Denkanstoß Nr.5

Veröffentlicht in Allgemeines

Gibt es die Hölle wirklich? Kindergedanken zum Jahreswechsel
Kolumne von Gastautor Dieter Carstensen

Kinder können sehr schlaue Fragen stellen, finde ich. Meine Partnerin und ich hatten dieser Tage befreundete Paare zu Besuch und natürlich waren uns auch deren Kinder willkommen, seit meinem Zivildienst in der Kindertagesstätte der Uniklinik Köln 1979/80 liegen mir Kinder eh besonders am Herzen. Es war schön, den quirligen Kindertrubel bei uns in der Wohnung zu haben, sieben kleine Schätzchen zwischen 5 und 8 Jahren, plus die mit uns befreundeten Eltern, da war echt was los bei uns. Die kleine Sandra, 7 Jahre, fragte mich dann: "Dieter, gibt es die Hölle wirklich?"

Ich bin ja viele Fragen von Kindern gewohnt, aus meiner Zivildienstzeit heraus, aber diese Frage hatte mir nie zuvor ein Kind gestellt. Ich war alleine mit den sieben Kindern bei uns in der Küche, die Eltern und meine Partnerin waren in unserem Wohnzimmer und wir haben uns abgewechselt, um nach den Kindern zu schauen.

In dem Moment war ich dran, bin dann fast noch mit meinen großen Füssen, unsere Küche war ein einziges Kinderspielzimmer, über die Holzeisenbahn von dem kleinen Alexander (5 Jahre) gestolpert und dann, welch Drama, ich sehe ja sehr schlecht, habe ich mich auf einen Stuhl setzen wollen, aber leider den Teddybären der kleinen Sonja (7 Jahre) nicht gesehen und mich aus Versehen darauf gesetzt.

Sieben kleine Kinder guckten mich entsetzt an, als wenn ich ein Schwerverbrecher wäre. "Brummi" so heißt der Teddy der kleinen Sonja, musste von mir dann mit Weihnachtskeksen getröstet werden, die natürlich in den kleinen Kinderschnütchen ihr endgültiges Ende fanden und dann saß ich da, mit der liebenswerten kleinen Rasselbande.

Es ging dann um dies und jenes, ich unterhalte mich gerne mit Kindern und Jugendlichen und nehme sie ernst, was viele Erwachsene leider nicht tun und was ich für völlig falsch halte. Was ich an Kindern so mag, ist ihre direkte und offene Art, die nehmen kein Blatt vor den Mund, sie sind noch nicht versaut, wie die meisten Erwachsenen.

Ich hatte uns allen gerade eine große Kanne Kakao heiß gemacht und wollte gerade meinen fünften Keks essen, als die kleine Sandra fragte:

"Dieter, gibt es die Hölle wirklich?"

Ich fragte nach, wie sie das denn meine. Sie meinte, sie wäre mit ihren Eltern in einem Weihnachtsgottesdienst gewesen und der Pfarrer hätte da vom Fegefeuer und der Hölle für alle bösen Menschen gesprochen. Die Augen von sieben Kindern guckten mich an und wollten eine Antwort von mir.

Rausreden oder drum herum reden ging nicht, dazu kenne ich Kinder zu gut.

Zwei der befreundeten Elternpaare leben von Hartz IV, die Eltern von Harald ( 8 Jahre) und die von Susanne ( 7 Jahre). Die Eltern suchen verzweifelt seit Jahren nach Arbeit, finden aber keine Stelle, weil angeblich mit Anfang Vierzig zu alt. An der Qualifikation kann es nicht liegen, da alle vier Elternteile abgeschlossene Gesellen – bzw. sogar Meisterbriefe in ihren erlernten Berufen haben.

Nun stand also die Frage der kleinen Sandra im Raum, ob es die Hölle wirklich gebe?

Mir gingen dabei in Sekundenbruchteilen Bilder von verhungernden Kindern, damals aus meiner eigenen Kindheit, da waren die in den Medien, z.B. in Biafra durch den Kopf, die Bilder von misshandelten und vergewaltigten Frauen überall auf der Welt, die Bilder von unschuldigen Kriegsopfern und vieles mehr.

Mir ging auch die zunehmende Massenverarmung bei uns im Lande durch den Kopf, zumal mir ja klar war, in welch ärmlichen Verhältnissen die kleine Susanne und der kleine Harald aufwachsen müssen.

Natürlich wollte ich die Kinder nicht ängstigen oder erschrecken, aber ich wusste genau, sie wollten von mir eine absolut ehrliche Antwort, ich kenne all die Kinder ja schon fast von der Geburt her, sind die Kinder unserer besten Freundinnen und Freunde.

Soweit ich mich erinnere, habe ich es den Kindern in etwa mit folgenden Worten erklärt, ob es die Hölle gebe:

"Wisst Ihr, das eine ganz schwere Frage, die Ihr mir da gestellt habt und die Antwort fällt mir sehr schwer. Ob es eine Hölle im Jenseits gibt, weiß ich nicht. Glaube ich auch nicht. In dieser Welt können wir uns jeden Tag zwischen gutem Handeln und bösen Handeln entscheiden. Wenn Du Harald der Sandra immer an den Haaren ziehst, dann ist das nicht gut, aber es ist auch nicht böse, aber besser wäre es, das nicht zu tun. Wisst Ihr Kinder, ich denke die Hölle gibt es, hier auf Erden, viele Kinder in Eurem Alter haben weder genug zu essen, noch zu trinken, kein Dach über dem Kopf, manchmal auch keine Eltern mehr, also wenn Ihr mich fragt, für viele Menschen gibt es die Hölle schon in dieser Welt. Aber wir können was dran tun, wenn Ihr Euch so wie um "Brummi" den Teddy, wenn Ihr mal groß seid, um andere Menschen kümmert und sorgt, dann gibt es keine Hölle mehr."

Ich wusste nicht, ob ich die richtigen, kindgerechten Worte gefunden hatte, weil erst mal kein Kind mehr ein Wort sagte, alle guckten auf ihre Spielzeuge und hielten die fest und drückten sie an sich, so dass selbst ich, mit all meiner Erfahrung unsicher wurde. Hatte ich die richtigen Worte für die Kinder gefunden? Hatte ich was falsch gemacht? Ich würde es mir nie verzeihen in meinem Leben, sollte ich mal kleine Kinderseelen gefährden.

Das Schweigen brach dann die süße kleine Susanne:

"Dieter, mein Papi hat keine Arbeit, wir haben kein Geld, für uns ist das die Hölle" und dann stürmte die Kleine auf mich los und wollte unbedingt auf meinem Schoss sitzen und lieb gehabt werden. Ihre Eltern sind sehr enge Freunde von uns, aber über diesen plötzlichen und sehr heftigen Gefühlsausbruch des kleinen Mädchens war selbst ich überrascht.

Und dann erzählten die anderen Kinder, was sie so im Fernsehen sehen, über ihre Ängste, über ihr Mitgefühl mit den Menschen, die sie da in Not leiden sehen und all das, was ihnen so gerade durch den Kopf ging.

Sie kamen spontan auf die Idee, Päckchen an Arme zu schicken und ihr bescheidenes Taschengeld für hungernde Kinder zu spenden, was mich besonders angerührt hat war, als die kleine Sonja ihren Teddybären "Brummi", den sie heiß und innig liebt, wie Kinder das in dem Alter eben tun, für ein anderes Kind ohne Spielsachen hergeben wollte.

Eigentlich sollte ich nur eine halbe Stunde nach den Kindern schauen, aber es wurden über drei Stunden draus und nach und nach kamen auch die Eltern und natürlich meine Partnerin zu uns in die Küche, keiner der Erwachsenen sagte was, sie spürten wohl alle, dass zwischen mir und den Kindern da was ganz Besonderes ab lief.

Absolut süß fand ich, wie die kleine Sandra, die ja die Frage gestellt hatte "Dieter, gibt es die Hölle wirklich?" dann sagte: "Dieter, es gibt also keine Hölle, die Erwachsenen machen die selber, oder?"

Was sollte ich einer Siebenjährigen über so viel kindliche Weisheit noch sagen? Ich habe die Kleine einfach geknuddelt, ihre Mami und ihr Papi waren ja auch mit uns zusammen in der Küche und guckten mich total stolz auf ihre Tochter an. Und sie hatten ein Recht, stolz auf ihre Tochter zu sein, finde ich.

Für meine Partnerin und mich war das Ganze ein sehr versöhnlicher und guter Jahresabschluss, es besteht scheinbar auch in diesen schweren Zeiten noch Hoffnung und aus meiner Sicht liegt diese Hoffnung in unseren Kindern begründet.