AKTIVE ARBEITSLOSE starten Protestaktion gegen die "Transitarbeitskräfteregelung" im BABE- und BAGS-Kollektivvertrag

Veröffentlicht in Arbeitslos

Schluss mit der Umgehung von Kollektivverträgen durch die Gewerkschaften gpa-djp und vida!

Während die Gewerkschaften gpa-djp und vida unter dem Motto "mehr Geld für gutes Angebot an Pflege und Betreuung" für Verbesserungen im BAGS-KV (Gesundeits- und Sozialberufe) einsetzen und bei den Verhandlungen zum BABE-KV (Erwachsenenbildung) zähe Verhandlungen beklagen, verschweigen sie, dass sie in beiden Kollektivverträge mit der "Transitarbeitskräfteregelung" für ArbeitnehmerInnen in AMS-Zwangsmaßnahmen zum Teil die eigenen Kollektivverträge aushebeln und so möglicherweise den Grundstein für eine Armutsindustrie nach Vorbild von Hartz IV legen.
Forderungen:

  • Abschaffung der Umgehung regulärer Kollektivverträge durch die menschenrechtswidrige "Transitarbeitskräfteregelung"
  • Kein "2. Arbeitsmarkt" auf dem ArbeitnehmerInnen weniger Rechte haben und schlechter bezahlt werden
  • Schaffung von Arbeitslosenbetriebsräten in allen AMS-Maßnahmen
  • Demokratisch legitimierte Organisierung Arbeit suchender ArbeitnehmerInnen in den Gewerkschaften mit ausreichend Ressourcen für deren Kampf um die vollen ArbeitnehmerInnenrechte.

So hebelt die Gewerkschaft ihre eigenen Kollektivverträge aus:
Wer vom AMS einer "Wiedereingliederungsmaßnahme" in Form eines (Transit)Arbeitsplatzes zugewiesen wird, wird dank den von gpa-djp und vida zu verantwortenden Transitarbeitskräfteregelungen immer seltener nach den regulären Branchenkollektivverträgen entlohnt, sondern muss auf viele Rechte verzichten, die sonst ein Arbeitnehmer hat:

  • Vordienstzeiten bzw. Berufserfahrung und Ausbildung werden nicht berücksichtigt, jeder bekommt den gleich niedrigen Pauschallohn.
  • Egal wie oft jemand solchen "Transitarbeitsplätzen" zugewiesen wird, er oder sie kommt nie in den Genuss von Lohnvorrückungen und wird so beim Gehalt am untersten Niveau gehalten.
  • Recht auf Arbeitskampf für bessere Arbeitsbedingungen (Streikrecht) besteht de facto auch nicht, weil dieser vom AMS als "Vereitelung einer Maßnahme" gewertet werden würde.
  • "Transitarbeitskräfte" sind in der Regel weniger als ein halbes Jahr im Betrieb und können daher auch keine Betriebsräte wählen, das Recht auf Vertretung wird ihnen so verwehrt. Betriebsräte – soferne überhaupt vorhanden - vertreten daher in der Regel eher die TäterInnen ("Schlüsselarbeitskräfte") als die Opfer ("Transitarbeitskräfte") dieser Zwangsmaßnahmen.

Transitarbeitskräfte werden so mit Hilfe der Gewerkschaften zu ArbeitnehmerInnen zweiter Klasse degradiert. Laut AMS-Richtlinie soll für "sozialökonomische Betriebe" der BAGS-KV und BABE-KV mit der billigen "Transitarbeitskräfteregelung" schon alleine durch Mitgliedschaft in den entsprechenden Berufsvereinigungen anwendbar werden, womit Tür und Tor für Umgehung regulärer Branchenkollektivverträge gelegt wird. Besonders umstritten sind die "gemeinnützigen Personalüberlasser" deren "Gemeinnützigkeit" aus Sicht der Betroffenen, die oft mehr Schaden als Nutzen in diesen Zwangsmaßnahmen sehen, fraglich ist. Hier werden nach wie vor teilweise rechtswidrige Dienstverträge "angeboten".’

Armutsfalle "Transitarbeit"

Die Zuweisung zu solchen "Transitarbeitsplätzen" erfolgt unter menschenrechtswidriger Androhung des Existenzentzuges (Bezugsperre). Obwohl diese Arbeitsplätze laut Definition "für nicht unmittelbar in den ‚primären’ Arbeitsmarkt vermittelbare Personen" eingerichtet sind und eine "sozialpsychologische Betreuung" beinhalten, werden mit dem stetigen Anwachsen von dauerhaft vom "ersten Arbeitsmarkt" ausgeschlossenen Langzeiterwerbslosen immer öfter Menschen, die direkt am "ersten Arbeitsmarkt" einsetzbar wären, unter Zwang zugewiesen um aus der Langzeiterwerbslosenstatistik zu verschwinden. Für die Betroffenen bieten diese der Zwangsarbeit ähnlichen Beschäftigungen oft keine Zukunftsperspektiven und werden als entwürdigend und bloßstellend empfunden.

Es droht nicht nur Verfestigung der Armut, sondern Armutsverschärfung: Wer innerhalb von 5 Jahren 6 Monate lang in solchen "Arbeitsverhältnissen" gearbeitet hat und unter 45 Jahre alt ist, "erwirbt" sich eine neue Bemessungsgrundlage und kann so einen deutlich geringeren AMS-Bezug weit unter der Armutsgrenze runter fallen.

In der Steiermark wurde in der "Aktion Gemeinde" von "gemeinnützigen Beschäftigungsträgern" rechtswidrig die Transitarbeitskräfteregelung für in Gemeinden arbeitenden "TransitarbeiterInnen" angewandt. Dabei handelte es sich aber um Personalüberlassung und es hätte die ortsübliche Bezahlung des Beschäftigerbetriebs (der Gemeinden) gezahlt werden müssen. Trotz Nachfrage durch Arbeitsloseninitiativen zeigten sich die Gewerkschaften unwillens, gegen diese Umgehungsverträge etwas zu unternehmen.

Das Menschenrecht auf gleichen Lohn auf gleiche Arbeit wird so zerstört und die Gewerkschaften geben den Anschein, als seien die menschenrechtswidrigen AMS-Zwangsmaßnahmen – weil kollektivvertraglich geregelt – eh in Ordnung.

Bei der "Transitarbeitskräfteregelung" handelt es sich daher nach Meinung der AKTIVEN ARBEITSLOSEN um nichts anderes als Hartz-IV auf österreichisch und sollte daher von jeder seriösen Gewerkschaft aufs schärfte bekämpft werden.

AMS-Sumpf: ArbeitnehmerInnenrechte in Gefahr!

Was der ÖGB und seine Teilgewerkschaften offenbar noch nicht verstanden haben: Arbeitslosenrechte sind ArbeitnehmerInnenrechte. denn Die Entrechtung Arbeit suchender Menschen bedeutet

  1. dass der Druck, Arbeit um jeden Preis anzunehmen steigt, und so die Gehälter aller ArbeitnehmerInnen unter Druck geraten
  2. dass die Angst der Lohnarbeit habenden ArbeitnehmerInnen vor der Lohnarbeitslosigkeit steigt und diesen so schlechtere Arbeitsbedingungen leichter aufgezwungen werden können.
  3. dass letztlich auch die Postition der Gewerkschaften geschwächt wird.

Anfragen seitens der AKTIVEN ARBEITSLOSEN an die Gewerkschaften gpa-djp und vida zu deren Position zur äußerst problematischen "Transitarbeitskräfteregelung" blieben bislang unbeantwortet. Ob das damit zu tun hat, dass so mancher Betrieb, der von menschenrechtswidrigen AMS-Zwangsmaßnahmen lebt als partei- bzw. sozialpartnernahe gilt, stellt sich angesichts des wohl nur die Spitze des Eisbergs darstellenden Skandals um den Bordellbesuch von AMS-Steiermark-Vorstands Karl-Heinz Snobe mit einem befreundeten Auftragnehmer des AMS nun ganz besonders.

Gewerkschaften und AK sind in Bundes-, Landes- und regionalen Geschäftsstellen maßgeblich involviert und so politisch mitverantwortlich für die zweifelhaften Firmengeflechte rund ums AMS. Das geht voll zu Lasten der Versicherungsgemeinschaft und der Arbeit suchenden ArbeitnehmerInnen, die nach wie vor keine politische Interessensvertretung mit entsprechenden Mitspracherechten haben.

Auf eine Mailanfrage der AKTIVEN ARBEITSLOSEN vor zwei Wochen zur Position der Gewerkschaften gpa-djp und vida in Bezug auf die umstrittenen Transitarbeitsplätze war beiden Gewerkschaften nicht einmal die Mühe wert, auf die Anliegen der Betroffenen Lohnarbeitslosen einzugehen und zu antworten. Ein Konzept für eine Interessensgemeinschaft für Lohnarbeitslose ArbeitnehmerInnen verstaubt seit über 5 Jahren in der Schulblade gpa-djp und vom ÖGB nach dem BAWAG-Skandal versprochenen Pilotprojekt für Arbeitslose ward seither nichts mehr gehört oder gesehen. Auch sonst zeigen die Gewerkschaften wenig engagement, ihrer Aufgabe als Vertretung ALLER ArbeitnehmerInnen nachzukommen.

Daher starten die AKTIVEN ARBEITSLOSEN nun eine Protestmailaktion an die Gewerkschaftsvorstände von gpa-djp und vida gegen die Zerstörung von ArbeitnehmerInnenrechte durch die Transitarbeitskräfteregelung in BABE- und BAGS-KV.

Unterschrift möglich unter: E-Mail-Formular

Rückfragehinweis:
Ing. Mag. Martin Mair
Obmann "AKTIVE ARBEITSLOSE"
Tel. +43 676 35 48 310
Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!

Arbeitsmarkt - „Initiative Pro Arbeit“

Geschrieben von Dietmar Hamann. Veröffentlicht in Arbeitsmarktlage

Maßnahmen der öffentlich geförderten Beschäftigung gelten seit der „Instrumentenreform“ 2012 mit dem Gesetz zur Verbesserung der Eingliederungschancen am Arbeitsmarkt als „ultima ra-tio“ der aktivierenden Arbeitsmarktpolitik. Öffentlich geförderte Beschäftigung soll sich von einer „Dauerförderung künstlich geschaffener Arbeitsplätze“ verabschieden und nachrangig gegen-über Instrumenten sein, die auf eine unmittelbare Integration in den allgemeinen Arbeitsmarkt zielen (von der Leyen 2013). Im Gesetzentwurf der Bundesregierung heißt es, dass die „Aus-richtung der öffentlich geförderten Beschäftigung auf einen „arbeitsmarktfernen“ Personen-kreis zur Aufrechterhaltung und (Wieder-)Herstellung der Beschäftigungsfähigkeit geschärft“ (Deutscher Bundestag 2011) wird. Über die Größe und Struktur dieses Personenkreises be-steht jedoch keine Klarheit. Zudem ist unklar, was arbeitsmarktferne Personen auszeichnet und wer diese Personen sind. Wie viele Personen sind als arbeitsmarktfern zu betrachten und kommen deswegen für Maßnahmen der öffentlich geförderten Beschäftigung in Frage? Die vorliegende Expertise geht dieser Frage nach.

Studie als PDF-Datei

Leiharbeit und Werkverträge

Geschrieben von Dietmar Hamann. Veröffentlicht in Arbeitsmarktlage

Beate Müller-Gemmeke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Rede Deutscher Bundestag

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Unsere Arbeitswelt ist inzwischen tief gespalten. Darüber kann auch eine niedrige Arbeitslosenquote nicht hinwegtäuschen, Herr Schiewerling. Zu viele Jobs sind nicht nur atypisch, sondern eben auch prekär. Laut WSI ist der deutsche Niedriglohnbereich mit einem Anteil von 22 Prozent einer der größten in -Europa. Nur in Staaten wie beispielsweise Polen oder Rumänien gibt es einen größeren Anteil an Niedrig-löhnen.

Natürlich braucht die Wirtschaft eine gewisse Flexibilität, aber darum geht es schon lange nicht mehr. In -Teilen der Wirtschaft geht es nur noch um einen Wettbewerb um die billigsten Löhne. Diese Fehlentwicklung kann und muss korrigiert werden; das müssen Sie von den Regierungsfraktionen endlich zur Kenntnis nehmen.

Wenn der Lohn unterhalb des Existenzminimums liegt und Vollzeitbeschäftigte ohne Arbeitslosengeld II nicht über die Runden kommen, dann spiegelt der -Lohnzettel alles Mögliche wider, aber sicher nicht den eigentlichen Wert der geleisteten Arbeit.

Dafür kann es keine Rechtfertigung geben. Das ist einfach nicht gerecht.

Wenn Leiharbeitskräfte weniger verdienen als ihre festangestellten Kolleginnen und Kollegen, wenn Stammpersonal zunehmend durch Werkvertragsbeschäftigte ersetzt wird und sich die Lohnsenkungsspirale damit immer weiter dreht, dann läuft etwas gewaltig schief in unserer Arbeitswelt. „Augen zu und durch!“ ist hier einfach zu wenig. Wir brauchen endlich eine neue Ordnung und soziale Leitplanken auf dem Arbeitsmarkt.

Nehmen wir den Einzelhandel als Beispiel. Dort gibt es nahezu alle Formen des Lohndumpings und der Verantwortungslosigkeit der modernen Arbeitswelt. In deutschen Supermärkten werden nur noch knapp 50 Prozent der Beschäftigten ordentlich nach Tarif entlohnt. Vollzeitstellen werden durch Minijobs ersetzt. Selbstständige Kaufleute übernehmen Filialen, aber nicht lang bewährte tarifliche Regelungen. Tätigkeiten, die den Einzelhandel ausmachen, werden als Leiharbeit oder eben über -Werkverträge an Fremdfirmen vergeben. Wenn Leiharbeitskräfte aber beispielsweise in NRW den Mindestlohn bekommen, dann verdienen sie, gemessen am Einzelhandelstarif, immerhin 33 Prozent weniger. Noch schlimmer trifft es die Werkvertragsbeschäftigten: Sie werden nach dem Tariflohn der vermeintlich christlichen Gewerkschaften bezahlt und bekommen nur noch rund 6,60 Euro.

Viele entschuldigen das mit der unternehmerischen Freiheit. Für uns hört die unternehmerische Freiheit aber bei Lohndumping auf.

Ein weiteres Beispiel ging diese Woche wieder durch die Medien – es ist schon angesprochen worden –: In der Schlachtbranche werden ausländische Beschäftigte mithilfe von Scheinwerkverträgen zu Niedrigstlöhnen beschäftigt und in baufälligen Kaschemmen untergebracht. Obwohl die Medien seit Jahren von derartigen Berichten voll sind und sich das Ausland mittlerweile über das Lohndumping in Deutschland beschwert, macht die Bundesregierung in ihren Antworten auf unsere aktuelle Kleine Anfrage auf ahnungslos: Sie hat noch immer keine Daten zu Werkverträgen und verweist stoisch und ignorant auf das geltende Arbeitsrecht, das auch Subunternehmen einhalten müssen. Dann schreibt sie – ich -zitiere –:

Die Einhaltung dieser Regelungen können die Arbeitnehmer von den Arbeitsgerichten überprüfen lassen.

Diese Aussage ist unglaublich. Meinen Sie wirklich, dass die ausländischen Beschäftigten in den Schlacht-höfen, die im Prinzip hinter Zäunen wohnen müssen, wirklich vor Gericht ziehen können? – Diese Aussage ist nicht nur zynisch; sie ist meiner Meinung nach ein Skandal.

Wir Grünen aber haben die Beschäftigten in der Fleischbranche im Blick und stellen deswegen heute ja auch einen Antrag zur Abstimmung. Zum Thema Scheinwerkverträge lassen wir heute zudem über einen effektiven Gesetzentwurf abstimmen, der übrigens -bewusst eng gefasst ist, damit auch Sie, die Regierungsfraktionen, zustimmen können. Es gibt nämlich eine -Regelungslücke im Arbeitnehmerüberlassungsgesetz. Deshalb vergeben Unternehmen Werkverträge häufig nur an Fremdfirmen mit Arbeitnehmerüberlassungserlaubnis. Wenn dann ein Scheinwerkvertrag gerichtlich festgestellt wird, gelten die Beschäftigten deswegen als Leiharbeitskräfte – es wird also billiger für die Unternehmen. Vor allem schützt die Erlaubnis vor allen weiteren rechtlichen Konsequenzen. Das ist verantwortungslos – mehr noch –, das lädt sogar zum Lohndumping ein. Es muss endlich Schluss sein mit diesem Rettungsschirm für Scheinwerkverträge.

Schwarz-Gelb hatte vier lange Jahre die Möglichkeit und auch die Verantwortung, für bessere Verhältnisse auf dem Arbeitsmarkt zu sorgen.

Fest steht aber: Sie, die Regierungsfraktionen, haben Ihre Chance vertan, und die Arbeitsministerin hat durch Untätigkeit geglänzt. Es war immer das gleiche Muster: Fehlentwicklungen werden erst lange ignoriert, dann werden umfassende Prüfungen und Maßnahmen angekündigt. Wir haben viele schöne Worte gehört, passiert ist nicht wirklich viel. Was die Regierung versäumt hat, werden wir nach der Wahl anpacken.

Notwendig ist ein Mindestlohn, und zwar flächendeckend. Alles andere ist ein Etikettenschwindel.

n der Leiharbeit wollen wir das Prinzip „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit“ ab dem ersten Tag. Vor allem wollen wir das Tarifvertragssystem stärken; denn Tarifflucht ist nicht akzeptabel.

Wir wollen die zu hohen Hürden im Tarifvertragssystem abbauen und damit die Allgemeinverbindlicherklärung von Tarifverträgen erleichtern und ebenso das Arbeitnehmer-Entsendegesetz für alle Branchen öffnen. Unser Ziel ist, dass die Tarifautonomie wieder funktioniert und möglichst alle Beschäftigten davon profitieren. Damit und mit einer Mitbestimmung auf Augenhöhe lösen wir vor allem auch effektiv das Problem mit den zweifelhaften Werkverträgen, das Sie, die Regierungsfraktionen, stoisch ignorieren.

Kurzum: Wir wollen nach der Wahl wieder Ordnung auf dem Arbeitsmarkt schaffen. Wenn der Anstand in Teilen der Wirtschaft verloren geht, dann müssen die Rahmenbedingungen verändert werden; denn jegliche Arbeit muss fair entlohnt werden, und alle Beschäftigten haben Wertschätzung und Anerkennung verdient.

Vielen Dank.

Arbeitsmarkt Kultur: Zur wirtschaftlichen und sozialen Lage in Kulturberufen

Geschrieben von Dietmar Hamann. Veröffentlicht in Arbeitsmarktlage

Vor vier Wochen hat der Deutsche Kulturrat die Studie "Arbeitsmarkt Kultur: Zur wirtschaftlichen und sozialen Lage in Kulturberufen" der Öffentlichkeit vorgestellt. Die Printausgabe der Studie ist fast vollständig vergriffen. Um sie Interessierten auch weiter zugänglich zu halten, kann sie ab sofort als pdf-Datei im Internet geladen werden.

Die Studie gliedert sich in vier Teile. Nach einer Einführung wird im ersten Teil eine Bestandsaufnahme zum Arbeitsmarkt Kultur vorgenommen. Dabei wird sowohl auf die Ausbildung für diesen Arbeitsmarkt, die Arbeitgeber, die abhängige Beschäftigung wie auch die Selbständigen eingegangen. Im weiteren Teil wird eine explorative Analyse des Sozio-ökonomischen Panels zum Arbeitsmarkt Kultur vorgenommen. Danach werden Daten der Künstlersozialversicherung dezidiert ausgewertet. Im letzten Teil erfolgt eine Zusammenschau der Untersuchung.

Arbeitsmarkt Kultur: Zur wirtschaftlichen und sozialen Lage in Kulturberufen
Von Gabriele Schulz, Olaf Zimmermann und Rainer Hufnagel
ISBN 978-3-934868-30-4
335 Seiten, Paperback (Großformat)
Euro 17,80

Die Studie kann kostenlos als pdf-Datei geladen werden unter: http://www.kulturrat.de/dokumente/studien/studie-arbeitsmarkt-kultur-2013.pdf

Quelle: Deutscher Kulturrat e.V.

Broschüre zum Sozialen Arbeitsmarkt

Veröffentlicht in Arbeitsmarktlage

Die Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege hat gemeinsam mit den Fachverbänden bag arbeit, EFAS und IDA eine Broschüre zum Sozialen Arbeitsmarkt veröffentlicht

Ein  Sozialer Arbeitsmarkt schafft Perspektiven und Chancen für  die Menschen, die vom Arbeitsmarkt und der Gesellschaft ausgeschlossen sind.
Verfestigte Langzeitarbeitslosigkeit bedeutet soziale Isolation. Folgeprobleme wie z. B. gesundheitliche Beeinträchtigungen oder dauerhaft prekäre Verhältnisse, in denen Kinder und Jugendliche aufwachsen, beeinträchtigen nicht nur die betroffenen Personen und Familien. Es liegt in der Verantwortung unserer Gesellschaft, die Würde der von Arbeitslosigkeit betroffenen Menschen zu bewahren und zu stärken. Menschen brauchen Perspektiven und eine realistische Chance auf Arbeit. Nach langer Arbeitslosigkeit wieder in Arbeit zu kommen, bedeutet endlich wieder für sich selbst sorgen und unabhängig von staatlichen Fürsorgeleistungen leben zu können. Arbeit zu haben bedeutet in dieser Gesellschaft viel mehr, als Geld zu verdienen. Sie verschafft Status, Lebenschancen und gesellschaftliche Teilhabe. Die Broschüre erläutert das Konzept des Sozialen Arbeitsmarktes und erörtert auch mögliche Einwände.

Broschüre zum Download

30 Stunden sind genug

Veröffentlicht in Arbeitsmarktlage

Debatte. Eine Verkürzung der Arbeitszeit ist längst überfällig – und bei vollem Lohn- und Personalausgleich realisierbar

Von Heinz-J. Bontrup

In kapitalistischen Ordnungssystemen erhalten die abhängig Beschäftigten aufgrund der Eigentumsverhältnisse nie den vollen Wert ihrer Arbeit, sondern nur den Wert ihrer Arbeitskraft als Lohn. Das so entstehende Überschußprodukt ist vom Unternehmer, vom Kapital, angeeignete Mehrarbeitszeit in Form von Gewinn, Zins, Miete und Pacht. Der US-amerikanische Ökonom John Kenneth Galbraith spitzte dies zu und bezeichnete diesen kapitalismusimmanenten Vorgang als »plumpen Diebstahl« an der Arbeiterschaft.

Die Ware Arbeitskraft

Im Gegensatz zur heute in der wirtschaftswissenschaftlichen Ausbildung dominanten neoklassischen/neoliberalen Theorie, die die Ausbeutung mit ihrer subjektiven Wertlehre schlicht wegdefiniert hat, ist der Austausch der Ware Arbeitskraft und ihre Arbeitszeit an den Arbeitsmärkten nicht mit jeder anderen Ware gleichzusetzen. In extrem offensiver Weise vertritt diese Gleichsetzungsthese dennoch u. a. der Präsident des Münchener ifo-Instituts, Hans-Werner Sinn: »Der Markt für die Ware Arbeitskraft unterscheidet sich (…) nicht vom Markt für Äpfel. Das mag man bedauern, aber so ist es.« Diese bewußte interessengeleitete Mystifikation stimmt aber in vielerlei Hinsicht realiter nicht. Der deutsche Ökonom Erich Preiser hat 1933 diese Gleichstellungsthese bereits hinlänglich widerlegt: Die Ware Arbeitskraft wird nicht »produziert«, das Angebot ist weitgehend starr bzw. unelastisch. Es läßt sich bei steigendem Preis (Lohn) nicht beliebig vermehren, bei sinkendem nicht vermindern.

In der wirtschaftlichen Realität kommt es dadurch zu einer strukturellen Unterlegenheit der Beschäftigten gegenüber den nachfragenden Unternehmern, die wesentlich länger mit ihrem laufenden Geschäftsbetrieb auf eine Anstellung warten können als die Arbeitskraftanbieter, die lebensnotwendig ein Einkommen benötigen und darüber hinaus auch noch mit anderen Beschäftigten um eine freie Stelle konkurrieren müssen. Und bei der besonderen Ware Arbeitskraft kommt noch etwas Entscheidendes, etwas Individuelles, hinzu: Der Arbeitsplatz ist nicht nur die »wirtschaftliche Existenzgrundlage« des Beschäftigten und regelmäßig auch seiner Familie, stellt das Bundesverfassungsgericht fest. »Lebenszuschnitt und Wohnumfeld werden davon bestimmt, ebenso gesellschaftliche Stellung und Selbstwertgefühl. Mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses wird dieses ökonomische und soziale Beziehungsgeflecht in Frage gestellt. Die Aussichten, eine ähnliche Position ohne Einbußen an Lebensstandard und Verlust von Nachbarschaftsbeziehungen zu finden, hängen vom Arbeitsmarkt ab.« Ausnahmen von der allgemeinen Unterlegenheitssituation der Arbeitskräfte liegen nur vor, »wenn auf einem Teilmarkt Mangel an Spezialkräften herrscht oder wenn eine allgemeine Vollbeschäftigungssituation vorliegt«, betont der deutsche Ökonom Alfred Stobbe.

Das ist jedoch, historisch gesehen, nicht die Regel. Vollbeschäftigung, so stellten schon der polnische Ökonom Michal Kalecki 1943 und seine britische Kollegin Joan Violet Robinson 1949 fest, schwächt die Macht der Unternehmer und stärkt die der Beschäftigten bzw. ihre Gewerkschaften. So überrascht es nicht, daß bei relativen Verknappungen auf Teilarbeitsmärkten, bei aber gleichzeitig dennoch vorliegender Massenerwerbslosigkeit, sofort der Ruf der Unternehmer nach der Politik erschallt. Zuwanderung, sonst allgemein im Unternehmerlager verpönt, ist dann auf einmal kein Problem mehr. Man akzeptiert eben keine Lohnsteigerungen aufgrund von Verknappungen an Arbeitsmärkten. Die aktuelle Phantomdiskussion, wie wissenschaftliche Untersuchungen des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) um eine angebliche Fachkräftelücke zeigen, macht dies überdeutlich.

Doppelte Fremdbestimmung

Die Ware Arbeitskraft unterliegt bei ihrem Verkauf neben der strukturellen Unterlegenheit und der Notwendigkeit auf einen Arbeitsplatz angewiesen zu sein, zusätzlich noch einer doppelten Fremdbestimmung. Menschliche Arbeit hat sich erstens in den Unternehmen im arbeitsteiligen Produktionsprozeß den jeweils dort gestellten Anforderungen und Hierarchien unterzuordnen. Im unternehmerischen Innenverhältnis herrscht gegenüber den abhängig Beschäftigten das »Investitionsmonopol des Kapitals« (Erich Preiser). Nur die Eigentümer entscheiden hier final wann, wie und wo investiert wird. Damit liegt die gesamte Macht in den Händen der Unternehmer/Manager. Selbst anhand der neoklassischen Produktionsfunktion kann man aber wie folgt zeigen, daß dies ein Paradoxon ist. In der Produktion gibt es immer zwei Inputfaktoren, Arbeit und Kapital. Mit dem Einsatz nur eines Faktors ist dabei kein Output zu erzielen. Arbeit und Kapital sind aufeinander angewiesen. Wieso bestimmt dann aber nur das Kapital in den Unternehmen über die Investitionen, den Arbeitseinsatz, Entlassungen und die Gewinnverwendung? Darauf gibt es keine ökonomisch logische Antwort. Hieraus leitet sich aber ökonomisch zwingend eine paritätische Mitbestimmung der Beschäftigten in allen wirtschaftlichen Angelegenheiten ab, was aber die angeblich politisch Herrschenden gegenüber dem wirklich herrschenden Kapital nicht durchzusetzen vermögen – und es auch offensichtlich nicht wollen. Und zweitens unterliegt die Arbeitskraft im kapitalistischen System, wie das Kapital selbst, den immanenten Markt- und Konkurrenzgesetzen. Dies zeigt gerade einmal mehr der aktuelle »Schlecker-Fall«. Daher ist das Kapital ständig bemüht, die »Peitsche« des Wettbewerbs durch Monopolisierung, Oligopolisierung oder Kartellierung zu eliminieren. Gelingt dies, so ist in der Regel das Kapital sogar bereit, den Beschäftigten ein wenig vom ausbeuterischen Monopolgewinn abzugeben. Hier entstehen dann merkwürdige Allianzen zwischen Kapital und Arbeit zu Lasten Dritter. Auch zu Lasten der Beschäftigten in den nicht marktbeherrschenden, sondern von den Monopolen ausgebeuteten Unternehmen.

Folgen der Umverteilung

Beim Austausch von Arbeitskraft und Arbeitszeit ist weiter zu beachten, daß Arbeitsmärkte immer nur von den Güter-, Geld- und Kapitalmärkten abgeleitete Märkte sind. Wieviel Arbeitskräfte bzw. Arbeitszeit letztlich nachgefragt werden, darüber entscheidet schlicht der Tatbestand, wieviel Arbeit im Produktions- und Realisationsprozeß in einer Volkswirtschaft zu verrichten ist. Entscheidenden Einfluß auf die Arbeitsnachfrage hat hier das Verhältnis der von der Nachfrage an den Gütermärkten bestimmten Produktion und ihrer jeweils immanenten Produktivität. Wird in diesem Kontext in Anbetracht des Lohn-Doppelcharakters, der auf der einen Seite Kosten bei gleichzeitiger Leistung beinhaltet, und auf der anderen Seite kaufkraftschaffendes Einkommen impliziert, der reale (inflationsbereinigte) Lohn immer mehr unter die Produktivitätsrate gedrückt, dann fällt schließlich Nachfrage auf den Gütermärkten aus, und es kommt in Folge zu Arbeitslosigkeit. Sie ist dann das Ergebnis nicht zu hoher, sondern – im Vergleich zur Produktivität – zu niedriger Reallöhne. So ist in Deutschland, bedingt durch eine neoliberale Umverteilung von den Arbeits- zu den Besitzeinkommen (Gewinn, Zins, Mieten und Pachten), von 2000 bis 2007 (bis zum Ausbruch der weltweiten Finanz- und Wirtschaftskrise) die gesamtwirtschaftliche Bruttolohnquote um fast neun Prozentpunkte gesunken und in gleicher Höhe die Gewinnquote gestiegen. Dies bedeutet etwa eine marktbezogene Umverteilung von 150 Milliarden Euro jährlich zu Lasten der Beschäftigten.

Arbeitslosigkeit entsteht aber auch, wenn die Produktion neben fehlender Nachfrage aufgrund zu niedriger Löhne von der Produktivität überholt wird. Ist das preisbereinigte Wachstum (die Produktionsrate) kleiner als die Produktivitätsrate, so sinkt in Folge das benötigte Arbeitsvolumen, wie die Werte in Tabelle 1 für die bundesdeutsche Wirtschaft bereits seit Beginn der 1960er Jahre, mit Ausnahme der 1980er Jahre, zeigen. Kommt es bei einer solchen Konstellation dann nicht zu einer Reduzierung der Arbeitszeit je Beschäftigten, dann werden weniger Arbeitskräfte benötigt, und es entsteht Arbeitslosigkeit, die wiederum die Ursache für eine Umverteilung zu Lasten der Beschäftigten in Form eines Lohnverfalls ist. Ein sich verstärkender Teufelskreis. Auch kann es dann nicht verwundern, daß immer mehr atypische und prekäre Beschäftigungsverhältnisse entstehen, die vom Normalarbeitsverhältnis abweichen, das auf Vollzeit und einer unbefristeten sowie sozialversicherungspflichtigen Arbeit basiert. Diese »normale« Arbeit gilt für Millionen von Beschäftigten in Deutschland aber nicht mehr. Sie arbeiten vielmehr in Teilzeit, Minijobs, auf befristeten Stellen oder als Leiharbeiter, häufig zu Arbeitsbedingungen mit Prekaritätslöhnen in einem Niedriglohnsektor. Mittlerweile ist davon fast jeder vierte deutsche Beschäftigte betroffen – das sind acht Millionen Menschen. Sie erhalten durchschnittliche Stundenlöhne von 6,68 Euro in West- und 6,52 Euro in Ostdeutschland. Niedrige Löhne bewirken bei den Betroffenen eine weitere ökonomische Gesetzmäßigkeit: Um die Einkommensverluste auszugleichen, bieten die abhängig Beschäftigten mehr Arbeit an (legal und auch in Schwarzarbeit), so daß es hierdurch bei schon bestehendem Überschußangebot zu einem noch weiteren Lohnverfall kommt. Man nennt dies unter Ökonomen auch eine anormale Arbeitsangebotsreaktion.

Mehr Aufklärung nötig

Nur durch eine Beseitigung der Arbeitslosigkeit kann diese unheilvolle und sozio-ökonomisch gefährliche Entwicklung zum Stoppen gebracht werden. Ansonsten wird der Druck auf die Beschäftigten und ihre Gewerkschaften nicht schwinden, und sie müssen immer weitergehende Zugeständnisse an Arbeitsbedingungen, Arbeitszeit und Bezahlung machen. Natürlich klafft hier ein kapitalistisch immanenter Widerspruch zwischen Einzel- und Gesamtwirtschaft. Und auch viele Beschäftigte in den Unternehmen, die in der Vergangenheit verstärkt Realeinkommensverluste haben hinnehmen müssen, sind nicht – auch nicht in Solidarität mit den Erwerbslosen – an Arbeitszeitverkürzungen interessiert. Sie glauben aus Erfahrungen, daß Arbeitszeitverkürzungen zu Intensivierungen ihrer Arbeit führen, weil es nicht zu entsprechenden Personaleinstellungen gekommen ist, und vor allen Dingen glauben sie nicht daran, daß die Arbeitszeitverkürzungen mit vollem Lohnausgleich stattfinden. Dies macht es den Gewerkschaftsspitzen so schwer, die Notwendigkeit von Arbeitszeitverkürzungen der betrieblichen Basis in den Unternehmen zu vermitteln. Hier hilft nur ökonomische Aufklärungsarbeit und Schulung. Arbeitszeitverkürzungen können bei vollem Lohn- und Personalausgleich vorgenommen werden. Der Lohnsatz kann gemäß der Produktivitäts- und Inflationsrate steigen, damit das absolute reale Monats- oder Jahreseinkommen konstant bleibt. Für den »Verzicht« auf ein steigendes reales Einkommen arbeiten die Beschäftigten dann weniger und gewinnen an persönlicher Zeitsouveränität, um Zeit für eine nicht fremdbestimmte Selbstentfaltung zu haben und auch weniger durch krankmachende Arbeit belastet zu sein. Und die heute Erwerbslosen hätten Lohnarbeit und würden nicht weiter gesellschaftlich ausgegrenzt und durch staatliche Alimentierung gedemütigt. Der »Gewaltakt« (Oskar Negt), der Menschen mit Arbeitslosigkeit angetan wird, wäre beendet.

Beschäftigungslücke schließen

Reicht Arbeitszeitverkürzung aber noch aus? Um es vorweg zu sagen, nein, sie reicht aufgrund der nicht adäquat verkürzten Arbeitszeit in der Vergangenheit nicht mehr aus, um eine vollbeschäftigte Wirtschaft zu bekommen. Die gesamtwirtschaftliche Rechnung ist dabei einfach. Unterstellt, die Wirtschaft wächst in Zukunft um real 1,5 Prozent und die Produktivität mit 1,8 Prozent, dann sinkt in Folge das Arbeitsvolumen um jährlich 0,3 Prozentpunkte. Diese durchschnittliche wirtschaftliche Konstellation war etwa der empirische Befund der letzten dreißig Jahre. Wird weiter unterstellt, daß der Rückgang des Arbeitsvolumens zukünftig durch die demographische Entwicklung in Form eines rückläufigen gesamtwirtschaftlichen Arbeitsangebots kompensiert werden kann, dann würde sich an der bestehenden Beschäftigungslücke von rund fünf Millionen fehlenden Arbeitsplätzen in Deutschland nichts ändern. Und selbst wenn der demographische Effekt stärker durchschlagen sollte, wird in Deutschland weiter Massenerwerbslosigkeit vorliegen, deren fiskalische Kosten übrigens bei rund 60 Milliarden Euro pro Jahr liegen. Darin sind enthalten: Arbeitslosengeld I und II, Steuerausfälle und Ausfälle bei den Sozialbeiträgen. Noch nicht eingerechnet sind hier die Folgekosten von Erwerbslosigkeit durch Krankheit, soziale Isolation etc.

Daher wäre über einen Zeitraum von fünf Jahren eine Arbeitszeitverkürzung von fünf Prozent pro Jahr bei den heute Vollzeitbeschäftigten mit einer durchschnittlichen Wochenarbeitszeit von gut 38 Stunden (vgl. Tabelle 2) auf eine 30-Stunden-Woche dringend notwendig. Dies würde sukzessive einen rechnerischen Arbeitskräftemehrbedarf von gut 6,6 Millionen abhängig Beschäftigten notwendig machen. Hiervon abzuziehen ist, wegen der verkürzten Arbeitszeit, ein induzierter Produktivitätseffekt von etwa 30 Prozent, so daß sich der tatsächliche Beschäftigungseffekt auf einen personellen Mehrbedarf von knapp 4,7 Millionen Arbeitskräften reduziert. Da aber außerdem viele heute nur Teilzeitbeschäftigte Vollzeit arbeiten wollen (und selbst wenn es nur zwei Millionen von den insgesamt gut 12,5 Millionen sind; vgl. Tabelle 2), sinkt noch einmal bei einer Aufstockung ihrer Arbeitszeit auf eine 30-Stunden-Woche der tatsächliche Beschäftigungseffekt der Arbeitszeitverkürzung auf einen Mehrbedarf an Arbeitskräften von etwa 4,1 Millionen. Diese Arbeitszeitverkürzung reicht also nicht, um die bestehende Beschäftigungslücke von rund fünf Millionen fehlenden Arbeitsplätzen wirklich zu schließen. Zusätzlich müßte es noch zu einem Ausbau an Beschäftigung im öffentlichen Sektor kommen. Hier wurde in der Vergangenheit zum Nachteil der Gesellschaft ein kontraproduktiver Abbau an Arbeitsplätzen betrieben. In Deutschland fehlen beim Staat (Bund, Länder, Kommunen) Arbeitskräfte in fast allen Bereichen. In der staatlichen Administration, im Umweltschutzbereich, in Kindergärten, in Schulen und Hochschulen und im Gesundheitswesen. Dies natürlich umso mehr, wenn auch hier die Arbeitszeit auf eine 30-Stunden-Woche reduziert würde.

Gesamtgesellschaftliche Aufgabe

Wer soll die 30-Stunden-Woche finanzieren? Zunächst einmal würde durch den Abbau der Arbeitslosigkeit teilweise ein gesamtwirtschaftlicher Selbstfinanzierungseffekt eintreten. Die heute entstehenden enormen fiskalischen Kosten der Arbeitslosigkeit würden entfallen. Der Staat hätte durch eine vollbeschäftigte Wirtschaft höhere Steuereinnahmen und die Sozialversicherungssysteme ebenfalls mehr Beitragseinnahmen. Außerdem müßte der Staat keine Erwerbslosen mehr mit Arbeitslosengeld alimentieren. Die Staatsausgaben würden bei vermehrten Einnahmen sinken, so daß auch die Staatsverschuldung zurückgehen würde und der Staat außerdem weniger an Zinsen zahlen müßte. Dadurch würden noch einmal die Staatsausgaben sinken. Auch die Wirtschaft würde insgesamt profitieren. Es fiele weniger an Nachfrage aus, da nun einmal Erwerbslose weniger konsumieren können als Beschäftigte.

Dennoch reicht dies zur Finanzierung der hier in den nächsten fünf Jahren vorgeschlagenen Arbeitszeitverkürzung von fünf Prozent pro Jahr auf eine 30-Stunden-Woche nicht aus. Geht man wie aufgezeigt von einer Produktivitätssteigerung von jahresdurchschnittlich 1,8 Prozent und einer Inflationsrate von 1,2 Prozent aus, so läge der verteilungsneutrale Spielraum bei drei Prozent im Jahr. Unterstellt man dabei, daß die 1,2 Prozent Preissteigerungsrate zum Ausgleich der Kaufkraft in Lohnerhöhungen fließen, dann wird bei einer fünfprozentigen Arbeitszeitverkürzung der verteilbare Produktivitätszuwachs in Höhe von 1,8 Prozent mit 3,2 Prozentpunkten überzogen. Es käme also zu einer Umverteilung zu Lasten der Besitzeinkommen bzw. der volkswirtschaftlichen Gewinnquote. Dies wäre aber vor dem Hintergrund der in der Vergangenheit vollzogenen Umverteilung zu Lasten der Lohnquote geradezu geboten. Erstens, um wieder mehr soziale Gerechtigkeit herzustellen und zweitens um eine der Hauptquellen der Finanzspekulationen und Finanzkrisen auszutrocknen, die ihre Ursache letztlich in den stark gesunkenen Lohnquoten der letzten Jahrzehnte hatte.

Eine Umverteilung von oben nach unten wird natürlich nicht ohne heftige gesellschaftliche Auseinandersetzungen, sowohl zwischen Kapital und Arbeit als auch im politischen Raum erreichbar sein. Es war aber in kapitalistischen Systemen schon immer ein Kampf um die Aufteilung der arbeitsteilig geschaffenen Wertschöpfungen bzw. Produktivitäten. Die Gewerkschaften und ihre Beschäftigten in den Unternehmen allein werden es jedoch nicht mehr schaffen, die Weiche in Richtung kollektiver Arbeitszeitverkürzung zu stellen. Arbeitszeitverkürzung muß dringend ein gesamtgesellschaftliches Projekt werden, das auch die politischen Parteien auf ihre Fahnen schreiben müssen, ebenso die Kirchen und Sozialversicherungsträger, die Erwerbsloseninitiativen und die Umweltschutzverbände. Sonst wird es nichts mit einer schon lange überfälligen Arbeitszeitverkürzung.Heinz-J.

Heinz-J. Bontrup/Lars Niggemeyer/Jörg Melz, Arbeitfairteilen, VSA-Verlag, Hamburg 2007, 88 Seiten, 6,50 Euro, Heinz-J. Bontrup/Mohssen Massarrat mit einem Vorwort von Eckart Spoo, Manifest zur Überwindung der Massenarbeitslosigkeit, Sonderdruck, in: Ossietzky, Mai 2011, 20 Seiten, 2 Euro
Prof. Dr. Heinz-J. Bontrup, Wirtschaftswissenschaftler an der Westfälischen Hochschule Gelsenkirchen, Bocholt, Recklinghausen und Sprecher der Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik. Vor seiner Berufung zum Professor war er Arbeitsdirektor (Personalvorstand) in der Stahlindustrie

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Mit freundlicher Genehmigung  Junge Welt vom 04.04.2012