Brauchen Kinder noch mehr Rechte?

Veröffentlicht in Kinder und Jugendliche

Für Kinder zu sein, macht sich immer gut: Die lieben Kleinen haben große Augen, sind rotbäckig, riechen gut – kurz: sie sind ein Sinnbild für Lebensfreude. Brauchen die Kinder bei uns wirklich noch eine Lobby? Ein Kommentar von Gigi Deppe.

In der Krabbelgruppe, in die ich mit meiner Tochter ging, wurde zum Beispiel darüber diskutiert, wie man Tiramisu ohne Ei nur aus Babynahrung herstellen kann. Die lieben Kleinen schoben ungelenk irgendwelche Spielzeug-Bagger vor sich her, und die Mütter erörterten die zentralen Themen ihres Daseins. Der Fortschritt eines jeden Kindes wurde genauestens registriert: "Luis kann schon seitwärts krabbeln", "Lena hatte letzte Woche den dritten Schnupfen in diesem Jahr".

Unseren Kindern geht es gut. Manchmal möchte man fast sagen: Unseren Kindern geht es zu gut. Warum also über die Kinderrechte philosophieren? Hat sich das Thema bei uns nicht erledigt?

Keine Einmischung erwünscht

Wenn da nicht die anderen Kinder wären, die wenig Behüteten. Zum Beispiel die Kinder aus der Nachbarschaft einer Freundin. Der viel beschäftigte Vater hat eine gutgehende Gaststätte, kann und will sich nicht so recht kümmern. Die Mutter ist depressiv, oft geistig völlig abwesend und häufig im Krankenhaus.

Die Kinder bekommen keine regelmäßigen Mahlzeiten, wenn sie sich nicht aus der Gaststätte etwas holen. Aufs Zähneputzen achtet sowieso niemand, geschweige denn auf einen regelmäßigen Tagesablauf. Schularbeiten werden, wenn überhaupt, nur nebenbei bei laufendem Fernseher auf dem Sofa gemacht. Besonders die beiden dicklichen Jungen sind verhaltensauffällig, sie treten und schlagen manchmal ihre Schwestern, selbst die Mutter.

Egal, ob die Lehrerin vorbeikommt oder Nachbarn sich der Kinder annehmen - der Vater will die Einmischung nicht. Das Jugendamt ist zwar eingeschaltet, legt aber eine unverständliche Trägheit an den Tag. Am Zustand der Verwahrlosung hat sich jedenfalls kaum etwas geändert.

Vom Jugendamt abgespeist

Oder der Zehnjährige aus dem entfernteren Bekanntenkreis: Der Junge lebt nach der Scheidung seiner Eltern bei der Mutter. Sie hat sich einen dubiosen Freund mit kriminellem Hintergrund zugelegt, kümmert sich wenig um den Sohn. Der wird zunehmend schlechter in der Schule, prahlt mit seiner Play-Station, kann aber nicht richtig rechnen. Der Vater bemüht sich immer intensiver um das Sorgerecht, möchte ihn möglichst stark fördern. Der Mitarbeiter des Jugendamtes speist ihn jedoch ab mit den Worten: "Ach, so schlimm ist es doch nicht, wenn ein Kind auf die Sonderschule kommt."

Vielleicht ist das Elend nicht täglich auf der Straße zu sehen. Aber wer es wissen will, kann es mitbekommen. Auch die krassen Fälle: Da gibt es die Minderjährigen, die aus der Schule abgeholt werden und in Abschiebehaft kommen, weil die Duldung der Familie ausläuft. Oder die Kinder aus Bürgerkriegsgebieten, die allein nach Deutschland einreisen und dann, weil sie angeblich schon 16 sind, in verwahrlosten Sammelunterkünften für Asylbewerber untergebracht werden, in Schlafsälen zusammen mit Erwachsenen.

"Die Würde der Kinder ist unantastbar"

Brauchen wir einen neuen Grundgesetzartikel zum Schutz der Kinder? Den Tierschutz haben wir immerhin mittlerweile in Artikel 20a verankert. Die Kinder sollten uns doch eigentlich mindestens genau so viel wert sein wie Katzen, Hunde und Schildkröten.

Natürlich sollen die meisten Grundrechte selbstverständlich auch Kinder schützen. Aber vielleicht hilft solch ein besonderer Artikel doch zumindest ein wenig. Wenn's ausdrücklich in der Verfassung steht, wird das Ziel - auch bei den ungeliebten Kindern - nicht ganz so leicht vergessen.

Ein Kommentar von Gigi Deppe.

(Quelle: ARD,SWR)