Erstes VAMV-Forum: Teilhabe zum Abholen – was bringt das Bildungspaket?

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Das Forum zum Bildungs- und Teilhabepaket ist die erste Veranstaltung in dieser Form, die der VAMV-Landesverband durchführte. Laut Beschluss der letzten Landesdelegiertenversammlung sollen Foren zukünftig die bisherigen so genannten erweiterten Vorstandssitzungen ersetzen. Dem Verband war es wichtig, ein unbürokratisches Gremium zu schaffen und über aktuelle Schwerpunktthemen mit Praktikerinnen und Praktikern ins Gespräch zu kommen. Die Ergebnisse der Diskussion sollen als Handlungsempfehlungen an die politisch Verantwortlichen transportiert werden. Ein Anliegen war es auch, die Veranstaltung entsprechend in der Verbandszeitschrift zu dokumentieren.

Als Gäste hatte der Verband Vertreterinnen und Vertreter derjenigen Institutionen eingeladen, die mit dem Bildungs- und Teilhabepaket im Alltag konfrontiert werden. Das sind unter anderem Jobcenter, Sportvereine, Betroffenenverbände, Schulen, Nachhilfeeinrichtungen, Gewerkschaften.
Darüber hinaus waren bei diesem Forum neben dem Vorstand auch VAMV-Mitglieder anwesend, die aus ihrer persönlichen Erfahrung mit dem Bildungs- und Teilhabepaket berichten konnten. Nach den Vorträgen der Expertinnen und Experten wurden im gemeinsamen Gespräch konkrete Verbesserungsvorschläge und Handlungsempfehlungen entwickelt, die im Folgenden dargestellt werden.

Abschaffen oder Nachbessern?

Neben der allgemeinen Kritik am Bildungs- und Teilhabepaket als zu bürokratisch, zu willkürlich und finanziell nicht ausreichend stellte sich in der Diskussion um seine Auswirkungen eine zentrale Frage: Ist es nicht sinnvoller das Gesetz grundsätzlich abzuschaffen als sich für eine „kleine“ Lösung einzusetzen, die den Umgang mit der gesetzlichen Vorlage erleichtert und das Bestmögliche für die Betroffenen erreicht? Die Antwort auf diese Frage lautete:
Auf Landesebene und auf kommunaler Ebene muss sich der Verband für die pragmatische Möglichkeit einsetzen – auf Bundesebene müssen die Lobbyverbände vehement für eine Abschaffung des Gesetzes und einen grundsätzlichen Perspektivenwechsel kämpfen, denn das Bildungs- und Teilhabepaket trägt definitiv nicht zu mehr Bildungsgerechtigkeit bei. Statt vereinzelter individueller Leistungen auf Antrag für Kinder, deren Eltern ALG-II Bezieher sind, muss Schule als Institution so gefördert werden, dass alle Kinder, gleich welcher Herkunft, gleiche Chancen und gleiche Möglichkeiten der Teilhabe haben. Gleichzeitig brauchen Kinder eine eigenständige Existenzsicherung, sei es nun ein Existenz sichernder Regelsatz oder eine staatliche einkommensunabhängige Kindergrundsicherung in Höhe von 500 Euro, die viele Verbände schon seit langem fordern.

Doch bis dieses Ziel erreicht ist, brauchen diejenigen, die sich für Chancengleichheit von Kindern einsetzen, noch einen langen Atem.

Gesellschaftliche Auswirkungen

Im Verlaufe der Diskussion wurde deutlich, dass das Bildungs- und Teilhabepaket vom Ansatz her impliziert, dass Eltern, die am Rande des Existenzminimums leben und auf staatliche Transferleistungen angewiesen sind, unter Generalverdacht gestellt werden, sie könnten nicht richtig für ihre Kinder sorgen. Deshalb dürfe man ihnen das Geld nicht in die Hand geben. Derartige pauschalen Vorurteile sind diffarmierend und führen zur gesellschaftlichen Spaltung. Sind arme Eltern gleichzeitig schlechte Eltern? Die Spaltung verläuft darüber hinaus zwischen ALG-Empfänger/innen und berufstätigen Eltern, deren Einkommen gerade so über dem Existenzminimum liegt. Es ist kaum vermittelbar, dass deren Kinder keine Leistungen aus dem Bildungs- und Teilhabepaket erhalten.

Mehr Flexibilität statt restriktiver Vorgaben

Aus den Beiträgen der Expertinnen und Experten ging eindeutig hervor, dass das Gesetz viele Vorgaben enthält, die restriktiv sind und daher verändert werden müssen. Dazu gehören vor allem:

  • Die Abschaffung der starren Altersgrenze von 18 Jahren
  • Ein präventiveres Verständnis von Lernförderung. Diese darf nicht an Versetzung gekoppelt sein und muss früher ansetzen können. Grundsätzlich gehört Lernförderung an die Schulen, weil sie dort am direktesten und effektivsten umgesetzt werden kann. 
  • Die Ausweitung des Kulturbegriffs – Teilhabe drückt sich nicht nur in Sportvereinen und Geigenunterricht aus, sondern darin, ob Kinder sich adäquat und gleichberechtigt in ihren Peer-groups bewegen können
  • Die Ausweitung der Förderung auf mehrtägige Schulveranstaltungen statt Beschränkung auf Klassenfahrten nach schulrechtlichen Bestimmungen
  • Eine Kostenerstattung für Vorleistungen, die nachgewiesen werden
  • Die Ermöglichung rückwirkender Antragstellung für die Teilhabe am sozialen und kulturellen Leben

Kostenlose Schulmahlzeiten für alle Kinder

Die Eigenbeteiligung beim Mittagessen in den Schulen muss abgeschafft werden – die negativen Auswirkungen der jetzigen Regelung werden in vielen Gesprächen mit Betroffenen und Schulen deutlich. So werden Kinder beispielsweise vom Mittagessen abgemeldet, weil ihre Eltern nicht in der Lage sind, den entsprechenden Antrag zu stellen. Oder noch schlimmer: sie stehen an der Essensausgabe Schlange und erhalten kein Mittagessen.

Bürokratieabbau

Die Anträge auf das Bildungs- und Teilhabepaket müssen vereinfacht werden. Grundsätzlich sollte gleichzeitig mit dem Antrag auf ALG-II Leistungen auch der Antrag auf das Bildungs- und Teilhabepaket verknüpft sein, um alle Betroffenen zu erreichen und bürokratische Hindernisse abzubauen. Das würde auch deutlich machen, dass das Bildungs- und Teilhabepaket zu den ALG-II Leistungen gehört und ein automatischer Anspruch besteht. Bei den derzeitigen Bedingungen schreckt der Arbeitsaufwand viele Eltern ab, weil sie eh schon zermürbt sind und oft die Initiative für eine komplizierte Antragstellung nicht aufbringen können.

Gezielte und offensive Informationspolitik

Informationswirrwarr und Intransparenz in Bezug auf das Bildungs- und Teilhabepaket müssen beendet werden. Dazu gehören auch einheitliche Regelungen in den Kommunen und den zuständigen Behörden (Jobcenter, Sozialämter, Kindergeldstellen). Das erfordert einheitliche Vorgaben seitens der zuständigen Bundes- und Länderministerien. Die Jobcenter müssen aktiv auf die ALG-II Empfänger/ innen zugehen und über das Bildungs- und Teilhabepaket informieren. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Jobcenter müssen entsprechend qualifiziert werden. Anträge müssen unbürokratisch und vor allem zeitnah bearbeitet und bewilligt werden. Es darf grundsätzlich nicht von der Art des Engagements einzelner Behörden abhängig sein, wie und wann betroffene Eltern von den Möglichkeiten des Bildungs- und Teilhabepakets erfahren und wie erfolgreich seine Möglichkeiten umgesetzt werden.

Kommunen könnten beispielsweise einen „Bildungsangebotsführer“ mit allen Angeboten der jeweiligen Kommune erarbeiten und diesen über Jobcenter und Schulen allen betreffenden Eltern zugänglich machen. Das von der Bundesregierung erarbeitete Informationsmaterial ist weitgehend unbekannt – wenn es einen Sinn haben soll, dann müssten die Flyer und Broschüren flächendeckend verbreitet werden.

Mehr Vernetzung

Vereine, Bildungsträger und Jobcenter müssen sich regional vernetzen und gemeinsame Ideen entwickeln, a) zur Verbesserung der Abläufe vor Ort und b) für Projekte, die aus Mitteln des Bildungspakets gefördert werden können. Viele Mittel aus 2011 warten noch auf ihre Abrufung – hier ist die Kreativität der Organisationen gefordert. Den Kommunen kommt bei dieser Vernetzung eine zentrale Rolle zu – sie haben Koordinierungsfunktion und müssen dafür sorgen, dass die Umsetzung des Bildungsund Teilhabepakets vor Ort möglichst optimal gelingt. Grundsätzlich gilt also: Den Kopf in den Sand zu stecken angesichts des bürokratischen Ungetüms eines Bildungsund Teilhabepakets gilt nicht. Sämtliche Interessenverbände müssen sich für eine Verbesserung einsetzen, auch die Forderung nach Erhöhung der Beträge für die Betroffenen muss immer wieder erhoben werden. Die Chancen, die sich im Bildungs- und Teilhabepaket verstecken, müssen vor Ort in einer gemeinsamen Anstrengung aller Akteurinnen und Akteure genutzt und phantasievoll umgesetzt werden.