Das Bildungs- und Teilhabepaket – Probleme und Kritik aus Betroffenensicht

Geschrieben von Andreas Geiger. Veröffentlicht in Bildung

Was will die Bundesregierung?

Auf der Homepage des Bundesarbeitsministeriums lässt sich folgende Information zum Bildungs- und Teilhabepaket nachlesen:

„Liebe Bürgerinnen und Bürger, das Bildungspaket gibt 2,5 Millionen bedürftigen Kindern aus Geringverdienerfamilien mehr Zukunftschancen. Sie haben jetzt einen Rechtsanspruch auf Bildung und aufs Mitmachen. (…) Das Bildungspaket folgt der großen Leitidee: Chancen eröffnen. Darauf haben die Kinder ein Anrecht. Es lohnt sich, dass wir alle unsere Kraft für die Kinder und ihre Lebensperspektiven einsetzen. Dazu lade ich Sie herzlich ein.“ Ursula von der Leyen, Bundesministerin für Arbeit und Soziales(1)

Das Bildungs- und Teilhabepaket fand mit Wirkung für 2011 Eingang in das Sozialgesetzbuch II (= ‚Hartz IV‘), eingefügt wurden die Paragrafen 28 („Leistungen für Bildung und Teilhabe“) und 29 („Erbringung der Leistungen für Bildung und Teilhabe“). Paragraf 28 regelt die Leistungen, die grundsätzlich und zusätzlich zum ‚normalen‘ ‚Hartz IV‘- Antrag beantragt werden können(2), Paragraf 29 wie bzw. in welcher Form es diese Leistungen geben soll (3).

Hintergrund der Neuregelungen ist das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 09.02.2010 zum Regelsatz in ‚Hartz IV‘: Dieses hatte festgestellt, dass insbesondere Ausgaben für Bildung und Teilhabe als Bestandteile des soziokulturellen Existenzminimums im Regelsatz von Kindern und Jugendlichen nicht adäquat berücksichtigt werden (4). Um nun aber den Regelsatz nicht für alle Kinder und Jugendlichen erhöhen zu müssen, da diese und ihre Eltern sich von dem Geld sonst womöglich Alkohol, Drogen, Flachbildschirme und große Autos kaufen würden; sicher aber auch um Geld zu sparen, da es bei antragsabhängigen, bedüftigkeitsgeprüften Leistungen immer einen hohen Anteil von Menschen gibt, die solche Leistungen

  • aus Scham, aus Unkenntnis, aus datenschutzrechtlichen Gründen
  • oder wegen des hohen Aufwands (Antrag ausfüllen, Nachweise kopieren, Bescheinigungen von Lehrern einholen, Bescheinigung eventuell vom Wohngeldamt holen, von Vereinen, immer wieder aufs Neue anfragen, was nun mit dem Antrag passiert, telefonisch auf Besetztzeichen hören, den Tag auf Ämtern verbringen, …),
  • wegen der grundsätzlichen Diskriminierung
  • oder einfach auch aus systembedingten Mängeln (Anträge verschwinden oft, werden wochen- oder monatelang nicht bearbeitet, werden nicht richtig berechnet oder ausbezahlt, es fehlt qualifiziertes Personal, das auch Zeit hat, …)
  • oder der Tatsache, dass manche Leistungen (Hausaufgabenbetreuung) oft nicht zur Verfügung stehen, nur schwer
  • erreichbar sind oder schlichtweg teurer sind, als das Gesetz bzw. Frau von der Leyen es annehmen.

Um also den Regelsatz nicht für alle erhöhen zu müssen, hat die Bundesregierung beschlossen, zwei gesonderte Paragrafen zu konstruieren, deren Ausführung den Jobcentern vor Ort überlassen wird. Theoretisch Anspruch auf die Leistungen zur Bildung und Teilhabe hätten knapp 2,5 Millionen Menschen, bis 1. November 2011 haben ca. 44% der Betroffenen die Unterstützung beantragt (5).

Die Zielgruppe (Berechtigte)

Anspruch auf Leistungen nach dem Bildungs- und Teilhabepaket haben Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene mit ihren Eltern bzw. in Bedarfsgemeinschaften, die

  • in Haushalten mit ‚Hartz IV‘-Bezug (§§ 28, 29 SGB II)/ (§§ 34, 34a SGB XII) leben
  • in Haushalten mit Wohngeldbezug (§ 6b BKGG) leben,
  • den Kinderzuschlag erhalten (ebd.)
  • nach dem Asylbewerberleistungsgesetz unterstützt werden, wenn mindestens eine Person länger als 48 Monate Leistungen nach dem AsylbLG bezieht.

Das heißt, bei entsprechend geringem Einkommen und vor allem dessen Nachweis (plus Antragstellung) können auch Menschen, die ansonsten keinen Anspruch auf ‚Hartz IV‘-Leistungen haben, Leistungen nach § 28 und § 29 SGB II beantragen!

Die Leistungen

Die Leistungen teilen sich auf in:

  • Leistungen für Bildung (§ 28 Abs. 1 – 6 SGB II): insbesondere für Schülerinnen und Schüler unter 25 Jahren, die allgemein-/berufsbildende Schulen besuchen und keine Ausbildungsvergütung erhalten
  • Leistungen für Teilhabe am sozialen und kulturellen Leben (§ 28 Abs. 7 SGB II): 10 EURO im Monat für minderjährige Leistungsberechtigte/ Schülerinnen und Schüler

Sie umfassen im Einzelnen:

  • 1. die Kosten für Schulausflüge und mehrtägige Klassenfahrten (je nach Höhe)
  • 2. den so genannten persönlichen Schulbedarf, der zweimal im Jahr ausbezahlt wird: es gibt 70 Euro am 1. August (ab 1.8.2011) und 30 Euro am 1. Februar eines Schuljahres
  • 3. weitere Leistungen, die je nach Bundesland oder Region (ländlicher Raum, Stadt) eingeschränkt erhältlich sind:
    • – Objektiv‘ eingeschränkt sind die Leistungen für Fahrtkosten zur nächstgelegenen Schule; diese sind nur dann zu übernehmen, wenn ein entsprechendes Angebot besteht und die Fahrtkosten nicht von anderen (Land) übernommen werden, ebenso verhält es sich mit der Übernahme der Kosten für Mittagessen (hier muss in Höhe des regelsatzrelevanten Mittagessens zugezahlt werden, ca. 1 Euro/Mahlzeit)
    • – ‚Subjektiv‘ eingeschränkt gibt es die ergänzende Lernförderung, die je nach schulischer Leistung, sprich Versetzungsgefährdung, bewilligt werden kann, wenn schulische Angebote nicht vorliegen. Bei ausreichenden Leistungen (= Note 4) kann das Lernziel als erreicht gelten, d.h. es muss nicht mehr weiterbewilligt werden !!
    • – ‚Objektiv‘ stark eingeschränkt sind auch die 10 Euro für Bildung und Teilhabe pro Monat, die als Zuschuss bzw. Gesamtbetrag für Sportvereinsbeiträge etc. gedacht sind. Zuschüsse für Turnschuhe, Trikots, Ballettschuhe oder ähnliches sind nicht vorgesehen.

Bis auf den persönlichen Schulbedarf müssen übrigens alle Leistungen einzeln und für jedes Kind gesondert beantragt werden! Als Kosten für das Bildungs- und Teilhabepaket für 2011 hat der Bund ca. 1 Milliarde Euro vorgesehen, real wird es aber wohl aufgrund der geringeren Inanspruchnahme zu Ausgaben von ca. 500 Millionen Euro kommen.(6)

Probleme

Schülerbeförderung in Rheinland-Pfalz
In Rheinland-Pfalz wurde die Schülerbeförderung im Zuge der Schulstrukturreform neu geregelt. Von Schülerinnen und Schülern der Realschule Plus wurde nun keine Eigenbeteiligung mehr erhoben; für die Schülerinnen und Schüler der Sekundarstufe I an Gymnasien und der IGS wurde eine Einkommensgrenze festgelegt. Sie entsprach der Einkommensgrenze bei der Schulbuchausleihe.
Ab Schuljahr 2012/2013 wird diese Regelung ausgeweitet. Nachdem das Landesverfassungsgericht im November 2010 eine Gleichbehandlung aller Sekundarstufe I-Schulen gefordert hatte, beschloss die Landesregierung eine generelle Kostenfreiheit bei der Schülerbeförderung bis Klasse 10.
Eine Einschränkung gibt es allerdings: Die „Zumutbarkeitsklausel“ – sie besagt, dass „der Schulweg (…) ohne Benutzung eines Verkehrsmittels nicht zumutbar (ist), wenn er besonders gefährlich ist oder wenn der kürzeste nicht besonders gefährliche Fußweg zwischen Wohnung und Grundschule länger als zwei Kilometer, zwischen Wohnung und Realschule plus, Integrierter Gesamtschule oder Gymnasium länger als vier Kilometer ist.“ (Rheinland-Pfälzisches Schulgesetz, § 69, S. 41)
Kurz: Die kostenlose Schülerbeförderung greift nur bei Schulwegen ab drei bzw. ab fünf Kilometern. Und sie gilt in der Regel nur für nächstgelegene Schulen.
Für Schülerinnen und Schüler, die die gymnasiale Oberstufe besuchen, wird weiterhin eine Eigenbeteiligung erhoben, es sei denn das Einkommen ihrer Eltern bewegt sich unterhalb der oben erwähnten Einkommensgrenzen. Bezogen auf das Bildungs- und Teilhabepaket bedeutet dies, dass § 28, Abs.4 SGB II für rheinland-pfälzische Schülerinnen und Schüler nicht greift.

Keine Regelsatzerhöhung

Nach einer Pressemitteilung des Deutschen Landkreistags vom 01.11.2011 (7) wurden bisher von 44 % der Leistungsberechtigten, die von den Behörden im Bereich der beiden Verbände befragt wurden, entsprechende Anträge gestellt. Dies wertet der Zusammenschluss der 295 deutschen Landkreise als Erfolg der Aufklärungsarbeit seiner Mitglieder. Besonders gefragt seien Zuschüsse für Schulessen, Ausflüge und Klassenfahrten. Gleiches berichtet auch der Deutsche Städtetag als größter kommunaler Spitzenverband: „Von den einzelnen Leistungen am stärksten nachgefragt werden weiterhin der Zuschuss zur Mittagsverpflegung, gefolgt von Zuschüssen zu Ausflügen und Klassenfahrten. Die Lernförderung wird seltener beantragt, aber inzwischen vielfach stärker in Anspruch genommen als noch im Juni.“ (8) Dass insbesondere Leistungen für Mittagsverpflegung und Zuschüsse zu Klassenfahrten beantragt werden, wundert nicht, da diese Leistungen vergleichsweise einfach zu beantragen und auch relativ einfach zu bescheiden sind. Was Frau von der Leyen jedoch verwundern sollte ist, dass die 10 Euro für „gesellschaftliche Teilhabe“ und die Lernförderung weniger abgerufen werden, und diese eigentlich die Kernelemente einer menschenwürdigen, zugänglichen und teilhabefördernden Leistungsgestaltung sein sollten.
Das hat meines Erachtens mehrere Gründe: Diese Punkte bergen zum einen einen besonders hohen ‚Beschämungsfaktor‘, da hier bei der Beantragung oder spätestens bei der Erstattung erbrachter Leistungen am deutlichsten wird, dass jemand in der ‚Hartz IV‘-Falle steckt, zum anderen ist hier relativ unklar, wie und welche Leistungen beantragt werden können. Gleichzeitig sind diese Leistungen auch besonders aufwandsintensiv und unklar ausgestaltet. Dass das nicht unintendiert sein kann, zeigt die gesamte Konstruktion des Gesetzes, die auf Einsparungen ausgelegt ist, so dass sich damit faktisch keine Regelsatzerhöhung für die meisten Betroffenen ergibt.
Muss ich wirklich einen Antrag stellen, wenn ich möchte, dass meine Kinder in den Fußballverein gehen und muss ich dann wirklich erst zum Sportverein gehen, mich als bedürftig outen, dann zum Amt, dann warten und dann wieder zum Verein? Und sind 10 Euro im Monat, deren Äquivalente ja gleichzeitig aus dem ‚materiellen‘ Regelsatz gestrichen wurden, wirklich ausreichend für die Bedürfnisse von Kindern und Jugendlichen und wäre diesen nicht mehr geholfen, wenn sie bzw. ihre Eltern eine höhere Regelleistung erhielten, so dass sie sich von den zu geringen ‚Hartz IV‘-Leistungen mehr als das absolut notwendige Minimum leisten können?
Basierend auf fachlichen Auswertungen der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe EVS, die auch der aktuellen Regelsatzberechnung zu Grunde liegt, hat die Bundesarbeitsgemeinschaft der Erwerbslosen- und Sozialhilfeinitiativen (BAG-SHI) bereits für 2007 (Werte beruhend auf EVS 2003) Regelsätze von 370 Euro für Kinder unter 6 Jahren, von 438 Euro für Kinder von sechs bis 12 Jahren und von 486 Euro für Kinder und Jugendliche bis 18 Jahren errechnet (9). Faktisch bedeutet das Bildungsund Teilhabepaket also, dass zwar offiziell der Regelsatz für Kinder und Jugendliche um einen (zu geringen) Betrag angehoben wurde, um den Forderungen des Bundesverfassungsgerichtes zu genügen, dass aber gleichzeitig für viele Kinder und Jugendliche keine Erhöhung der Leistungen erfolgt. Das ist Mogelei auf höchstem Niveau!

Restriktive Regelung der Schülerbeförderung (§ 28 Abs. 4 SGB II)

Gesetzlich vorgesehen ist der Besuch der nächstgelegenen Schule, wird eine andere Schule besucht, muss ein Ablehnungsbescheid der nächstgelegenen Schule vorgelegt werden, bestimmte Strecken müssen mit dem Fahrrad oder zu Fuß zurückgelegt werden (3 km bis zur vierten Klasse, 5 km ab der fünften; (10)). Erfolgt die Erstattung durch andere, insbesondere die Bundesländer, wird keine Kostenerstattung gewährt.

Lernförderung nach § 28 Abs. 5 SGB II als Sachleistung mit einer Anzahl unbestimmter Rechtsbegriffe

Die bisherige Erfahrung zeigt, dass die Lernförderung noch nicht genügend bekannt ist und auch in den Schulen nicht ausreichend kommuniziert wird. Die Kostenerstattung für Lernförderung gibt es nur als Ergänzung schulischer Angebote und sie ist beschränkt auf nicht näher definierte ‚angemessene‘ (!) Kosten. In der Begründung des Gesetzgebers wird ausdrücklich darauf verwiesen, dass diese nur in Ausnahmefällen geeignet und erforderlich und damit im Gesetzessinn notwendig sei.
Das bedeutet:

  • Lernförderung erfolgt nur, wenn die Schule keine entsprechenden Angebote vorhält.
  • Vor Ort muss eine kostengünstige Anbieterstruktur vorhanden sein, um diese Leistung überhaupt abrufen zu können.
  • Es muss eine konkret benötigte Lernförderung nachgewiesen werden, gegebenenfalls müssen die Antragstellerinnen und Antragsteller nachweisen, dass die Lernförderung, d.h. die Unterstützung des jeweiligen Kindes nicht durch Eltern, Geschwister etc. (Verweis auf die Selbsthilfe) oder schulische Angebote möglich ist.

Ein Hauptkriterium reduziert die Lernförderung auf die Fälle, in denen die Versetzung in die nächste Klassenstufe gefährdet bzw. kein ausreichendes Leistungsniveau vorhanden ist! Wenn dieses wesentliche Lernziel (Versetzung) nicht mehr erreicht werden kann, ist eine Lernförderung auch nicht mehr nötig. Bei unentschuldigtem Fehlen und fehlender Leistungsverbesserung über mehrere Wochen bzw. Monate muss die Lernförderung wieder gestrichen werden. Erbracht wird die Lernförderung in Form von Sach- und Dienstleistungen (personalisierte Gutscheine oder Direktzahlungen an Leistungsanbieter).

Kritik

Die Voraussetzungen für die Gewährung sind viel zu restriktiv gesetzt, da faktisch nur im Falle gefährdeter Versetzung gefördert werden darf und der Anspruch an die Eigeninitiative der betreffenden Eltern, die oft eine Bildungsdifferenz im Vergleich zur ‚nachhilfegeförderten Mittelschicht‘ haben oder denen schlicht die Zeit fehlt, sehr hoch gesetzt sind. Hier wird es wohl vor allem auf die Leistungskulanz der Sachbearbeiterinnen und Sachbearbeiter vor Ort ankommen – so wird Soziales Recht wieder zur bittstellenden Fürsorge, die nicht mehr auf gesichertem Rechtsanspruch sondern auf Gewährung beruht!

Teilhabe am sozialen und kulturellen Leben in der Gemeinschaft

Der zweite Teil des Bildungs- und Teilhabepakets wird bis zum 18. Lebensjahr gewährt in Höhe von 10 Euro als Pauschalbetrag im Monat für Mitgliedsbeiträge in den Bereichen Sport, Kultur und Geselligkeit, d.h. es können auch mehrere Monate ‚zusammengespart‘ werden, um eine teurere Sportart in vergleichsweise geringerem Umfang zu betreiben (da Leistung nach § 29 Abs. 2 Satz 3 SGB II im Voraus ausgegeben werden kann). Für diesen niedrigen Betrag haben Betroffene einen hohen bürokratischen Aufwand. Ein individueller Rechtsanspruch auf eine umfassende Deckung kinderspezifischer Bedarfe ist daraus leider nicht ableitbar, zudem werden die Bedarfe nicht bei allen Kindern gedeckt (vgl. z.B. Erreichbarkeit und Vielfalt der Angebote im ländlichen Raum), die Altersbegrenzung bis 18 Jahre ist ebenfalls nicht nachvollziehbar. Eine Erhöhung und eine Anpassung an die generelle Preisentwicklung scheinen nicht vorgesehen.

Kritik

Das Gesetz ist gegenfinanziert durch teilweise stagnierende und nicht abgerufene Regelleistungen sowie Kürzungen im Bereich des SGB II von 2,4 Milliarden EURO (11).

Sinnvoller als das komplizierte Instrument der Förderungen nach dem SGB II wären entsprechende Förderangebote an Schulen, die alle Schülerinnen und Schüler je nach individueller Problemlage erreichen und diskriminierungsfrei ausgestaltet werden könnten.

Der Umgang mit der Menschenwürde

Im Allgemeinen sind Sachleistungen im SGB II nur in gesetzlich ausdrücklich geregelten Fällen möglich und bedürfen grundsätzlich „stets einer Einzelfallentscheidung, die generelle Erbringung von Sachleistungen an Gruppen von Leistungsberechtigten (z.B. nach § 24 Abs. 2 bei Drogen- oder Alkoholabhängigen) ist rechtlich unzulässig.“ (12)

Sachleistungen haben tendenziell einen diskriminierenden Charakter, die Leistungen gehören als Geldleistung in die Hand der Eltern. Die Sachleistungs- bzw. Gutscheinregelung stellt Eltern unter den Generalverdacht, nicht mit Geld umgehen zu können – eine Behauptung, die inzwischen in mehr als genug Studien widerlegt wurde und jeglicher Grundlage entbehrt, gerade Eltern mit geringem Einkommen sparen mehr an sich, als an ihren Kindern (13).

Bundesweit befürchten Sozialhilfeinitiativen, dass das Bildungs- und Teilhabepaket den Einstieg in eine zunehmende generelle Sachleistungserbringungslogik darstellt, um damit direkt in die Gestaltungsfreiheit von Menschen in Notlagen eingreifen zu können und von der Wahrnehmung sozialer auch als materieller Rechte abzuschrecken.

Grundsätzliche Kritik:

Das Leistungspaket dient letztendlich der Entmündigung und Diskriminierung von Eltern im Sozialleistungsbezug, da ihnen pauschal unterstellt wird, dass sie Geldleistungen nicht für ihre Kinder ausgeben würden. Auch aufgrund der Ausgestaltung der Leistung drängt sich sehr stark die Frage auf, ob das ‚Bildungspaket‘ nicht nur geschnürt wurde, um auf ‚Hartz IV‘-Leistungen angewiesene Menschen generell öffentlich weiter zu diskreditieren. Würde es wirklich um eine Verbesserung im Rahmen der Bildungsbeteiligung gehen, müsste auch die Leistungsgewährung der Lernförderung anders ausgestaltet sein und dürfte sich nicht nur an der Überwindung akut bestehender Versetzungsgefährdung orientieren.

Die intendierte Diskriminierung belegt folgender Ausschnitt aus der online-Ausgabe des Münchner Merkur vom 21.04.2011: „Die Behörden müssen sich kümmern, aber die Eltern müssen sich auch kümmern“, sagte von der Leyen im Fernsehsender n-tv.“ „Damit die Angebote stärker angenommen werden, sollen die Eltern nach von der Leyens Worten in einem dreistufigen Verfahren motiviert werden. Dazu zählen separate Anschreiben und Hausbesuche von Sozialarbeitern oder Familienlotsen.“(14). Hier offenbart sich ein mittelalterliches Sozialstaatsverständnis: „armenpolizeiliche“ Maßnahmen wie Hausbesuche ohne Verdachtsmomente gelten eigentlich schon seit der Einführung der Fürsorgepflichtverordnung in den 1920er Jahren als überholt und stellen einen massiven, unzumutbaren Eingriff in die Persönlichkeits- und Freiheitsrechte der Menschen dar. Damit wird die vordergründige Einführung eines „Rechts“ für Wenige zur Gefahr für alle, die sich nicht von der Beantragung von notwendigen Leistungen abhalten lassen wollen und können. So wird sozialstaatliches „Fördern“ zum sozialdisziplinierenden „Fordern“ und die Diskriminierungsschraube weiter und ungerechtfertigt angezogen!

Auf der praktischen Ebene dient die Form der gesonderten Beantragung von Leistungen nach § 28 Abs. 2, Abs. 4–7 der Einsparung, nicht der Hilfe. Für Menschen, die auf ‚Hartz IV‘ angewiesen sind, ließe sich, selbst wenn man der Sachleistungslogik der Ministerin folgt, eine weit unbürokratischere, menschenfreundlichere und verwaltungstechnisch einfachere Lösung finden.

»»Kritikpunkt Gegenfinanzierung

Durch die Herausnahme der Bildungsleistungen aus dem Regelsatz und die abzusehenden Nichtausgaben finanziert sich das Bildungspaket quasi selbst und dient im Prinzip der Einsparung verfassungsgerichtlich geforderter Leistungserhöhungen: Durch die Schaffung der Möglichkeit, Leistungen zu beantragen, die größtenteils gar nicht für alle Kinder und Jugendlichen gelten (Stichwort: Versetzungsgefährdung) und die gleichzeitige ‚Überleitung‘ der bisher im Regelsatz enthaltenen Bildungsleistungen in das Bildungs- und Teilhabepaket wird im gleichen Segment mehr Geld eingespart als ausgegeben! Ein Schelm, wer Böses dabei denkt. Dazu kommen noch die Gesamteinsparungen von 2,4 Milliarden Euro, die für 2011 im ‚Hartz IV‘-Gesamtpaket stattfinden.

»»Kritikpunkt fehlende Individualisierung/‘Öffnungsklausel‘

Wenn die Leistung wirklich zielführend sein soll, insbesondere bei Kindern und Jugendlichen mit Schwierigkeiten im schulischen Bereich, so wäre es kein Problem gewesen, auf gesetzlicher Ebene individuelle und wirksame Fördermöglichkeiten zu gestatten. Allerdings ist das Sozialgesetzbuch II mit seiner einseitigen Ausrichtung auf die Aufnahme jeder Art von Erwerbsarbeit weder gesetzlich noch personell auf die Förderung von Kindern und Jugendlichen ausgerichtet. Dies würde mehr Rechte für Betroffene, aber auch besser geschultes und auch mit zeitlich mehr Ressourcen ausgestattetes Personal voraussetzen und eine Abkehr von der gesetzlich vorgegebenen gängigen Philosophie des ‚Forderns statt Förderns‘. Das SGB II kennt aber leider keine Kinder und Jugendliche sondern nur Menschen, die „alle Möglichkeiten zur Beendigung oder Verringerung ihrer Hilfebedürftigkeit ausschöpfen.“ (15) Es ist daher nämlich kein Sozialgesetz, das der Überwindung von Notlagen dienen soll oder kann, sondern ein Gesetz, dass Menschen möglichst schnell aus seinem Geltungsbereich herausbefördern soll.

»»Kritikpunkt fehlende Ausstattungsbedarfe z.B. bei Sportvereinen – Sportkleidung, Turnschuhe, gemeinsame Unternehmungen

Die Möglichkeit für Kinder und Jugendliche, sich in Vereinen Dank einer Unterstützung von 10 Euro/Monat beteiligen zu können, werden weiter begrenzt durch Zusatzausgaben, die bei bestimmten Sportarten unweigerlich auftreten, seien es der Kauf von Turnschuhen oder eines Judo-Anzuges, … . Hier wäre es sinnvoll gewesen, zusätzlich zu dem jeweils anstehenden Vereinsbeitrag per ‚Öffnungsklausel‘ im Einzelfall auch weitere Leistungen zu gewähren.

Andreas Geiger, allein erziehender Vater mit zwei Töchtern, 10 und 13 Jahre alt, vertritt die Landeserwerbskonferenz Rheinland-Pfalz (L.E.K.) und ist Mitglied im Sprecherkreis der Landesarmutskonferenz Rheinland-Pfalz. Er ist darüber hinaus seit 1998 ehrenamtlich in der Sozialhilfe- und ‚Hartz IV‘- Beratung aktiv.

»»Kritikpunkt eingeschränkte Angebotsförderung

Die Tatsache, dass nur bestimmte Angebote gefördert werden, offenbart einen stark eingeschränkten „Kultur“- Begriff, provokativ gesagt: Skateboards statt Geigen! Gerade um sich in den für Kinder und Jugendliche immer wichtiger werdenden peer-groups adäquat bewegen und ‚mithalten‘ zu können sind oft einmalig anzuschaffende Dinge wichtig, beispielsweise ein Skateboard, Inline-Skates etc. Auch hier wäre eine Erhöhung des Regelsatzes sinnvoller gewesen als die nachzuweisende Förderung von Vereinsbeiträgen oder spezieller, mit 10 Euro kaum finanzierbarer Musikunterrichtskosten, an die der Gesetzgeber wohl in erster Linie gedacht hat.

»»Kritikpunkt hoher Verwaltungsaufwand

Ca. 20% der Kosten des gesamten Bildungs- und Teilhabepakets fließen in die Verwaltung!
Gesamtgesellschaftlich betrachtet bleibt das Hauptproblem jedoch, und dies sollte der Dreh- und Angelpunkt aller Kritik am Bildungs- und Teilhabepaket und dessen Ausgestaltung sein, die implizite Diskriminierung Betroffener und die Gefahr des Einstiegs in eine zunehmende Sachleistungsdynamik auch für weitere Leistungen. Provokant formuliert signalisiert das Bildungs- und Teilhabepaket den Einstieg in den Ausstieg sozialpolitischer Errungenschaften und dient damit eher der Abschreckung als der Inanspruchnahme notwendiger Grundleistungen im Sinne von Teilhabe, Selbstbestimmung und Menschenwürde.

 


 

(1) http://www.bildungspaket.bmas.de/, Startseite; Abruf 11.11.2011
(2) http://www.gesetze-im-internet.de/sgb_2/__28.html ; Abruf 11.12.2011
(3) http://www.gesetze-im-internet.de/sgb_2/__29.html ; Abruf 11.12.2011
(4) vgl. http://www.bverfg.de/pressemitteilungen/bvg10-005
(5) http://www.der-paritaetische.de/fachinfos/artikel/news/bildungs-und-teilhabepaket/; Abruf 11.12.2011
(6) ebd.
(7) http://www.kreise.de/__cms1/presseforum/652-pressemitteilung-vom-1-november-2011.pdf ; Abruf 11.11.2011
(8) http://www.staedtetag.de/10/presseecke/pressedienst/artikel/2011/11/01/00817/index.html ; Abruf 11.12.2011
(9) http://www.bag-shi.de/BAGSHI_Archiv/sozialpolitik/arbeitslosengeld2/kinderregelsatz
(10) vgl. Münder, Johannes (Hrsg.): Sozialgesetzbuch II – Grundsicherung für Arbeitsuchende, Lehr- und Praxiskommentar; 4. Auflage, Baden-Baden, S. 680
(11) DER PARITÄTISCHE: Paritätische Forschungsstelle – Arbeitspapier: Leistungskürzungen für SGB II-Bezieher und Minderausgaben im Teilhabe- und Bildungspaket für das Jahr 2011, S. 3f; in: http://www.der-paritaetische.de/index.php?elD= tx_nawsecuredl&u=0&file=/uploads/media/Bildungs_Teilhabpaket_11_2011a.pdf&t=1324296367&hash=76eead904e852bc6657c4147c803c68ef773a445
(12) Münder, J.: a.a.O., S. 84f
(13) Münnich, Margot: Einkommensverhältnisse von Familienhaushalten und ihre Ausgaben für Kinder – Berechnungen auf der Grundlage der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe 2003; in: Wirtschaft und Statistik 6/2006, S.644ff und: Münnich, M./Krebs, Thomas: Ausgaben für Kinder in Deutschland – Berechnungen auf der Grundlage der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe 1998, in: Wirtschaft und Statistik 12/2002, S. 1080ff
(14) http://www.merkur-online.de/nachrichten/politik/leyen-fordert-breiten-einsatz-auf-allen-seiten-1214519.html
(15) § 2 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch II – Grundsicherung für Arbeitsuchende, zit. nach: http://www.arbeitsagentur.de/zentraler-Content/A20-Intern/A201-Organisation/Publikation/pdf/Sozialgesetzbuch-Zweites-Buch-SGB-II.pdf

Erstes VAMV-Forum: Teilhabe zum Abholen – was bringt das Bildungspaket?

Geschrieben von Monika Wilwerding VAMV . Veröffentlicht in Bildung

Das Forum zum Bildungs- und Teilhabepaket ist die erste Veranstaltung in dieser Form, die der VAMV-Landesverband durchführte. Laut Beschluss der letzten Landesdelegiertenversammlung sollen Foren zukünftig die bisherigen so genannten erweiterten Vorstandssitzungen ersetzen. Dem Verband war es wichtig, ein unbürokratisches Gremium zu schaffen und über aktuelle Schwerpunktthemen mit Praktikerinnen und Praktikern ins Gespräch zu kommen. Die Ergebnisse der Diskussion sollen als Handlungsempfehlungen an die politisch Verantwortlichen transportiert werden. Ein Anliegen war es auch, die Veranstaltung entsprechend in der Verbandszeitschrift zu dokumentieren.

Als Gäste hatte der Verband Vertreterinnen und Vertreter derjenigen Institutionen eingeladen, die mit dem Bildungs- und Teilhabepaket im Alltag konfrontiert werden. Das sind unter anderem Jobcenter, Sportvereine, Betroffenenverbände, Schulen, Nachhilfeeinrichtungen, Gewerkschaften.
Darüber hinaus waren bei diesem Forum neben dem Vorstand auch VAMV-Mitglieder anwesend, die aus ihrer persönlichen Erfahrung mit dem Bildungs- und Teilhabepaket berichten konnten. Nach den Vorträgen der Expertinnen und Experten wurden im gemeinsamen Gespräch konkrete Verbesserungsvorschläge und Handlungsempfehlungen entwickelt, die im Folgenden dargestellt werden.

Abschaffen oder Nachbessern?

Neben der allgemeinen Kritik am Bildungs- und Teilhabepaket als zu bürokratisch, zu willkürlich und finanziell nicht ausreichend stellte sich in der Diskussion um seine Auswirkungen eine zentrale Frage: Ist es nicht sinnvoller das Gesetz grundsätzlich abzuschaffen als sich für eine „kleine“ Lösung einzusetzen, die den Umgang mit der gesetzlichen Vorlage erleichtert und das Bestmögliche für die Betroffenen erreicht? Die Antwort auf diese Frage lautete:
Auf Landesebene und auf kommunaler Ebene muss sich der Verband für die pragmatische Möglichkeit einsetzen – auf Bundesebene müssen die Lobbyverbände vehement für eine Abschaffung des Gesetzes und einen grundsätzlichen Perspektivenwechsel kämpfen, denn das Bildungs- und Teilhabepaket trägt definitiv nicht zu mehr Bildungsgerechtigkeit bei. Statt vereinzelter individueller Leistungen auf Antrag für Kinder, deren Eltern ALG-II Bezieher sind, muss Schule als Institution so gefördert werden, dass alle Kinder, gleich welcher Herkunft, gleiche Chancen und gleiche Möglichkeiten der Teilhabe haben. Gleichzeitig brauchen Kinder eine eigenständige Existenzsicherung, sei es nun ein Existenz sichernder Regelsatz oder eine staatliche einkommensunabhängige Kindergrundsicherung in Höhe von 500 Euro, die viele Verbände schon seit langem fordern.

Doch bis dieses Ziel erreicht ist, brauchen diejenigen, die sich für Chancengleichheit von Kindern einsetzen, noch einen langen Atem.

Gesellschaftliche Auswirkungen

Im Verlaufe der Diskussion wurde deutlich, dass das Bildungs- und Teilhabepaket vom Ansatz her impliziert, dass Eltern, die am Rande des Existenzminimums leben und auf staatliche Transferleistungen angewiesen sind, unter Generalverdacht gestellt werden, sie könnten nicht richtig für ihre Kinder sorgen. Deshalb dürfe man ihnen das Geld nicht in die Hand geben. Derartige pauschalen Vorurteile sind diffarmierend und führen zur gesellschaftlichen Spaltung. Sind arme Eltern gleichzeitig schlechte Eltern? Die Spaltung verläuft darüber hinaus zwischen ALG-Empfänger/innen und berufstätigen Eltern, deren Einkommen gerade so über dem Existenzminimum liegt. Es ist kaum vermittelbar, dass deren Kinder keine Leistungen aus dem Bildungs- und Teilhabepaket erhalten.

Mehr Flexibilität statt restriktiver Vorgaben

Aus den Beiträgen der Expertinnen und Experten ging eindeutig hervor, dass das Gesetz viele Vorgaben enthält, die restriktiv sind und daher verändert werden müssen. Dazu gehören vor allem:

  • Die Abschaffung der starren Altersgrenze von 18 Jahren
  • Ein präventiveres Verständnis von Lernförderung. Diese darf nicht an Versetzung gekoppelt sein und muss früher ansetzen können. Grundsätzlich gehört Lernförderung an die Schulen, weil sie dort am direktesten und effektivsten umgesetzt werden kann. 
  • Die Ausweitung des Kulturbegriffs – Teilhabe drückt sich nicht nur in Sportvereinen und Geigenunterricht aus, sondern darin, ob Kinder sich adäquat und gleichberechtigt in ihren Peer-groups bewegen können
  • Die Ausweitung der Förderung auf mehrtägige Schulveranstaltungen statt Beschränkung auf Klassenfahrten nach schulrechtlichen Bestimmungen
  • Eine Kostenerstattung für Vorleistungen, die nachgewiesen werden
  • Die Ermöglichung rückwirkender Antragstellung für die Teilhabe am sozialen und kulturellen Leben

Kostenlose Schulmahlzeiten für alle Kinder

Die Eigenbeteiligung beim Mittagessen in den Schulen muss abgeschafft werden – die negativen Auswirkungen der jetzigen Regelung werden in vielen Gesprächen mit Betroffenen und Schulen deutlich. So werden Kinder beispielsweise vom Mittagessen abgemeldet, weil ihre Eltern nicht in der Lage sind, den entsprechenden Antrag zu stellen. Oder noch schlimmer: sie stehen an der Essensausgabe Schlange und erhalten kein Mittagessen.

Bürokratieabbau

Die Anträge auf das Bildungs- und Teilhabepaket müssen vereinfacht werden. Grundsätzlich sollte gleichzeitig mit dem Antrag auf ALG-II Leistungen auch der Antrag auf das Bildungs- und Teilhabepaket verknüpft sein, um alle Betroffenen zu erreichen und bürokratische Hindernisse abzubauen. Das würde auch deutlich machen, dass das Bildungs- und Teilhabepaket zu den ALG-II Leistungen gehört und ein automatischer Anspruch besteht. Bei den derzeitigen Bedingungen schreckt der Arbeitsaufwand viele Eltern ab, weil sie eh schon zermürbt sind und oft die Initiative für eine komplizierte Antragstellung nicht aufbringen können.

Gezielte und offensive Informationspolitik

Informationswirrwarr und Intransparenz in Bezug auf das Bildungs- und Teilhabepaket müssen beendet werden. Dazu gehören auch einheitliche Regelungen in den Kommunen und den zuständigen Behörden (Jobcenter, Sozialämter, Kindergeldstellen). Das erfordert einheitliche Vorgaben seitens der zuständigen Bundes- und Länderministerien. Die Jobcenter müssen aktiv auf die ALG-II Empfänger/ innen zugehen und über das Bildungs- und Teilhabepaket informieren. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Jobcenter müssen entsprechend qualifiziert werden. Anträge müssen unbürokratisch und vor allem zeitnah bearbeitet und bewilligt werden. Es darf grundsätzlich nicht von der Art des Engagements einzelner Behörden abhängig sein, wie und wann betroffene Eltern von den Möglichkeiten des Bildungs- und Teilhabepakets erfahren und wie erfolgreich seine Möglichkeiten umgesetzt werden.

Kommunen könnten beispielsweise einen „Bildungsangebotsführer“ mit allen Angeboten der jeweiligen Kommune erarbeiten und diesen über Jobcenter und Schulen allen betreffenden Eltern zugänglich machen. Das von der Bundesregierung erarbeitete Informationsmaterial ist weitgehend unbekannt – wenn es einen Sinn haben soll, dann müssten die Flyer und Broschüren flächendeckend verbreitet werden.

Mehr Vernetzung

Vereine, Bildungsträger und Jobcenter müssen sich regional vernetzen und gemeinsame Ideen entwickeln, a) zur Verbesserung der Abläufe vor Ort und b) für Projekte, die aus Mitteln des Bildungspakets gefördert werden können. Viele Mittel aus 2011 warten noch auf ihre Abrufung – hier ist die Kreativität der Organisationen gefordert. Den Kommunen kommt bei dieser Vernetzung eine zentrale Rolle zu – sie haben Koordinierungsfunktion und müssen dafür sorgen, dass die Umsetzung des Bildungsund Teilhabepakets vor Ort möglichst optimal gelingt. Grundsätzlich gilt also: Den Kopf in den Sand zu stecken angesichts des bürokratischen Ungetüms eines Bildungsund Teilhabepakets gilt nicht. Sämtliche Interessenverbände müssen sich für eine Verbesserung einsetzen, auch die Forderung nach Erhöhung der Beträge für die Betroffenen muss immer wieder erhoben werden. Die Chancen, die sich im Bildungs- und Teilhabepaket verstecken, müssen vor Ort in einer gemeinsamen Anstrengung aller Akteurinnen und Akteure genutzt und phantasievoll umgesetzt werden. 

Ein Jahr Bildungs- und Teilhabepaket

Veröffentlicht in Bildung

Die Kommunen müssen endlich ihre Hausaufgaben machen

nak-Sprecher Thomas Beyer beklagt Bürokratie und zu geringe Teilnahme: „Mancherorts ein übles Spiel mit den Rechten von Kindern“

Nicht jeder Jahrestag ist ein Anlass zur Freude: Ende März 2011 verabschiedete die Bundesregierung ihr Bildungs- und Teilhabepaket (rückwirkend zum 1. Januar 2011). Seitdem hat die Maßnahme allerdings vor allem einen Eindruck hinterlassen: den eines Bürokratiemonsters, das die Antragsberechtigten abschreckt statt sie zur Inanspruchnahme zu bewegen. „Es ist unfassbar, dass nach einem Jahr immer noch der größere Teil von rund 2,5 Millionen anspruchsberechtigten Kindern nicht zu seinem Recht auf Sporttraining, Musikunterricht, Schulessen und Nachhilfe kommt“, sagt Thomas Beyer, Sprecher der Nationalen Armutskonferenz (nak). Bislang bliebe so mancher Antrag zwischen den Instanzen von Bund, Land und Kommunen „hängen“.

Dafür sind laut Beyer nicht zuletzt die Kommunen verantwortlich: „Sie müssen schleunigst  effektiver – das heißt zeitnah, unbürokratisch und ohne stigmatisierende Praxis – zwischen Berechtigten und Anbietern von Freizeit- und Nachhilfeangeboten vermitteln. Die Kommunen müssen auf die Berechtigten zugehen, nicht nur umgekehrt“, fordert der nak-Sprecher. Manche Kommunen, die gar eine Blockade-Haltung zeigten, müssten diese umgehend aufgeben. Beyer: „Alles andere ist ein übles Spiel mit den Rechten von Kindern.“

Bislang profitieren laut Erhebung des Deutschen Städtetags rund 45 Prozent der berechtigten Kinder vom Bildungs- und Teilhabepaket. Für dieses stellt das Bundesarbeitsministerium pro Jahr rund 400 Millionen Euro zur Verfügung. Dass diese Summe im vergangenen Jahr nicht annähernd abgerufen wurde, belegen diese Zahlen: Auf nak-Anfrage teilt die Bundesagentur für Arbeit mit, dass sie 2011 an rund 300 Kommunen bundesweit Mittel in Höhe von 130 Millionen Euro aus erwähntem Paket ausgezahlt hat (nicht enthalten sind in dieser Berechnung 110 Optionskommunen, die nicht mit der Bundesagentur zusammenarbeiten).  

Tausende Schüler und Studenten wollen demonstrieren

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Die Initiative "Bildungsstreik" ruft für heute zu bundesweiten Protesten auf. In ganz Deutschland wollen Tausende Schüler, Studenten und Azubis für Verbesserungen im Bildungssystem auf die Straße gehen.

Sie fordern unter anderem mehr Geld für Bildung und die Einführung der Gemeinschaftsschule. Die Proteste der jungen Menschen sollen in mehr als 30 deutschen Städten, darunter München und Hamburg, stattfinden. In Berlin erwarten die Veranstalter zur größten Demonstration in der Hauptstadt etwa 5000 Teilnehmer vor dem Roten Rathaus.

Hörsaal der FU Berlin besetzt

Bereits am späten Abend hatten an der Freien Universität Berlinmehr als 60 Studierende einen Hörsaal besetzt. Nachdem die von der Hochschulleitung herbeigerufene Polizei eintraf, verließen 20 Personen das Gebäude freiwillig. Mehr als 40 Studierende mussten herausgetragen werden.

Aktion der internationalen Protestbewegung

Hintergrund der Protestaktionen sind die "Global Weeks of Action for Education" - eine internationale Bewegung von Schülern und Studenten. Vom 7. bis zum 20. November setzen sich Jugendliche weltweit für Solidarität und freie Bildung ein. Im vergangenen Jahr demonstrierten am 17. November laut Veranstalter mehrere Hunderttausend Menschen für ein faires Bildungssystem.

Quelle: tagesschau.de vom 17.11.2011

Gutscheinsystem gescheitert: Paritätischer fordert grundlegende Reform des Hartz IV-Bildungspaketes

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Berlin (ots) - Als "gescheitert" und "völlig verfahren" beurteilt der Paritätische Wohlfahrtsverband das so genannte Bildungs- und Teilhabepaket für Kinder aus Hartz IV-Haushalten. Anlässlich der aktuellen Ergebnisse einer Umfrage des Deutschen Städtetages zur Inanspruchnahme des Teilhabepaketes fordert der Verband eine grundlegende Reform des gesamten Leistungspaketes.

"Das Bildungs- und Teilhabepaket ist im Praxistest mit Bausch und Bogen durchgefallen. Ministerin von der Leyen sollte das endlich einsehen", erklärte Hauptgeschäftsführer Ulrich Schneider in Berlin. Wenn ein halbes Jahr nach Inkrafttreten immer noch nur gerade einmal ein gutes Drittel der anspruchsberechtigten Kinder Anträge stelle, seien das keine Anlaufschwierigkeiten mehr. "Das Gesetz ist mitsamt seinen Gutscheinen gescheitert!" Es gehe sowohl an den Notwendigkeiten einer effizienten Verwaltung als auch den Lebensrealitäten der Menschen völlig vorbei, kritisiert der Verband. "Die Ministerin sollte den Mut haben, endlich die Reißleine zu ziehen, anstatt nun in eine ewige Litanei von runden Tischen, Elternschelte und Flickschustereien hineinzuschlittern. Das Gesetz ist in seiner ganzen Anlage falsch und nicht mehr zu retten."

Mit dem Versuch, an der Jugendhilfe und der Bildungskompetenz der Länder vorbei Bildung und Teilhabe zu organisieren, habe sich Frau von der Leyen deutlich verrannt, warnt der Verband. "Mit kleinkarierten Gutscheinsystemen, komplizierten Zuständigkeitsregelungen und verwaltungsaufwendigen Abrechnungsverfahren kann den Menschen ganz offensichtlich nicht geholfen werden. Wir brauchen einfache und intelligente Lösungen." Bildung gehöre an die Schulen, Kultur, Sport und Geselligkeit sei Sache der örtlichen Jugendhilfe und die Sicherung des Existenzminimums liege in der Verantwortung des Bundes.

Statt umständlicher Gutscheinsysteme und Abrechnungsmodalitäten fordert der Verband Familienpässe, die den kostenlosen Zugang für einkommensschwache Kinder zu Angeboten wie Sport oder Musik sicherstellen. Die Zuständigkeit für die Lernförderung sollte fest in den Aufgabenkatalog der Schulen aufgenommen werden. Der Verband weist darauf hin, dass das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil vom Februar 2010 einen solchen Weg ausdrücklich eröffnet habe.

Nach der Umfrage des Deutschen Städtetages wurden Mitte September lediglich für 36 Prozent der anspruchsberechtigten Kinder Anträge auf Leistungen aus dem Bildungs- und Teilhabepaket gestellt.

(Quelle: Paritätischer Wohlfahrtsberband, Pressemitteilung)

 

Pressekontakt: Gwendolyn Stilling, Tel. 030/24636305, E-Mail: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!