Veranstaltung EMIN

Geschrieben von Michaela Hofmann. Veröffentlicht in EAPN

Veranstaltung EMIN – Lücken in der Existenzsicherung in Deutschland am 9.9.2014 Köln, Maternushaus

Ergebnisse der Arbeitsgruppen
Die Arbeitsgruppen arbeiteten zu drei Themenkomplexen:

  • Lücken in der Existenzsicherung
  • Bewertung der Lücken hinsichtlich der Auswirkungen auf die Lebenssituationen der Menschen
  • Wofür sind Lösungen zu finden und wie könnten diese aussehen?

Die Ergebnisse sind im Folgenden zusammengefasst und nicht einzelnen Arbeitsgruppen zugeordnet, auch um Wiederholungen zu vermeiden.

Lücken in der Existenzsicherung und Bewertung Regelsatzhöhe
Die auffälligen Lücken bzw. Problematiken zum Bildungs- und Teilhabepaket, die zu geringe Pauschale für Energie und die Warmwasserzubereitung, die Anschaffung von Haushaltsgegenständen wurden hier als Lücken benannt und als dringlich hinsichtlich der Veränderung angesehen.

Als Teilnehmer der Podiumsdiskussion erlaube ich mir das Hinzufügen einiger Gedanken, die mir so im Kopf herumschwirren: Die Missstände sind hinlänglich bekannt, anstatt etwas zu ändern, wird die prekäre Situation bei den Behörden mit den sogenannten „Rechtsvereinfachungen“ nochmals verschärft. Was häufig vergessen wird: Auch in der Gesundheitsvorsorge hat in den vergangenen Jahren ein rasanter Abbau der Leistungen stattgefunden. Mittlerweile haben wir ein Zweiklassensystem, Sehhilfen, Hilfsmittel, Zuzahlungen etc. sind für Menschen mit wenig Einkommen in zureichendem Maße nicht erschwinglich. Den barrierefreien Zugang zu Leistungen gibt es nicht, es ist schlimm, dass es Initiativen geben muss, die die Menschen zu den Behörden als Beistand begleiten, dass es Tafeln geben muss um die Not ein wenig zu lindern, dass uns wird gesagt, der Staat könne die Kosten der von unseren Müttern und Vätern erkämpften sozialen Errungenschaften nicht mehr tragen. Wie kann das sein? Der Wohlstand ist doch so viel größer als in den vergangenen Jahrzehnten. Noch nie war der Abstand zwischen den Ärmsten und den Reichsten so groß. Sollen wir das so hinnehmen? Die Großen und Mächtigen in Deutschland, Europa und der Welt sollten sich schämen! Es ist nicht leicht, zwischen all den Einflüssen zu unterscheiden, denen wir ausgesetzt sind. Wir haben es nicht mit einer kleinen Oberschicht zu tun, deren Treiben wir ohne weiteres verstehen. In Deutschland und Europa und darüber hinaus haben wir politische Mehrheiten, die dafür sorgen, dass die weit geöffnete Schere zwischen ganz arm und ganz reich sich immer weiter auftut. Wir dürfen nicht zulassen, dass sich diese Kluft weiter vertieft, engagieren wir uns. Ein gleichgültiger Mensch hat keine oder versagt sich seine eigene Meinung, meist aus einer gewissen Bequemlichkeit heraus. Sicher hat das auch mit einer oft grundlosen Angst vor Veränderungen zu tun. Dieses “Ohne mich „ist wohl das Schlimmste, was man sich und der Welt antun kann. Politiker, Banken und Spekulanten treiben unsere Gesellschaft in den Ruin. Es ist unfassbar, Milliardensummen werden in das wankende Finanzsystem gepumpt, aberwitzige Beträge für Wirtschaftshilfen und Steuergeschenke bereitgestellt - und die Schuldigen an der Krise machen einfach weiter wie bisher. Gleichzeitig brechen immer mehr Arbeitsplätze weg, den Kommunen fehlt es am Nötigsten und immer mehr Bürger rutschen in die Pleite. Selbst unsere Kinder und Kindeskinder werden noch für die Gier der Banker und die Unfähigkeit willfähriger Politikerinnen und Politiker zahlen müssen.

Robert Trettin   

Regelungen im SGB II

  • Darlehensregelung – die derzeitige Regelung, dass Darlehen für Strom oder die Anschaffung von Haushaltsgegenständen (Haushaltsgeräten, beispielsweise ‚Weiße Ware‘) bewilligt werden, führt zu einer regelmäßigen Absenkung des Regelsatzes und damit zu einer Unterschreitung des Existenzminimums
  • Sanktionen – die Einbehaltung von Zahlungen, bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen bis zu 100% des Regelsatzes bei Verstößen, die die Mitwirkungspflicht betreffen, bedrohen die Existenz und können zu Wohnungslosigkeit führen. Darüber hinaus ist es generell strittig, in welcher Art und Weise Sanktionen erzieherisch und disziplinierend wirken. Die hierdurch eher ausgelöste Scham, Ärger oder Ohnmacht und Hilflosigkeit dem System gegenüber, widerspricht der Zielrichtung des Gesetzes hinsichtlich des gesetzlichen Anspruchs auf Leistungen.
  • Überleitungen von einem Rechtskreis zum anderen dauern zu lange oder finden nicht statt. Zuständigkeiten sind nicht geklärt und Verantwortungen werden verschoben.
  • Kosten der Unterkunft – die Angemessenheit der Kosten für die Wohnung. Durch den unbestimmten Rechtsbegriff der Angemessenheit der Kosten und die sich hieraus ergebenden Umzugsaufforderungen bzw. im weiteren Verlauf, der Absenkung der Mietkostenübernahme ergibt sich eine Absenkung des Regelsatzes, wenn Menschen ihren Sozialraum nicht verlassen möchten und hierdurch eventuell Miet- und Energieschulden. Hinzu kommt oft eine Umzugsaufforderung wegen geringer Überschreitung der zugebilligten Miethöhe; die Umzugskosten sind oft um ein Vielfaches höher als die Überschreitung der Miete. Die Lösung dieser Problematik wird als dringlich angesehen.

Struktur/Kommunikation/Organisation des Jobcenters
(äußerst dringlicher Veränderungsbedarf, da diese Punkte direkt die Existenz betreffen)

  • Nichtlesbarkeit bzw. Verständlichkeit der Anträge und der Bescheide
  • Nichterreichbarkeit der Mitarbeiter
  • Empfangssituation im Jobcenter – Nummern, kein Wartebereich, Pforte hinter dickem Glas usw.
  • Verschwundene Unterlagen, Nichtannahme von Anträgen
  • Keine Beratung über zustehende Leistungen
  • Lange Bearbeitungszeiten
  • Unfreundliche und unqualifizierte Mitarbeitende im Jobcenter
  • Hauspolitik der Jobcenter wird als Entmündigung und mit Misstrauen durchsetzt erlebt.

Dieser Punkt und die einzelnen Aspekte werden als dringlich bei der Lösungsfindung angesehen. Durch die Behandlung beim Jobcenter, durch das Gesehen werden als Mensch, so die einhellige Meinung der Anwesenden, könnten sich viele Konflikte und Verschlechterungen der Lebenssituationen vermeiden lassen.

Arbeitsmarktintegration

  • Fehlende Arbeitsplätze
  • Keine Anschlüsse nach einem 1-€-Job
  • Zu wenige individuelle Umschulungsmaßnahmen oder Qualifizierungen
  • Übergang Schule-Beruf-Qualifizierung
  • Zu wenig Unterstützung bzw. zu kurze Unterstützungen (finanziell und qualifizierend begleitend) in der Phase der Schritte in die Selbständigkeit

Grundsätzliche Lücken

  • Individuelle Situationen passen oft nicht in die Gesetze
  • Hilfe wird immer erst gewährt, wenn schon etwas passiert ist
  • Zu niedrige Löhne
  • Bezahlbarer Wohnraum
  • Wissensdefizite und Wahrnehmungslücken zu Armut und Auswirkungen von Armut
  • Zugänge zu den Systemen sind oft nicht bekannt – wie können verdeckt Arme erreicht werden?
  • Schuldzuschreibungen „Wer keine Arbeit hat oder arm ist, ist auch selbst schuld.“
  • Verantwortung für die Schaffung von Rahmenbedingungen, die Qualifizierung, Bildung und ein Leben unabhängig von sozialen Leistungen zulassen, wird nicht angenommen oder gesehen => Politischer Wille zur Veränderung fehlt
  • Verstetigung der Armutsfürsorge als vermeintliches Instrument der Armutsbekämpfung – hohes Ansehen der Tafeln. Der Verweis auf barmherzige Hilfen durch die Jobcenter entspricht nicht dem Grundgesetz.

Bei den grundsätzlichen Lücken handelt es sich in der Mehrzahl um Erfahrungen, die Betroffene sowie das professionelle Hilfesystem Tag für Tag erleben und immer wieder, fast schon sisyphusartig in die unterschiedlichen Gremien einbringen, um Änderungen zu erzielen. Da es sich hierbei allerdings um komplexe Sachverhalte handelt, die mit mehreren Akteuren zu verhandelnd und häufig nicht gesetzlich zu regeln sind, stellt sich die Entwicklung von Lösungen und deren Umsetzung als schwierig und dringend notwendig dar. Als besonders dringlich wurde von allen die Schaffung bzw. das zur Verfügung stellen von bezahlbarem Wohnraum angesehen.

Lösungen
Grundsätzlich wurde festgestellt, dass es notwendig ist, vom Menschen aus zu denken und, hiervon ausgehend, Gesetze und Vorschriften zu erlassen und die Strukturen und Organisationen menschenfreundlicher zu gestalten.

Hierzu würde beitragen:

  • Willkommenskultur im Jobcenter (Sprache, Umgang usw.)
  • Bessere Qualifizierung der Mitarbeitenden im Jobcenter und generell mehr Personal
  • Beratung der Leistungsberechtigten über ihre Ansprüche sollte, wie sie als Pflicht im Gesetz steht, umgesetzt werden
  • Vernetzung und bessere Absprachen mit den Ämtern anderer Rechtskreise: Kein Weiterschicken von Leistungsberechtigten mehr, Klärung von Ansprüchen in einem back-office
  • Individuellere Beratung und Qualifizierungsmaßnahmen
  • Insbesondere bei jüngeren Menschen auf Qualifizierung und Ausbildung fokussieren und hierfür begleitende Elemente sorgen
  • Dialog zwischen den verschiedenen Akteuren herstellen – Feindbilder abbauen
  • Präventive Ansätze entwickeln und ausbauen

Ganz konkret wurden Überlegungen angestellt zu:

1. dem vermeintlich kleinsten Problem: Wissensdefizite abbauen und Zugängen zu Leistungen verbessern. Das Ziel ist es, das alle über alle Leistungen informiert sind bzw. sich informieren können. Die Transparenz über die Leistungen sorgt damit gleichzeitig für das Wissen über die Zugänge. Die Frage, „Wer braucht welche Information zu welchem Zweck?“ ist hinsichtlich der

  • Leistungsberechtigten/Betroffenen
  • Politik
  • Beratungsstellen
  • Jobcenter

zu beantworten.

Beim weiteren Nachdenken über Umsetzungsschritte stellte sich heraus, dass sich die vermeintliche Einfachheit in Komplexität und viele zu beantwortenden Fragen auflöste. Von daher sahen die Anwesenden eine Möglichkeit darin, ein Projekt gefördert aus ESF-Mitteln hierzu auf den Weg zu bringen. Bzgl. der Transparenz von Leistungen, Ansprüchen und zur Etablierung des Dialogs zwischen den unterschiedlichen Akteuren, könnte ein Servicepoint in den Jobcentern durch Leistungsberechtigte eine Lösungsmöglichkeit darstellen.

2. Bezahlbaren Wohnraum schaffen

Hier sollten Bund, Länder und Kommunen gemeinsam ein Konzept erstellen und eine Quote für bezahlbaren Wohnraum bei Neubauten oder Sanierungen mit öffentlicher Förderung anstreben.

3.Wichtig, aber nicht bearbeitet werden konnte, die Problematik des Übergang Schule-Beruf und die Begleitung von Jugendlichen sowie die gesamte Flüchtlingsproblematik. Diese benötigt, so die Meinung der Anwesenden, auch unter der Umsetzung des Solidaritätsgedanken, eine neue Ausrichtung und ist zurzeit wohl als eklatanteste Lücke in der Existenzsicherung zu bezeichnen.


Köln, den 01.10.2014
Michaela Hofmann
Referentin für Allgemeine Sozialberatung, Armutsfragen, Frauenhäuser und
Gewaltschutz
Diözesan-Caritasverband für das Erzbistum Köln e. V.

Veröffentlichung zum Wohlbefinden von Kindern in Europa: Erläuterungen zu Kinderarmut in der EU

Geschrieben von EAPN. Veröffentlicht in EAPN

Eurochild und das European Anti-Poverty Network (EAPN) haben einen Bericht veröffentlicht, in dem Kinderarmut, ihre Ursachen, der Umfang des Phänomens, einige Stereotypen sowie Lösungsvorschläge vorgestellt werden.



Derzeit sind demnach rund 25 Millionen Kinder in der EU von Armut oder sozialer Ausgrenzung bedroht. Kinder leben dem Bericht zufolge in Armut, wenn die Ressourcen, die für sie zur Verfügung stehen, so unzureichend sind, dass sie keinen in ihrer Gesellschaft als akzeptabel anerkannten Lebensstandard haben. Von Armut betroffene Kinder und ihre Familien können in vielerlei Hinsicht benachteiligt sein: geringes Einkommen, schlechte Wohnverhältnisse, unzureichende Grund- und Gesundheitsversorgung oder Hindernisse beim Zugang zu Bildung. Auch werden ihre Grundrechte häufig nicht respektiert und sie sind verstärkt Opfer von Diskriminierung.

Die Gründe für Kinderarmut sind vielfältig. Der Hauptgrund ist die ungleiche Verteilung von Ressourcen: EU-Länder mit geringem Armutsniveau verfügen über gute Arbeitsmarkt- und Umverteilungspolitiken, die den Bürgern ein angemessenes Einkommen garantieren. Die Verringerung von Kinderarmut hängt somit von politischen Entscheidungen ab; hohe Quoten sind oft darauf zurückzuführen, dass es der Politik nicht gelingt, die strukturellen Ungleichheiten abzubauen und die Rechte von Kindern umzusetzen, da sie sich zu sehr auf Wirtschaftswachstum und den freien Markt verlässt und zu wenig in langfristige Lösungen investiert, insbesondere während der derzeitigen Wirtschaftskrise.

Der Bericht setzt sich für ein dreiteiliges Vorgehen in diesem Bereich ein. Um den Zugang zu ausreichenden Ressourcen zu gewährleisten, muss Familien mit Kindern durch ausgewogene Geld- und Sachleistungen ausreichende Einkommensunterstützung gewährt werden. Auch sind Beschäftigungsfördermaßnahmen, Mindestlohnsysteme, Zugang zu hochwertiger und bezahlbarer Kinderbetreuung und Maßnahmen zur besseren Vereinbarung von Beruf und Privatleben nötig. Für einen ausreichenden Zugang zu hochwertigen Dienstleistungen muss dafür gesorgt werden, dass finanzielle Hindernisse für die volle Teilhabe im Bildungs- und Gesundheitssystem beseitigt und dass Maßnahmen für den Schulerfolg benachteiligter Kinder getroffen werden. Um angemessene Wohnmöglichkeiten zu garantieren, müssen u.a. Ballungsräume von Armut betroffener Menschen sowie die Zwangsräumung von Familien verhindert werden. Grundsätzlich müssen Aufwendungen für den Sozialschutz erhöht werden. Auch ist eine verbesserte Teilhabe von Kindern und ihre Eltern an der Entscheidungsfindung von großer Bedeutung, da betroffene Familien ihre Bedürfnisse am besten kennen.

Die Analyse schließt mit einigen Handlungsempfehlungen an die EU, nationale, regionale und lokale Regierungen.

Weitere Informationen:

http://www.eapn.eu/images/stories/docs/eapn-books/2013_Child_poverty_EN_web.pdf

EAPN-Generalversammlung 2012 - Abschlusserklärung

Veröffentlicht in EAPN

Sparmaßnahmen funktionieren nicht - Nötig ist ein Pakt für soziale Investitionen

Die Delegierten der 23. EAPN-Generalversammlung (7.-9. Juni in Oslo, Norwegen) schließen sich mit von Armut betroffenen Menschen zusammen, um die EU-Institutionen eine "rote Karte" zu zeigen, da sie in der Hektik, die Märkte zu beschwichtigen, die Menschen im Stich lassen, darunter die verletzlichsten. Die gemeinsam im Europäischen Rat handelnden Mitgliedstaaten verfolgen einen Absatz, der Sparmaßnahmen Priorität einräumt, wodurch "die Armen" den Preis für eine Krise bezahlen, die sie nicht verursacht haben und ein integrativer Aufschwung untergraben wird. Die Delegierten der Generalversammlung forderten die Entscheidungsträger in der EU auf, nicht den Märkten, sondern den Menschen und dem Planeten Priorität einzuräumen und sich auf einen Pakt für soziale Investitionen zu einigen, um das Vertrauen der Menschen wiederherzustellen und um eine positive Vision und einen Fahrplan für die künftige europäische Zusammenarbeit festzulegen.

Final declaration

 Die Delegierten der Generalversammlung...

  • lehnen die brutale Aufgabe der Griechen durch die EU ab, die Maßnahmen ohne Berücksichtigung der unmittelbaren und langfristigen sozialen Folgen durchführt;
  • stellen die Versprechen der Strategie Europa 2020 bezüglich eines integrativen Wachstums und der Armutsreduzierung in Frage, wenn das Armutsziel nicht ernst genommen wird und die "Economic Governance" der EU nationale soziale Infrastrukturen zerstört und mehr Armut und Ungleichheiten erzeugt, insbesondere in Ländern, die der Troika unterstehen;
  • verurteilen die gescheiterte Einbeziehung der Akteure bei wichtigen EU-Prozessen, wie etwa der Strategie Europa 2020 und die Aushöhlung demokratischer Prozesse als Folge zwischenstaatlicher Vereinbarungen, die ohne eine adäquate parlamentarische Überprüfung umgesetzt werden;
  • drücken ihr Unverständnis und ihren Ärger angesichts der Tatsache aus, dass die EU weiterhin eine offensichtliche versagende Strategie der Sparmaßnahmen unterstützt, die die Rezession und das Auseinanderbrechen der EU antreibt, anstatt die dringende Debatte und alternative Ansätze für eine integrative Erholung zu fördern, die auf Solidarität, sozialen Investitionen und dem Streben nach Gesellschaften mit größerer Gleichheit basiert.

Die Delegierten der Generalversammlung fordern die EU und die Mitgliedsstaaten daher auf, einen Pakt für soziale Investitionen zu beschließen, der Folgendes beinhaltet:

  1. Investtitionen in ein progressives Anreizpaket, dass die Menschen unterstützt und die Einkommen anhebt und zwar über Investitionen in die Schaffung qualitativ hochwertiger Arbeitsplätze, in zugägliche Dienstleistungen und in hochwertige Sozialschutzsysteme, die auch adäquate Mindesteinkommen umfasen. Benachteiligten Gruppen ist der Zugang über integrierte Ansätze zur aktiven Eingliederung sicherzustellen. Teil dieses Paktes müssen auch Investitionen in Bildung, Gesundheitsdienste, erschwinglichen Wohnraum und erschwingliche Energie sowie die Bekämpfung der zunehmenden Obdachlosigkeit sein.
  2. Bestärkung der Rolle des Staates al Bereitsteller von Gütern von öffentlichem Interesse und Sicherstellung der Eingliederung und des sozialen Zusammenhaltes - und zwar über die Sicherstellung einer universellen, fairen Sozialhilfe und von Dienstleistungen, die für das Wohlergehen der Menschen notwendig sind. Der Übertragung von staatlichem Vermögen auf gewinnorientierte Unternehmen in Bereichen, in denen der Wettbewerb soziale Rechte verletzt, ist Einhalt zu gebieten.
  3. Eine gerechte Erlangung und Verteilung der Mittel - Umkehrung des Trends zu immer mehr "arbeitenden Armen" durch eine Regelung zu angemessenen Löhnen und durch Investitionen in adäquate Mindesteinkommen (in Höhe von mindestens 60 % des verfügbaren medianen Einkommens), während gleichzeitig an einer EU-Richtlinie zu arbeiten ist, die adäquate soziale Mindeststandards in ganz Europa sicherstellt und somit auch einen "Social Floor". Dies ist über Steuergerechtigkeit zu finanzieren - einer progressiven Einkommenssteuer, Vermögenssteuer und Finanztransaktionssteuer ist Vorrang einzuräumen und Steuerhinterziehung und Steuerumgeheung sind zu bekämpfen, indem Steueroasen und Hintertüren mit Hilfe von EU-Vorschriften geschlossen werden.
  4. Rettung des Euro und Stärkung der europäischen Wirtschaftsstabilität - jedoch nicht, indem die Solidarität zwischen den Regionen oder zwischen den Reichen und Armen geopfert wird. Eurobonds, die Streichung unbezahlbarer Schulden, ein flexibles Defizit- und Währungsmanagement sowie eine EU-Finanztransaktionssteuer sind wesentliche Instrumente, doch muss die "Economic Governance" mit sozialen Zielsetzungen umgesetzt werden und soziale Gerechtigkeit als Endziel haben. Eine dringende Priorität ist die Sicherstellung, dass Griechenland in der Eurozone und der Europäischen Union bleibt und dass die EZB allen Ländern, die Hilfe in Anspruch nehmen müssen, eine erschwingliche finanzielle Unterstützung anbietet.
  5. Stärkung der demokratischen Verantwortlichkeit über eine direkte und partizipatorische Demokratie - Durch die Stärkung der Rolle der nationalen Parlamente und des Europäischen Parlaments und durch Investitionen in einen echten und regelmäßigen zivilen Dialog mit allen Akteuren, einschließlich der NRO und Menschen mit Armutserfahrungen, um alternative Lösungen für die Krise zu erarbeiten, zu überwachen und umzusetzen, insbesondere über die Strategie Europa 2020.
  6. Messung des sozialen Fortschritts und nicht der Wirtschaftsleistung - Es muss über das Bruttoinlandsprodukt hinausgegangen und ein Index der multiplen und nachhaltigen Entwicklung konstruiert werden, der sich auf die Sozialindikatoren der Sozialen OMK stützt und Fortschritte hinsichtlich Gleichheit, Gesundheit, materieller Vorteile und Wohlergehen sowie bei der Kulturellen, sozialen und politischen Teilhabe misst. Verringerung der wachsenden Einkommens- und Wohlstandskluft, indem ein realistisches und ehrgeiziges Ziel zur Erreichung von Gesellschaften mit größerer Gleichheit festgelegt wird.

Der Neustart einer Strategie Europa 2020, die ihre Ziele zu integrativem Wachstum und zur Armutsreduzierung ernst nimmt und nicht als vermeintliche Nebenprodukte anderer Prioritäten ansieht, würde einen übergreifenden Rahmen bieten, um die Umsetzung eines solchen Pakts für soziale Investitionen zu unterstützen und zu überwachen. Diese neu gestartete Strategie müsste von Empfehlungen zur Reduzierung der Armut und Ungleichheiten untermauert sein, die finanziell unterstützt werden, insbesondere durch EU-Mittel: Mindestens 25 % der Kohäsionsmittel müssen dem Euopäischen Sozialfonds (ESF) zugeteilt werden und mindestens 20 % des ESF sind für die soziale Eingliederung und die Bekämpfung der Armut zu transferieren.

Anmerkung:

Die 23. EAPN-Generalversammlung fand vom 7. - 9. Juni 2012 in Oslo, Norwegen, statt. An den Debatten und Aktivitäten nahmen Delegationen aus 29 Ländern und von 9 europäischen Organisationen teil. Auf dieser Generalversammlung hieß das Netzwerk Dynamo International (Sozialarbeiter-Netzwerk) und die International Federation of Social Workers als EAPN-Mitglieder willkommen.

Kampagne "EU-Gelder für die Armutsbekämpfung" unterstützen

Geschrieben von Carola Schmidt. Veröffentlicht in EAPN

Fast jede/r Vierte ist in der EU von Armut bedroht. Die EU hat es sich zum Ziel gesetzt, 20 Mio. Menschen aus der Armut und sozialen Ausgrenzung zu holen.

Da die EU-Kommission in diesem Jahr ihren Haushalt für die kommenden sieben Jahre verabschiedet, ist es vor dieser richtungsweisenden Entscheidung zwingend notwendig, die Kampagne "EU-Gelder für die Armutsbekämpfung" zu unterstützen.

Diese von EAPN (European Ant-Poverty Network) ins Leben gerufene Kampagne hat zum Ziel, 20 Prozent der Mittelausstattung des Europäischen Sozialfonds (ESF) für Maßnahmen der sozialen Eingliederung und Armutsbekämpfung einzusetzen.

Wir bitten um Ihre Unterstützung für diese Kampagne.

Unter dem Link www.avaaz.org/en/petition/EU_Money_for_Poverty_Reduction_NOW_1/ können Sie mit Ihrem Namen die Forderung nach einer Zweckbindung im ESF unterstützen.

First Annual Convention of the European Platform against Antipoverty and social Exclusion 17. und 18. Oktober 2011 in Kraków

Veröffentlicht in EAPN







Diese Veranstaltung fand im Rahmen der polnischen EU-Ratspräsidentschaft in der alten Kaiserstadt im Auditorium Maximum of the Jagiellonian University, zweitälteste Universität Europas, in Kraków statt. In der Nachfolge des "Runden Tisches" der europäischen Kommission hatten sich die Polen zur Aufgabe gemacht Strukturen und die Ziele der Plattform transparenter zu machen. Ihr Ziel ist es 1,5 Millionen betroffener Menschen aus der Armut befreien. Nach der Registrierung der Teilnehmer eröffnete Jaroslav Duda, polnischer Minister für Arbeit und Sozialpolitik die Veranstaltung. So wünschte er der Konferenz einen guten und erfolgreichen Verlauf. Ziel des runden Tisches sei es so der Minister die Armut bis zum Jahr 2020 von 80 Mio. auf 60 Mio. von Armut betroffenen Menschen in Europa zu reduzieren. Als Betroffene erhielt die Niederländerin Sonja Leemkuil das Wort. Sie betonte dass sie für ihr Statement im Plenum Englisch gelernt hat. Berührend waren ihre Ausführungen der Schicksalsschläge die sie und ihre Familie hinnehmen musste. (Krankheit, Armut und soziale Benachteiligung). Sie begann sich in einer örtlichen Gruppe zum Kampf gegen die Armut einzubringen. So sagte sie abschließend dass das Recht auf Arbeit dringlicher denn je sei. Nur Betroffene die aus der Arbeitslosigkeit herausgeholt werden können ein Leben in Würde führen. Anschließend bekam der runde Tisch, bestehend aus Ministern, Staatssekretären der EU-Mitgliederstaaten, Zeit um den aktuellen Stand in ihrem Land dem Plenum zu unterbreiten. Fakt jedoch ist das die osteuropäischen Länder mit erheblichen Schwierigkeiten zu kämpfen haben um das angestrebte Ziel umzusetzen.

In Irland wird die Armut durch die Krise hervorgerufen, die Dänen wiederum stellen zur Bekämpfung der Armut Gesundheitsvorbeugung und Bildung in den Fokus. Belgien hat sich zum Ziel gesetzt der Kinderarmut gegenzusteuern. So sollen die Betroffenen mehr zu Wort kommen und insbesondere die Gesundheitsvorsorge zu forcieren. Spaniens Ziele werden es sein bei einer Arbeitslosenquote von ca. 20% die Armut merklich zu reduzieren. Rumänien strebt die Integration der ethnologischen Minderheiten wie die Sinti und Roma an. Litauen wollen die kinderreichen Familien fördern und die Ungleichheit der Einkommen verbessern. Litauen letztendlich die Berufsausbildung von Randgruppen in den Mittelpunkt ihrer Aktivitäten stellen sowie bessere Bedingungen für Behinderte schaffen.

    Mehrere Workshops wurden angeboten, so unter anderen:
  • Soziale Erneuerung für aktive Eingliederung betroffener Menschen,
  • Kampf gegen Armut und Ausgrenzung älterer Menschen
  • Kampf gegen soziale Benachteiligung und Ausgrenzung auf nationalen, regionalen und lokalen Ebenen
  • Schaffung der Voraussetzung zur Ausbildung aller junger Menschen
  • Beschäftigung der armen Menschen und die Rolle der sozialen Wirtschaft

Die deutsche Gruppe fand sich in dem Workshop zusammen mit den Österreichern wieder. Im Brainstorming fielen Begriffe wie Gleichberechtigung der SeniorInnen, so sollen Anstrengungen unternommen werden älteren Arbeitnehmerinnen die Möglichkeiten zu bieten der Ausfall ihrer beruflichen Aktivitäten so kurz wie möglich zu gestalten. Der Faktor Arbeit sollte beinhalten dass der Mensch nicht an die Arbeit angepasst werden sollen sondern die Arbeit an den Menschen, Arbeitsplätze sollen nach ergonomischen Aspekten eingerichtet werden insbesondere für ArbeitnehmerInnen über 50 Jahre. Weiterhin sollte der Wohnungsbau dahingehend ausgerichtet werden das Wohnungen bei dem Neubau altersgerecht errichtet werden. Um diese Aufgaben zu bewältigen muss ein Altersmanagement in den Ministerien installiert werden.

Das offizielle Diner richteten die Polen aus. Hochkarätige EU-Kommissare wie Laszlo Andor, Minister wie Jolanta Fedak, Arbeit und Soziales aus Polen sowie Ms. Jean Lambert (MEP) als auch andere Mitglieder des europäischen Parlamentes nahmen teil. Das Event fand in der alten in 122,5 Meter liegenden Salzmine in Wieliczka statt. Diese Mine steht auf der Liste des Weltkulturerbes. Bei diesem Diner hatten die Delegationen die Möglichkeit sich bei gutem Essen und einem Glas Wein als auch andere Getränke über ihre Erfahrungen gegenseitig auszutauschen.

EAPN-Generalversammlung 2011-Abschlussbericht

Veröffentlicht in EAPN

"Europa braucht ein neues Herz"

Die Generalversammlung fand vor dem Hintergrund einer zunehmend verärgerten Öffentlichkeit statt, die der EU und den Regierungen der einzelnen Mitgliedsstaaten vorwirft, auf die derzeitige Krise nicht mit angemessenen Solidarmaßnahmen reagiert zu haben und statt der Menschen die Märkte zu schützen. Die Delegierten warnten davor, dass die EU die Unterstützung der Bevölkerung verlieren könne, wenn sich die Wahrnehmung durchsetze, dass Europa die Fundamente der Wohlfahrtsstaaten zerstöre.

Das Europäische Armutsnetzwerk EAPN beobachtet, dass die finanziellen Rettungspakete in der gesamten Europäischen Union die Menschen tiefer in Armut stürzen. So gefährden sie den sozialen Zusammenhalt und verstärken gleichzeitig den Einfluss von Finanzmärkten und Spekulanten. Insbesondere in jenen Ländern, die finanzielle Vereinbarungen mit der EU/dem IWF erfüllen müssen und Kredite nur noch mit Strafzinsen aufnehmen können, ist die Reaktion auf die Krise durch Sparprogramme gekennzeichnet, die vor allem die Schwächsten der Gesellschaft belasten.

Während EU und Mitgliedstaaten einerseits Sparprogramme durchsetzen, die nicht nachhaltig wirken können, weigern sie sich andererseits beharrlich, die von Habgier und Spekulation geprägten Handelssysteme zu disziplinieren und diejenigen zur finanziellen Verantwortung zu ziehen, die die Krise auf internationaler wie auf EU-Ebene verursacht haben. Zudem scheint die Europäische Zentralbank die Interessen der Banken über das Wohlergehen der europäischen Bürger zu stellen. Mit diesem Ansatz kann Europa bei der Armutsbekämpfung nicht erfolgreich sein. Die Reaktion Europas auf die Wirtschaftskrise zerstört die Aussicht auf eine gerechtere Gesellschaft sowohl kurz- als auch langfristig. In diesem Zusammenhang ist es wenig überraschend, jedoch sehr beunruhigend, dass sich die Zustimmung zum Projekt der europäischen Integration auf einem absoluten Tiefpunkt befindet. EAPN akzeptiert diese drakonischen Sparmaßnahmen nicht als einzig mögliche Alternative. Die Delegierten der Generalversammlung Europas rufen die führenden Politiker auf, dem Projekt Europa wieder ein Herz zu geben und die folgenden Maßnahmen umzusetzen:

  1. Soziale und nachhaltige Entwicklung und Solidarität müssen zur Priorität der EU¬-Politik werden. Die Menschenrechte sollten ins Zentrum der Bemühungen beim Kampf gegen Armut und soziale Ausgrenzung rücken.
  2. Für die Armutsbekämpfung müssen ehrgeizige und einheitliche Ziele gesetzt werden, die alle drei vom Europäischen Rat im Juni 2010 beschlossenen Indikatoren berücksichtigen und eine strenge Kontrolle der erreichten Fortschritte für alle von Armut betroffenen Menschen sicherstellen, auch für die am stärksten Benachteiligten. Das Monitoring muss deutlich machen, dass ein Nichterreichen der jährlichen Ziele bei der Armutsbekämpfung inakzeptabel ist.
  3. Der Wohlfahrtsstaat und die sozialen Rechte sind Grundvoraussetzung für eine wirtschaftliche Erholung. Als solche müssen sie verteidigt und gefördert werden. Hierzu zählen auch die Empfehlungen zur „aktiven Einbeziehung" aller EU-Bürger. Diese muss gesichert werden, indem die Mitgliedsstaaten eine europäische Rahmenrichtlinie zu angemessenen Mindestlohnmodellen einführen, allen Bürgern Zugang zu bezahlbaren, qualitativ angemessenen öffentlichen Dienstleistungen gewähren und positive Maßnahmen zur Beschäftigungsförderung ergreifen.
  4. Die öffentlichen Gemeinschaftsgüter (z. B. Wasser, Gesundheit, Verkehr, soziale Dienstleistungen) sind als Grundrecht zu verteidigen.
  5. Die Realwirtschaft muss gestärkt, die Sozialwirtschaft unterstützt werden. Die EU-Mitgliedsstaaten müssen umfassende Investitionen in Arbeitsmarktstrategien tätigen, durch die angemessene Arbeitsplätze und Chancen für alle Bürger geschaffen und gefördert werden.
  6. Dem destruktiven System des spekulativen Handels muss Einhalt geboten werden. Die EU-Regierungen müssen dem Bankensektor auferlegen, seinen Anteil an der Last zu tragen und eine Finanztransaktionssteuer einführen, um soziale Investitionen zu finanzieren und ein hohes Maß an Transparenz zu gewährleisten, durch das die Korruption bekämpft werden kann.
  7. Steuerhinterziehung und -flucht müssen verhindert werden. Steueroasen, insbesondere solche auf dem Gebiet der Europäischen Union, müssen abgeschafft werden. Die EU-Regierungen müssen den Kampf gegen die organisierte Kriminalität energischer auf gesamteuropäischer Ebene führen, um so Schlüsselmechanismen auszumerzen, die Armut und soziale Ausgrenzung mit verursachen.
  8. Es sind Bedingungen zu schaffen, die es Mitgliedstaaten erlauben, Kredite zu angemessenen Zinssätzen aufzunehmen und die Solidarität innerhalb der EU zu fördern.
  9. Die EU-Regierungen sollten Kontrollmechanismen zur Ermittlung von Trends bei Wohlstand und Ungleichheit in allen Mitgliedstaaten entwickeln, um Maßnahmen zu entwickeln und umzusetzen, durch die Ungleichheiten bei Einkommen und Wohlstand vermindert werden können.

Anmerkung: Die 22. Vollversammlung von EAPN fand vom 16. bis 18. Juni 2011 in Lissabon, Portugal, statt. Delegationen aus 27 Ländern und von 11 europäischen Organisationen nahmen an den Debatten und Aktionen teil. Bei dieser Vollversammlung nahm EAPN Netzwerke aus Island, Serbien und der ehemaligen jugoslawischen Republik Mazedonien als Mitglieder auf.