Klamme Kommunen erhöhen Gebühren und kürzen Leistungen

Geschrieben von Trettin Robert. Veröffentlicht in Allgemeines

Unlängst fiel mir folgender Artikel in die Hand, ergänzt habe ich diesen mit einigen eigenen Gedanken (kursiv) und Auszüge aus den Büchern „Die geplünderte Republik“ und „Die verblödete Republik“ von Thomas Wieczorek. 

Berlin - Die Bürger müssen sich auf weitere Erhöhungen bei kommunalen Gebühren und Einschnitte bei städtischen Leistungen einstellen. Nach einer Umfrage der Beratungsgesellschaft Ernst & Young wollen drei Viertel der Kommunen wegen der desolaten Finanzlage in diesem und nächsten Jahr Steuern und Gebühren anheben. 37 Prozent der befragten Städte und Gemeinden planten, Leistungen zu reduzieren oder einzustellen - etwa bei der Straßenbeleuchtung oder der Kinder- und Seniorenbetreuung. Schon jetzt werden Leistungen zur Wiedereingliederung und zur Teilhabe nach dem SGB XII politisch gedeckelt. Den Bezirken wird aufgegeben, nur noch eine bestimmte Anzahl von Anträgen zu genehmigen. Die Folge ist, dass Anträge einfach nicht oder nur zögerlich bearbeitet werden, sie werden kurzerhand liegengelassen oder verschwinden einfach.

**Die folgenden Zeilen sind keine offizielle Anklageschrift einer Staatsanwaltschaft. Daher bleibt die Beantwortung der Frage, ob die Beihilfe der politisch Verantwortlichen zur enthemmten Ausplünderung der Kommunen durch teilweise hoch kriminelle „Investoren“ auf  Naivität oder Korruption zurückzuführen ist, der Phantasie oder dem klar denkenden Menschenverstand des Lesers überlassen.

Cross Boarder Leasing ( CBL ) heißt das Zauberwort seit Ende des vorherigen Jahrtausends: Vor allem Kommunen in ständiger Geldnot sollen sich eine goldene Nase verdienen können, wenn sie windigen US-Investoren beim Ausnutzen eines Steuersumpflochs helfen. Es klingt wie die Erfolgsgeschichte von Dagobert Duck: Städte und Gemeinden verkaufen ihre Kanalisationen, Trinkwasser- und Schienennetze, Messehallen, Müllverbrennungsanlagen und sogar Schulen an Geldmacher aus Übersee, das nötige Geld können wiederum zum großen Teil dem Zugriff des US-Fiskus entziehen. Nun mieten die Kommunen alles wieder zurück und sanieren mit dem Erlös ihren Haushalt. „Kämmerer und Oberbürgermeister folgen frohgemut auf Investorenkosten über den großen Teich und unterzeichneten in Anwaltsbüros an New Yorks Fifth Avenue dicke Verträge. Bei der Rückkehr konnten sie ihren Bürgen strahlend von den Millionen berichten, die sie mit ihrer Cleverness für die Stadtkasse herbeigeschafft hatten.“

Dieses Bäumchen-wechsel-Dich-Spiel betrifft 600 Städte und staatliche Unternehmen in Westeuropa, in Deutschland etwa 150. Fast auf jedem Gebiet der öffentlichen Infrastruktur ließ man sich über den Tisch ziehen. Bis der US-Kongress 2004 das Steuerschlupfloch schloss und neue Verträge verbot, verscherbelten unter anderem Recklinghausen, Ruhr- und Wupperverband, Stuttgart, Bochum und Schwerin ihre Kanalisation an mehr oder minder zwielichtige US-Investoren und mieteten sie zurück. In Ilm, Böblingen und Wuppertal verkaufte man die Müllöfen, in Berlin, Leipzig und Köln die Messehallen, in Essen und Düsseldorf das Schienennetz, in zwei Dutzend Städten die Straßenbahn.

Seit Beginn der Krise mutiert für die Stadtoberen die vermeintliche Gelddruckmethode zum Alptraum. Was die naiven Cleveren damals nicht erfuhren oder gar nicht so genau wissen wollten:
CBL ist eine äußerst undurchsichtige Angelegenheit, eine sogenannte „strukturierte Finanzierung“. Die Verträge bestehen aus mehr als 1000 Seiten, enthalten eine strafbewehrte Geheimhaltungsklausel und wurden nicht ins Deutsche übersetzt. Zudem gibt es jede Menge Vertragspartner: Da ist zunächst der Investor, der eine Briefkastenfirma ( „Trust“ ) in einer Steueroase gründet, der Treuhänder dieser Scheinfirma, zwei Darlehensbanken, die der Briefkastenfirma die Kredite in dreistelliger Millionenhöhe gewähren, zwei Schuldübernahmebanken, eine Depotbank und ein Versicherungsunternehmen. Alle haben ihre eigenen Steuerberater, Wirtschaftsprüfer und Anwälte. Und ganz am Rande gibt es noch die Stadt als Melkkuh.

Eng verwandt ist das Ursprungsmodell: Die Stadt verkauft ihre Anlage für 99 Jahre und mietet sie bis zur ersten Kündigungsoption für 30 Jahre zurück. In Wahrheit ist die Stadt vom ersten Tag an aus allen Geldflüssen abgekoppelt. Der Kaufpreis – je nach Wert der Anlage zwischen 100 Millionen und 1,5 Milliarden US-Dollar wird gar nicht ausgezahlt. Nur 4 – 5 Prozent davon fließen als einmalige Barzahlung ( „Barwertvorteil“ ) an die Stadt. Der Rest verschwindet unverzüglich bei zwei Schuldübernahmebanken und einer Depotbank. Von diesem Geld sollen Erstere im Namen der Stadt 30 Jahre lang die Leasingraten an die Briefkastenfirma des Investors auf den Cayman Islands überweisen, damit die Stadt die verkaufte Anlage weiter nutzen kann. Die Depotbank soll aus der ihr überwiesenen Summe genug erwirtschaften, damit die Stadt nach 30 Jahren die Anlage zurückkaufen kann.

Bei Vertragsabschluss redet man den Stadtvätern ein, die „renommierten“ Banken, Versicherungen und Investoren könnten gar nicht pleite gehen und existierten ewig. Gleichzeitig aber sichern sich die Vertragspartner akribisch knallhart gegen jeden erdenklichen Ausfall ab. So muss die Stadt eine Versicherung abschließen, ist verpflichtet, ständig das Rating des Versicherers zu beobachten ubnd ihn binnen 90 Tagen zu wechseln, wenn dessen Bonität sinkt. Viele CBL-Geschäfte versicherte übrigens der US-Branchenführer American international Group ( AIG ), dessen Rating in den Keller ging, nachdem die US-Regierung ihn nur mit Millionen an Steuergeldern vor dem Ruin bewahrte.

Genauso müssen die Städte das Rating der drei Treuhänderbanken verfolgen. Wenn deren Bonitätseinstufung durch die Rating-Agenturen Modys, Standard&Poors und Fitch sich verschlechtert, müssen die Städte auch die Bank wechseln. Diese kostspieligen „Umstrukturierungen“ kosten zum Beispiel den Ruhrverband – der die Kläranlagen verkaufte – jetzt schon 4,5 Millionen Euro und die Bodensee-Wasserversorgung mit 180 angeschlossenen Gemeinden – die das Trinkwassernetz abgab – sogar „mehr als 10 Millionen Euro“ wobei die Durchführung streng geheim ist. So gaben die Städte Wuppertal und Recklinghausen bekannt, dass sie „den Austausch von Finanzinstitutionen verbreiten“, aber „Namen und weitere Details entsprechend den vertraglichen Vertraulichkeitsverpflichtungen“ nicht nennen dürfen. Allen Hiobsbotschaften zum Trotz machen manche Kämmerer in Zweckoptimismus. Die Gelder seien in US-Staatsanleihen angelegt und lägen „sicher im Depot“. Dabei werden bei diesen „strukturierten Finanzierungen“, ähnlich wie bei den faulen US-Hypothekenkrediten, die Darlehens- und Mietforderungen verbrieft und verkauft, und auf die Depots werden Wertpapiere ausgegeben.

Wunderwaffe Privatisierung? Zum wahren Horrortrip für die Bürger und zusehends auch für die Unternehmen gerät die Privatisierung der Kernbereiche der Gesellschaft. Dass Kranke und Senioren frei entscheiden können zwischen staatlich-unzureichend-unwürdig oder privat-unbezahlbar-fragwürdig mag ja Nichtbetroffenen noch akzeptabelerscheinen. (Dass Wohlfahrtsverbände hier kräftig mitmischen versteht sich von selbst). Aber Unzuverlässigkeit und Wucherpreise in Infrastrukturbereichen wie Post, Bahn, Wasser, Energie, Müllentsorgung, Immobilien, oder Kommunikation schaden nicht nur den Bürgern, sondern auch allen anderen Branchen.

Dazu passt: Zu den irrwitzigsten Ideengewisser Finanzpolitiker und Arbeitgeberpropagandisten gehört die Vorstellung, einzelne Ausgabeposten müssen sich selbst tragen. Nach dieser Logik müssen diese „Experten“ einen Restaurantbesuch mit Tellerwaschen bezahlen, die Friseurrechnung durch Bodenwischen abarbeiten und den Karibikurlaub durch Kellnern finanzieren.

Nichts anderes aber ist die Vorstellung, staatliche Ausgaben für Gesundheit, Altenfürsorge oder Bildung müssen sich selbst refinanzieren. In Wahrheit handelt es sich um Kosten, die durch die Arbeit der Bürger bereits gegenfinanziert sind und folglich leicht aus dem immensen Zuwachs des noch immenseren Volksvermögens spielend bezahlt werden könnten – wäre es nicht so seltsam verteilt. Es ist völlig unlogisch, dass etwa eine unrentable Staatsklinik dadurch besser wird, dass sich auch noch private Geldgeber eine goldene Nase damit verdienen zu Lasten der Patienten, Ärzte und PflegerInnen. **

Bürger wachen aber so langsam auf, die Berliner wollen ihre Stromnetze wiederhaben, es geht um den Rückkauf. Es hat mit bis heute keiner verständlich erklären können, warum seinerzeit die Energieerzeugung und die Stromnetze privatisiert wurden. Vattenfall verdient sich eine goldene Nase, weshalb um alles in der Welt hätte sich die Stadt Berlin nicht dieses Geld verdienen können??? Jetzt geht es um den Rückkauf, die Koalition hat sich dagegen ausgesprochen, es wird zu teuer, na klar, das Geld fehlt, auch deshalb weil der Pleite-Flughafen Berlin Brandenburg allein 20 Millionen Euro im Monat verschlingt, 6 Millionen davon muss das Land Berlin berappen. Ganz zu schweigen von den zusätzlichen Milliarden, die in den Märkischen Sand gesetzt wurden.

**Texte innerhalb der Sterne sind aus den Büchern Die geplünderte Republik“ und „Die verblödete Republik“ von Thomas Wieczorek**