Veranstaltung: 20 Jahre Nationale Armutskonferenz – (k)ein Grund zu feiern?

Veröffentlicht in Reiseberichte

München/Berlin: „Wir werden nicht aufhören, auf die verschämte Armut neben dem unverschämten Reichtum in diesem Land hinzuweisen“ erklärte Thomas Beyer, Sprecher der Nationalen Armutskonferenz (nak), in seiner Begrüßungsrede anlässlich „20 Jahre Nationale Armutskonferenz – (k)ein Grund zu feiern?“. Der Zusammenschluss aus Wohlfahrtsverbänden, Gewerkschaft und Betroffeneninitiativen hat heute in der Berliner Vertretung des Landes Rheinland-Pfalz ihr 20-jähriges Bestehen begangen. Für Beyer sind diese beiden Jahrzehnte kein Grund zu feiern, denn: „Wie könnte es sein? Armut ist nur eines: ein Skandal. Schließlich nimmt sie Menschen Chancen, die andere selbstverständlich haben.“ Deshalb werde die nak auch in Zukunft „die gesellschaftliche Mahnung und politische Zumutung“ pflegen.

Dr. Hans-Ulrich Bieler, ständiger Vertreter der Bevollmächtigten des Landes Rheinland-Pfalz, erklärte: „Ohne die nak würde die Armut in der Öffentlichkeit weniger thematisiert.“ Das Engagement der nak ist aus seiner Sicht durchaus ein Grund zu feiern. Ärgerlich sei dagegen, dass es in Deutschland vermeidbare Armut gibt. Das habe auch damit zu tun, dass die Bundesregierung den Regelbedarf niedrig hält. Generell seien Erwerbslose und Alleinerziehende mit Kindern unter 18 Jahren, kinderreiche Familien, sowie Menschen mit geringer beruflicher Qualifikation besonders armutsgefährdet. Als Maßnahme dagegen forderte Bieler „einen Mindestlohn, der tatsächlich einer ist“. In seinen Augen ist die Bekämpfung von Armut nicht nur eine Frage der Gerechtigkeit, sondern auch eine der Freiheit.

Walter Hanesch, Professor für Gesellschaftswissenschaften und soziale Arbeit an der Hochschule Darmstadt und Gründungsmitglied der nak, beklagte in seinem Referat, in dem er unter anderem die Lissabon-Strategie beleuchtete, dass die deutsche Sozialpolitik keine Armutspolitik beinhalte. Zwar habe sich die Regierung zum Ziel gesetzt, bis zum Jahr 2020 die Zahl der Langzeitarbeitslosen in Deutschland um 330.000 Menschen zu reduzieren. Damit bekämpfe man lediglich die Beschäftigungsarmut, nicht aber die materielle Armut. Schließlich nähme die Zahl der working poor in diesem Land stetig zu. Zur nak sagte er: „Das Besondere und Wichtige an der nak ist, dass die deutschen Spitzenverbände der Freien Wohlfahrtspflege und die Betroffenen-Initiativen dort gleichberechtigt an einem Tisch sitzen.“ Für die Zukunft gab Hanesch der nak auf den Weg: „Sie muss ein kritisches Sprachrohr der Armen bleiben.“ Ein

Ausschnitt aus Hans Falladas „Kleiner Mann, was nun?“ - erschienen 1928 während der Weltwirtschaftskrise und dargeboten vom Theaterpädagogischen Zentrum Köln – veranschaulichte, wie aktuell der Text des Autors bis heute ist: Bedürftige Menschen werden durch Armut sozial ausgegrenzt und sowohl physisch als auch psychisch zermürbt.

Michaela Hofmann, stellvertretende Sprecherin der nak, beklagte, dass in Form von sozialen Kürzungen der schwarze Peter bei den Betroffenen ankommt“. Gemeinsam mit Erika Biehn, nak-Gründungsmitglied warf sie Schlaglichter auf die vergangenen 20 Jahre Weltgeschichte: vom Golfkrieg im Jahr 1991 über die Massenarbeitslosigkeit im Jahr 1997 und dem Umzug der Bundesregierung von Bonn nach Berlin im Jahr 1999 bis zum Unwort des Jahres Humankapital im Jahr 2005 sowie dem Sparpaket der Bundesregierung im Jahr 2010 und dem Bildungspaket in diesem Jahr. Biehn wiederum sagte: „Die Armut muss bekämpft werden, nicht die Armen!“   

Professor Dr. Gerhard Trabert, stellvertretender nak-Sprecher, erinnerte daran: „Armut nimmt zu und das schon seit 20 Jahren – und es wird nichts dagegen unternommen. Ich glaube, die Konzeptlosigkeit hat Konzept.“ Armut habe nicht nur die Konsequenz, dass jemand weniger Materielles besitzt, sondern auch, dass Betroffene früher sterben. „Arme in Deutschland haben die Lebenserwartung von Nordafrikanern“, sagte er. Arme Frauen in Deutschland stürben acht Jahre, arme Männer sogar zwölf Jahre früher als der Durchschnitt. In Deutschland sei Armut ein Verteilungsproblem, das sich – politischer Wille vorausgesetzt – schnell beheben lasse.

Kurt Klose, stellvertretender nak-Sprecher, stellte fest: „Mit der Veranstaltung ist Solidarität mit den Betroffenen bewiesen worden.“ Die nak unterstütze Menschen, die finanziell schwach sind und nicht sozial schwach, wie Arme häufig beschrieben würden. Klose: „Ich kenne einige Menschen, die finanziell gut bestückt sind – dafür aber sozial sehr schwach sind.“ Als Schuldnerberater berate er inzwischen Menschen, die vor 30 Jahren seine Anlaufstelle nicht aufgesucht hätten: beispielsweise Selbständige.   

Statements in Form von Audiospots (siehe schriftlichen Wortlaut im Anhang): Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen, Präsidentin der Humboldt-Viadrina School of Governance Gesine Schwan,der Vorsitzende des Deutschen Vereins Wilhelm Schmidt und des ehemaligen nak-Sprechers Dr. Wolfgang Gern.

Schriftlich überlieferte Statements: Familienministerin Kristina Schröder wünscht der nak „ihren wachen Blick zu behalten“. Kurt Beck,Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz,sieht in der nak  ein wichtiges Instrument Strategien gegen Armut zu entwickeln. Für Michael Sommer sind 20 Jahre nak „gemeinsamer Widerstand gegen Armut in Deutschland“. Leider sei die Armut mittlerweile auch in der Mitte unserer Gesellschaft angekommen.


Statements