Die Goodwill- und Hilfsindustrie

Geschrieben von Robert Trettin. Veröffentlicht in Allgemeines

Vom Dienst an der Gesellschaft ist häufig die Rede und von der Ehre, die dieser Dienst bedeutet. Nichts gegen Ehrenamtlichkeit und Bürgerschaftliches Engagement. Ehrenamtliche Richter, Schöffen, der Dienst bei der Freiwilligen Feuerwehr, das Engagement in vielen Initiativen, auch bzw. gerade im Armutsnetzwerk, bedeutet: Verantwortung übernehmen für sich selbst und das Umfeld in dem man lebt. Was aber ist daraus geworden?

Die Rücknahme der sozialen Errungenschaften, die unsere Mütter und Väter zum Teil schwer erkämpft haben begann schon Anfang der 80zigerger  Jahre. In dem sogenannten „Lambsdorffpapier“ wurde das Drehbuch für Hartz IV geschrieben.  Am 9. September 1982 – also vor mehr als 30 Jahren – hat der damalige Bundeswirtschaftsminister Graf Lambsdorff sein „Konzept für eine Politik zur Überwindung der Wachstumsschwäche und zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit“ – den „Scheidebrief“ für die damalige sozialliberale Koalition – veröffentlicht. Seit dieser Zeit wird Politik – manchmal mehr, manchmal weniger – nach dieser Rezeptur gemacht. Und dennoch hat sich die Staatsschuld vervielfacht und die Arbeitslosigkeit liegt erheblich höher als damals. Die Leistungen im Gesundheitswesen sind gesunken, die Brille muss aus dem ohnehin schon niedrigen Regelsatz angespart werden, wie viele Dinge, die es ehemals auf Rezept gab.
Die Lücke, die durch den Sozialabbau entstanden ist soll durch ehrenamtliches Engagement zumindest nicht mehr so groß erscheinen. Ehrenamtliche sitzen an den Kassen der Schwimmbäder, Eltern putzen die Schule und bringen hin und wieder etwas Farbe an die Wand. Ganz selbstverständlich werden durch Ehrenamtsbörsen, Kommunikationsagenturen, Koordinierungsstellen usw. Freiwillige gesucht wie Hausmeister für eine Schule, Gärtner, die den Garten eines Altersheims pflegen, Menschen, die um eine Zeitspende gebeten werden um Kranken und Pflegebedürftigen etwas Zuwendung geben. Letzteres kann durch das Personal nicht mehr geleistet werden, weil mit immer weniger Menschen mehr für weniger Geld leisten, natürlich um den Gewinn zu maximieren.  

Der Bundesrat wollte etwas für die vielen Ehrenamtlichen im Lande tun. Das Ehrenamt sollte aufgewertet werden, auch finanziell. So beschloss der Bundesrat, die sogenannte Übungsleiterpauschale von 2.100 auf 2.400 EUR anzuheben. Diese 2.400 EUR dürfen den Ehrenamtlichen pro Jahr ohne Steuern und Abgaben ausgezahlt werden. Die Pauschale kommt ursprünglich -wie Name bereits andeutet- von den Trainern in den zahlreichen Sportvereinen im Lande, gilt heute aber für alle Ehrenamtlichen.

Diese Regelung wissen die kirchlichen Arbeitgeber geschickt für sich zu nutzen. Vor allem im Bereich der ambulanten Pflege wird die Übungsleiterpauschale massiv missbraucht. Die Mitarbeiter, z. B.. der Diakonie oder Caritas, arbeiten quasi flächendeckend in einer Kombination aus Minijob und Ehrenamt. Die Diakonie zahlt ihren Mitarbeitern ein Minijob-Gehalt von max. 450 EUR, die nur eingeschränkt sozialabgabenpflichtig sind, und zusätzlich 200 EUR völlig abgabenfrei. Dadurch spart die Diakonie bis zu 24 Prozent gegenüber anderen Anbietern, die nicht mit diesem Trick arbeiten können. Diesen wirtschaftlichen Vorteil hat die Diakonie, weil nur als gemeinnützig eingestufte und staatliche Träger die Übungsleiterpauschale einsetzen dürfen.

Das Ehrenamt – wurde früher meist von relativ wohlhabenden Menschen und oft als sinngebende Tätigkeit im Alter übernommen. In der heutigen Zeit geht es mehr als jemals zuvor um die Gier nach Macht und Geld weniger Reicher und im Gegenzug um rücksichtlose Einsparungen bei der Mehrheit der Menschen. Die Korruption, die mit dieser Gier verbunden ist, macht auch vor dem Ehrenamt nicht Halt.

Immer mehr Arbeitsplätze fallen dem Diktat des Sparens und der sogenannten „Arbeitsverdichtung” zum Opfer. Und wenn sich dann herausstellt, dass die wenigen verbliebenen Arbeitskräfte die zu leistende Arbeit partout nicht schaffen können, stellt an ein paar Ein-Euro-Jobber oder „ewige Praktikanten” ein. Noch mehr lässt sich natürlich sparen, wenn gar kein Lohn gezahlt wird, wenn Ehrenamtliche die Jobs übernehmen. Die Personaldecke ist so weit herunter gekürzt worden, dass Ehrenamtliche zeitaufwendige Tätigkeiten übernehmen sollen, die sonst nicht als Leistung abgerechnet werden können, weil sie nicht (mehr) im Leistungsschlüssel oder der Fallpauschale der Klinik enthalten sind.
 

In den Initiativen der Erwerbslosen, des Armutsnetzwerkes wird Beratungstätigkeit erbracht, die von den zuständigen Behörden nicht geleistet wird. Finanzielle Unterstützung für diese doch so notwendige Arbeit gibt es kaum, mehr noch: Ein Vortragskünstler von McKinsey posaunte anlässlich eines Stipendiatentages von Startsocial in den Saal,  man solle doch mal die ehrenamtlichen um einen Obolus bitten, denn schließlich müssten diese ja froh sein, dass sie kostenlos arbeiten dürfen.

Fazit: Ehrenamt verdient Respekt. Wo das Engagement allerdings ausgenutzt wird um den Profit zu steigern, dient die Gratisarbeit nicht der Gesellschaft. Mehrfach wurde ich aufgefordert meine Kritik zu unterlassen, dennoch, es wird Zeit, Kontroverse und Beteiligung zuzulassen. Es reicht nicht,  „Helden des Alltags“ zu feiern. Die unbezahlten Tätigkeiten sparten dem Staat viel Geld.
Laut einer Studie würden in Deutschland jährlich viereinhalb Milliarden Stunden ehrenamtlich geleistet. Bei einem Stundenlohn von 7,50 Euro wären dies rund 35 Milliarden Euro.

Die eingesparten Mittel durch die Gratisarbeit kommen aber nicht etwa den sozialen Projekten zugute, sondern unverzüglich den Reichen. Treffend dazu schreibt Thomas Wiczorek: Der Ehrenamtliche steht am Ende da wie eine Frau, die zur Finanzierung des Familienurlaubs neben ihren Job noch putzt, Zeitungen austrägt und babysittet, dann aber erleben muss, wie der Mann das gesamte Geld versäuft.

Ich hoffe, meine Kritik verpufft nicht. Ich freue mich auf einen lebendigen Dialog.

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