Serie - Teil 4: Hartz IV verstößt gegen internationales und nationales Recht

Veröffentlicht in Allgemeines

4. Hartz IV verletzt das Verbot von Sklaverei und Zwangsarbeit

Auch wenn sich deutsche Gerichte bislang beharrlich weigern, die Pflicht zur Aufnahme jeder „zumutbaren Arbeit“ und die damit verbundene massenhafte Rekrutierung von Erwerbslosen in prekäre Beschäftigungsformen als unzulässig zu werten, stehen doch höhere Rechte wie das Völkerrecht, die Menschenrechte und das Grundgesetz eindeutig dagegen.

4.1. Jede Arbeit grundsätzlich zumutbar?

Zu dieser Frage bezieht das Bundesministerium für Arbeit und Soziales auf seiner „Informationsplattform SGBII – Jobcenter“ eindeutig Stellung: „Arbeit ist grundsätzlich zumutbar, wenn der Hilfebedürftige dazu geistig, seelisch und körperlich in der Lage ist. Niemand darf einen Job ablehnen, weil er nicht der Ausbildung entspricht, der Arbeitsort weiter entfernt ist als der frühere oder weil die Bedingungen subjektiv ungünstig scheinen. Auch eine Entlohnung unterhalb des Tariflohns oder des ortsüblichen Entgelts ist nicht von vornherein Grund zur Ablehnung. Nicht zumutbar sind aber Arbeiten, die gegen die guten Sitten verstoßen, z.B. weil die Bezahlung mehr als 30 Prozent unter dem ortsüblichen Entgelt liegt. Nicht zumutbar sind auch Tätigkeiten, die die Rückkehr in den früher ausgeübten Beruf erschweren, die Pflege eines Angehörigen behindern oder die Erziehung eines Kindes gefährden. Nicht gefährdet ist die Erziehung von Kindern ab drei Jahren, die in einer Tageseinrichtung oder auf sonstige Weise betreut werden.“1

Selbstredend stellt dieser Zwang zur Aufnahme „zumutbarer Arbeit“ schon nach dem Geiste des Gesetzes einen massiven Eingriff in die Persönlichkeitsrechte der Leistungsberechtigten dar. Ihnen wird nicht nur das Recht auf eine freie Lebensplanung genommen, sondern auch das Recht der freien Berufswahl und das Anrecht auf eine angemessene Entlohnung. Insbesondere das Diktat zu prekärer Beschäftigung – das sich bei Weigerung in der „Bestrafung“, also dem Entzug jeglicher Existensgrundlage durch angedrohte und tatsächlich verfügte Sanktionen manifestiert – kommt der Heranziehung zur Sklaverei und Zwangsarbeit gleich.2

4.2. Eindeutiges Verbot der Zwangs- und Pflichtarbeit

Als Zwangsarbeit wird eine Arbeit bezeichnet, zu der ein Mensch unter Androhung einer Strafe oder eines sonstigen empfindlichen Übels gegen seinen Willen gezwungen wird. Sie ist – mit verschwimmenden Übergängen – die schärfste Form der Arbeitspflicht. (3)

Die Internationale Arbeitsorganisation (ILO)4 definierte 1930 in Art. 2 Abs. 1 des Übereinkommens über Zwangs- und Pflichtarbeit die Zwangsarbeit als unfreiwillige Arbeit oder Dienstleistung, die unter Androhung einer Strafe ausgeübt wird. Nicht dazu gehören laut Abs. 2 des Übereinkommen: Militärdienst, übliche Bürgerpflichten, Arbeit im Strafvollzug, notwendige Arbeit in Fällen höherer Gewalt und Arbeit, die dem unmittelbaren Wohl der Gemeinschaft dient.5 Die ILO verbietet den Einsatz von Zwangsarbeit

  • als Methode der Rekrutierung und Verwendung von Arbeitskräften für Zwecke der wirtschaftlichen Entwicklung;
  • als Maßnahme der Arbeitsdisziplin;
  • als Maßnahme rassischer, sozialer, nationaler oder religiöser Diskriminierung.

Über 90% der Vermittlungen durch die Jobcenter münden in prekärer Beschäftigung (Leiharbeit, Mini-Jobs u.ä.) oder gar in Zwangsmaßnahmen wie Bewerbungstrainings oder sogenannten Arbeitsgelegenheiten. Keiner der Zwangsverpflichteten nimmt derartige Arbeiten freiwillig auf, allenfalls sind es die blanke Not und die schiere Panik vor o.g. Bestrafungen, die die Menschen dazu treibt!

4.3. Bundesregierung: Weiter so, trotz Rüge der Vereinten Nationen

Eine klare Rüge, verbunden mit einer eindeutigen Aufforderung zur Einhaltung der Völker- und der Menschenrechte handelte sich deshalb die Bundesregierung bereits im Mai 2011 durch den „Ausschuss für soziale, wirtschaftliche und kulturelle Rechte bei den Vereinten Nationen (UN)“ ein. In dessen Protokoll der 46. Sitzung heißt es wörtlich: „Der Ausschuss stellt mit Besorgnis fest, dass Regelungen im Rahmen der Arbeitslosen- und Sozialhilfe des Vertragsstaates (der BRD, n.w.) – einschließlich der Verpflichtung für Empfänger von Arbeitslosengeld, “jede zumutbare Arbeit” anzunehmen, was in der Praxis fast als jede Arbeit interpretiert werden kann – sowie der Einsatz von Langzeitarbeitslosen zu unbezahlter gemeinnütziger Arbeit, zu Vertragsverletzungen in Art. 6 und 7 führen könnten. (Art. 6, 7 und 97)“8 Und weiter heißt es dort: „Der Ausschuss fordert den Vertragsstaat dazu auf, sicherzustellen, dass seine Systeme zur Arbeitslosenhilfe die Rechte des Individuums zur freien Annahme einer Beschäftigung seiner oder ihrer Wahl ebnen.“9

4.4. Nie wieder?

Einmal mehr wird mit dem SGB II also höheres Recht gebrochen, vorsätzlich und gezielt durch nationale Normierungen erzwungen, die nach internationalem (höherem!) Recht keine Gesetze sein dürfen. So verbietet schon die „Allgemeine Erklärung der Menschenrechte“ aus dem Jahre 1947 im Artikel 4 die Sklaverei und Leibeigenschaft.10 Auch die Europäische Menschenrechtskonvention verbietet Sklavenarbeit und Leibeigenschaft und untersagt jede Zwangs- und Pflichtarbeit.11

Aber selbst nationales Recht ist das Papier nicht wert, auf dem es steht. Auch das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland (GG) garantiert die uneingeschränkte Berufsfreiheit und verbietet jede Form der Zwangsarbeit.12 Warum es schon wieder deutsche Gerichte sind, die trotz der leidvollen Erfahrungen mit der Nazi-Diktatur beharrlich das Völkerrecht ignorieren, erschließt sich wohl allein der Logik der „rechtsprechenden“ Richterinnen und Richter.

© Norbert Wiersbin (2013)

Historie:

Teil 1 http://norbertwiersbin.de/serie-hartz-iv-verstost-gegen-internationales-und-nationales-recht/

Teil 2 http://norbertwiersbin.de/teil-2-hartz-iv-verstost-gegen-internationales-und-nationales-recht/

Teil 3 http://norbertwiersbin.de/teil-3-hartz-iv-verstost-gegen-internationales-und-nationales-recht/