Armut

Veröffentlicht in andere Länder

Die Armut lässt sich nicht nur von aussen definieren, etwa mithilfe von Statis­tiken oder Berechnun­gen. Sie sollte vielmehr aus der Nähe betrachtet werden. Die Grundlagen dafür bilden der Alltag und die persönlichen Erfahrungen des betroffenen Menschen.

Von Nationalrat Ricardo Lumengo

Die Armut kann als Situation oder Zustand im Unterschied zu Reichtum oder hohem Einkommen definiert werden. In den reichen oder industrialisierten Ländern spricht man vom Existenzminimum. Konkret ist aber die Armut sichtbar bei einem Men­schen, der beinahe alles zum Leben Notwendige entbehrt.

Ich erinnere mich an die Armut unserer Familie in Angola, wo ich geboren wurde. Als Zehnjähriger musste ich barfuss zur Schule gehen, weil mir meine Mutter keine neuen Schuhe kaufen konnte. Hohn und Spott meiner Schulkameraden waren mir sicher. Später, als Asylbewerber in der Schweiz, musste ich mit 200 Franken Sack­geld im Monat auskommen.

Welches auch immer die Art und Weise ist, wie man die Armut betrachtet oder erlebt, sie ist in je­dem Fall verbunden mit Leiden, Erniedrigung und mit dem Verlust der Würde des Menschen. Demü­tigung und Ausgrenzung führen zu psychischen Be­schwerden, zu Beziehungsproblemen, zum Schei­tern in der Schule oder auch zu kriminellem Verhalten. In unserer Gesellschaft sind die sozialen Klas­sen aufgrund von Besitz und Einkommen geprägt.

In Armut leben in einer reichen Gesellschaft ist schwieriger als umgekehrt. Viele Menschen, die in den ärmsten Ländern leben, sind glücklicher als gewisse reiche Leute in den Industrieländern. Hinzu kommt ein grundlegender Unterschied, ob man in einem armen oder in einem reichen Land lebt. Die von Armut Betroffenen in der industrialisierten Welt sind einem erheblichen sozialen Druck ausge­setzt. Man sagt ihnen nach, sie hätten ihre Situation selbst verschuldet. Doch die Armut ist überall auf der Welt mit schwerem Leid verbunden und allein dies verpflichtet uns schon, gegen sie zu kämpfen.

Im Kampf gegen die Armut verdienen einige Ideen und Massnahmen Unterstützung. Zum Beispiel die soziale Eingliederung und berufliche Ausbildung der IV-, ALV- und Sozialhilfeabhängigen Personen. Auch die Gewährung von Mikrokrediten sollte viel stärker verbreitet werden. Das wichtigste Milleni­umsziel der UNO, die Erhöhung der Entwicklungshilfe auf 0,7% in allen Industrieländern, muss unbe­dingt erreicht wer­den. Daneben sollten wir in allen Ländern für alle Bürgerinnen und Bürger die Er­richtung eines bedingungslosen Grundeinkommens anstreben. Dieses Einkommen hätte jeder Mensch unabhängig von seiner Arbeitsleistung von der Geburt bis zum Tod zugute. Es ist dieses Grundeinkommen das mithelfen wird, dem Menschen seine Würde zurück zu geben.

(Quelle: newsletter www.haelfte.ch)