Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zu den Regelsätzen

Geschrieben von Michael David. Veröffentlicht in Pressemitteilungen

Erst am 10.09. hat das Bundesverfassungsgericht seine Entscheidung vom 23. Juli bezüglich der anhängigen Verfahren zur Regelbedarfsermittlung in der Grundsicherung veröffentlicht.

Seine Entscheidungen fasst das BVerfG in der folgenden Pressemitteilung zusammen, über der dann der Link zum Urteil selbst steht:

http://www.bundesverfassungsgericht.de/pressemitteilungen/bvg14-076.html

Zu den Regelungen für unter 25-Jährige hat das BVerfG noch nicht geurteilt.

Das Bundesverfassungsgericht hat sich nicht positiv zu den Regelsätzen geäußert. Es hat lediglich betont, dass die Festlegung der Regelsätze Aufgabe der Politik ist und den Ball zurück gespielt. Die Mängel sind nicht so groß, dass das Gesetz außer Kraft gesetzt wird. Das Gericht setzt sich nicht an die Stelle des Gesetzgebers

Die Leistungen sind „noch verfassungsgemäß“. Das heißt: Note 4, ausreichend, knapp nicht durchgefallen.

Die Bedarfe, die nicht tragfähig ermittelt wurden, sind auf der Basis der anstehenden Regelbedarfsberechnung auf Basis der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe (EVS) 2013 nach zu ermitteln. Die EVS wird gerade ausgewertet. Damit gibt es einen klaren Handlungsauftrag an die Gesetzgebung in 2015 und 2016.

Das Gericht äußert einige Zweifel daran, ob der Gesetzgeber die in der EVS ermittelten Bedarfe hinreichend berücksichtigt hat:

  • Beim Haushaltsstrom ist der gestiegene Bedarf aufgrund steigender Preise schon vor der regelmäßigen Fortschreibung anzupassen.
  • Der Mobilitätsbedarf ist nicht hinreichend gedeckt. Hier wurden die Kosten für ein KfZ pauschal herausgestrichen – unabhängig davon, ob überhaupt Alternativen im öffentlichen Personennahverkehr bestehen.
  • Der Bedarf an langlebigen Gütern wie Waschmaschine oder Kühlschrank ist nicht gedeckt. Hier gibt es bisher nur Darlehen. Das BVerfG fordert Zuschüsse ein.
  • Im Bildungs- und Teilhabepaket müssen die abgedeckten Bildungs- und Teilhabeangebote ohne weitere Zuzahlungen erreichbar sein. So müssen z.B. Fahrtkosten in tatsächlicher Höhe erstattet werden.
  • Bei der Fortschreibung der Regelsätze muss die Preisentwicklung ausschlaggebend sein, nicht die Lohnentwicklung.

Das Gericht hat die Kritik an der Regelsatzermittlung bestätigt. Nach Berechnungen der Wohlfahrtsverbände, die auch das Gericht zitiert, wurden rund 70 € von den ermittelten Bedarfen abgezogen. Es bestehen Zweifel, ob diese Lücken einfach so durch Verzicht an anderer Stelle ausgeglichen werden können. Gestrichen wurden z.B. die Verbrauchspositionen für einen Weihnachtsbaum, zusätzliche Kinderbetreuung, Waschmaschine und Kühlschrank, nicht verschreibungspflichtige Medikamente, Zimmerpflanzen, Kinderfahrrad, Balkonpflanzen. Kleine Kinder sollen von weniger als 3 Euro am Tag für Lebensmittel satt und gesund bleiben. Das Gericht hat das nicht befürwortet, sondern betont, dass diese Frage in der politischen Auseinandersetzung zu lösen ist. Die nak schlägt vor, zur Bedarfsermittlung neben der Statistik ergänzende Untersuchungen über die tatsächlich nötigen Verbrauchskosten heranzuziehen. Eine Kommission aus Betroffenen, Wohlfahrtsverbänden und Gewerkschaften sollte die Regelbedarfsermittlung begleiten.

Viele Bedarfe sind weder im Regelsatz pauschaliert enthalten, noch gibt es Zuschüsse. Wer eine Mietkaution bezahlen muss, einen Kühlschrank braucht, Stromnachzahlungen zu leisten hat oder neue Kleidung braucht, weil die Kinder schneller als geplant wachsen, bekommt heute nur ein Darlehen. Für diese Darlehen werden dann monatelang, manchmal jahrelang, 10% vom Regelsatz abgezogen. Die nak fordert schon seit langem, dass wir wieder Zuschüsse für unregelmäßige Bedarfe brauchen.

Auch die regelmäßigen Bedarfe sind nicht sauber genug ermittelt. Für Fahrtkosten sind zum Beispiel weniger als 25 € vorgesehen. In der Kleinstadt mag das reichen. In einer Großstadt wie Berlin ist selbst das Sozialticket teurer als 35 €. Wegen Schwarzfahren kommt es immer wieder zu Strafforderungen und Gefängnisaufenthalten. Da wäre es doch wesentlich sinnvoller, den Leistungsbeziehenden einfach eine echte Fahrkarte zu geben und dadurch viele Gefängnis- und Resozialisierungskosten zu sparen.

Statt die Leistungskontrolle in den Vordergrund zu stellen brauchen wir mehr Respekt, Anteilnahme und die Würdigung der eigenen Motivation. Hartz-IV-Empfänger müssen in ihren Bemühungen ernst genommen statt wie unmündige Kinder behandelt werden. Die arbeitsmarktpolitischen Mittel wurden in den letzten Jahren um mehr als die Hälfte reduziert. Das war ein großer Fehler.

Wir wünschen uns, dass mit den anstehenden Reformen nicht nur „Rechtsvereinfachung“ im Sinne der Behörden in den Blick genommen wird. Wir brauchen leichter verständliche Bescheide, einfachere Regeln und feste Ansprechpartner für die Betroffenen. Das A und O ist der Aufbau eines Vertrauensverhältnisses zu Beraterinnen und Beratern, die auch direkt erreichbar sind. Die geltende Sanktionspraxis muss beendet werden, die Sonderregeln für unter 25-Jährige gehören abgeschafft.

Einige Wohlfahrtsverbände haben wie folgt kommentiert:

http://www.diakonie.de/menschenwuerdiges-leben-sicher-stellen-15616.html

http://www.caritas.de/fuerprofis/presse/pressemeldungen/aktuelles-urteil-des-bverg

http://www.der-paritaetische.de/pressebereich/artikel/news/presseerklaerung-des-hauptgeschaeftsfuehrers-des-paritaetischen-ulrich-schneider-zum-heutigen-bund/

nak-Positionen zur Grundsicherung sind hier zu finden:

http://nationalearmutskonferenz.de/data/nak_positionspapier_grundsicherung.pdf

http://nationalearmutskonferenz.de/data/14-01-27%20nak-Positionspapier%20Existenzminimum%20Teilhabe.pdf

http://www.menschenwuerdiges-existenzminimum.org/wp-content/uploads/2013/05/broschuere_existenzminimum.pdf