Sozialpolitik

Alle 2 Monate eine neue Armutsstatistik

Geschrieben von Dieter Puhl. Veröffentlicht in Allgemeines

Alle 2 Monate eine neue Armutsstatistik – nun wird hervorgehoben, immer mehr Arbeitnehmer fallen unter die sogenannte Armutsgrenze, ihnen fehlt Geld für Miete und Essen.

Wir merken das in der Bahnhofsmission Zoo im Regelfall schneller als Statistiker – dann, wenn die Schlange vor unserer Tür länger wird.

Waren es vor 4 Jahren 400 Gäste, die uns täglich aufsuchten, sind es nun 600, mit stark steigender Tendenz:

da stehen obdachlose Menschen, Rentner, Jugendliche, Studenten, Familien, Flüchtlinge, natürlich auch Arbeitnehmer.

Immer zum Monatsende, wenn bei vielen das Geld knapp wird, wird die Schlange länger.

Alle kommen, weil sie hungrig sind, sehr viele fragen aber auch nach  Gebrauchsgütern des täglichen Lebens: kein Geld für Bekleidung, für Schuhe, für den Einwegrasierer, für Tampons, für Hygieneartikel, kein Geld für ein neues Federbett, für Möbel und Hausrat.

Laden wir zu einem Theaterbesuch oder zu einem Konzert ein, sind die Veranstaltungen überlaufen – natürlich fehlt auch Geld für Kultur, für eine Tageszeitung.

Am 24.12. sahen wir es – sehr vielen fehlte das Geld für ein Weihnachtsessen.

Zahnersatz ist unerschwinglich, wird zum Luxus.

Statistiken erfassen selten Gefühle. Mehr als die Armut, nagt die Scham an den Menschen.

Da geht man den ganzen Tag arbeiten (oder hat auch nicht die Möglichkeit dazu) und steht dann abends in einer Schlange, um ein paar Brötchen, eine neue Jacke zu erhalten, besucht eine Suppenküche, erhält in einer Kirchengemeinde eine Tüte mit Lebensmitteln.

Wer lässt sich dabei gerne von seinem Nachbarn, seinen Arbeitskollegen über die Schulter schauen?!

Immer mehr Bürger suchen abends übrigens unsere Notübernachtungen auf, nicht um dort zu nächtigen, sondern um eine warme Mahlzeit zu erhalten.

Die Statistik zur Verteilung des Reichtums auf der Welt ist übrigens gerade 1 Woche alt.

Herzlichst – Dieter Puhl

Dieter Puhl
Leiter der  Evangelischen Bahnhofsmission
Jebensstraße 5 | 10623 Berlin
Telefon 030 / 3138088

Handy: 01637918717
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08.01.2015 Armut darf nicht individualisiert werden

Geschrieben von Markus Harmann. Veröffentlicht in Pressemitteilungen

Der Kölner Diözesan-Caritasdirektor Dr. Frank Johannes Hensel ist neuer Sprecher der Nationalen Armutskonferenz (nak). Er wurde von der nak-Delegiertenkonferenz einstimmig für zwei Jahre gewählt und trat am 1. Januar 2015 die Nachfolge von Joachim Speicher vom Paritätischen Wohlfahrtsverband in Hamburg an.

"Armut ist kein persönliches Pech, keine Laune der Natur und darf nicht einfach individualisiert werden", sagte Hensel anlässlich seines Amtsantritts. Die Armut so vieler Einzelner gehe alle an. "Es kann in Deutschland etwas dagegen getan werden: durch eine veränderte Bildungspolitik, eine bedarfsgerechte Regelsatzberechnung und eine Arbeitsmarktpolitik, die aktiv gegen die zunehmende Verfestigung von Langzeitarbeitslosigkeit antritt." Es gehe um die gezielte Weiterentwicklung des Sozialstaats zu mehr sozialer Gerechtigkeit.

In der Nationalen Armutskonferenz (nak) arbeiten Menschen mit und ohne Armutserfahrung zusammen. "Ich bin davon überzeugt, dass durch die Mitarbeit von Menschen mit Armutserfahrung im politischen Prozess, durch ihren Einbezug und ihre Überzeugungskraft ein Veränderungsimpuls für politische Verantwortungsträger ausgeht, der nicht länger übergangen werden darf", sagte Hensel. "Gute und kluge politische Lösungen erwachsen aus dem Dialog mit den Menschen, die Ahnung von der Sache haben. Der gesellschaftliche Zusammenhalt darf nicht weiter gefährdet werden."

Dem Sprecherkreis gehören neben Hensel auch Werena Rosenke (Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe), Michael David (Diakonie Deutschland) und Robert Trettin (Armutsnetzwerk) an.

Fachtag Landesarmutskonferenz Niedersachsen

Geschrieben von Gerhard Zamzow. Veröffentlicht in Sozialpolitik

 Ein Unbekannter ist Christoph Butterwegge in der Armutsdiskussion in der Bundesrepublik keineswegs. Wenn er Ende November die Autofahrt von Köln, wo er als Politikwissenschaftler an der dortigen Universität lehrt, nach Hannover in Kauf genommen hat, um auf der Tagung der Landesarmutskonferenz das Eingangsreferat zu halten, so wollte er auf etwas Wichtiges aufmerksam machen, nämlich sein neues Buch „Hartz IV und die Folgen: Auf dem Weg in eine andere Republik ?“

Unter der Leitung von Lea Arnold (DGB Niedersachsen, 3. von links) diskutierten Dr. Hans-Jürgen Marcus, Vorsitzender der LAG Freie Wohlfahrtspflege, Jürgen Schneider, Armutsnetzwerk, Susanne Kremer, ver.di, Edda Schliepack, 2. Landesvorsitzende des SoVD, und Meike Janßen, LAK (von links)

Und wenn die Landesarmutskonferenz zu einer Fachtagung „Grenzen der Gerechtigkeit ? Armut in Europa und Niedersachsen“ nach Hannover eingeladen hatte, so zeigte sich damit ein gewachsenes Selbstbewußtsein dieser Institution. Nach langen Verhandlungen hatte das Land der Landesarmutskonferenz Geld zur Verfügung gestellt, um eine solche Tagung zu organisieren. Da paßte es ausgezeichnet, daß Christoph Butterwegge im Hinblick auf das 10jährige Jubiläum der Hartz-IV-Gesetze Anfang 2015 eine Bilanz gezogen hat, keine positive.
Vor fast 100 Tagungsteilnehmer_innen ging er im Freizeitheim Linden zur Eröffnung in seinem frei gehaltenen Referat auf die negativen Entwicklungen der Hartz-IV-Regelungen ein, zeigte auf, daß keine der 2005 erhofften Verbesserungen tatsächlich eingetreten sei: die Langzeitarbeitslosigkeit habe sich verfestigt, durch statistische Tricks und Nachbesserungen sei zwar ein zahlenmäßiger Rückgang der Arbeitslosigkeit erreicht worden, aber die psychischen Folgen der mit Hartz IV verbundenen Ausgrenzung aus der Gesellschaft würden oft nicht betrachtet. Das Grundproblem der Arbeitslosigkeit sei durch die mehrmals verschärften Hartz-IV-Regelungen nicht gelöst worden. Im Gegenteil: die Spaltung der Gesellschaft habe zugenommen und wachse sich zusehends zu einer Spaltung der Gesellschaft aus. Die Gefahren für die Demokratie in Deutschland deutete Butterwegge eher vorsichtig an, aber nach seiner Auffassung zerstörte die Hartz-IV-Gesetzgebung den sozialen Zusammenhalt in der Gesellschaft. Resignation und Politikverdrossenheit seien die unmittelbare Folge, auch eine Hinwendung zu dumpfen rechten Parolen sei nicht ausgeschlossen. Und da Butterwegge in seiner Analyse teilweise historisch vorging, gerieten auch die Parallelen zur Weimarer Republik stärker ins Blickfeld. Ein gewisser Pessimismus schien in Butterwegges Referat durch. Als Bücherschreiber wende er sich hauptsächlich an ein mittelständisches Publikum, um dieses auf die gravierende Fehlentwicklungen in Folge der Hartz-IV aufmerksam zu machen.

Die Tagung ging am Nachmittag in Arbeitsgruppen weiter („Grundsicherung EU-weit – reale Möglichkeit oder ferne Vision ?“, „Beschäftigungsprogramm/ Umverteilung“, „Armutszuwanderung in Niedersachsen“), den Abschluß bildete eine Podiumsdiskussion zum Thema „Gerechtigkeit kennt keine Grenzen!“, bei der prominente Vertreter_innen der niedersächsischen Sozialverbände, der Kirchen und Gewerkschaften zu Wort kamen. Insgesamt spiegelte der Fachtag das gewonnene Selbstvertrauen der Landesarmutskonferenz wider und daß dadurch neue Impulse für die Verbesserung der sozialen Situation vieler Menschen in Niedersachsen gegeben wurden. Mit Butterwegges neuem Buch liegt eine gut lesbare „Geschichte“ der gesellschaftlichen Spaltung durch Hartz-IV vor, aber die Diskussion muß weiter gehen. Nach dem Scheitern der „umfairteilen“-Bewegung vor der Bundestagswahl 2013 muß natürlich die Frage diskutiert werden, welche politischen Konsequenzen für die Zukunft aus den Erfahrungen von 10 Jahren Hartz-IV zu ziehen sind: Gibt es Ansätze zu einer erfolgreichen Einbeziehung der Betroffenen ? Woran scheiterte deren Mobilisierung bisher ? Welche Rolle können Sozialverbände, Gewerkschaften und Kirchen in der Frage der Armutsbekämpfung in Zukunft spielen ?

An all diese Fragen knüpfte die Podiumsdiskussion am Nachmittag an. Gut war, daß alle Beteiligten sich vorurteilsfrei äußerten. Sie glänzten durch teilweise programmatische Aussagen für Niedersachsen. Für die Landesarmutskonferenz Niedersachsen war diese Tagung ein Hoffnungsschimmer nach ihrem Beitrag zur Einheitsfeier am 3.10. in Hannover. Im Rahmen der Veranstaltung wurde der Presse eine gemeinsame Bündniserklärung der beteiligten Fachverbände übergeben: „Gerechtigkeit kennt keine Grenzen! Armut in Europa und in Niedersachsen überwinden“. Darin fordert die Landesarmutskonferenz Niedersachsen eine existenzsichernde Grundsicherung in der EU, ein Investions- und Beschäftigungsprogramm zur Senkung der Arbeitslosigkeit und eine höhere Besteuerung von hohen Einkommen, Vermögen und Unternehmensgewinnen.


http://www.landesarmutskonferenz-niedersachsen.de/wp-content/uploads/2014/11/Bu%CC%88ndniserkla%CC%88rung-Fachtag.pdf

Christoph Butterwegge: Hartz IV und die Folgen. Auf dem Weg in eine andere Republik ? (Weinheim, Basel: Beltz Juventa 2015), € 16,95

 

Lücken im sozialen Netz

Geschrieben von Dietmar Hamann. Veröffentlicht in Allgemeines

Vortrag auf der Fachtagung „Die Lücken in der Existenzsicherung in Deutschland. Gesehen, bewertet – und nun?“ des Deutschen Caritasverbandes im Rahmen des Projektes EMIN

BuchhülleEs werden die immer größer werdenden Maschen in unserem sozialen Netz nur noch notdürftig geflickt, verschleiert, unter den Tisch gekehrt oder gar verleugnet und manipuliert. Damit wird die Gefahr noch größer, dass arme Menschen durch niedrige Renten, Hartz IV, Langzeitarbeitslosigkeit, Working Poor, geringe Bildung, Überschuldung, Krankheit, traumatische oder lebensbedrohende Erlebnisse die unverarbeitet geblieben sind, immer mehr in Armut stürzen und zu Almosenempfänger werden.

Wir können auf Dauer diese Lücken , dass diese Menschen immer stärker unter die Armutsgrenze rutschen lässt, nicht einfach unter den Teppich kehren.
In Deutschland liegt die Armutsgefährdungsgrenze für Alleinlebende bei weniger als 980 Euro im Monat, für Familien mit zwei Kindern bei weniger als 2.058 Euro im Monat. Besonders gefährdet sind Arbeitslose, Alleinerziehende und alleinlebende Menschen.
Auch Migranten und Menschen mit niedrigen Bildungsabschlüssen sind überdurchschnittlich häufig betroffen. Der Weg zur Armutsvermeidung ist mehr Bildung und Beschäftigung.

Wir brauchen mehr Aufmerksamkeit, mehr Öfentlichkeit um diese Lücken zu schließen, mehr Chancen, um Langzeitarbeitslose wieder in Arbeitsmarkt zu intergrieren. Mehr Unterstützung für Alleinerziehende. Mehr sozial geförderte Wohnungen. Mehr Bildung und Chancen für unsere Kinder. Mehr menschenwürdige Unterkünfte für Asylbewerber und Obdachlose.

Mehr leidenschaftliche Menschen. Mehr Solidarität - sie ist die Zärtlichkeit der Völker.

Gunter Rudnik, Richter am Landessozialgericht Berlin-Brandenburg:

Das Grundrecht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum folgt unmittelbar aus der Menschenwürde und dem Sozialstaatsgebot. Beide Aspekte unterliegen der Ewigkeitsklausel des Art 79 III GG. Das Grundrecht hat daher auch innerhalb der Verfassung einen herausgehobenen Rang. Es steht unter keinem Finanzierungsvorbehalt. Es gibt keinen anderen staatlichen Auftrag, der gegenüber diesem Grundrecht vorrangig zu erfüllen wäre. Für Studenten und Auszubildende ist das menschenwürdige Existenzminimum nicht gewährleistet. Dies gilt insbesondere für Studenten und Azubis ab Vollendung des 25. Lebensjahres. Hier besteht dringender verfassungsrechtlicher und politischer Handlungsbedarf. Die Ausgestaltung der Einkommensanrechnung der BAB in der jetzigen Handhabung durch die Bundesagentur für Arbeit ist angesichts des gegebenen gesetzlichen Spielraums rechtswidrig. Auch ausländischen Unionsbürgern gegenüber ist das Würdegebot umfassend sicherzustellen. Die umfassenden Leistungsausschlüsse für diesen Personenkreis sind weder im Lichte des Gebotes der Menschenwürde noch europarechtlich haltbar.

2. Brandenburger Sozialgipfel

Geschrieben von Dietmar Hamann. Veröffentlicht in Gesundheit

Weber mit Minister Baaske

J. Weber im Gespräch mit Minister Günter Baaske

Potsdam. „Mit der Gesundheit spielt man nicht!“ war die Kernforderung an die Politik in der Eröffnungsrede von Andreas Kaczynski, Sprecher der lak Brandenburg und Vorstandsvorsitzender des Paritätischen Landesverbandes Brandenburg e.V.

„Menschen, die von Armut betroffen oder bedroht sind, sind wesentlich höheren, gesundheitlichen Risiken ausgesetzt als der Durchschnittsbürger. Bei geringem Einkommen und häufig chronischen, gesundheitlichen Einschränkungen drohen sie schnell Opfer einer Zwei-Klassen-Medizin zu werden, wenn sie es nicht längst sind. Betroffen sind Jung und Alt gleichermaßen“, so Kaczynski.

Rund 120 Teilnehmer_innen (unter den Teilnehmern, Jürgen Weber, Armutsnetzwerk e.V.) fanden sich am Dienstag, den 09. September 2014 zum „2. Brandenburger Sozialgipfel“ der Landesarmutskonferenz (lak) Brandenburg in Potsdam ein. Betroffene und Engagierte diskutierten mit Repräsentanten aus Politik und Verwaltung sowie der Sozialwissenschaft über die die gesundheitlichen Folgen von Armut und Ausgrenzung. Mit einer eindrucksvollen Abschlussaktion vor dem Brandenburger Landtag unterstrichen sie öffentlich ihre Forderungen nach Abbau von Armuts- und Gesundheitsrisiken.

Quelle: Der Paritätische Brandenburg

Ich steh' auf Berlin

Geschrieben von Dieter Puhl. Veröffentlicht in Obdachlos

Bahnhof Zoo, mein Zug fährt ein,
ich steig aus, gut wieder da zu sein.
Zur U-Bahn runter, am Alkohol vorbei,
Richtung Kreuzberg, die Fahrt ist frei.
Verdammt lange her ist das, Ideal, das Lebensgefühl einer Stadt, Nina Hagen, Spliff, David Bowie, viel länger zurück reicht meine persönliche Erinnerung nicht mehr.
Berlin war quer. Deshalb kamen die Menschen in die Stadt. Heute: Punks, Junkies, Penner, Irre – sie nehmen zu – die Menschen rümpfen die Nase. Widerstand bei denen, die mit Widerstand stets in homöopathischen Dosierungen umgehen. Aber, sie nehmen zu. Der Verlust einer Lebenskultur.

Berlin war schon immer das Mekka der Glücksritter, der Abgedrehten, der Verwirrten und Verirrten, war nie so gemütlich wie Eutin oder Heidelberg, war immer rauer und ruppig.
Das merkte ich, als ich 1975 als Landei nach Berlin kam und – ich verliebte mich in die Stadt, die Leute, die Umstände. Arm aber sexy, schon damals. Ich durfte anders sein, in Altenholz bei Kiel hätte ich resigniert.
Ja, es ist richtig, die Armut nimmt zu, scheint zu explodieren, auch richtig, sie wird sichtbarer, die Menschen verstecken sich nicht mehr, tragen ihre Hilflosigkeit offener zur Schau.
Am Bahnhof ZooDie ganzen Flaschensammler, die Murmler mit ihren Monologen, die Balletttänzer in unseren Straßen, die Bettler, die wohnungslosen Menschen, die offen in Parkanlagen sterben, die Nichtwartezimmertauglichen, sie fordern uns heraus, jeden Tag, zwingen uns, Stellung zu beziehen. Man kann sie nicht mehr ausblenden, das Wegschauen wird zur Kraftanstrengung. Und uns selbst geht es auch nicht jeden Tag gut, manchmal möchten wir uns doch auch verkriechen. Der Platz ist dann aber schon belegt!
Wer feinfühlt, sie die Stummen. Sie sind eigentlich am Lautesten.
Die Bahnhofsmission Zoo hat Gäste aus 95 verschiedenen Ländern, jeden Tag 600, Arme und Wohnungslose, von den deutschen, wohnungslosen Gäste kommt die Mehrheit aus dem Bundesgebiet.
Auch das war wohl schon immer so. Falle ich in Mainz auf die Nase, versage, löst sich mein Geist auf – so möchte ich nicht, dass nahe Menschen, Freunde, Eltern, Mitschüler mir zuschauen. Ab nach Berlin, in den Dschungel, weil man sich dort gut verstecken kann, mir niemand beim Sterben mitleidig über die Schulter schaut.
Tut dann auch kaum jemand und so sterben viele immer öffentlicher, aber ohne Anteilnahme, am Rande des Randes.
Warum nimmt der Unmut aber gegen sie zu, nicht gegen die Umstände?
Zuwächse von 10-15% an hilfebedürftigen Menschen jährlich sind in vielen Einrichtungen an der Tagesordnung. Kürzungen, tschuldigung, man spricht von Abschmelzen der Leistungen, seit über 10 Jahren leider auch.
Bankenskandale wollen bezahlt werden, das merken u.a. auch Sozialeinrichtungen. Die Qualität Standards sinken. Man bekommt das nicht mehr „weggearbeitet“, Wohnungslosigkeit wird seltener aufgelöst, Verzweiflung auch nicht, es wird verwaltet, geregelt, das Sterben bekommt etwas bessere Qualitäten. Kaum jemand schaut genau hin, Menschen lösen sich auf. Höfliche Formulierung für Verfaulen.
Das alles wird zunehmen, die Kosten für gesellschaftliche Fehlplanungen lassen grüßen.
Es nimmt aber nicht zu, weil es so sein muss, sondern weil wir es so gestalten und zulassen.
Was auch wahr ist: mein Kühlschrank ist voll, ich gehe gerne zum Italiener, liebe Vitello Tonnato und trockenen Weißwein, liebe Butter Lindener, fahre 2 x im Jahr in Urlaub, erfreue mich guter Gesundheit, habe Arbeit, darf abgeben und teilen. Welch Vielfalt und Luxus.
Viele jammern auf sehr hohem Niveau.

Woche der Diakonie in Sulingen

Geschrieben von Dietmar Hamann. Veröffentlicht in Pressemitteilungen

Im Rahmen der Woche der Diakonie präsentierten sich am 10. September 2014 unter anderen der Armutsnetzwerk e.V. und die Gruppe Sulingen des Blauen Kreuzes in der Evangelischen Kirche (BKE) mit Informationsständen auf dem Markt in Sulingen. Wichtigstes Anliegen war dabei, den Einwohnern und Besuchern der Stadt das aktive Engagement dieser Gruppen zu zeigen. Wenn auch verhalten, interessierten sich einige Bürger für die Arbeit der Selbsthifeprojekte. BKE und Armutsnetzwerk werden auch zukünftig enger zusammenarbeiten. „Wir sehen die Öffentlichkeitsarbeit als ein ganz wichtiges Element unserer Arbeit an“, postulieren Reiner Lübbering vom BKE und Dietmar Hamann vom Armutsnetzwerk einhellig, „Ähnliche Veranstaltungen werden wir auch weiterhin gemeinsam gestalten.“

Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zu den Regelsätzen

Geschrieben von Michael David. Veröffentlicht in Pressemitteilungen

Erst am 10.09. hat das Bundesverfassungsgericht seine Entscheidung vom 23. Juli bezüglich der anhängigen Verfahren zur Regelbedarfsermittlung in der Grundsicherung veröffentlicht.

Seine Entscheidungen fasst das BVerfG in der folgenden Pressemitteilung zusammen, über der dann der Link zum Urteil selbst steht:

http://www.bundesverfassungsgericht.de/pressemitteilungen/bvg14-076.html

Zu den Regelungen für unter 25-Jährige hat das BVerfG noch nicht geurteilt.

Das Bundesverfassungsgericht hat sich nicht positiv zu den Regelsätzen geäußert. Es hat lediglich betont, dass die Festlegung der Regelsätze Aufgabe der Politik ist und den Ball zurück gespielt. Die Mängel sind nicht so groß, dass das Gesetz außer Kraft gesetzt wird. Das Gericht setzt sich nicht an die Stelle des Gesetzgebers

Die Leistungen sind „noch verfassungsgemäß“. Das heißt: Note 4, ausreichend, knapp nicht durchgefallen.

Die Bedarfe, die nicht tragfähig ermittelt wurden, sind auf der Basis der anstehenden Regelbedarfsberechnung auf Basis der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe (EVS) 2013 nach zu ermitteln. Die EVS wird gerade ausgewertet. Damit gibt es einen klaren Handlungsauftrag an die Gesetzgebung in 2015 und 2016.

Das Gericht äußert einige Zweifel daran, ob der Gesetzgeber die in der EVS ermittelten Bedarfe hinreichend berücksichtigt hat:

  • Beim Haushaltsstrom ist der gestiegene Bedarf aufgrund steigender Preise schon vor der regelmäßigen Fortschreibung anzupassen.
  • Der Mobilitätsbedarf ist nicht hinreichend gedeckt. Hier wurden die Kosten für ein KfZ pauschal herausgestrichen – unabhängig davon, ob überhaupt Alternativen im öffentlichen Personennahverkehr bestehen.
  • Der Bedarf an langlebigen Gütern wie Waschmaschine oder Kühlschrank ist nicht gedeckt. Hier gibt es bisher nur Darlehen. Das BVerfG fordert Zuschüsse ein.
  • Im Bildungs- und Teilhabepaket müssen die abgedeckten Bildungs- und Teilhabeangebote ohne weitere Zuzahlungen erreichbar sein. So müssen z.B. Fahrtkosten in tatsächlicher Höhe erstattet werden.
  • Bei der Fortschreibung der Regelsätze muss die Preisentwicklung ausschlaggebend sein, nicht die Lohnentwicklung.

Das Gericht hat die Kritik an der Regelsatzermittlung bestätigt. Nach Berechnungen der Wohlfahrtsverbände, die auch das Gericht zitiert, wurden rund 70 € von den ermittelten Bedarfen abgezogen. Es bestehen Zweifel, ob diese Lücken einfach so durch Verzicht an anderer Stelle ausgeglichen werden können. Gestrichen wurden z.B. die Verbrauchspositionen für einen Weihnachtsbaum, zusätzliche Kinderbetreuung, Waschmaschine und Kühlschrank, nicht verschreibungspflichtige Medikamente, Zimmerpflanzen, Kinderfahrrad, Balkonpflanzen. Kleine Kinder sollen von weniger als 3 Euro am Tag für Lebensmittel satt und gesund bleiben. Das Gericht hat das nicht befürwortet, sondern betont, dass diese Frage in der politischen Auseinandersetzung zu lösen ist. Die nak schlägt vor, zur Bedarfsermittlung neben der Statistik ergänzende Untersuchungen über die tatsächlich nötigen Verbrauchskosten heranzuziehen. Eine Kommission aus Betroffenen, Wohlfahrtsverbänden und Gewerkschaften sollte die Regelbedarfsermittlung begleiten.

Viele Bedarfe sind weder im Regelsatz pauschaliert enthalten, noch gibt es Zuschüsse. Wer eine Mietkaution bezahlen muss, einen Kühlschrank braucht, Stromnachzahlungen zu leisten hat oder neue Kleidung braucht, weil die Kinder schneller als geplant wachsen, bekommt heute nur ein Darlehen. Für diese Darlehen werden dann monatelang, manchmal jahrelang, 10% vom Regelsatz abgezogen. Die nak fordert schon seit langem, dass wir wieder Zuschüsse für unregelmäßige Bedarfe brauchen.

Auch die regelmäßigen Bedarfe sind nicht sauber genug ermittelt. Für Fahrtkosten sind zum Beispiel weniger als 25 € vorgesehen. In der Kleinstadt mag das reichen. In einer Großstadt wie Berlin ist selbst das Sozialticket teurer als 35 €. Wegen Schwarzfahren kommt es immer wieder zu Strafforderungen und Gefängnisaufenthalten. Da wäre es doch wesentlich sinnvoller, den Leistungsbeziehenden einfach eine echte Fahrkarte zu geben und dadurch viele Gefängnis- und Resozialisierungskosten zu sparen.

Statt die Leistungskontrolle in den Vordergrund zu stellen brauchen wir mehr Respekt, Anteilnahme und die Würdigung der eigenen Motivation. Hartz-IV-Empfänger müssen in ihren Bemühungen ernst genommen statt wie unmündige Kinder behandelt werden. Die arbeitsmarktpolitischen Mittel wurden in den letzten Jahren um mehr als die Hälfte reduziert. Das war ein großer Fehler.

Wir wünschen uns, dass mit den anstehenden Reformen nicht nur „Rechtsvereinfachung“ im Sinne der Behörden in den Blick genommen wird. Wir brauchen leichter verständliche Bescheide, einfachere Regeln und feste Ansprechpartner für die Betroffenen. Das A und O ist der Aufbau eines Vertrauensverhältnisses zu Beraterinnen und Beratern, die auch direkt erreichbar sind. Die geltende Sanktionspraxis muss beendet werden, die Sonderregeln für unter 25-Jährige gehören abgeschafft.

Einige Wohlfahrtsverbände haben wie folgt kommentiert:

http://www.diakonie.de/menschenwuerdiges-leben-sicher-stellen-15616.html

http://www.caritas.de/fuerprofis/presse/pressemeldungen/aktuelles-urteil-des-bverg

http://www.der-paritaetische.de/pressebereich/artikel/news/presseerklaerung-des-hauptgeschaeftsfuehrers-des-paritaetischen-ulrich-schneider-zum-heutigen-bund/

nak-Positionen zur Grundsicherung sind hier zu finden:

http://nationalearmutskonferenz.de/data/nak_positionspapier_grundsicherung.pdf

http://nationalearmutskonferenz.de/data/14-01-27%20nak-Positionspapier%20Existenzminimum%20Teilhabe.pdf

http://www.menschenwuerdiges-existenzminimum.org/wp-content/uploads/2013/05/broschuere_existenzminimum.pdf