Lieder, die die Armut schrieb

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Bettler’s Oper von Frieder Claus and Friends hat schon 30 Aufführungen hinter sich

STUTTGART – Mit Musik geht alles besser: Seit Frieder Claus, Armutsexperte der Diakonie, seine Botschaft in Töne fasst, hören ihm die Leute zu. Schon 30 Mal wurde die Bettlers Oper aufgeführt, eine in Melodien und Spielszenen verpackte Anklage gegen die Ignoranz einer Wohlstandsgesellschaft.

Das ist dieses Gefühl von Verunsicherung. Soll man nun etwas geben oder nicht? Man schweigt, schaut weg, greift nach dem Geldbeutel, lässt ihn schließlich stecken, murmelt irgendetwas Belangloses vor sich hin. Eine blöde Situation.
Der Bettler ist kein richtiger Bettler, sondern ein Schauspieler. Irgendwie hat er es geschafft, dem Publikum auf die Pelle zu rücken. Für einen Moment ein schlechtes Gewissen zu erzeugen. Mit seinem alten abgewetzten Mantel, grimmigen Blick und drohend nach oben gerichteten Stock vergessen zu machen, dass hier gerade ein Stück gespielt wird.
Es ist ein Stück aus dem richtigen Leben. Aus dem Leben derer, die ganz unten sind. Die einmal Nachbarn waren und nun irgendwo anders hausen. Die Hartz-IV nicht zum Spaß in der Fastenzeit ausprobieren, sondern davon leben müssen.
Wie oft hat Frieder Claus schon von ihnen erzählt. Vorträge über sie gehalten, erschreckende Statistiken gezeigt. Doch nur wenige haben zugehört. Irgendwann hatte der 59-Jährige genug und schlug andere Töne an. Schrille Töne und harmonische, eingängige und kantige. Melodien zum Mitklatschen und zum Zuhören. Die Bettlers Oper war geboren. Frieder Claus ist Autor und Komponist vieler ihrer Lieder. In seinem beruflichen Leben leitet er das Armutsreferat, kümmert sich um Wohnungslose, manche nennen ihn auch den Armutsexperten der Diakonie. Das freilich hätte nicht gereicht, um ein neunzigminütiges Stück auf die Bühne zu bringen, das mitreißt, spannend und professionell gemacht ist.
Da traf es sich gut, dass Claus schon immer ein Musiker war. Seit den späten sechziger Jahren in Bands spielte, Melodien und Texte schrieb. Und dass er Freunde hatte, musikalische Freunde: Wie den Oboenspieler und Methodistenpastor Markus Bauder oder den Schlagzeuger und Musiklehrer Joachim Fuchs-Charrier. Die Sängerin Nausika McAnally oder den Gitarristen Jörg Heinkel. Die beiden letzteren sind erst seit kurzem, die beiden ersteren von Anfang an dabei.

Zur Anfangsbesetzung gehören auch Ralf Brenner, Geschäftsführer einer Wohnungslosenhilfe, der den gestrandeten Bruder Tack gibt und Michaela Zimmermann, Theaterpädagogin, die eine schwangere Hartz-IV-Empfängerin spielt. Den grimmigen Bettler mimt Frieder Claus selbst, den Bettler und den virtuosen Keyboard-Spieler und den, der nach allem schaut, damit es endlich losgehen kann.
Es ist viel los auf der Bühne, ein schneller Wechsel von Szenen, die mal gesprochen, dann gesungen, aufwühlend oder meditativ sind. Das Vaterunser wird zur interaktiven Spielszene und eine erschreckende Abfolge von Elendsbildern zur Illustration von Statistiken der schreienden Ungerechtigkeit. „Bei der Geburt sind alle Menschen gleich, aber nur dann,“ höhnt Bruder Tack ins Publikum hinein und das Wort „Scheiße“ kommt allen Beteiligten mit Leichtigkeit über die Lippen. In einem furiosen Höhepunkt des Programms tanzen die Akteure eine Modenschau mit den abgetragenen Klamotten der Rot-Kreuz-Kleiderkammer, ein wild gestikulierender Haufen, der irgendwie entschlossen wirkt.
Es ist die Entschlossenheit, sich nicht abzufinden, aufzumucken, laut zu geben, die, die die passiv sind, wachzurütteln. Das scheint tatsächlich zu funktionieren: Wo früher nur ein paar saßen, hören nun zwischen 100 und 600 Menschen zu. Sie wirken mitunter nachdenklich oder verunsichert, doch darüber hinaus auch stets gut unterhalten: Das Lied „Ich wär so gern ein Teuro“ ist eine ebenso hübsche Mitsing- und Mitklatschnummer wie der Abschlusssong „Jeder Tag“.
Runde 30 Mal war die Bettlers Oper schon auf der Bühne. Bei Kirchengemeinden, sozialen Einrichtungen, als Aufhänger für Podiumsdiskussionen. Ihre Vorbilder hat sie in der „Beggar’s Opera“ von John Gay aus dem 18. Jahrhundert und der Dreigroschenoper von Brecht aus dem Jahre 1928. Von seiner aktuellen Brisanz hat das Arm-Reich- Thema bis auf den heutigen Tag nichts verloren.

Kontakt zu Frieder Claus:

Tel. 07146/ 4981

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Bettlers Oper: Armut als falsch verteilter Reichtum