Zweierlei Blicke auf die Armut

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Dieses Thema beschäftigt viele: Wie groß ist die Armut in Deutschland? Eigentlich soll die Regierung alle vier Jahre dazu einen Bericht vorlegen. Doch die Koalition kann sich nicht auf eine endgültige Fassung einigen. Die Opposition will sie deshalb heute im Bundestag zur Rede stellen.

Von Anita Fünffinger, BR, ARD-Hauptstadtstudio

Wie steht es um die Einkommensverteilung in Deutschland? Wie viel Geld haben die Reichen? Wie viel die Armen? Stimmt die Balance noch? Diese Fragen muss die Bundesregierung einmal in vier Jahren beantworten und ihre Schlüsse daraus ziehen. Diesmal befand das Arbeitsministerium von Ursula von der Leyen: Nein, die Balance stimmt nicht mehr. Die Schere geht auseinander. Das Ministerium versah es gleich mit dem Verweis, dies müsse geändert werden.

Kabinettskollege Philipp Rösler konnte nicht fassen, was er da las: "Im Armuts- und Reichtumsbericht der Kollegin Bundesarbeitsministerin klingt es ein bisschen an, dass Umverteilungen wieder stärker ins Gespräch gebracht werden sollen: Höhere Steuern und höhere Abgaben. Ich halte das ausdrücklich für falsch."

Weil der Wirtschaftsminister von der FDP das für falsch hielt, nahm er sich den Bericht selbst vor. Das darf er auch. Denn schließlich befand sich der umfangreiche Bericht zu dem Zeitpunkt im Herbst in der so genannten Ressortabstimmung. Jedes Ministerium geht noch einmal drüber und macht seine eigenen Anmerkungen, oder streicht wie Rösler Passagen heraus wie diese: "Eine solche Einkommensentwicklung verletzt das Gerechtigkeitsempfinden der Bevölkerung und kann den gesellschaftlichen Zusammenhalt gefährden."

Opposition: Rösler klammert die Realität aus

Was fällt dem eigentlich ein, empörte sich die Opposition. Ressortabstimmung gut und recht, das ist bei jedem Gesetz so. Aber Realitäten auszuklammern, das ging zum Beispiel Hubertus Heil und Andrea Nahles von der SPD zu weit: "Wir haben hier eine Situation, wo arm und reich immer weiter auseinandergehen, wo es Armutslöhne gibt, wo wir im Grunde auch Armutsrenten zu erwarten haben. Das wird durch das weg-x-en mit Tippex dieser Realität am Ende nichts besser", so Nahles.

"Ich finde es einen skandalösen Vorgang, dass Frau Merkel zulässt, dass Philipp Rösler einen Bericht der Bundesregierung offensichtlich schönt und fälscht oder frisiert. Das sagt etwas aus über die moralische Verkommenheit der schwarz-gelben Bundesregierung", urteilte Heil.

Der Bericht lässt auf sich warten

Rösler aber blieb dabei. Er brachte sogar seine Kabinettskollegen dazu, fürs Erste seinem korrigierten Entwurf und nicht dem von der Leyens zu folgen. "Wir haben noch einmal deutlich die Zahlen auf den Tisch gelegt und gesagt, dass die Einkommensentwicklung besser geworden ist. Wir haben deutlich mehr sozialversicherungspflichtige Beschäftigte. Deswegen habe ich gesagt, wir müssen die Wirklichkeit schon abbilden. Darüber haben wir diskutiert und dann nochmals gemeinsam entschieden, nicht nur Frau von der Leyen, sondern auch das Wirtschaftsministerium."

Das war Ende November. Eigentlich sollte der Bericht dann zu Beginn des Jahres veröffentlicht werden. Aber dies lässt immer noch auf sich warten. Die Verabschiedung im Kabinett ist nun auf Anfang März terminiert. Noch immer gibt es keine einheitliche Position in der Bundesregierung. Regierungssprecher Steffen Seibert versucht dagegen weiterhin, das gegenseitige Korrigieren als normale Ressortabstimmung zu verkaufen: "Im Rahmen dieser verschiedenen Etappen verändern sich Texte. Was Sie aber ganz sicherlich annehmen können, ist, dass ein realistischer Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung herauskommt."

Das will sich die Opposition aber nicht mehr bieten lassen. Selbst wenn der Bericht immer noch nicht vorliegt, will sie heute im Parlament wissen, wie denn nun genau die Bundesregierung die soziale Lage beurteilt. Wie die zuständigen Minister das sehen, werden die Abgeordneten übrigens nicht erfahren. Denn weder Rösler noch von der Leyen stehen auf der Rednerliste.

Quelle: tagesschau.de vom 24.02.2013