Aktive Arbeitslose in Österreich fordern das Ende der Umgehung von Kollektivverträgen durch die Gewerkschaften

Veröffentlicht in Europäische Union

Die Aktiven Arbeitslosen Österreichs fordern das Ende der Umgehung von Kollektivverträgen durch die Gewerkschaften.
Sie kämpfen gegen die Armutsindustrie durch den sogenannten Zweiten Arbeitsmarkt.

(Mitg./Red.) Die Gewerkschaft Privatangestellte Druck-Journalismus-Papier (gpa-djp) und die Lebensgewerkschaft (vida) setzen sich unter dem Motto "mehr Geld für gutes Angebot an Pflege und Betreuung" für Verbesserungen im Kollektivvertrag der Gesundheits- und Sozialberufe (BAGS) ein. Während sie bei den Verhandlungen zum Kollektivvertrag der Erwachsenenbildung (BABE) zähe Verhandlungen beklagen, verschweigen sie, dass sie in beiden Kollektivverträgen mit der "Transitarbeitskräfteregelung" für ArbeitnehmerInnen Zwangsmaßnahmen beschliessen und damit zum Teil die eigenen Kollektivverträge aushebeln. Damit ist möglicherweise der Grundstein für eine Armutsindustrie nach Vorbild von Hartz IV gelegt.

Forderungen:

  • Abschaffung der Umgehung regulärer Kollektivverträge durch die menschenrechtswidrige "Transitarbeitskräfteregelung"
  • Kein "2. Arbeitsmarkt" auf dem ArbeitnehmerInnen weniger Rechte haben und schlechter bezahlt werden
  • Schaffung von Arbeitslosenbetriebsräten in allen AMS (Arbeitsmarkt-Service) -Maßnahmen
  • Demokratisch legitimierte Organisierung Arbeit suchender ArbeitnehmerInnen in den Gewerkschaften mit ausreichenden Ressourcen für deren Kampf um die vollen ArbeitnehmerInnenrechte.

Wie die Gewerkschaft ihre eigenen Kollektivverträge aushebelt

Wer vom AMS (Arbeitsmarktservice) einer "Wiedereingliederungsmaßnahme" in Form eines (Transit-) Arbeitsplatzes zugewiesen wird, wird dank den von der Gewerkschaft Privatangestellte Druck-Journalismus-Papier (gpa-djp) und der Lebensgewerkschaft (vida) verantworteten Transitarbeitskräfteregelungen immer seltener nach den regulären Branchenkollektivverträgen entlohnt, sondern muss auf viele Rechte verzichten, die sonst ein Arbeitnehmer hat:

  • Vordienstzeiten, beziehungsweise Berufserfahrung und Ausbildung werden nicht berücksichtigt, jeder bekommt den gleich niedrigen Pauschallohn.
  • Egal wie oft jemand solchen "Transitarbeitsplätzen" zugewiesen wird, er oder sie kommt nie in den Genuss von Lohnvorrückungen und wird so beim Gehalt am untersten Niveau gehalten.
  • Recht auf Arbeitskampf für bessere Arbeitsbedingungen (Streikrecht) besteht de facto auch nicht, weil dieser vom AMS (Arbeitsmarktservice) als "Vereitelung einer Maßnahme" gewertet werden würde.
  • "Transitarbeitskräfte" sind in der Regel weniger als ein halbes Jahr im Betrieb und können daher auch keine Betriebsräte wählen, das Recht auf Vertretung wird ihnen so verwehrt. Betriebsräte – sofern überhaupt vorhanden - vertreten daher in der Regel eher die TäterInnen.

Arbeitnehmerinnen zweiter Klasse

Transitarbeitskräfte werden so mit Hilfe der Gewerkschaften zu ArbeitnehmerInnen zweiter Klasse degradiert. Laut AMS (Arbeitsmarkt-Service)-Richtlinie sollen für "sozialökonomische Betriebe" die Kollektivverträge der Berufsvereinigung von Arbeitgebern für Gesundheits- und Sozialberufe (BAGS-KV) und der Berufsvereinigung der ArbeitgeberInnen privater Bildungseinrichtungen (BABE-KV) mit der billigen "Transitarbeitskräfteregelung" schon alleine durch Mitgliedschaft in den entsprechenden Berufsvereinigungen anwendbar werden, womit Tür und Tor für Umgehung regulärer Branchenkollektivverträge gelegt wird. Besonders umstritten sind die "gemeinnützigen Personalüberlasser" deren "Gemeinnützigkeit" aus Sicht der Betroffenen, die oft mehr Schaden als Nutzen in diesen Zwangsmaßnahmen sehen, fraglich ist. Hier werden nach wie vor teilweise rechtswidrige Dienstverträge "angeboten".

Armutsfalle "Transitarbeit"

Die Zuweisung zu solchen "Transitarbeitsplätzen" erfolgt unter menschenrechtswidriger Androhung des Existenzentzuges (Bezugsperre).
Obwohl diese Arbeitsplätze laut Definition "für nicht unmittelbar in den ‚primären’ Arbeitsmarkt vermittelbare Personen" eingerichtet sind und eine "sozialpsychologische Betreuung" beinhalten, werden mit dem stetigen Anwachsen von dauerhaft vom "ersten Arbeitsmarkt" ausgeschlossenen Langzeiterwerbslosen immer öfter Menschen, die direkt am "ersten Arbeitsmarkt" einsetzbar wären, unter Zwang zugewiesen um aus der Langzeiterwerbslosenstatistik zu verschwinden. Für die Betroffenen bieten diese der Zwangsarbeit ähnlichen Beschäftigungen oft keine Zukunftsperspektiven und werden als entwürdigend und bloßstellend empfunden.

Drohende Armutsverschärfung

Wer innerhalb von 5 Jahren 6 Monate lang in solchen "Arbeitsverhältnissen" gearbeitet hat und unter 45 Jahre alt ist, "erwirbt" sich eine neue Bemessungsgrundlage und kann so einen deutlich geringeren AMS (Arbeitsmarkt-Service)-Bezug weit unter der Armutsgrenze runter fallen.
In der Steiermark wurde in der "Aktion Gemeinde" von "gemeinnützigen Beschäftigungsträgern" rechtswidrig die Transitarbeitskräfteregelung für in Gemeinden arbeitenden "TransitarbeiterInnen" angewandt. Dabei handelte es sich aber um Personalüberlassung und es hätte die ortsübliche Bezahlung des Beschäftigerbetriebs (der Gemeinden) gezahlt werden müssen. Trotz Nachfrage durch Arbeitsloseninitiativen zeigten sich die Gewerkschaften unwillens, gegen diese Umgehungsverträge etwas zu unternehmen.
Das Menschenrecht auf gleichen Lohn für gleiche Arbeit wird so zerstört und die Gewerkschaften geben den Anschein, als seien die menschenrechtswidrigen AMS (Arbeitsmarkt-Service)-Zwangsmaßnahmen – weil kollektivvertraglich geregelt – eh in Ordnung.
Bei der "Transitarbeitskräfteregelung" handelt es sich daher nach Meinung der AKTIVEN ARBEITSLOSEN um nichts anderes als Hartz-IV auf österreichisch und sollte daher von jeder seriösen Gewerkschaft aufs schärfste bekämpft werden.

ArbeitnehmerInnenrechte in Gefahr

Was der Österreichische Gewerkschaftsbund (ÖGB) und seine Teilgewerkschaften offenbar noch nicht verstanden haben: Arbeitslosenrechte sind ArbeitnehmerInnenrechte. Denn die Entrechtung Arbeit suchender Menschen bedeutet

  1. dass der Druck, Arbeit um jeden Preis anzunehmen steigt, und so die Gehälter aller ArbeitnehmerInnen unter Druck geraten,
  2. dass die Angst der Lohnarbeit habenden ArbeitnehmerInnen vor der Lohnarbeitslosigkeit steigt und diesen so schlechtere Arbeitsbedingungen leichter aufgezwungen werden können,
  3. dass letztlich auch die Position der Gewerkschaften geschwächt wird.

Anfragen seitens der AKTIVEN ARBEITSLOSEN an die Gewerkschaft Privatangestellte Druck-Journalismus-Papier (gpa-djp) und die Lebensgewerkschaft (vida) zu deren Position zur äußerst problematischen "Transitarbeitskräfteregelung" blieben bislang unbeantwortet. Ob das damit zu tun hat, dass so mancher Betrieb, der von menschenrechtswidrigen AMS (Arbeitsmarkt-Service)-Zwangsmaßnahmen lebt, als von Partei und Sozialpartnerschaft gilt, stellt sich angesichts des wohl nur die Spitze des Eisbergs darstellenden Skandals um den Bordellbesuch von AMS (Arbeitsmarkt-Service)-Steiermark-Vorstands Karl-Heinz Snobe mit einem befreundeten Auftragnehmer des AMS (Arbeitsmarkt-Service) nun ganz besonders.
Gewerkschaften und Arbeiterkammern (AK) sind in Bundes-, Landes- und regionalen Geschäftsstellen maßgeblich involviert und so politisch mitverantwortlich für die zweifelhaften Firmengeflechte rund ums AMS (Arbeitsmarkt-Service). Das geht voll zu Lasten der Versicherungsgemeinschaft und der Arbeit suchenden ArbeitnehmerInnen, die nach wie vor keine politische Interessensvertretung mit entsprechenden Mitspracherechten haben.

Totgeschwiegen - und Proteste dagegen

Auf eine Mailanfrage der AKTIVEN ARBEITSLOSEN zur Position der Gewerkschaft Privatangestellte Druck-Journalismus-Papier (gpa-djp) und der Lebensgewerkschaft (vida) in Bezug auf die umstrittenen Transitarbeitsplätze war beiden Gewerkschaften nicht einmal die Mühe wert, auf die Anliegen der betroffenen Lohnarbeitslosen einzugehen und zu antworten. Ein Konzept für eine Interessensgemeinschaft für Lohnarbeitslose ArbeitnehmerInnen verstaubt seit über fünf Jahren in der Schulblade der Gewerkschaft Privatangestellte Druck-Journalismus-Papier (gpa-djp). Und vom Österreichischen Gewerkschaftsbund (ÖGB) nach dem BAWAG-Skandal (Verlustgeschäfte der österreichsichen Bank für Arbeit und Wirtschaft AG) versprochenen Pilotprojekt für Arbeitslose ward seither nichts mehr gehört oder gesehen. Auch sonst zeigen die Gewerkschaften wenig Engagement, ihrer Aufgabe als Vertretung aller ArbeitnehmerInnen nachzukommen.
>Daher starteten die AKTIVEN ARBEITSLOSEN eine Protestmailaktion an die Vorstände der Gewerkschaft Privatangestellte Druck-Journalismus-Papier (gpa-djp) und der Lebensgewerkschaft (vida) gegen die Zerstörung von ArbeitnehmerInnenrechte durch die Transitarbeitskräfteregelung in den Kollektivverträgen der Berufsvereinigung von Arbeitgebern für Gesundheits- und Sozialberufe (BAGS-KV) und der Berufsvereinigung der ArbeitgeberInnen privater Bildungseinrichtungen (BABE-KV).

Siehe auch: http://www.aktive-arbeitslose.at

Quelle: Newsletter www.haelfte.ch

Kommentar:

Zweiklassengesellschaft auf dem Arbeitsmarkt

Von Paul Ignaz Vogel

Auch die Schweiz kennt den 2. Arbeitsmarkt seit Einbruch des Neoliberalismus Ende der Neunzigerjahre vorigen Jahrhunderts. Von dann an gab es zwei Kategorien von Arbeitsmärkten, den offenen, freien, tatsächlichen Arbeitsmarkt mit unbefristeten, jederzeit gegenseitig kündbaren Verpflichtungen und geltenden, von den Gewerkschaften erkämpften Gesamtarbeitsverträgen. Und dann den sekundären, sogenannten Arbeitsmarkt, der gar kein Markt mehr ist. Dort gilt das Verordnungs- und Verwaltungsprinzip von staatlichen Arbeitsmarkt-Stellen, welche die Sozialpartnerschaft aufgebrochen und zerstört haben. Menschen in diesem System empfinden nur Unrecht und Schikane. Obschon der Neoliberalismus weniger Staat verkündet, lässt er im Widerspruch zu seinen verkündeten Prinzipien den Staat durch sein Verwaltungssystem die untersten Schichten kontrollieren. Erzwungene Arbeit liegt im Bereich der gesetzlichen Möglichkeiten. Die Menschenrechte lassen grüssen. Die Armut entwickelt sich und die profitierende Armutsindustrie blüht.
In der Schweiz konnte diese Entwicklung vor allem durch die dauernden Verschlechterungen (Revisionen) des Arbeitslosenversicherungsgesetzes durchgesetzt werden. Die staatliche Gesetzgebung band die Sozialpartnerschaft und die Gewerkschaften ein. Diese blieben nicht autonom Handelnde, sondern verkamen zu Vollstreckerinnen einer dauernd rückständigen Parlamentsmehrheit.Und zu neoliberalen, sich gegenseitig mit einem Bonus/Malus-System konkurrenzierenden Playern auf dem Anbietermarkt für die Dienstleistungen der Arbeitslossenkassen. Mit den Erträgen durch die Betriebsführung der Arbeitslosenkassen kann viel Geld in die Gewerkschaftskassen gespült werden. Hilfswerke und den Gewerkschaften nahe stehende Organisationen verdienen ebenfalls Geld, indem sie Beschäftigungsprogramme auf die Beine stellen, für die wiederum Geld aus der Arbeitslosenversicherung fliesst. Mit den dazu benötigten Beschäftigten in Sozialberufen (die natürlich in einem 1. Arbeitsmarkt tätig sind) gewinnen die Gewerkschaften zudem zahlende Mitglieder. Ein Grund mehr, in diesem Spiel mitzumachen.

Die Spaltung der Arbeitnehmerschaft und der ganzen Gesellschaft in ein Oben und ein Unten, in Privilegierte und Benachteiligte, in eine 1. Klasse und eine 2. Klasse ist somit geglückt. Ein gewaltiger Sieg des Neoliberalismus ist Tatsache geworden und das Projekt Ungleichheit triumphiert - auch dank den Gewerkschaften.

Mehr als widersprüchlich erscheinen da die jüngsten Bemühungen des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes, eine Mindestlohninitiative zu lancieren. Die Gewerkschaften bekämpfen ein Lohndumping durch den 2. Arbeitsmarkt, an dessen Verursachung sie selbst erheblich mitverdienen.