Berichterstattung über Armut und Reichtum

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Bundestagsrede von Markus Kurth | 21.03.2013

Der 4. Armuts- und Reichtumsbericht, den das Kabinett vor zwei Wochen verabschiedet hat, hat schon Monate vor seiner Verabschiedung einen Sturm der Entrüstung ausgelöst. Die methodische Anlage weicht von den vorherigen Berichten ab, das Datenmaterial wurde ausgesprochen selektiv berücksichtigt, und zu guter Letzt wurden kritische Wertungen auf Betreiben des Wirtschaftsministers aus dem Bericht gestrichen. Der Bericht der Bundesregierung gibt daher keine adäquate Auskunft über die Verteilung von Armut und Reichtum und wird damit seiner Funktion nicht gerecht. Das – so weit teile ich die Kritik der Fraktion Die Linke – ist ein unguter Zustand, vor allem weil die Bundesregierung im Vorfeld der Verabschiedung von Experten, Fachverbänden und Sozialverbänden zu Korrekturen aufgefordert worden war. Die Chance zu Nachbesserungen bestand und wurde schlicht vergeben.

Vor diesem Hintergrund scheint die Forderung der Linken, die Berichterstattung zukünftig durch eine -unabhängige Kommission sicherzustellen, zunächst plausibel. Es lohnt jedoch, sich den ersten Beschluss des Gesetzgebers zur Erstellung des Armuts- und Reichtumsberichts in Erinnerung zu rufen. Dann erkennt man, dass eine solche Auslagerung politisch das falsche Signal setzt.

Als die Erstellung des Armuts- und Reichtumsberichts 1999 beschlossen wurde, waren die Anforderungen an diesen Bericht, sein Zweck und damit die -Aufgabe der Bundesregierung eindeutig formuliert. Im Antrag, Bundestagsdrucksache 14/999, heißt es unmissverständlich, dass die Berichterstellung folgende Anforderungen erfüllen solle: „(1) Die Analyse von Armut und Reichtum muß in die Analyse der gesamten Verteilung von Einkommen und Lebenslagen eingebettet sein. Armuts- und Reichtumsberichterstattung benötigen eine qualifizierte Datengrundlage. (2) Die Berichterstattung muß der Komplexität und Vielschichtigkeit von Armut und Reichtum Rechnung tragen. Sie muß über individuelle und kollektive Lebenslagen Aufschluß geben. In dem Bericht sollte auch der Frage nachgegangen werden, in welcher Form und in welchem Umfang Arme selbstbestimmt und eigenverantwortlich handeln können. Der Bericht sollte besondere Problemgruppen gesondert berücksichtigen. (3) Die Berichterstattung muß die Ursachen von Armut und Reichtum darlegen. (4) Der empirische Teil des Berichts soll unter verbindlicher Beteiligung von Armuts- und Reichtumsforschern unter Federführung des Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung erstellt werden. Er kann auf die Erfahrungen aufbauen, welche bei der Berichterstattung in den Kommunen und Ländern gewonnen wurden. Darüber hinaus sollte ein internationaler Vergleich ermöglicht werden. Die Erstellung des Berichts soll von einem Beratungsprozeß begleitet werden, an dem alle Organisationen und Verbände beteiligt werden, die sich mit dem Thema befassen. Der Bericht soll grundlegende gesellschaftliche Perspektiven und politische Instrumentarien zur Vermeidung und Bekämpfung von Armut entwickeln. Die regelmäßige Berichterstattung hat die Aufgabe, die Wirkungsweise und Effizienz dieser Instrumente darzulegen.“

Das Problem ist also nicht, dass die Anforderungen an den Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung unzureichend wären, sondern dass die schwarz-gelbe Bundesregierung diese schlicht ignoriert hat. Und ich möchte unterstreichen: Der damalige Gesetzgeber konnte sich nicht vorstellen, dass eine Bundesregierung die ihr übertragene Aufgabe ebenso absichtsvoll wie deutlich verfehlen würde.

Aber auch wenn die schwarz-gelbe Bundesregierung an dieser Stelle einen Negativpräzedenzfall geschaffen hat, ist das kein Grund, das Kind mit dem Bade auszuschütten. So richtig die Forderung nach einem objektiven Bericht ist, so wichtig ist die Funktion des Armuts- und Reichtumsberichts. Natürlich soll er einen Sachstandsbericht liefern. Vor allem aber ist er ein sozialpolitischer Rechenschaftsbericht. Es geht darum, dass die Bundesregierung das Thema „Armut“ auf der Agenda hat – und zwar über die gesamte Legislaturperiode – und dass sie geeignete Maßnahmen ergreift, um Armut zu beseitigen. Das aber setzt eine ehrliche Auseinandersetzung voraus. Darum ist der Armuts- und Reichtumsbericht für den politischen Gestaltungsprozess einer Bundesregierung von unmittelbarer Bedeutung, und genau diese Aufgabe kann eine rein wissenschaftliche Aufarbeitung des Themas durch eine unabhängige Kommission nicht leisten.

Und noch eines: Wenn man sich die wissenschaft-lichen Publikationen zum Thema anschaut, dann fällt auf, dass ihre Anzahl nach 2001 sprunghaft ansteigt. Ich darf daran erinnern: 2001 wurde der 1. Armuts- und Reichtumsbericht von der damals rot-grünen Bundesregierung veröffentlicht. Dieser Bericht hat eine Diskussion über Armut und Reichtum angestoßen, und zwar über den Deutschen Bundestag hinaus. Inzwischen legen auch die Länder Armuts- und Reichtumsberichte vor. 2010 war das Europäische Jahr gegen Armut und soziale Ausgrenzung. Dass Gewerkschaften, Sozialverbände und auch die Wissenschaft den diesjährigen Bericht der schwarz-gelben Bundesregierung so vehement kritisiert haben, zeigt für mich vor allem eines: dass das Thema „Armut und Reichtum“ gesamtgesellschaftlich präsent ist. Der Armuts- und Reichtumsbericht einer Bundesregierung leistet dazu einen wichtigen Beitrag und sollte zugleich ein politisches Aushängeschild sein. An der Art und Weise, wie dieser Bericht verfasst wird, lässt sich gut ablesen, wie ernst eine Regierung dieses Thema nimmt.

Aus diesen Gründen können wir einer Übertragung der Berichterstattung auf eine unabhängige Kommission, so wie es die Linke fordert, nicht zustimmen. Für uns Grüne gehört der Armuts- und Reichtumsbericht in den Verantwortungsbereich der Bundesregierung, und aus dieser Verantwortung sollte sie auch nicht entlassen werden