Trommeln für einen Abgeschobenen

Geschrieben von Gerhard Zamzow. Veröffentlicht in Integration

„Trokiwa“ unterstützt Bandmitglied Arnaud Touvoli

Ein Gottesdienst der ungewöhnlichen Art im Gemeindezentrum Lindwedel (Samtgemeinde Schwarmstedt): Am Sonnabend vor der Europawahl musizierte und tanzte die Trommelgruppe Trokiwa aus Solidarität mit ihrem Bandmitglied Arnaud Tivoli, der vor einigen Wochen aus Niedersachsen nach Italien „rücküberstellt“ worden war, wie es in der Amtssprache hieß. Touvoli, der aus dem Bürgerkriegsland Ivory Coast (Elfenbeiküste) über Italien nach Niedersachsen gekommen war, war in einer polizeilichen Nacht- und Nebelaktion nach Venedig abgeschoben worden. Angesichts der katastrophalen sozialen Verhältnisse in Italien – die ersten beiden Nächte dort verbrachte Arnaud Touvoli auf der Straße – fand er vorläufige Aufnahme bei der kleinen deutschsprachigen evangelisch-lutherischen Gemeinde in Venedig, die ihm die Sakristei ihrer kleinen Kirche als Schlafplatz anbieten konnte.

TrowikaPastor Hans-Gerd Paulus und seine Frau Eva hatten nach seiner Abschiebung Kontakt zu Touvoli gehalten, ihn sogar kurzzeitig in Venedig besucht und zusammen mit der Trommelgruppe Trokiwa, in der der junge Mann zusammen mit einigen anderen Afrikaner_innen und Deutschen aus dem Kirchenkreis Walsrode in Niedersachsen neue soziale Bindungen aufbauen konnte. Bevor die Gruppe im Gottesdienst auftrat, gab Pastor Paulus einen Bericht über die Zuspitzung der Situation für den jungen Afrikaner. Er zitierte auch die Beschlusslage der Synode der Landeskirche Hannovers und der Äußerungen des Bischofs Ralf Meister zur Flüchtlingsfrage.

Die Gruppe Trokiwa hatte sich in diesem Jahr für den Integrationspreis der niedersächsischen Integrationsbeauftragten Schröder-Köpf beworben, doch die Abschiebung des Gruppenmitglieds Touvoli durchkreuzte alle Pläne der Musiker. Solidarität war gefragt. Die Gruppe startete eine Online-Petition, um ein Bleiberecht für Tovoli zu erstreiten. Ministerpräsident Weil und Integrationsbeauftragte Schröder-Köpf erklärten sich für unzuständig, die Bundesebene sei für Umsetzung der Flüchtlingsregelungen in der EU zuständig (sogenannte „Dublin 3“-Regelung), Innenminister Pistorius sagte immerhin zu, sich bei den zuständigen Stellen in Berlin für die Rückführung Touvolis einzusetzen.

Anfang Mai hatten Pastor Paulus und seine Frau angesichts der Lage öffentlich zum Wahlboykott der Europawahl aufgerufen. Dies sei seine Privatmeinung, meinte der Walsroder Superintendent Ottomar Fricke und stellte in einem Leserbrief an die „Schwarmstedter Rundschau“ klar, dass die evangelisch-lutherische Landeskirche dazu aufrufe, „die demokratischen Parteien, die für die Menschenrechte und für ein offenes Europa der Kulturen und Religionen stehen, durch Wahlbeteiligung zu stärken.“

Am Ende des Gottesdienstes wurde eine Kollekte für Gemeinde in Venedig zur Unterstützung Arnaud Touvoli gesammelt. Die hinreißenden Rhythmen der Gruppe Trokiwa, die pure Lebensfreude von Musik und Tanz trotz der tragischen Entwicklung für ihren Freund, übertrugen sich schnell auf die Gottesdienstbesucher. Sie klatschten, tanzten sogar mit der Gruppe – in einer deutschen Kirche! Am Ende des Gottesdienstes hatte sich das Gewitter, das über Lindwedel zu Beginn tobte, schon etwas verzogen. Weitere Informationen auf der Internetseite von Trokiwa: www.trokiwa.de-. Der nächste Auftritt der Gruppe findet am Sonntag, den 15. Juni um 17 Uhr in der Kirche in Schwarmstedt statt.

Nachtrag/Richtigstellung

Nicht ich in meinem Amt als Pastor, sondern meine Frau und ich als Privatpersonen hatten den Aufruf zum Wahlboykott der Europawahl 2014 erhoben. Die Zeitung “Schwarmstedter Rundschau” stellte jedoch, indem sie an anderer Stelle derselben Berichterstattung meinen Titel “Pastor” erwähnte, öffentlich einen Zusammenhang zwischen mir als Privatperson und meinem Pastorenamt her, worauf sich Superintendent Fricke veranlasst sah, sich dazu öffentlich zu äußern. Diese Äußerung erschien allerdings zeitgleich mit unserem Widerruf des Aufrufs zum Boykott der Europawahl vom 19.5.14 in der Schwarmstedter Rundschau.

In unserem Widerruf erklären wir als Privatleute: “Unser Aufruf zum Wahlboykott war ein Fehler. Wir widerrufen dies hiermit öffentlich. Grund dieses Widerrufs ist, dass es uns nach wie vor ausschließlich darum geht, zu erreichen, dass Arnaud Touvoli in Niedersachsen Zuflucht gewährt wird.”

Hans-Gerd Paulus