arme Menschen erleben ihre Situation als Ausgrenzung und Machtlosigkeit. Die Erfahrung der Ohnmacht wird verstärkt durch einen gesellschaftlichen Diskurs, der von oben nach unten schaut und der nicht selten degradierend „über“ die Armen spricht anstatt mit ihnen. Ausgelassen wird, dass Armut und Verarmung in einem der reichsten Länder „gemacht“ sind. Dass stärkere Schultern mehr tragen können als schwächere – das erscheint als Überzeugung aus einer vergangenen Epoche. Auch medial hat man den Eindruck, dass die Armen keine Stimme haben – und daher zu wenig vorkommen. Und auf der anderen Seite darf ungestraft behauptet werden, dass Arme mit ihrem Geld nicht umgehen können und ihr Geld versaufen. Und Steuerpolitik, die für sozialen Ausgleich sorgen sollte, wird als Enteignungspolitik diffamiert. Die Ständerepublik lässt grüßen.

Frage: War 2009 ein gutes oder ein schlechtes Jahr im Kampf gegen die Armut?

Gern: 2009 war ein schlechtes Jahr, was die Armutsbekämpfung angeht. Die Zahl der Armen ist gestiegen. Die Zahl der Niedriglöhner wächst wie in keinem anderen westeuropäischen Land. Und die Arbeitslosigkeit nimmt weiter zu. Die Schwächsten haben zuerst die Folgen der Wirtschafts- und Bankenkrise zu tragen, die sie nicht zu verantworten haben.

 

Frage: Das kommende Jahr ist das „Europäische Jahr zur Bekämpfung von Armut und sozialer Ausgrenzung“. Was ist deren Ziel und welche Hoffnung verbinden Sie mit Blick auf Deutschland mit der Initiative?

Gern: „Make poverty history“, sagen die Engländer. Armut muss zur Vergangenheit werden. Unser Land und das reiche Europa sind reich genug, um das zu Wege zu bringen. Armut und Ausgrenzung müssen überwunden werden. Das ist keine Illusion, sondern eine Hoffnung, die sich aus unserem gesellschaftlichen Reichtum und vor allem aus unseren ethischen und kulturellen Überzeugungen speist. Alles hängt daran, dass der politische Wille in diese Richtung weist und dafür mobilisiert wird. Es geht um die Teilhabe aller am gesellschaftlichen Leben. Wir müssen wieder das Teilen einüben. Dazu reicht ein Jahr nicht aus. Und wir werden sehen: Wer teilt, mehrt das Leben.
Übrigens, auch das Grundgesetz will es so – bis hin zur Sozialpflichtigkeit des Eigentums. Wir müssen uns dafür einsetzen, dass Armutsbekämpfung wieder mehrheitsfähig wird. Dass der Sozialstaat nicht als Anhängsel der Marktwirtschaft erscheint, sondern als kulturelle Errungenschaft.

Frage: Die Erkenntnis, dass Arme keine Lobby haben, ist nicht neu. Wohlfahrtsverbände und Kirchen versuchen, die Interessen der Betroffenen, allen voran die der armen Kinder, zu vertreten. Erklingt ihre Stimme überhaupt laut genug?

Gern: Es kommt gerade jetzt darauf an, dass wir nicht stumpf und gleichgültig werden. Und dass wir nicht den Mut verlieren. Ich denke, da gab es ein Problem. Und wir müssen aufmerksam beobachten, wo die Kluft zwischen reich und arm sich vertieft. Manchmal auffällig, manchmal unauffällig. Aus Lateinamerika kommt der humorvolle Hinweis: Lass dich nicht durch das Grinsen der Mächtigen „einwickeln“ und ruhig stellen. Ein Beispiel: Im Koalitionsvertrag der Bundesregierung fehlt der Hinweis darauf, einen Armuts- und Reichtumsbericht veröffentlichen zu wollen. Gerade er hat uns in den letzten zehn Jahren dazu verholfen, die Situation der Armen durch Lebenslagenberichte und Zahlen in den Blick zu bekommen. Manchmal hat man den Eindruck, das ist gar nicht gewollt. Wir brauchen eine Politik, die solche Berichte veranlasst, stützt und durch transparente und selbstkritische Korrekturen auf sie reagiert.

Frage: „Armut muss berühren“, sagte jüngst Ulrich Schneider, der Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes, bei einer Tagung. Tut sie das als sichtbares Massenphänomen nicht längst?

Gern: Wir in Hessen und Nassau haben gerade Erfahrungen aus der Beratung mit Hartz-IV-Empfängern veröffentlicht – unter dem Titel: „Als Kunde bezeichnet, als Bettler behandelt“. Heiner Geißler sagte nach der Lektüre: Er hätte nicht gedacht, dass es solche Dinge in Deutschland gibt. Etwa dass ein Kind seinen Verdienst aus einem Ferienjob vom Regelsatz abgezogen bekommt. Wir sollten nicht vergessen: In den deutschen Großstädten lebt jedes fünfte Kind in Armut, in Dänemark jedes 36. Kind!

Frage: Anfang 2010 entscheidet das Bundesverfassungsgericht über die Höhe der Regelsätze. Dann rückt die Situation der Bedürftigen und Ausgegrenzten erneut schlagartig in den Fokus der Öffentlichkeit? Was ist Ihre Erwartung an das Gericht?

Gern: Wir erwarten, dass das Bundesverfassungsgericht bestätigen möge, was im alten BSHG im ersten Paragraphen stand: Die Würde des Menschen. Zur Würde gehört, dass die Menschen in einem Sozialstaat ein Aus- und Einkommen haben, von dem sie in Würde leben können. Deshalb erwarten wir, dass das Gericht ein soziales Grundrecht auf Existenzsicherung formulieren wird. Dann ist der Gesetzgeber in der Pflicht, dieses Grundrecht umzusetzen. Dieses Recht ist bisher schon tief in unserer Sozialstaatlichkeit verankert. Die Politik und der Gesetzgeber müssen sich deshalb fragen lassen, warum sie nicht von sich aus dieses sozialstaatliche Recht beachtet haben. Sie haben es nicht getan und dadurch Not und Entbehrung hervorgerufen.

Frage: Selbst wenn die Karlsruher Richter der Politik aufgeben, zur Berechnung der Kinderregelsätze eine eigene Berechnungsgrundlage mit höherem Hilfebedarf zu finden, wird die Armut nicht schlagartig verschwinden. Wo sehen Sie für 2010 dringenden Handlungsbedarf, damit sich die Schere zwischen arm und reich wenigstens nicht weiter öffnet?

Gern: Erstens – wir brauchen einen Wachruf für die Öffentlichkeit. Sie muss wach werden: Wenn wir es wollen, wenn wir die Politiker drängen, dann werden wir wichtige Schritte zu einer effektiven Armutsbekämpfung einleiten. Das aber wird nur mehrheitsfähig, wenn der gesellschaftliche Wille gefördert wird. Wir brauchen eine neue Kultur des Sozialen als Grundlage für eine Politik des Sozialen.

Zweitens – wie Menschen Armut bewältigen können, hängt ganz entscheidend auch an der sozialen Infrastruktur. Diese muss erhalten bleiben, gerade auch in sozial schwierigen Zeiten. Ich erwarte deshalb von der Politik in den anstehenden Diskussionen über die Konsolidierung des Haushalts einen Bestandsschutz der sozialen Infrastruktur. Für Steuersenkungen ist im Moment kein Spielraum. Wenn ich das fordere, dann weiß ich mich getragen vom Bundesrechnungshof und allen führenden Ökonomen. Übrigens hat die EKD in ihrer jüngst erschienenen Schrift zur Steuergerechtigkeit auch diese Position unterstrichen. Wir brauchen andere Diskussionen: Nicht eine Diskussion über die weitere Entlastung der Wohlhabenden, sondern eine entschiedene Debatte über den sozialen Zusammenhalt und was er uns "wert" ist. Und wenn der soziale Zusammenhalt uns wert und teuer ist, dann hat er auch seinen Preis.

Drittens – wir sollten das Europäische Jahr nutzen und eine konkrete Strategie entwickeln, wie wir es in der Entwicklungspolitik mit den Milleniumszielen gemacht haben. Wenn wir die Armut halbieren wollen, dann sind folgende Schritte nötig: ein Regelsatz, der armutsfest ist; eine Schule für alle; ein Mindestlohn; Abbau von Niedriglohnarbeit; eine Mindestrente. Das große Thema der nächsten beiden Jahrzehnte ist die Globalisierung sozialer Gerechtigkeit und ökologischer Nachhaltigkeit. Dazu gehört, dass jeder ein Recht hat, am wirtschaftlichen Leben seiner Gesellschaft teilzunehmen. Erich Fromm hat zurecht in den sechziger Jahren hinzugefügt: Dieses Recht gilt – unabhängig davon, ob sie oder er für die Gesellschaft von wirtschaftlichem Nutzen ist.

 

Einkommensentwicklung in Deutschland: Die Mittelschicht verliert

am . Veröffentlicht in Lohnpolitik

DIW Berlin: „Auch Menschen mit höherem Einkommen sollten zum Sparpaket beitragen“

Arm und Reich driften in Deutschland immer weiter auseinander. Das ist das zentrale Ergebnis einer neuen Studie des DIW Berlin zur Einkommensverteilung in Deutschland auf Basis von Daten des Sozio-Oekonomischen Panels (SOEP). Die Studie zeigt deutlich, dass nicht nur die Anzahl Ärmerer und Reicherer immer weiter wächst – seit zehn Jahren werden ärmere Haushalte auch immer ärmer. Für die DIW-Experten Martin Gornig und Jan Goebel ist das eine besorgniserregende Entwicklung: „Dieser Trend verunsichert die Mittelschicht“, sagen sie. „Eine starke Mittelschicht ist aber wichtig für den Erhalt der gesellschaftlichen Stabilität.“

Nur 60 Prozent der Menschen in Deutschland gehören noch zur Mittelschicht, mit Nettoeinkommen zwischen 860 und 1.844 Euro. 2000 waren es noch mehr als 66 Prozent. Stark gestiegen ist vor allem die Zahl der Menschen mit niedrigem Einkommen, von 18 Prozent 2000 auf fast 22 Prozent 2009. Zudem steigt die Zahl der Menschen mit Niedrigeinkommen nicht nur immer mehr an – diese Gruppe verdient auch in absoluten Zahlen immer weniger: Verdiente ein Singlehaushalt der unteren Einkommensgruppe 2000 im Schnitt noch 680 Euro, waren es 2008 nur noch 645 Euro. Gleichzeitig ist auch der mittlere Verdienst höherer Einkommensgruppen gestiegen, von 2.400 auf 2.700 Euro – der Abstand zwischen Arm und Reich vergrößerte sich also erheblich.

Arbeitsmarkt entscheidend für die Einkommensverteilung

Hauptursache für die zunehmende Entfernung der Einkommensgruppen voneinander sei vor allem die Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt: „Wenn die Zahl der Beschäftigten zurückgeht, steigt die Zahl der Menschen in unteren Einkommensgruppen.“ Deshalb habe die Wirtschaftskrise 2009 dank des „deutschen Jobwunders“ auch keine massiven Auswirkungen auf die Einkommensverteilung gehabt. Bei steigenden Beschäftigtenzahlen würde diese Entwicklung aber nicht umgekehrt, sondern nur gestoppt. „Wir sehen hier einen langfristigen, relativ gleichmäßigen Trend“, sagt Jan Goebel. „Und dieser Trend ist besorgniserregend.“

Steigende Einkommenspolarisierung bedroht gesellschaftliche Stabilität

Besorgniserregend sei der Trend zur Einkommenspolarisierung besonders im Hinblick auf die schrumpfende Mittelschicht. „Mittlere Schichten begründen ihren Status nicht auf Vermögen, sondern auf Einkommen“, sagt Martin Gornig. „Eine Entwicklung wie die hier beobachtete kann unter Umständen Verunsicherungen in diesen Schichten auslösen.“ Problematisch sei das vor allem dann, wenn andere Bevölkerungsgruppen für den drohenden Statusverlust verantwortlich gemacht würden. Und auch in anderen Bereichen drohen mit dem Verschwinden der Mittelschicht Probleme, etwa bei der Stadtentwicklung: „Mit einer steigenden Anzahl von Ärmeren wächst auch die Gefahr des Entstehens von Armenvierteln.“

Auch das geplante Sparpaket der Bundesregierung hält Jan Goebel vor dem Hintergrund der beobachteten Entwicklung für zu einseitig: „Die bisher gemachten konkreten Vorschläge betreffen nur die unteren Einkommen. Der Anteil der Reichen aber steigt stetig und die Reicheren verdienen auch immer besser. Da stellt sich schon die Frage, ob diese Gruppe nicht auch einen Sparbeitrag leisten sollte.“

Beispielrechnung: Je nach Haushaltsgröße verschieben sich die Einkommensgrenzen

2005

Niedrige Einkommen

Mittlere Einkommen

Hohe Einkommen

Singlehaushalt

bis 860 Euro

861 – 1844 Euro

ab 1845 Euro

Alleinerziehende, zwei Kinder unter 14 Jahren

bis 1376 Euro

1377 – 2951 Euro

ab 2952 Euro

Zwei Erwachsene, ein Kind unter 14, ein Kind über 14 Jahren

bis 1978 Euro

1979 – 4242 Euro

ab 4243 Euro

 

Die Einkommenssituation von Haushalten unterschiedlicher Größe und Zusammensetzung wird durch Umrechnung in soge­nannte Äquivalenzeinkommen – das sind unter Bedarfsgesichts­punkten modifizierte Pro-Kopf-Einkommen – vergleichbar ge­macht. Dazu werden die Haushaltseinkommen unter Verwendung einer von der OECD vorgeschlagenen Skala umgerechnet. Dabei erhält der Haushaltsvorstand ein Gewicht von 1; weitere erwach­sene Personen haben jeweils ein Gewicht von 0,5 und Kinder von 0,3. Als Kind gilt, wer das 14. Lebensjahr noch nicht vollendet hat.

 

Hintergrund: Stichwort SOEP

Die DIW-Forscher verwendeten für ihre Untersuchung die Haushaltsdaten des Sozio-oekonomischen Panels (SOEP). Das Sozio-oekonomische Panel (SOEP) ist eine seit 1984 laufende Langzeitbefragung von mehr als 10.000 privaten Haushalten in Deutschland. Das am DIW Berlin angesiedelte SOEP gibt Auskunft über Faktoren wie Einkommen, Erwerbstätigkeit, Bildung oder Gesundheit. Im Auftrag des DIW Berlin werden jedes Jahr in Deutschland über 20 000 Personen in rund 11 000 Haushalten von TNS Infratest Sozialforschung befragt. Weil jedes Jahr die gleichen Personen befragt werden, können langfristige soziale und gesellschaftliche Trends besonders gut verfolgt werden.

 

Links

Polarisierung der Einkommen: Die Mittelschicht verliert. Von Jan Goebel, Martin Gornig, Hartmut Häußermann, in: Wochenbericht 24/2010 | PDF, 458.18 KB

"Besorgniserregend ist der langfristige, gleichbleibende Trend": Interview mit Jan Goebel | PDF, 258.47 KB

Pressestelle

Deutschland auf dem Weg zur barrierefreien Gesellschaft?!

am . Veröffentlicht in Allgemeines

UN-Behindertenrechtskonvention:
Deutschland auf dem Weg zur barrierefreien Gesellschaft?!

Tagung am 25. Oktober 2011, 10:00-17:15 Uhr, im Kleist-Haus in Berlin

Zum Programm
Hinweise zur Barrierefreiheit
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Anreise
Verpflegung
Zur Anmeldung

Programm (vorläufig)

UN-Behindertenrechtskonvention:
Deutschland auf dem Weg zur barrierefreien Gesellschaft?!

Eigentlich ist alles klar: Seit 2009 fordert die UN-Behindertenrechtskonvention Barrierefreiheit für alle Menschen – mit und ohne Behinderungen. Barrierefreiheit ist Teil der Menschenrechte. Soweit die Theorie.
In der Praxis ist es allerdings noch lange nicht selbstverständlich, dass Menschen ungeachtet ihrer Beeinträchtigungen und ihrer individuellen Fähigkeiten gleichberechtigt in Deutschland leben. Es gibt einstellungs- und umweltbedingte Barrieren, die Menschen behindern. Die UN-Behindertenrechtskonvention verpflichtet dazu, diese Barrieren systematisch zu erfassen und schrittweise abzubauen.
Wie können Unternehmen, Verbände oder staatliche Stellen Barrierefreiheit in ihrem Handeln ganz selbstverständlich berücksichtigen und umsetzen? Sind Zielvereinbarungen, Aktionspläne oder Behindertengleichstellungsgesetze geeignete Instrumente? Bedarf es weiterer gesetzlicher Regelungen? Über diese und weitere Fragen möchten wir gerne gemeinsam mit Ihnen diskutieren.



09:30 Uhr Einfinden, Ankunft

10:00 Uhr Begrüßung

10:30-12:00 Uhr Barrierefreiheit im Maßstab der UN-Behindertenrechtskonvention:
Wo steht Deutschland in Sachen Barrierefreiheit? Wie barrierefrei
soll es gemäß der UN-Behindertenrechtskonvention sein?
Dialoggespräch mit Diskussion

12:00-13:00 Uhr Mittagessen

13:00 Uhr Wege zur Barrierefreiheit: Diskussion unterschiedlicher Instrumente in Arbeitsgruppen

Arbeitsgruppe 1:
Maßnahmen zur Barrierefreiheit auf nicht-gesetzlicher
Grundlage: Aktionspläne…

Arbeitsgruppe 2:
Maßnahmen zur Barrierefreiheit auf gesetzlicher Grundlage:
Zielvereinbarungen, Programme…

Arbeitsgruppe 3:
Gesetzliche Regulierung der Barrierefreiheit: Behindertengleichstellungsgesetze…

15:00-15:30 Uhr Pause mit Kaffee/Tee und Kuchen

15:30-17:00 Uhr Brauchen wir andere Gesetze, um Barrierefreiheit Wirklichkeit werden zu lassen?
Podiumsdiskussion

 

17:00 Uhr Verabschiedung

Einladung zur Tagung "UN-Behindertenrechtskonvention: Deutschland auf dem Weg zur barrierefreien Gesellschaft?!" (PDF, 510 KB)

 

Falsch verteilter Reichtum

am . Veröffentlicht in Allgemeines

Die Nationale Armutskonferenz | Seit 20 Jahren eine Lobby für Arme in Deutschland

von Kai Friedrich Schade

,,Deutschland verabschiedet sich vom Kampf gegen Armut und Ausgrenzung", erklärte die Nationale Armutskonferenz (nak} auf ihrer Delegiertenkonferenz in Berlin. Die Delegierten hatten bei ihrer Kritik an der Bundesregierung deren Entwurf des ,,Deutschen Nationalen Reformprogramms" als Beitrag zur Strategie ,,Europa 2020" im Blick. Das Ziel dieser Absichtserklärung der EU-Mitgliedsstaaten ist es, die Zahl von derzeit 60 Millionen Armen in Europa bis 2020 auf 20 Millionen zu vermindern. Die nak redet Klartext, wenn es um Ungerechtigkeit geht, von Anfang an. Der liegt jetzt 2O Jahre zurück.

 

,,Kurios war es damals", erinnert sich Ulrich Schneider. ,,In Wildweststimmung fühlte ich mich versetzt, konnte ich doch alles machen, was ich wollte." 1991 baten Brüsseler Kreise den Deutscher: Paritätischen Wohlfahrtsverband (DPWV) um Vorschläge für eine deutsche Beteiligung am Europäischen Netzwerk zur Armutsbekämpfung (EAPN). Die Nichtregierungsinstitution war 1989 angesichts der ungleichen Einkommensverhältnisse in der EU und der zunehmenden Verarmung gegründet worden, auf Initiative der EU-Kommission. Ulrich Schneider sagt: ,,Man hatte aus Brüssel ja auch beim Arbeitgeberverband oder bei der Deutschen Bank anfragen können! Aber sie kamen zu uns.“ Er nutzte die Gelegenheit und entwickelte die Idee einer sozialpolitischen Lobby für die Armen in Deutschland - in Gestalt der Nationalen Armutskonferenz, die zugleich als deutsche Sektion des europäischen Netzwerkes EAPN fungiert.

 

Von Anfang an ging es darum, politisch für die Armen in der Bundesrepublik einzutreten, mit wachsamem Blick Richtung ,,Berlin", ohne die europäische Dimension des Themas aus den Augen zu verlieren. Dem Motto der neuen Organisation ,,Armut ist falsch verteilter Reichtum" folgte sogleich der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB), der nak-Gründungsmitglied wurde, die Arbeiterwohlfahrt, die Kirchen mit der Caritas und dem Diakonischen Werk. Die W0hifahrtsverbande sahen ihre Verpflichtung und die Chance zu zusätzlichem Engagement. Auch die Zentralwohlfahrtsstelle der Juden, das Deutsche Rote Kreuz und weitere Organisationen kamen hinzu. Damit war sie stattlich aufgestellt, die nak, die im Mai dieses Jahres zudem die Bundesarbeitsgemeinschaft der Landessenierenvertretungen und "Gesundheit Berlin-Brandenburg" als neue Mitglieder aufgenommen hat und zurzeit 16 ordentliche Mitglieder aufweisen kann.

Die unbekannte Erfolgsgeschichte

Trotzdem — wer kennt die nak? Wer gefragt wird, stutzt meist hilflos, Und doch sind die 20 Jahre der nak eine Erfolgsgeschichte. „Sie hat erheblich dazu beigetragen, das Thema Armut zu enttabuisieren", bilanziert Schneider, der heute Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes ist. Zuvor habe man auch in Deutschland das Phänomen Armut lange verleugnet oder die Armen als Randerscheinung, als etwas Schmuddeliges verächtlich beiseitegeschoben: ,,Wirkliche Armut? Wo denn? Ja, einzelne Wenige, aber vor allem sind da zu viele Schwarzmaler, die nur meckern", hieß es bei Wohlhabenden bis hinauf in Regierungskreise. Heute ist das anders. Ähnlich positiv wie Schneider sieht das auch der DGB-Vertreter in der nak, Johannes Jakob: ,,In der nak arbeiten viele gesellschaftliche Kräfte - vertreten sind auch die Betroffenen - an gemeinsamen Positionen und Vorschlägen für politische Lösungen. Das macht die Konferenz zu einer moralischen Instanz. Ihre öffentlichen Stellungnahmen rütteln auf - und rütteln an den Rahmenbedingungen, die Armut hervorbringen.“

Die Nationale Armutskonferenz hat der Öffentlichkeit vielfaltige Formen zunehmender Armut bewusst gemacht und die Bundesregierung zur regelmäßigem Vorlage eines Armuts- und Reichtumsberichts herausgefordert - unbequeme Mitsprache bei sozialpolitischen Themen wie Grundsicherung, Mindestlöhne und Hartz IV eingeschlossen. Verändert hat die nak dabei vor allem das Klima im der Öffentlichkeit zugunsten der Fragen von Reichtum und Armut, was vielen Menschen unter die Haut ging. Das lag auch an dem ethisch fundierten Engagement des vorigen Sprechers der nak,des Theologen Wolfgang Gern, der diese Funktion vier Jahre lang bis Anfang 2011 ausgefüllt hat. Wenn die nak sich künftig besonders dem ,,Treffen der Menschen mit Armutserfahrung" als Programmpunkt zuwenden wird, folgt sie einem seiner Anliegen.

Es wird Tacheles geredet

Neuer Sprecher der Konferenz ist Thomas Beyer von der Arbeiterwohlfahrt. Er will sie „stärker in die öffentliche Diskussion bringen". So hieß es zum Weltfrauentag: ,,Armut ist weiblich." In der Pressemitteilung ,,Alleinerziehend — arm — allein gelassen" schrieb die nak über die Armut von Kindern in Deutschland, die mit 16 Prozent viel höher liegt als die der Gesamtbevölkerung mit zehn Prozent. Angesichts des ,,Teufelskreises des Niedriglohns” fordert die nak, sämtliche Gesetzesvorhaben einem Armuts-TÜV zu unterziehen. Mit ihrer Einschätzung ,,Muttertag ist Makulatur" meldete sie sich in den Medien zu Wort. Und in den pauschalen Jubel über den wirtschaftlichen Aufschwung in Deutschland hat sie nicht eingestimmt, sondern Tacheles geredet: „Geringverdiener ausgebotet – der Aufschwung wird auf dem Rücken von Hunderttausenden ausgetragen."

Für die Zeit bis zur nächsten Delegiertenkonferenz im Dezember plant die nak unter anderem eine ,,Woche der Schuldnerberatung". Ihr Grundsatzpapier über eine gesetzlich geregelte Grundsicherung ist in Vorbereitung. Eine der fünf ständigen nak Arbeitsgruppen befasst sich bei diesem Forderungskatalog vor allem mit den potenziellen Empfänger/innen der Grundsicherung: Wer gilt als gefährdet, wer ist von Armut betroffen? Was wird für die Kinder getan? Wie sind Menschen in Minijobs zu bedenken?

 

Durch Armut ausgegrenzt

Die Arbeit der nak - alles nur Papier? Die Wirkung von verantwortungsvoll erarbeiteten Stellungnahmen sollte nicht unterschätzt werden. Aufrufe, Analysen, Vorschläge, Kritik, Forderungen und die unabhängige Mitarbeit in Gremien wie dem Beirat der Bundesregierung zur Erarbeitung des Armuts- und Reichtumsberichts haben neben der Öffentlichkeit einen klaren Adressaten: Politiker und Regierung. Und sie werden hartnäckig zu einer Reaktion veranlasst. Die nak Iässt nicht locker. Es geht ihr ebenso um Konzepte zur arbeitsteiligen Armutsbekämpfung wie um überzeugendes Handeln der nak-Mitglieder, ein breites Spektrum einer sich solidarisch verstehenden Bürgergesellschaft.

Im Dezember 2011 wird die Nationale Armutskonferenz in Berlin ihr 20-jähriges Jubiläum begehen. Ihre Arbeit, die sich im besten Falle eines Tages überflüssig machen wird, ist heute wichtiger denn je. ,,Die Schere zwischen Reichtum und Armut klafft in Deutschland viel weiter auseinander als in anderen EU-Ländern, obwohl die gesamtgesellschaftliche Wertschöpfung noch nie so hoch gewesen ist wie heute", stellt Franz Segbers fest, Sozialwissenschaftler und Sprecher der Landesartmutskonferenz Rheinland-Pfalz. Als unglaublichen Skandal bewertet er die „Re-Feudalisierung unserer Gesellschaft, ihren Rückfall um Jahrhunderte zurück in ihrem Feldzug mutwilliger Zerstörung des Sozialstaates".

Bei den Stichworten Armut und Armutsbekämpfung darf es nicht nur um das materielle Minimum zum Überleben gehen. Darauf konzentrierte Aktivitäten dürfen nicht den Blick verstellen für die nicht-materiellen Entbehrungen und die Entrechtung von Menschen. Armut heisst, dass Start-, Entfaltungs- und Teilhabechancen, Lebenschancen insgesamt, ungerecht verteilt sind. Sie bringt Demütigung, Ausgrenzung und Erniedrigung des Menschen mit sich, wird als Aussichtslosigkeit und gesellschaftlich zugefügte Verletzung empfunden. Erhard Eppler, der einstige Vorsitzemde der SPD-Grundwertekommission, verwies kürzlich darauf dass drei Viertel der Deutschen der Ansicht seien, die Politik in ihrem Land sei ungerecht, und kommentierte: ,, Das hält keine Demokratie lange aus!"

Die Verwerfungen in einigen Mitgliedsstaaten der Europäischen Union infolge ungerechter Verhältnisse in Wirtschaft und Gesellschaft kündigen dramatische Zerreißproben an – innergesellschaftlich wie im Griechenland, aber auch über nationale Räume hinaus, Deshalb warnt der nak-Sprecher unter Hinweis auf die zunehmende Verarmung in Europa vor dem ,, Export von Armut durch internationale Sparpakete". Millionen Franzosen haben Stéphane Hessels Aufruf ,,Empört Euch" gegen die Ungerechtigkeit aufgegriffen. Bei der Bekämpfung der Armut geht es um mehr als nachträglich korrigierende Sozialtransfers. Man müsse an den Wurzeln des Übels ansetzen, sagen die nak-Mitglieder. Sie sehen ihre Organisation als einem Anfang - und als weiterhin unerlässlich.

 

nak-Sprecher Beyer warnt vor Stigmatisierung Deutschlands in der Armutsfrage

am . Veröffentlicht in Pressemitteilungen

„Die Bundesregierung muss ihre Bemühungen in der Armutsbekämpfung intensivieren“, sagt Thomas Beyer, Sprecher der Nationalen Armutskonferenz (nak). Anlass für seine Forderung sind die beiden jüngst erschienenen Studien der UN respektive der Bertelsmann-Stiftung. In beiden wird festgestellt, dass das soziale Gefälle in Deutschland besorgniserregend und die Armutsbekämpfung unzureichend ist.

„Ungeachtet etwaiger methodischer Mängel dürfen die zwei Stellungnahmen nicht abgetan werden“, fordert Beyer auf. Jedenfalls zeigten die Expertisen unbestreitbaren Handlungsbedarf, den die Bundesregierung ernst nehmen muss. „Handeln statt über Gutachter klagen“, rät Beyer den Regierenden in Berlin. Die soziale Schieflage nehme nämlich ein Ausmaß an, „bei dem von sozialer Gerechtigkeit nicht mehr gesprochen werden kann“.

Armuts-TÜV für Sozialsysteme einführen

am . Veröffentlicht in Allgemeines

In Hinsicht auf die UN-Kritik an der deutschen Sozialpolitik erklärte der Vorsitzende der Linkspartei:

Der Bericht der UN ist ein beschämendes Dokument des Scheiterns aller Regierungen seit der Wiedervereinigung. Armut fällt in einem reichen Land nicht vom Himmel. Wenn per Gesetz Löhne, Renten und Sozialleistungen gekürzt werden, dann darf sich niemand wundern, wenn die Armut grassiert. Wir müssen jetzt alle Sozialsysteme auf den Prüfstand stellen. Ein Armuts-TÜV muss ermitteln, ob die Sozialsysteme wirklich Armut verhindern oder sogar am Ende zur Vergrößerung der Armut führen. Am Arbeitsmarkt und in den Sozialsystemen müssen Armutsbarrieren errichtet werden. Wir brauchen einen Mindestlohn für die Arbeitnehmer, eine Mindestsicherung für die Erwerbslosen und ihre Familien und eine Mindestrente für die Senioren.