SO ODER SO IST DAS LEBEN

Geschrieben von Dieter Puhl. Veröffentlicht in Obdachlos

Berlin, City West – die Stadt boomt und pulsiert wieder, Aufschwung zum Anfassen, an allen Ecken und Kanten – ist alles so schön bunt hier.

Das Waldorf Astoria überragt mit 118 Metern alles, die Präsidentensuite im 31 Stockwerk kostet 12 000.- pro Nach. Gegenüber hat am 3. April das Bikini Haus eröffnet, Shopping Center und Luxus Meile – man könnte meinen, der Slogan lautet: was brauchen wir alles nicht? Aber das im Überfluss! Überall wird gebaut, der Kudamm litt lange   20 Jahre an schlaffem Muskelgewebe, Viagra, BMW und Botox und Investoren verhalfen zu neuem Glanz,  ist nur 100 Meter entfernt.

Um die Ecke liegt der Bahnhof Zoo, die Deutsche Bahn investiert in den nächsten 2 Jahren und saniert für 25 Millionen, neue Cafes, Ladenzeilen entstehen, alles wird heller und schöner, lichtdurchflutet.
So oder so ist das Leben,
so oder so ist es gut.
So wie das Meer ist das Leben,
ewige Ebbe und Flut.
Der stille Beobachter und Zuhörer vernimmt, auf der Rückseite in der Jebensstraße sind die Lichtverhältnisse anders, der Sound der Stadt ist punkiger, laute Töne von Nina Hagen „Auf`m Bahnhof Zoo im Damenklo“ …süßes Kind,  sag geschwind, er bistn du?…mischen sich mit David Bowie „Helden“… niemand gibt uns eine Chance…

Christiane F steht hier schon seit 40 Jahre nicht mehr; jeden Tag stehen hier aber 500 wohnungslose und verarmte Menschen und an etlichen Tagen auch deutlich mehr. Weil sie Hunger haben, weil sie frieren, weil sie allein und einsam sind, weil sie nicht mehr wissen, ob sie Stefan oder Udo heißen, nicht wissen ob sie in Tokio, Berlin oder Kopenhagen leben, weil sie neben der Spur sind, entgleist am Bahnhof Zoo.

Jeden Tag stehen sie vor der Bahnhofsmission Zoologischer Garten und viele behaupten, das sei ihr Wohnzimmer.

Wenn duplo die größte Praline der Welt ist, ist das hier die größtes Einrichtung für wohnungslose Menschen in Europa.

Dark Side of the Moon!

Herzlich willkommen in der Schmuddel Ecke vom Bahnhof Zoo.

Und musst du leiden,
dann beklag dich nicht ,
du änderst nichts daran.

Einmal im Jahr feiert die Einrichtung ihren Tag der offenen Tür, um ihren Gästen etwas Abwechslung zu bieten, im täglichen Einerlei, im Grau, im Trott. Damit nicht genug, viele weitere Gäste werden eingeladen, interessierte Menschen, Neugierige, Zögernde, Kritiker, Freunde, Netzwerker, Junge und Alte, Berliner halt. Das Wunschdenken, der Anspruch ist recht hoch. Alle sollen sich mischen, beschnuppern, friedlich miteinander klarkommen, mehr noch, sie sollen Wertschätzung füreinander entwickeln. Denn: die haben doch selbst Schuld, es muss doch niemand wohnungslos sein, denken viele, eigentlich die meisten. Umdenken ist gewünscht.

8.30. der erste Gast trifft ein, eine 25 jährige, hübsche Frau, zurückhaltend, eher schüchtern. Sie hat etwas in der Zeitung von diesem Tag gelesen, möchte sich vor Ort informieren. Hat einen kleinen Rollkoffer dabei. Auf den Inhalt angesprochen erwidert sie: „ Ich bin Domina, komme gerade von einem Klienten Besuch, darin sind meine Arbeitsutensilien.“ Als ihr ein Kaffee angeboten wird entgegnet sie charmant lächelnd, „Gerne, aber zacki, zacki bitte.“

Du musst entscheiden,
wie du leben willst,
nur darauf kommt es an.

Es gibt Momente, die geben Richtung – und hier entschied sich, das wird ein guter, interessanter Tag.

50 ehrenamtliche Helfer ackerten, schwitzten, halfen, viele Praktikanten  waren dabei. Eine bunte Mannschaft: arm und reich, jung und alt, strukturiert oder leicht gaga, Christen, Muslime, Juden, Heidenkinder, alles vertreten – eine wahrlich bunte Mannschaft.  Friedvolle Großstadtmetropole in einem kleinen Biotop!

Am Zoo wissen sie es, sie erhalten viel Besuch aus Europa, an vielen Orten hauen Bullen Pennern auf die Nase und umgekehrt.

Hier aber standen ab 10.00 „Polizisten für Obdachlose“ vor der Tür und verteilten in eigenen Reihen gesammelte Bekleidung. Und es gab viele Umarmungen – zwischen Polizeibeamt_innen und wohnungslosen Menschen; denn, man kennt sich und schätzt sich.

Zeitgleich wurde der Grill angeschmissen, die Berliner Tafel hatte vorgesorgt,  über den Tag wurden 3000 Menschen verdammt gut versorgt.

Hier half auch die Deutsche Bahn u.a. mit 50kg Tafelspitz, Würstchen und anderen Leckereien. Den Tafelspitz bereitete  das Waldorf Astoria zu, es halfen Spreequell und die Türkische Gemeinde Deutschland und die BB Dönermanufaktur Berlin-Brandenburg mit 2000 Portionen Döner, es half die psd Bank – und es halfen auch enorm viele Berliner mit Kuchenspenden, Kaffee, Lebensmitteln. Breite Netzwerke. Beim Thema Wohnungslosigkeit rückt die Stadt emotional zusammen, nicht nur im Winter. Wohnungslose Menschen benötigen 12 Monate im Jahr Hilfe, Unterstützung, Beistand.

Für dies war das ein besonderer Tag, viele hatten sich „schön gemacht“ und sie begingen den Tag feierlich, galt ihnen schließlich und letztendlich doch auch die Aufmerksamkeit.

„Danke, das ist mein erster Döner seit 15 Jahren, kann ich mir sonst nicht leisten,“ sagte der eine, „das war eine schöne Abwechslung,“ meinen viele.

Heute nur glückliche Stunden,
morgen nur Sorgen und Leid.

Oliver Saar mit Cool Jazz, später dann Heart of Gold mit Rock und Soul; dazwischen, die Bahnhofsmission Zoo ist eine kirchliche Einrichtung, die Berliner Stadtmission ist  Träger, die Andacht mit Stadtmissionsdirektor Hans-Georg Filker, „Ohne Jesus läuft hier gar nichts“.  24 Stunden geöffnet, an 365 Tagen im Jahr, Jesus ist der Chef, ist immer da., lädt alle ein. Immer.

3000 sehr unterschiedliche Menschen verbringen anders einen Tag miteinander, auf Augenhöhe, ein Tag ist das nicht die Schmuddelecke vom Bahnhof Zoo.

Könntest du schwimmen, wie Delphine, Delphine es tun.

An diesem Tag ist der Sound der Jebensstraße zärtlicher.