Ja, Armut ist politisch gewollt

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Debatte über Armut in Deutschland

Von Katrin Brand, WDR, ARD-Hauptstadtstudio

"Armut ist politisch gewollt", hat die Nationale Armutskonferenz heute behauptet. Ein starker Satz, eine kalkulierte Provokation, aber stimmt es auch?

Armut ist zunächst einmal Definitionssache. Als armutsgefährdet gilt, wer weniger als 60 Prozent des Durchschnittseinkommens zur Verfügung hat, also derzeit weniger als 950 Euro. Jeder Student ist demnach arm. Er wird sich aber nicht so fühlen, weil er hoffen kann, nach dem Studium gut zu verdienen.

Auch die bald acht Millionen Menschen, die Hartz IV benötigen, werden nicht allesamt ewig in dieser Lage verharren. Wer weiß, vielleicht findet sich bald ein gut bezahlter Job. Wer aber Vollzeit arbeitet und dennoch den Staat um Aufstockung bitten muss, dem kommt die Hoffnung auf bessere Zeiten womöglich abhanden. Wer gerne arbeiten möchte, aber nicht weiß, wohin mit den Kindern, dem fehlt ebenfalls die Perspektive und seinen Kindern erst recht. Wessen Ehe zerbricht, wer krank wird, wem die Wohnung gekündigt wird, der verliert womöglich den Anschluss und rutscht ab.

Staat kann und muss Rahmen setzen

Armut hat also womöglich etwas mit Hoffnungslosigkeit, mit Mangel an Chancen oder auch nur mit Pech zu tun. Ist dafür der Staat verantwortlich? Nein und ja. Nein, denn natürlich ist jeder für sein Leben verantwortlich. Ja, denn der Staat muss den Rahmen dafür setzen, dass jeder für sein Leben sorgen kann. Gegen Hungerlöhne kann er Mindestlöhne setzen. Mit Krippen, Kitas und Ganztagsschulen fördert er die Kinder und entlastet die Eltern. Und denen, die gerade arm dran sind, erspart er mit einem anständigen Hartz-IV-Satz das Gefühl, nichts wert zu sein.

Wer heute trotz Arbeit arm ist, wird im Alter noch weniger haben. Und deshalb muss sich der Staat von heute vor allem der Jugend von heute annehmen. Jeder Teenie mit Lehrstelle ist eine Hoffnung mehr.

Regierung verzettelt sich

Die Bundesregierung geht keines dieser Themen mit dem nötigen Ehrgeiz an. Sie verzettelt sich in Diskussionen über Zuschussrente, Betreuungsgeld und Lohnuntergrenzen und kneift beim Hartz-IV-Satz das Portemonnaie zusammen.

Die Bundesregierung kann die Armut nicht abschaffen. Sie kann aber an vielen Stellschrauben drehen und die Chancen der Menschen verbessern. Wenn sie es nicht tut, nimmt sie Armut hin. Auch etwas hinzunehmen, ist eine politische Handlung. Also stimmt es. Ja, Armut ist in Deutschland politisch gewollt.