Denkanstoß Nr.10

Veröffentlicht in Allgemeines

Sind die Deutschen irre?
Kolumne von Gastautor Dieter Carstensen

“Wie lange lassen wir uns den Irrsinn der Politiker noch gefallen?” wurde ich vor ein paar Tagen in einer Diskussion mit 67 Gymnasiastinnen und Gymnasiasten gefragt. Ein mit mir eng befreundeter Lehrer hatte mich zu der Diskussion eingeladen. Die 16 bis 17 jährigen nahmen kein Blatt vor den Mund, wie Jugendliche halt so sind und sprachen, in ihrer Ausdrucksweise “Klartext”. Ein Satz ist mir besonders in Erinnerung geblieben, den die 17 jährige Sandra, eine hochintelligente junge Schülerin mal so eben “locker” in unsere Diskussionsrunde einwarf: “Sind die Deutschen irre?”

Die jungen Leute sind viel schlauer, als manche Erwachsene meinen, nach zig Jahren praktischer Jugendsozialarbeit glaube ich, mich da ein wenig auszukennen. Sie lesen Bücher, Zeitungen, googlen und sind nicht nur in Internetchats oder so, wie manche “Erwachsene” von Vorurteilen gegen unsere Jugend belastet, meinen.

Scheinbar vergessen die meisten Erwachsenen, wie sie selber mal in dem Alter waren. Ich betrachte Jugendliche immer als junge Erwachsene, nur halt mit weniger Lebenserfahrung, aber Jugendliche haben, so meine Erfahrung sehr hohe Ansprüche an Moral, Ethik, Anstand, Liebe und Ehrlichkeit. Natürlich gibt es auch ein paar schwarze Schafe unter ihnen, aber die gesamte Sozialforschung zu Jugendlichen wird meine Aussagen bestätigen.

Wer mehr zum Thema wissen will, googlen hilft. Hier mal zwei Links zum Thema:

http://www.spiegel.de/schulspiegel/leben/0,1518,717485,00.html

http://www.shell.de/home/content/deu/aboutshell/our_commitment/shell_youth_study/downloads/

Ich finde Jugendliche sind sehr clever und vor allem direkt und offen, weswegen ich ich mich häufig mit Jugendlichen lieber unterhalte, als mit Erwachsenen. Sonst hätte ich auch nicht über zwanzig Jahre praktische Jugendsozialarbeit u.a. bei den Städten Düsseldorf und Velbert machen können, die jungen Menschen spüren ganz genau, ob man sie als Erwachsener ernst nimmt, oder nicht. Daran denken leider viele Erwachsene nicht, sie haben einfach verdrängt, oder vergessen, wie sie selber als Jugendliche waren.

Jugendliche können sehr schlaue Fragen stellen:

In unserer Diskussion ging es z.B. darum, wie es angehen könne, dass man in Deutschland nicht kiffen dürfe, in Holland dagegen schon und warum deutsche Bundeswehrsoldaten in Afghanistan die Opium – und Mohnfelder von Warlords und Drogenbaronen beschützen und warum in Kriegen unschuldigen Zivilisten Bomben auf die Köpfe geworfen werden.

Die Jugendlichen waren total empört, über die Militär- und Politikersprache von den sogenannten “Kollateralschäden”.

Sie meinten, wenn Mitglieder der eigenen Familie bei diesen Leuten ums Leben kämen, weil irgendein Idiot Bomben auf sie drauf schmeißt, obwohl sie niemals anderen Menschen Leid zugefügt haben, würden sie bestimmt nicht mehr von “Kollateralschäden” sprechen. An dem Punkt wurden die Jugendlichen richtig sauer!

Keiner von den 67 anwesenden Jugendlichen will jemals zur Bundeswehr gehen. Zitat: “Wir bringen keine anderen Menschen um”, wie Alexander, 17 Jahre unter dem Beifall aller anderen Mitschülerinnen und Mitschüler sagte. Was mich verblüffte war, dass viele der jungen Menschen links eingestellt waren, die absolute Mehrheit sogar, aber sie sehen keine linke Alternative, die sie ernst nehmen könnten.

Also gehen sie gar nicht wählen, die meisten haben einfach resigniert. Rückzug ins private Glück und den Politikern kein Wort mehr glauben, so haben sie sich geäußert. Wie sagte einst Heinrich Heine? “Denke ich an Deutschland in der Nacht, bin ich um den Schlaf gebracht.”

An den Euro glaubte übrigens nur noch einer von den 67 jungen Leuten, was sie von Banken und Versicherungen halten würden, habe ich dann gefragt.

Das Wort “Gangster” war da noch das harmloseste Wort, was aus den jugendlichen Kehlen kam. Der Rest war so knallhart, dass ich ihn nicht zitieren möchte, aber diese Jugendlichen fühlten sich um ihre Zukunft betrogen und belogen, durch unsere Politik und den Lobbyismus, die viel zu enge Verbindung zwischen Wirtschaft und Politik. Sie meinten, die Schulden müssten sie ja bezahlen, wer sonst?

Sie meinten mehrheitlich auch, dass jeder der rechnen könne und die Nachrichten und Medien verfolgen würde, doch klar sehen könne, dass die USA und die BRD im Prinzip pleite seien und sie hätten nichts gegen Griechenland, die einfachen Menschen dort täten ihnen leid, die wären die Opfer und könnten doch nichts dafür, was die Banken und Politiker dort angerichtet haben.

Es lohnt sich, finde ich, sich mit Jugendlichen ernsthaft zu unterhalten.

Die meisten hielten unser kapitalistisches System in dieser Form für den reinen Irrsinn, in unserer Diskussion. Wie es anders und besser sein könnte, darauf hatten sie auch keine Antworten, als ich nachfragte, hätte ich in dem Alter auch nicht gehabt, was mich aber tief beeindruckt hat, war, wie klar diese jungen Leute erkannt haben, dass es nicht angehen kann, dass auf der Welt Kinder verhungern und anderswo Kinder wegen Fettleibigkeit in Kliniken müssen.

Diese Widersprüche auf dieser Welt erkannten diese jungen Menschen ganz genau und brachten sie exakt auf den Punkt.

Da könnten viele Erwachsene was von lernen, denke ich, wenn sie unserer Jugend mal wirklich ernsthaft zuhören würden.