6. Treffen von Menschen mit Armutserfahrung -Dokumentation-

Veröffentlicht in Allgemeines

Einführung

Das sechste Treffen von Menschen mit Armutserfahrung hat sich mit über 100 Teilnehmenden inzwischen etabliert. Das Treffen wird als Möglichkeit zum Austausch, zur Vernetzung, zur Information über die Hauptthemen und zur politischen Weiterbildung genutzt.

Es ist in der Tradition der Europäischen Treffen von Menschen mit Armutserfahrung eine Plattform, die Partizipation nicht als Anspruch sondern als gelebte Wirklichkeit umsetzt.

In diesem Jahr konnten leider nicht alle Anmeldungen berücksichtigt werden, da die zur Verfügung stehenden finanziellen Mittel nicht ausreichten.

Nur durch die geduldigen und intensiven Verhandlungen von Frau Schmidt, der Geschäftsführerin der Nationalen Armutskonferenz, gelang es überhaupt die Veranstaltung durchzuführen. Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales wollte die Mittel auf das Budget in den Jahren vor dem Europäischen Jahr gegen Armut und soziale Ausgrenzung begrenzen, welches die Absage des Treffens zur Folge gehabt hätte.

Frau Schmidt gilt an dieser Stelle ein ganz besonderer Dank, ebenso wie den Referenten und Moderatoren des Treffens. Ohne deren Unterstützung und ehrenamtliches Engagement wäre dieses Treffen nicht durchführbar gewesen.

Die Dokumentation enthält die Vorträge und Ergebnisse der Arbeitsgruppen, eine Zusammenfassung sowie einige Artikel und Rückmeldungen von TeilnehmerInnen.

Anregungen, wie die nächsten Treffen gestaltet und durchgeführt werden sollen bzw. Angebote zur Mithilfe sind immer willkommen und zu richten an:

1. Rückblick auf das Europäische Jahr gegen Armut und soziale Ausgrenzung und die Ergebnisse des 5. Treffens von Menschen mit Armutserfahrung

„Mit neuem Mut“ oder mutlos?

Eine Rückschau auf die Armutsbekämpfung im Europäischen Jahr gegen Armut und soziale Ausgrenzung

 

Circa 80 Millionen Menschen oder 16 Prozent der europäischen Bevölkerung leben momentan in Armut. Nicht mitgerechnet sind hier die sogenannten „Working Poor. Menschen, die zwar Arbeiten, aber von ihrem Lohn nicht leben können.

In Deutschland waren 2008 14,4 Prozent der Bevölkerung und rund ein Fünftel der der Kinder und Jugendlichen unter 18 Jahren arm. (Datenquelle Mikrozensus)

Dabei hatten die Mitgliedsstaaten der Europäischen Union in der Lissabon-Strategie von 2000 beschlossen und vereinbart Europa zum wettbewerbsfähigsten, dynamischsten wissensgestützten Wirtschaftsraum der Welt zu machen und die Beseitigung der Armut bis 2010 entscheidend voranzubringen.


Mit der Ausrufung des Europäischen Jahres gegen Armut und soziale Ausgrenzung durch das Europäische Parlament und den Europäischen Rat soll die politische Verpflichtung der Lissabon-Strategie bekräftigt werden, eine aktive Armutsbekämpfung zu betreiben.

Alle Mitgliedsstaaten wurden und sind aufgefordert, die festgelegten Leitziele und Leitprinzipien des Europäischen Jahres zu verfolgen, sie in einer Nationalen Strategie aufzugreifen und umzusetzen. In Anbetracht der Wirtschaftskrise, der steigenden Anzahl von Langzeitarbeitslosen und Erwerbstätigen im Niedriglohnbereich stellt dieses Jahr eine große Herausforderung für alle Regierungen und Gesellschaften der EU dar

 

 

a. Anerkennung von Rechten - Alle Menschen haben das Recht, in Würde zu leben und an der Gesellschaft teilzuhaben.

b. Gemeinsame Verantwortung und Teilhabe - verstärkte Identifizierung der Öffentlichkeit mit Strategien und Maßnahmen zur Förderung der sozialen Eingliederung unter Betonung der Verantwortung der Allgemeinheit und des Einzelnen im Kampf gegen Armut und soziale Ausgrenzung.

c. Zusammenhalt – Förderung eines stärkeren sozialen Zusammenhalts durch Sensibilisierung der Öffentlichkeit für die Vorzüge einer Gesellschaft ohne Armut, mit gerechter Verteilung und ohne Ausgrenzung.

d. Engagement und konkretes Handeln – die Mitgliedsstaaten werden einen entscheidenden Beitrag zur Beseitigung von Armut und sozialer Ausgrenzung und zur Förderung dieses Engagements und des Handelns auf allen Entscheidungsebenen leisten,

 

 

Die Nationale Strategie für Deutschland beschreibt drei Ziele, welche in drei Themenfeldern umgesetzt werden sollen:

 

Ziele:

  • · Öffentliches Bewusstsein für von Ausgrenzung betroffene Menschen stärken.
  • · Gemeinsame Verantwortung aller gesellschaftlichen und politischen Ebenen für die Stärkung des sozialen Zusammenhalts verdeutlichen.
  • · Nachhaltige Wirkungen durch Maßnahmen zur Überwindung sozialer Ausgrenzung erzielen.

 

Themenfelder:

1. Jedes Kind ist wichtig – Entwicklungschancen verbessern!

2. Wo ist der Einstieg? – Mit Arbeit Hilfebedürftigkeit überwinden!

3. Integration statt Ausgrenzung – Selbstbestimmte Teilhabe für alle Menschen!

 

In seiner Nationalen Strategie erklärt Deutschland den Slogan „Mit neuem Mut.“ zum Motto des Europäischen Jahres zur Bekämpfung von Armut und sozialer Ausgrenzung.

1,25 Millionen Euro werden von Deutschland und der Eu-Kommission für 40 Projekte sowie ca. 900.000 Euro für Kommunikation, Medien und zwei Veranstaltungen zum Auftakt und zum Abschluss des Jahres bereitgestellt.

 

Was sagt das Motto: „Mit neuem Mut.“ aus?

„Mut“, so führt die Webseite wiktionary aus, ist

als „Geisteshaltung, bei der Handlungen in einer gefährlichen, kritischen oder waghalsigen Situation energisch und furchtlos ausgeführt werden“ oder als

„Gemütszustand, in dem neue Aufgaben mit Zuversicht begonnen oder fortgeführt werden“, zu bezeichnen.

 

Was heißt das bezogen auf die Ziele und die Themenfelder, im Hinblick auf die Akteure und die Betroffenen, insbesondere auf die Gruppe von Kindern und Jugendlichen, die in einkommensarmen Haushalten leben?

Ist Armut und soziale Ausgrenzung gefährlich und können die Akteure und die Betroffenen dabei ihr Leben lassen?

Sind die Themenfelder und die Ziele so angelegt, dass sie nur mit „Mut“ und in der Steigerung mit „neuem Mut“ angegangen werden können?

Gilt diese Geisteshaltung oder dieser Gemütszustand nur für die Zivilgesellschaft und die Betroffenen oder auch für die politischen Entscheidungsträger und die Bundesregierung?

Ist dieser neue Mut tatsächlich mit Hoffnung und Perspektive ausgestattet und führt er zu Verbesserungen oder ist der „neue Mut“ nur Makulatur? Ein Motto, was sich schön anhört und als Aufheller für das schwierige Thema Armut und soziale Ausgrenzung dient?

 

Bei der Betrachtung der Sparbeschlüsse der Bundesregierung muss in erster Linie viel „neuer Mut“ aufgebracht werden, um nicht zu verzweifeln, zu resignieren und trotz aller Widrigkeiten weiterhin mit Kindern, Jugendlichen und deren Eltern an einer Verbesserung ihrer Lebenssituation zu arbeiten.

Unter dem Titel: „Die Grundpfeiler unserer Zukunft stärken“ wird bei den Sparbeschlüssen als Ziel angeben, dass „alle Menschen in unserem Land die Chance auf Wohlstand, sozialen Zusammenhalt und ein Leben in Freiheit und Sicherheit haben“. Und es wird eine ausgewogene Politik versprochen, die jeden Ressourceneinsatz danach beurteilt, ob er unser Land weiterbringt und der Verantwortung gegenüber jungen Menschen und zukünftigen Generationen gerecht wird.

Doch wie wird dieses Ziel umgesetzt? Am Elterngeld, an der Eingliederung in Arbeit wird gespart, die Programme zur Wohnbauförderung gekürzt. Dies macht wenig Mut.

Was ist nun in diesem Jahr 2010 im Hinblick auf die Vermeidung von Kinder- und Jugendarmut geschehen?

Wie ist das Themenfeld „Jedes Kind ist wichtig – Entwicklungschancen verbessern!“ angegangen und umgesetzt worden?

 

Es ist allgemein bekannt und anerkannt, dass Armut ein junges Gesicht hat. Das wird durch die drei Armutsberichte der Bundesregierung, alle Studien der OECD, dem Deutschen Institut für Wirtschaft (DIW), von UNICEF und dem Kinderschutzbund um nur einige zu nennen, übereinstimmend festgestellt.

Das sind in Deutschland 18 % der Kinder und Jugendlichen, in NRW 25 % und betrachtet man einzelne Stadtteile in Großstädten dann betrifft dies dort fast jedes zweite Kind.

Kinder und Jugendliche sind überdurchschnittlich häufig von Armut betroffen, weil sie in Haushalten leben und aufwachsen, in denen aufgrund von Erwerbslosigkeit, Teilzeitbeschäftigung oder Arbeit im Niedriglohnbereich das Einkommen der Eltern oder des alleinerziehenden Elternteils nicht über die Armutsgrenze (60 Prozent des Medianeinkommens des Landes) hinaus geht.

Bei Jugendlichen kommt erschwerend hinzu, dass sie in besonderem Maße von prekärer Beschäftigung betroffen sind.

 

Doch dieses Wissen scheint zum Handeln und zu grundsätzlichen strukturellen Veränderungen nicht auszureichen. Von daher möchte ich an dieser Stelle betonen, was schon viele Sozialverbände, Wissenschaftler und auch Politiker immer wieder gesagt haben:

 

Wir haben kein Wissens- sondern ein Handlungsproblem im Bereich der Armutsbekämpfung!

 

 

Beispiele, die mutlos machen…….

 

1. Bund-Länder-Arbeitsgruppe

Anlässlich des Europäischen Jahres 2010 haben sich die zuständigen Bundes- und Länderministerien im Rahmen eines ASMK-Beschlusses (Arbeits- und Sozialministerkonferenz) Ende 2009 auf eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe geeinigt, die ihren Schwerpunkt auf die Bekämpfung von Kinderarmut gelegt hat. Nach einem Erfahrungs- und Informationsaustausch will die AG mit allen staatlichen und nichtstaatlichen Akteuren Ziele entwickeln und zentrale Handlungsfelder ausarbeiten.

 

Als Ziele sind bisher definiert:

  • · Sicherung und Verbesserung der materiellen Lebensgrundlagen von Eltern mit

Kindern;

  • · Unterstützung von Eltern, insbesondere Alleinerziehenden, bei der Sicherung der familiären Existenz durch Erwerbsarbeit;
    • · Verbesserung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf;
    • · Stärkung der Erziehungskompetenz der Eltern;
    • · Verbesserung der Bildungs- und Teilhabechancen unabhängig von sozialer und ethnischer Herkunft;
    • · Stärkung gesundheitlicher Prävention, insbesondere der Förderung gesunden Ernährungsverhaltens und von Bewegung sowie medizinische Früherkennung;
    • · Verbesserung der Lebensbedingungen von Kindern in benachteiligten Sozialräumen;
    • · Schutz vor Vernachlässigung, Missbrauch und Gewalt.

 

Dabei sind folgende Handlungsfelder relevant:

  • · Existenzsichernde Beschäftigung
  • · Familien stärken
  • · Frühkindliche Bildung und Förderung
  • · Schulische Bildung
  • · Übergang Schule/ Ausbildung/ Beruf
  • · Kinderarmut und Gesundheit
  • · Soziale und kulturelle Teilhabe

 

Bisher gab es keine entsprechenden Einladungen an nicht staatliche Organisationen.

Darüber hinaus wird auch hier von der Entwicklung von Zielen und Handlungsfeldern gesprochen, die übrigens in Nordrhein-Westfalen im Rahmen eines Runden Tisches „Hilfen für Kinder in Not“ schon entwickelt wurden. Diese könnten genutzt, um Umsetzungsmodalitäten festzulegen bzw. Indikatoren einzuführen, anhand derer die Zielerreichung gemessen werden kann.

 

2. Umsetzung des Bundesverfassungsgerichtsurteils zu den Regelsätzen vom 9.2.2010

Zur Verdeutlichung ein Auszug aus der Webseite des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales zum Bildungspaket als ein Umsetzungselement des Bundesverfassungsgerichtsurteil:

 

„Das Bildungspaket – Kulturwechsel

Mit dem Bildungspaket kommt die Bundesregierung ihrer besonderen Verantwortung und Fürsorgepflicht für die knapp 2 Millionen bedürftigen Kinder in Deutschland nach.

Diese haben ab dem 1.1.2011 einen Rechtsanspruch auf Teilhabe und Bildungsförderung. Das Bildungspaket ist so konzipiert, dass diese Förderung direkt bei denjenigen Kindern ankommt, die sie auch wirklich brauchen. Damit wird ein Paradigmenwechsel eingeläutet. Zukünftig stehen auch Kinder und ihre Entwicklungschancen im Fokus staatlicher Unterstützung nach dem SGB II. Die Zukunft hilfebedürftiger Kinder darf nicht länger davon abhängen, ob die Eltern langzeitarbeitslos sind oder nicht. Kinder brauchen Chancen, Kinder brauchen Perspektiven, egal wie gut oder schlecht ihre Eltern finanziell gestellt sind. Das neue Bildungspaket steht für mehr soziale Integration und mehr Chancen auf Bildung und Teilhabe für Kinder aus hilfebedürftigen Familien.“

 

Vermeintlich werden hier Hilfestellungen aufgezeigt. Es ist von dem mehr an Chancen für die Kinder die Rede, von Perspektiven für diejenigen die hilfebedürftig sind. Formal wird die Forderung des Bundesverfassungsgerichtes auf ein Teilhabegrundrecht für Kinder sicherlich erfüllt. Die einzelnen Berechnungen, die angestellt wurden, um einen transparenten kindergerechten Bedarf zu ermitteln, zeigen jedoch deutlich auf, dass hier nicht der Leitsatz „Jedes Kind ist wichtig – Entwicklungschancen verbessern!“ handlungsleitend war.

Wie ist ansonsten zu erklären, dass zur Berechnung der Bildungs- und Teilhabeausgaben nicht die tatsächlichen Kosten von Familien herangezogen wurden, sondern lediglich die Ausgaben der Referenzgruppe der unteren 20 Prozent der Paarhaushalte mit einem Kind? Sind mehr Chancen für Kinder doch nur von der Kassenlage abhängig?

 

Diese beiden Beispiele, die noch erweitert werden könnten, fallen für mich in den Bereich des Mutlos machen. Die Ziele des Jahres werden in keinster Weise erreicht.

Es entsteht nicht nur der Eindruck, sondern eher schon Gewissheit, dass die Intentionen des Jahres die entscheidenden Ministerien und die Bundesregierung nicht erreicht hat und keinerlei Nutzen für Kinder und Jugendliche erzielt werden konnten. Ein eher deprimierendes Fazit, was ich hier ziehen muss.

 

Mut machend dagegen ist die Umsetzung des Ziels, die Öffentlichkeit zu sensibilisieren und auf die gemeinsame Verantwortung aller gesellschaftlichen und politischen Ebenen hinzuweisen. Viele Projekte und Veranstaltungen wurden und werden noch durchgeführt und vielfach sind Informationsmaterialien (Broschüren, Spiele, Plakate usw.) entwickelt worden, die vielfältig im Einsatz sind.

Armut und soziale Ausgrenzung sind in diesem Jahr von vielen Verbänden, Gremien, den Medien, Bürgerinnen und Bürgern wahrgenommen und eine Auseinandersetzung in Gang gesetzt worden. Viele neue Kooperationen und Vernetzungen mit anderen und neuen Akteuren konnten eingegangen und angeregt werden.

Im Rahmen der Fokuswoche der Nationalen Armutskonferenz im Juni dieses Jahres in Berlin, im Rahmen von Jugendhilfetagen und Wettbewerben gelang es auch, Betroffene und hier auch jüngere Betroffene einzubeziehen und diesen Gelegenheit zu geben, selbst zu Wort zu kommen und ihre Stimme zu erheben.

Über Webseiten, die wie z.B. www.sozin.de von Betroffenen initiiert und gepflegt und www.zeropoverty.de, über die gebloggt werden kann, ist eine direkte Beteiligung an politischen und gesellschaftlichen Diskussionen möglich.

 

Inwieweit diese Mut machenden Aktivitäten und Begegnungen zu mehr gemeinsamer Verantwortung, zu mehr Handeln und zu einer nachhaltigen Armutsbekämpfung führen, ist derzeit nicht abzusehen, aber positiv zu bewerten.

Hier konnte das Europäische Jahr Akzente setzen.

 

Nachdenklich gemacht hat mich, im Hinblick auf den Nutzen des Europäischen Jahres für Kinder und Jugendliche, ein Beitrag zu Jugendarmut im Fachblatt des Deutschen Bundesjugendrings, der durch Frau Fehling verfasst wurde. Hier heißt es:

 

„Warum aber wird Jugendarmut als eigenständiges Problem in den politischen Diskursen bislang weitgehend ignoriert? An dieser Frage werden typische Probleme der Jugendpolitik sichtbar. Diese hat in vielen Kontexten Schwierigkeiten auf die spezifische Situation von Jugendlichen aufmerksam zu machen. Gerade beim Thema Armut steht das Klischee der „armen“, „unschuldigen“ und hilfebedürftigen Kinder dem der Jugendlichen gegenüber, die schnell in den Verdacht geraten, ihre Situation selbst (mit-)verschuldet zu haben. Das gesellschaftliche Mitleid fokussiert sich im Echo der Medien auf die Kinder und blendet die „problematischen“ Jugendlichen aus. Dies wiederum hat Rückwirkungen auf politische Diskurse und politisches Engagement. Jugend „hat“ kein Problem, Jugend „ist“ ein Problem, so der Tenor.“

 

Dies zeigt noch einmal eindrücklich auf, dass verstärkt an Haltungen, Be- und Abwertungen sowie der Aussage, dass Armutssituationen selbst verschuldet sind, gearbeitet werden muss. Jugendarmut darf nicht versteckt, nicht klein gemacht werden, nur weil „Jugend“ vermeintlich schwierig ist.

 

Ausblick - Fazit

Das Europäische Jahr gegen Armut und soziale Ausgrenzung geht mit vielen Begegnungen, Ideen und Konzepten zur Bekämpfung von Kinderarmut zu Ende.

Jugendarmut und die Möglichkeiten, Jugendlichen Perspektiven aufzuzeigen, ihnen einen Schulabschluss zu ermöglichen und den Anschluss an ihre einkommensstärkeren Altersgenossen nicht zu verlieren, ist als eigenständiges Thema in diesem Jahr zu wenig aufgegriffen worden.

Dies liegt sicherlich, wie im oben zitierten Artikel ausgeführt, daran, dass Jugendliche nicht mehr so süß sind und nicht mehr das Mitleid ihrer Mitmenschen ansprechen, aber auch, dass die Zusammenarbeit zwischen Jugendhilfe und Schule bisher nicht optimal gelingt.

 

Dass mit dem Europäischen Jahr Armut und soziale Ausgrenzung beseitigt wird, hat keiner angenommen. Allerdings ist jetzt die Zeit dafür reif, die reichlich vorhandenen Konzepte nicht nur zu wiederholen und in Runden Tischen Bestätigungen dafür zu finden, sondern diese umzusetzen und zu handeln.

Konkrete Ziele, Maßnahmen, Umsetzungsschritte und Indikatoren zur Überprüfung der Zielerreichung sind auszuarbeiten und von Kommune, Land und Bund einzufordern. Abstimmungsprobleme, Verschiebung von Verantwortungen zwischen Jugendhilfe, Schule und Arbeitsamt darf es nicht mehr geben.

 

Nach der Devise „Jammern nutzt nichts und frisst nur Energie“ möchte ich mit einer Erinnerung an Gullivers Reise „Mut“ machen.

Gulliver wird im Staat Liliput von den kleinen Menschen, die Angst vor diesem Riesen haben, gefangen genommen.

Dies gelingt mit List, aber auch weil sich alle an der Gefangennahme beteiligen. Jeder hat seinen Platz, jede weiß was zu tun ist, es gibt keinen Streit, keine Reibereien um Macht und Verantwortlichkeiten.

Alle sind miteinander solidarisch, bleiben an ihrem Platz, werden gebraucht und erreichen so das Ziel.

 

Herr Haman stellt die Webseiten www.berberinfo.de ; www.sozin.de und www.armutsnetzwerk.de sowie deren Entstehung und Entwicklung vor.

Ein Besuch der Seiten und die Mitwirkung durch das Einstellen von Artikeln und Kommentaren lohnt sich und er dient der Information und der Vernetzung.

 

2. Bericht vom 10. Europäischen Treffen von Menschen mit Armutserfahrung

Erika Biehn

Frau Biehn berichtet über die Inhalte und Ergebnisse des 10. Europäischen Treffens von Menschen mit Armutserfahrung, welches im Mai in Brüssel stattfand.

Im Anschluss daran wird das Auswahlverfahren für die sechs VertreterInnen vorgestellt. Dieses kann bei der Geschäftsstelle der Nationalen Armutskonferenz angefordert werden.

 

 

3. Einführung in die Strategie 2020 – Bedeutung für die Armutsbekämpfung auf Landesebene

Gabriele Schmidt, Ministerium für Arbeit, Soziales und Integration NRW

 

I. Einführung ins Thema


An den Anfang meines Vortrages möchte ich gerne einige wichtige Informationen stellen, die deutlich machen, was auf europäischer Ebene gemeint ist, wenn über Armut gesprochen wird und über wie viele einkommensarme Menschen wir reden:

 

2. Was ist Armut?

„Von Armut spricht man, wenn Personen über ein so geringes Einkommen verfügen, dass ihnen ein Lebensstandard verwehrt wird, der in der Gesellschaft in der sie leben, als annehmbar gilt. Ihrer Armut wegen können sie zahlreichen Benachteiligungen ausgesetzt sein - Arbeitslosigkeit, Niedrigeinkommen, schlechten Wohnverhältnissen, unzureichender gesundheitlicher Betreuung und Hindernissen in Aus- und Weiterbildungs-, Kultur-, Sport- und Freizeitbereich. Sie sehen sich häufig an den Rand gedrängt und von der Teilnahme an Aktivitäten (wirtschaftlicher, sozialer und kultureller Art) ausgeschlossen, die für andere Menschen die Norm sind. Auch kann ihr Zugang zu Grundrechten eingeschränkt sein.“ (Quelle: Gemeinsamer Bericht der Europäischen Kommission und des Europäischen Rates über soziale Eingliederung, März 2004)

3 Wie viele Menschen in der EU sind von Einkommensarmut betroffen:

 

Ø 23 Millionen Menschen bzw. 10% der europäischen Erwerbsbevölkerung sind ohne Beschäftigung.

Ø Mehr als 80 Millionen Menschen sind von Armut bedroht. Das sind 17% der gesamten Bevölkerung.

Ø Jedes 5. Kind in der EU lebt in einem einkommensarmen Haushalt. Wir reden hier über die unvorstellbare Zahl von fast 20 Millionen Kindern.

 

Aber eigentlich brauchen wir gar nicht so weit weg zu schauen: Auch in meinem Bundesland Nordrhein-Westfalen lebt jedes 4. Kind in einer einkommensarmen Familie. Rund 790.000 Kinder haben einen Anspruch auf die Teilnahme am Bildungs- und Teilhabepaket. D.h. diese Kinder und ihre Eltern bekommen HARTZ IV, Wohngeld oder Kinderzuschlag.

 

Armut ist nicht woanders – Armut ist hier bei uns, in unserer Mitte.

 

II. Geschichte der EU-Armutspolitik


Diese eben genannten Zahlen sind auch deshalb so erschreckend, weil sich gerade die EU-Kommission schon seit den neunziger Jahre mit dem Thema „Armut“ auseinandersetzt und das Thema öffentlich macht.

Angefangen hat es mit der Diskussion: Was konkret verstehen wir unter Armut? Wie kann Armut methodisch und statistisch gemessen werden?

Am Ende stand die Verständigung von damals 15 Mitgliedsstaaten auf eine Definition und ein Messkonzept. Wir mögen heute darüber lächeln (und es ist auch einiges daran zu kritisieren), aber diese Festlegung war und ist letztendlich die Basis für eine gemeinsame Berichterstattung, auch heute noch und nicht nur in der EU, sondern sie gilt inzwischen auch für den Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung und für die meisten Länderberichte.

Ihre Fortsetzung fand die Diskussion im Rahmen der Lissabon-Strategie 2000. Während in vielen Regionen Armut noch verschämt verschwiegen wurde, hat die KOM die Bekämpfung von Armut und sozialer Ausgrenzung zu einem offiziellen europäischen Politikziel erhoben. Die Formulierung von ausdrücklichen armutspolitischen Zielvereinbarungen stellte zugleich eine Neuheit in der europäischen Politik dar. Mit dieser offensiven Herangehensweise hat die KOM durchaus befruchtend gewirkt, mancher regionale Sozial- oder Armutsbericht hat hier seine Wurzeln.

 

Mit den Nationalen Aktionsplänen gegen Armut und soziale Ausgrenzung, der Entwicklung der Offenen Methode der Koordinierung, den Runden Tischen gegen Armut unter Einbeziehung der Betroffenen (Stichwort „Dialogorientierung“) hat die KOM Standards gesetzt.

Und das vor dem Hintergrund, dass muss man auch noch mal ganz deutlich sagen, dass die Armutspolitik genau wie die Sozialpolitik in nationalstaatlicher Verantwortung liegt. Sie können sich vorstellen, dass die politischen Spitzen der Mitgliedsstaaten nicht immer begeistert über diese Vorschläge und Initiativen der KOM waren. Solange es sich um die damaligen 15 Mitgliedsstaaten handelte, hielt sich die Kritik in Grenzen. Sie sahen sich als Wohlfahrtsstaaten mit (mehr oder minder gut) funktionierenden sozialen Sicherungssystemen. Existentielle Armut betraf bestimmte eher kleinere Personengruppen.

Im Jahr 2004 vergrößerte sich die EU jedoch auf 25 Mitgliedsstaaten. Die Nationalen Aktionspläne gegen Armut und soziale Ausgrenzung, die bei uns in der Bundesrepublik den Ländern, Kommunen und NGO Möglichkeiten der Beteiligung boten, wurden in Frage gestellt. Zu umfangreich, zu aufwendig: Die Folge waren dann seit 2006 die sog. Nationalen Strategieberichte Sozialschutz und soziale Eingliederung. Diese Berichte umfassen die Themen Soziale Integration, Alterssicherung, Gesundheitsvorsorge und Langzeitpflege. Zielsetzung war eine bessere Verzahnung dieser drei Themen und eine „straffere“ Berichtsform. Mein Fazit: Leider ist das Thema „Armutsbekämpfung“ dabei ebenso auf der Strecke geblieben, wie die Beteiligungsmöglichkeiten der oben genannten Ebenen.

 

III. Situation heute


1. Mehr und ärmere MS in der EU

Heute stellt sich die Situation in der EU noch einmal anders dar. 2007 kamen noch weitere Mitgliedsstaaten dazu, so dass wir inzwischen bei 27 Mitgliedern angekommen sind. Was das konkret bedeutet, zeigen die folgenden Zahlen: Während in der EU 15 die Unterschiede zwischen dem reichsten und ärmsten Mitgliedsland gemessen am sog. Bruttoinlandsprodukt (BIP) pro Kopf (Definition einblenden) in einer Größenordnung 1:3 waren (heißt auf einen reichen kamen 3 eher ärmere Menschen); haben sich die Unterschiede seither auf ein Verhältnis von 1:8 vergrößert. Einige Mitgliedsländer geben rund 27% des BIP für Soziales aus (es gibt Staaten, die auch noch mehr ausgeben). Am unteren Ende gibt es Staaten, die 15% und weniger ausgeben (können).

 

2. Wirtschafts- und Finanzkrise

Die Wirtschafts- und Finanzkrise, die 2008 begonnen hat, hat nicht nur die Armutsprobleme in der EU verschärft, sondern erschwert auch massiv die Armutsbekämpfung.

Sie hat sie vor allem deshalb schwieriger gemacht, weil das Ziel der Haushaltskonsolidierung zum obersten, zum wichtigsten Ziel erhoben wurde.

Mit welchen Konsequenzen, sehen wir nicht nur in Griechenland, Spanien, Portugal und Italien. Diese Haushaltskonsolidierung ist Argument, um massiv in die sozialen Sicherungssysteme der Mitgliedsstaaten einzugreifen. Das führt zu Entlassungen, Kürzungen von Löhnen, das Heraufsetzen des Renteneintrittsalters, Kürzungen von sozialen Dienstleistungen und noch vieles mehr.

Was mich dabei besonders erschreckt, es finden keine Diskussionen mit den betroffenen Menschen statt, es finden häufig noch nicht mal Diskussionen im parlamentarischen Raum statt. Jahrelang haben sich die Mitgliedsstaaten gegen ein Eingreifen der EU in ihre nationalstaatlichen Politikfelder, vor allem auch der Sozialpolitik, gewehrt. Jetzt werden in einem Tempo ohne gleichen, Reformen durchgeführt, die nur eine Zielsetzung haben: Sparen. Es wird nicht mehr über Sinnhaftigkeit diskutiert, es wird umgesetzt. Immer mit dem Argument der Haushaltskonsolidierung. Diese Krise der Haushalte, wächst sich so zu einer Krise der Demokratie aus.

Vor diesem Hintergrund rief die KOM einerseits das Jahr 2010 zum Europäischen Jahr gegen Armut und soziale Ausgrenzung aus und brachte zeitgleich die Europa-Strategie 2020 – Eine Strategie für intelligentes, nachhaltiges und integratives Wachstum (so der Untertitel) auf den Weg. Auf das EJ 2010 möchte ich hier nicht näher eingehen – ggf. noch, wenn es um die Umsetzung auf Landesebene geht.

IV. EU-Strategie 2020 und die Europäische Plattform gegen Armut und soziale Ausgrenzung
Im Folgenden möchte ich jetzt kurz diese Strategie 2020 umreißen:

4. Strategie 2020 Kernziele

Die KOM schlägt im Rahmen dieser Strategie die 5 folgenden Kernziele vor:

Ø 75% der Bevölkerung im Alter von 20 bis 64 Jahren sollten in Arbeit stehen.

Ø 3% des Bruttoinlandsprodukts der EU sollten für Forschung und Entwicklung aufgewendet werden.

Ø Die 20-20-20-Klimaschutz-/Energieziele sollen erreicht werden.

Ø Der Anteil der Schulabbrecher sollte auf unter 10% abgesenkt werden, und mindestens 40% der jüngeren Generation sollten einen Hochschulabschluss haben.

Ø Die Zahl der armutsgefährdeten Personen sollten um 20 Millionen sinken.

 

Diese Ziele sollen miteinander verknüpft werden und im Rahmen nationaler Ziele und Verlaufspläne umgesetzt werden.

Auf diesen Zielen aufbauend schlägt die KOM sieben Leitinitiativen vor, um innerhalb der einzelnen Ziele Fortschritte herbeizuführen.

Ich will im Folgenden nicht die 7 Leitinitiativen vorstellen, sondern nur die, die bei der Umsetzung der Verringerung von Armut helfen soll. Das ist:

Die Europäische Plattform gegen Armut und soziale Ausgrenzung

Sie soll den sozialen und regionalen Zusammenhalt gewährleisten, damit die Vorteile von Wachstum und Beschäftigung allen zugute kommen, und Menschen, die unter Armut und sozialer Ausgrenzung leiden, in Würde leben und sich aktiv am gesellschaftlichen Leben beteiligen können.

5. Europäische Plattform gegen Armut - Kernziele

Folgende Ziele sollen mit dieser Plattform erreicht werden:

Ø Verhinderung der Übertragung von Armut von einer Generation auf die nächste;

Ø Beseitigung von Kinderarmut;

Ø mehr Beschäftigung als Ausweg aus der Armut durch eine aktive Eingliederungsstrategie;

Ø soziale und wirtschaftliche Eingliederung von Minderheitengruppen.

6. Europäische Plattform gegen Armut - Maßnahmen

Diese Ziele sollen erreicht werden durch Maßnahmen in fünf Bereichen:

1. Interdisziplinäre Politikansätze

Es geht um interdisziplinäre Politikansätze, sprich: Armut berührt viele, unterschiedliche Lebenslagen, das muss sich deutlicher als bisher in der Politik wiederfinden. Es geht um bessere Koordinierung verschiedener Strategien und Verzahnung von unterschiedlichen Politikbereichen. So z.B. zwischen den folgenden Bereichen:

Ø Zugang zu Beschäftigung (z.B. aktive Eingliederung der arbeitsmarktfernsten Personen; Mindesteinkommenssysteme etc.)

Ø Sozialschutz und Zugang zu grundlegenden sozialen Dienstleistungen (z.B. Angemessenheit und Nachhaltigkeit von Pensions- und Rentensystemen, verbesserte Zugänge im Gesundheitsbereich, es soll ein ausreichendes Angebot an hochwertiger und finanziell leistbarer Pflege und Betreuung zur Verfügung gestellt werden)

Ø Bildungs- und Jugendpolitik (Senkung der Schulabbrecherquote, Verbesserung der Beschäftigungsfähigkeit etc.)

Ø Migration und Integration (Anstrengungen um den Zugang zu Arbeitsmarkt, sozialer Sicherung etc. zu gewährleisten sollen verstärkt werden.)

Ø Soziale Eingliederung und Antidiskriminierung (im Hinblick auf verbesserte Gleichstellungspolitik, Einkommensschere zwischen den Geschlechtern schließen, Menschen mit Behinderungen berücksichtigen, Reduzierung von Wohnungslosigkeit)

 

2. Beitrag der EU-Fonds zur sozialen Eingliederung

Die EU-Fonds (vor allem ESF und EFRE) sollen stärker als bisher für die soziale Eingliederung und Armutsreduktion genutzt werden können.

 

 

3. Entwicklung eines evidenzbasierten Ansatzes für soziale Innovationen und Reformen

Die Reformprozesse in den MS sollen gefördert werden. Vor allem durch Unterstützung von Datenerhebungen und so genannten „soziale Erprobungen“ (innerhalb kleiner Projekte sollen politische Innovationen getestet werden).

 

4. Förderung eines partnerschaftlichen Ansatzes und der Sozialwirtschaft

Die KOM sieht in der Plattform eine Chance, möglichst viele Partner in den Kampf gegen Armut und soziale Ausgrenzung einzubeziehen. Die verschiedenen lokalen AkteurInnen (u.a. auch Menschen mit Armutserfahrungen) sollen an der Festlegung und Umsetzung der Maßnahmen auf sämtlichen Ebenen eingebunden werden.

Das wichtigste Element zur Eingliederung ist die Sozialwirtschaft (Freiwilligentätigkeit, Stiftungen, soziale Unternehmenssektor). Ihre rechtlichen Rahmenbedingungen sollen verbessert und der Zugang zu Förderprogrammen vereinfacht werden.

 

5. Intensivierung der strategischen Koordinierung zwischen den Mitgliedsstaaten

Die MS sind nun aufgefordert, jährlich in ihren nationalen Reformprogrammen (NRP) über ihre Gesamtstrategien zu berichten. In diesen NRP werden die nationalen Ziele (einschließlich der Armutsreduktion) dargelegt, und Wege und Reformen für deren Erreichung vorgeschlagen. In den NRP sollte auch ausgeführt werden, wie die nationalen Behörden lokale/regionale Behörden und relevante StakeholderInnen in die Festlegung und Umsetzung der NRP einbinden werden. Die KOM wird die Fortschritte der MS bei der Umsetzung der Strategie, einschließlich des Armutsziels, bewerten und - wo relevant – einen Vorschlag für länderspezifische gemeinsame Empfehlungen der KOM und des Rates in ausarbeiten. Die Offene Methode der Koordinierung (OMK) soll dabei auch weiterhin ein wichtiges Instrument bleiben.

 

Rolle der MS

Diese Mitteilung der KOM soll letztendlich aufzeigen, wie die einzelnen MS gezielter gegen soziale Ausgrenzung vorgehen können. Die MS können eigene soziale Ziele setzen und somit zu dem Gesamtziel – Reduzierung der Zahl armutsgefährdeter Menschen um 20 Millionen bis 2020 – beitragen.

So sieht die offizielle Darstellung aus. Hinter den Kulissen spielten sich jedoch ziemlich heftige Diskussionen ab. Deutschland hat dabei zu den ganz wenigen Staaten gehört, die sich zunächst kritisch zu dem Vorschlag der KOM bzgl. der Armutsbekämpfung geäußert hatten. Auf dem Rat der Staats- und Regierungschefs im März ist die Verabschiedung des Armutsziels u.a. an der Bundeskanzlerin gescheitert. Dies lag vor allem daran, dass man sich nicht auf die Armutsrisikoquote als einzigem Indikator für Armut festlegen lassen wollte. Wie so häufig endeten die Diskussionen mit einem Kompromiss: Das ursprüngliche Ziel „Bekämpfung von Armut“ wurde ergänzt um das Ziel „Bekämpfung von sozialer Ausgrenzung“. Das wiederum vergrößerte die Gruppe der Betroffenen von ursprünglich 80 Millionen auf ca. 120 Millionen Menschen. Zu dem bisherigen Indikator Armutsrisikoquote wurden noch zwei weitere Indikatoren benannt nämlich a) materielle Entbehrung/Deprivation [hierunter versteht man, dass eine Person mindestens vier der neun Deprivationen ausgesetzt ist. Die Betroffenen können ihre Miete oder Wasser-, Gas- und Stromrechnungen nicht bezahlen, ihre Wohnung nicht angemessen warm halten, keine unerwarteten Ausgaben tätigen, nicht jeden zweiten Tag Fleisch, Fisch oder ein Proteinäquivalent essen, nicht einmal im Jahr in Urlaub für eine Woche Urlaub verreisen, sich kein Auto, keine Waschmaschine, keinen Farbfernseher oder kein Telefon leisten] und b) Anteil der Personen, die in Erwerbslosenhaushalten leben. Der Europäische Rat hat am 17. Juni im Rahmen seiner Schlussfolgerungen zur Strategie 2020 diesen Festlegungen zugestimmt.

„Die soziale Eingliederung soll insbesondere durch die Verminderung der Armut gefördert werden, wobei angestrebt wird, mindestens 20 Millionen Menschen vor dem Risiko der Armut oder der Ausgrenzung zu bewahren. Diese Bevölkerungsgruppe wird als die Anzahl der Personen definiert, die nach drei Indikatoren (Armutsrisiko, materielle Deprivation, Erwerbslosenhaushalt) von Armut oder Ausgrenzung bedroht sind, wobei es den Mitgliedstaaten freigestellt ist, ihre nationalen Ziele auf der Grundlage der am besten geeigneten Indikatoren und unter Berücksichtigung ihrer nationalen Gegebenheiten und Prioritäten festzulegen.“

Ganz im Sinne dieser Übertragung an die MS wurde auch kein Verteilungsschlüssel verabredet. D.h. es gibt keine Festlegung, wie groß die Anzahl der „abzubauenden“ von Armut und Ausgrenzung betroffenen Menschen pro MS sein soll/muss.

Die Bundesregierung hat sich unter Federführung des BMAS auf ein nationales Unterziel verständigt: Gemäß der Grundauffassung der Bundesregierung, dass Langzeitarbeitslosigkeit das größte Risiko für Armut und soziale Ausgrenzung darstellt, möchte die Bundesregierung gerne an diesem Hebeln ansetzen und setzt sich somit das Ziel: Reduzierung der Anzahl der langzeitarbeitslosen Personen (länger als ein Jahr arbeitslos) bis 2020 um 20% (gemessen am Jahr 2008). Konkret heißt das: eine Reduktion um etwa 330.000 Langzeitarbeitslose. Da es bei dem EU-Indikator um „Erwerbslosenhaushalte“ geht und in einem Erwerbslosenhaushalt im Durchschnitt rund 2 Personen leben, kommt die Bundesregierung auf ca. 660.000 Personen, um die sie die Armutszahlen (bis 2020) reduzieren würde.

Wir – sprich das Land NRW – hat im Rahmen des Bundesratsverfahrens darauf aufmerksam gemacht, dass wir die Verengung der Armutsbekämpfung auf die Langzeiterwerbslosigkeit für nicht ausreichend halten. Andere von Einkommensarmut betroffene Personen geraten so aus dem Blick. Wir konnten uns aber leider nicht durchsetzen.

Die KOM hat bei ihrer Prüfung des Nationalen Reformprogramms der deutschen Regierung folgenden Hinweis mitgegeben: „Das nationale Armutsziel konzentriert sich auf die Langzeitarbeitslosigkeit. Langzeitarbeitslose stellen jedoch nur eine sehr kleine Gruppe der 16,2 Millionen Menschen in Deutschland dar, die von Armuts- und Ausgrenzungsrisiken bedroht sind. Und obwohl immer mehr Menschen trotz Erwerbstätigkeit von Armut betroffen sind, wird dieses Thema nicht als Herausforderung eingestuft“… Bezüglich des Bildungs- und Teilhabepakets fordert die KOM „die Inanspruchnahme dieses Pakets sollte überwacht werden.“

Ich habe Ihnen jetzt viel über die Geschichte der Armutspolitik der EU und die aktuelle Situation – Strategie 2020 und die europäische Plattform gegen Armut und soziale Ausgrenzung – erzählt. Das ist die Seite von der Sie eher weniger in den Zeitungen lesen und im Fernsehen hören. Neben dieser eher stillen Politik der KOM gibt es noch eine eher laute Seite.

V. Welche Maßnahmen der EU nehmen noch Einfluss auf die Armutspolitik der MS

Euro-Plus-Pakt

So verabschiedete der Europäische Rat zeitgleich mit der Strategie 2020 den so genannten Euro-Plus-Pakt. Dessen zentrale Leitidee besteht in der verstärkten Verpflichtung der MS, sich den Vorgaben der Wettbewerbs- und Stabilitätspolitik der EU mit neuer, größerer Verbindlichkeit unterzuordnen. Die Mitglieder verpflichten sich, alle notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, die für die Verwirklichung von vier Zielen erforderlich sind:

1. Förderung der Wettbewerbsfähigkeit (dabei geht es um die Lohn- und Produktivitätsentwicklung, Regulierung von Löhnen, Forcierung moderater Lohnabschlüsse etc.)

2. Beschäftigungsförderung, Entlastung des Faktors Arbeit (z.B. Steuerreformen etc.)

3. Verbesserung der langfristigen Tragfähigkeit der öffentlichen Finanzen. Hier steht in erster Linie die langfristige Finanzierbarkeit von Renten, Gesundheitsfürsorge und Sozialleistungen im Mittelpunkt. Konkret bedeutet das: Angleichung des Renteneintrittsalters an die Lebenserwartung, Begrenzung der Vorruhestandsregelung etc.

4. Stabilität des Finanzsektors

 

Die Vorgaben für die Entwicklung von Löhnen, Produktivität und der Sozialsysteme greifen tief in die nationalen Kapital-Arbeit-Staat-Beziehungen ein und unterwerfen die gesamte Arbeits- und Sozialverfassung einer massiven Wettbewerbs- und Stabilitätspolitik. Die Einbeziehung der Bürgerinnen und Bürger bleibt dabei endgültig auf der Strecke.

 

VI. Bewertung und Einschätzung für die Bedeutung auf Landesebene

Stichworte:

Ø Anregung/Unterstützung bei der Armutserfassung (z.B. Armuts- und Reichtumsberichte/Sozialberichte auf Bundes-, Länder- und kommunaler Ebene)

Ø Information/Sensibilisierung für das Thema und die Problemlagen und öffentlich machen

Ø Das ist unter anderem ja auch Zielsetzung des EJ 2010 gewesen: aufmerksam machen (Land hat es genutzt durch diverse Veranstaltungen)

Ø Austausch und Vernetzung (auf Landesebene haben wir eine AG eingerichtet, in der die FW, Sozialverbände, Vereine, Kommunen, Kirchen, Gewerkschaften etc. mitgearbeitet haben)

Ø Initiierung/Finanzierung guter Projekte

Ø Problem EJ 2010: keine Nachhaltigkeit, Förderung der Projekte fand – so weit ich weiß – keine Fortsetzung. Es gab auch noch weitere Kritikpunkte, auf die ich hier nicht weiter eingehen will.

 

Fazit insgesamt:

Das Thema Armut ist nicht mehr aus der politischen Diskussion wegzudenken. Armutsberichte auf den unterschiedlichen Ebenen sind inzwischen meistens ein „Muss“!

 

Aber: Es gibt immer noch keine stringente, Ebenen übergreifende Armutspolitik.

Ideen:

Ø Bei jedem Vorhaben sei es nun Gesetz/Maßnahme/Projekt müsste überprüft werden, welche Auswirkungen es auf die Lebenssituation/Lebenslage von einkommensarmen Menschen hat.

Ø Der präventive Ansatz muss noch viel konsequenter verfolgt werden. Wir müssen bei den Jüngsten anfangen. D.h. Aufbau/Verbesserung der Präventionsketten auf lokaler Ebene.

Ø Die Infrastruktur, die dazu benötigt wird, wie z.B. Familienhebammen, Kinderbetreuung u3 und ü3, Familienzentren, Ganztagsschulen etc. ist in vielen Regionen noch immer mangelhaft. Dazu gehört für mich aber auch eine verbesserte Qualifizierung der dort Beschäftigten und vor allem eine verbesserte Bezahlung.

Ø In diesem Zusammenhang wäre es auch interessant zu prüfen, in wie fern das von der Bundesregierung ins Leben gerufene Bildungs- und Teilhabepaket die Lebenslagen von Kindern aus einkommensarmen Familien verbessert.

 

Letztendlich kann die KOM nur Anstöße geben, für die Umsetzung ist der Bund, die Länder, die Kommunen zuständig. Jeder OB, der sich hinstellt und einen Armutsbericht initiiert, der hinterher die Ergebnisse vorstellt und Maßnahmen einleitet um die aufgezeigten Probleme anzugehen ist genauso eine Person. Jedes Land, was die Prävention, den Aufbau von Infrastruktur zum Schwerpunkt seiner Politik macht, ist auf einem guten Weg.

 

- Es gilt das gesprochene Wort –

 

4 Ergebnisse der Arbeitsgruppen

 

Das Neue im SGB II – Erfahrungsaustausch

Claire Vogt, Wolfgang Krebs

Schon in der Vorstellungsrunde wurden viele Fragen rund um das SGB II aufgeworfen, die dann in der anschließenden Diskussion vertieft behandelt wurden. Die Neuheiten im SGB II standen – entgegen dem Titel des Workshops – weniger im Vordergrund, sondern der Austausch der Teilnehmer/innen zu den Erfahrungen mit dem Jobcenter. Das Jobcenter verhält sich zum Beispiel bei der Suche einer angemessenen Wohnung häufig stur, obwohl es verpflichtet ist, selbst Angebote vorzulegen, wenn man nichts findet. Welche Wohnungsgröße ist angemessen und wer zahlt den Umzug? – das waren weitere Fragen, die erörtert wurden. Auch die Eingliederungsvereinbarungen waren ein großes Thema, z.B. wurde diskutiert, wie viele Bewerbungen pro Monat verlangt werden können. es wurde deutlich, dass der Austausch mit andern oft schon viel hilft. Ein guter Ratschlag, der als Ergebnis der Diskussion festgehalten werden kann, lautet: Immer freundlich aber bestimmt die eigene Meinung gegenüber dem Sachbearbeiter vertreten und sich nicht zu schnell einschüchtern lassen.

Was soll die nak zukünftig thematisieren?

- Früher auf die Pauke hauen *

- Neue „Freundlichkeiten“ auch erreichbar machen (z. B. Recht einklagen).

- Abschaffung §§ 31, 32 SGB II

- Widersprüche gegen Bescheide sollen aufschiebende Wirkung entfalten

- Bürgerarbeit als Normal Erwerbsarbeit (nicht als schlechte 1 Euro-Variante)

- Sanktionen stoppen

* d. h. aufzeigen, wie Sand in die Augen gestreut wird und immer wieder Alternativen aufzeigen

 

„Wege aus der Armut –wie gehe ich mit meiner Armut im Alltag um?“

Brunhilde Ludwig

Sammlung der Themen, die aus der Gruppe kamen:

- Umgang mit Arbeitslosigkeit / Jobcenter

- Hilfsangebote nutzen

- Wie können Betroffene mobilisiert werden, gemeinsam für Ihre Interessen / Perspektiven einzutreten, zu demonstrieren etc.

- Persönliche Aspekte: Selbstbewusstsein stärken

Kreativität nutzen

Wege aus der persönlichen Hilflosigkeit finden

Da die meisten Meldungen aus der Gruppe zum Thema „Mobilisierung, Perspektiven“ kamen, wurde dieses Thema mit erster Priorität in der Arbeitsgruppe aufgenommen und diskutiert. Die Ergebnisse aus der Diskussion zeigten, dass für den Weg zur Mobilisierung der Betroffenen verschiedene Voraussetzungen notwendig sind, um dann Schritt für Schritt zu einer Mobilisierung der Betroffenen zu führen bzw. parallel zu einem Bewusstseinsprozess mit dem Slogan „Wir sind die Reform!“

Die einzelnen Schritte zur Mobilisierung der Betroffenen könnten sein:

- persönliche Ressourcen stärken

- Selbstbewusstsein stärken

- Überwinden von Scham und Existenzangst

- vorhandene Hilfeangebote nutzen

- Zusammenschlüsse vor Ort organisieren in Foren, Initiativen mit Kampagnen

- vorhandene Internetplattformen nutzen oder neue aufbauen

- politische Rechte nutzen, z.B. zu Wahlen gehen

- Bildungsangebote zur Aufklärung und Kompetenzstärkung nutzen

- sich mit anderen Betroffenen solidarisieren

- konkrete Aktionen durchführen, z.B. während der jährlichen Treffen der Menschen mit Armutserfahrung der nationalen Armutskonferenz konkrete Aktionen durchführen.

Konkrete Anregungen für das jährliche Treffen der Nationalen Armutskonferenz:

- Aktion zeitlich während des jährlichen Treffens der Menschen mit Armutserfahrung der Nationalen Armutskonferenz einplanen; hierzu eventuell einen Aktionsausschuss installieren, der diese Aktion oder eine Kampagne, eine Demo organisiert

- Bildungs- und Aufklärungsbeiträge verstärkt in die Tagung integrieren

- Während der Tagung ein gemeinsames Event z.B. ein gemeinsames Essen, eine gemeinsame Kulturveranstaltung zum Abschluss des ersten Tages organisieren.

- Mehr Raum für Erfahrungsaustausch der Betroffenen untereinander ermöglichen, z.B. in noch längeren Arbeitsgruppen oder eben in der gemeinsamen Abendveranstaltung am ersten Tag.

- Die Strukturierung der Veranstaltung sollte so vorbereitet werden, dass sowohl Menschen in der Veranstaltung bleiben können als auch Räume geschaffen werden, in denen Menschen außerhalb sich zusammenfinden können, um Nebengespräche führen zu können. (Beide Möglichkeiten sollten sich nicht gegenseitig im Wege stehen.)

- Der Erfahrungsaustausch sollte möglichst schnell nach der Begrüßung in der Veranstaltung ermöglicht werden.

- Die Gewichtung zu mehr Austausch sollte stark erhöht werden.

- Die Erfahrungen aus den Aktionen 2010 zum Europäischen Jahr gegen Armut sollten systematisch gesammelt werden und noch weiter in Aktivitäten eingebunden werden. (Die bisherigen Ressourcen sollten noch stärker genutzt werden.)

- Einmal im Jahr eine Veranstaltung durchzuführen ist zu wenig, um einen kontinuierlichen Austausch auf Bundesebene zu ermöglichen.

 

Öffentlichkeitsarbeit zum Treffen von Menschen mit Armutserfahrung

Martin Fischer, Klaus Dieter Gleitze

Ziele unseres Workshops waren:

1. Realistische und konkrete Formen von Öffentlichkeitsarbeit gemeinsam mit den TN zu erarbeiten

2. Die TN in die Lage zu versetzen, eigenständig einen Workshop durchzuführen, zu organisieren und zu dokumentieren.

Das geht nach unserer Erfahrung und Einschätzung am besten durch „Raum für alle“, also Stärkung der individuellen Autonomie. Wir orientieren uns dabei am Open Space Konzept spezifiziert auf Kleingruppenarbeit, siehe http://de.wikipedia.org/wiki/Open_Space

Aus diesen Erfahrungen und dem vielfach geäußerten Wunsch nach „Austausch“ eine Anregung für zukünftige Treffen und Veranstaltungen:


1. Workshops so weit wie möglich vorziehen, damit die TN durch die Erfahrung von

Eigenbeteiligung motiviert und engagiert eigeninitiativ weiter mitarbeiten.

2. Reine Informationsteile (Politik, Fachreferenten) so weit wie nach hinten legen, so dass die wirklich Interessierten davon nachhaltig profitieren können.

 

Das wichtigste Ergebnis unseres Workshops war die eigenständige Entscheidung der TN, keine PM zu verfassen, sondern den direkten Weg der konkreten Öffentlichkeitsarbeit über www.sozin.de zu nehmen. Dort ist folgender Kurzbericht eingestellt:

 

Der Autor dieses Kurzberichtes hat sich der Arbeitsgruppe 4 (Öffentlichkeitsarbeit) angeschlossen. Diese Arbeitsgruppe umfasste 14 Personen. Das Ziel dieser AG ist es Anregungen und Aktionen zu erarbeiten, um das Anliegen der Menschen mit Armutserfahrungen durch Publikationen (Veröffentlichungen) und Aktionen in alle Gesellschaftsschichten hineinzutragen.

 

So unterscheiden wir also

1.) Veröffentlichungen im Bereich der Literatur

2.) Veröffentlichungen im Printbereich (Zeitungswesen)

3.) Veröffentlichungen in den virtuellen Bereich (Internet)

 

Nach folgenden Kriterien wählen wir unsere Veröffentlichungen aus:

- Was wollen wir transportieren

- Wem wollen wir erreichen

- Wie ist unsere Zielsetzung

 

So wurde die Arbeitsgruppe von den Referenten Martin und Klaus Dieter aufgefordert zu einem Brainstorming (Gedankenblitz) Aktionen und Möglichkeiten zuzurufen. Diese wurden dann auf die Flipcharts geschrieben.


Als erstes wurden Orte erfragt an denen z.B. Aktionen stattfinden können:

1.) Fußgängerzonen,

2.) vor Rathäusern,

3.) vor (oder in) Bahnhöfen

So wurde von den Referenten vorgeschlagen eine Pressemitteilung zu erarbeiten. Doch die Arbeitsgruppe entschied sich für eine Veröffentlichung im „SozIn“.

 

Welche Art von Aktionen wollen wir durchführen:

  • Internet: zum Beispiel in Sozin (Forum für Menschen mit Armutserfahrung
  • Demonstration mit Unterschriftensammlung
  • Mobilität: aus der Arbeitsgruppe kam der Hinweis das Tiere kostenlosbefördert werden. Ein Mitglied der AG hatte die Idee während seiner Fahrt in öffentlichen Verkehrsmitteln eine Tiermaske aufzusetzen,
  • Fahrraddemo organisieren,
  • Schwarzfahren
  • In NRW kommt das Sozialticket zum Preis von 29,90 €. Demo gegen überteuertes Ticket organisieren
  • Gesundheit, Gesundheitsreform
  • Bündnispartner suchen um Großdemonstrationen auf die Beine zu stellen,
  • Ablaufpläne der Organisation in Arbeitsgruppe erstellen und abarbeiten
  • Bürgerfunk, in örtlichen Medien Sendung gegen z.B. Altersarmut gestalten,
  • O-Töne in Fußgängerzonen sammeln,
  • In Interviews Betroffene zu Wort kommen lassen
  • Fachleute zum Thema einbinden
  • Dialog laut führen im öffentlichem Raum führen
  • Thema aussuchen, Begriffe des Themas den Passanten zurufen um sie einbeziehen und somit gemeinsam Lösungswege zu finden
  • Ausdruckstanz in Veranstaltungen einbinden
  • Künstlerische Auseinandersetzung (choreografische) Gestaltung
  • Flohmarkt: Stand mit „Nix“
  • Thema „marktschreirisch“ vermitteln, z.B. mit Flüstertüte
  • Happenings in öffentlichem Raum durchführen
  • Podiumsdiskussionen zum asozialen Arbeitsmarkt durchführen
  • Im Zeichen der Eurokrise Rettungsschirm aufspannen (für) Bänker, d.h. unter einem großen Schirm werden kleine Rettungsschirme an Passanten also den „kleinen Mann“ verteilt
  • Künstlerische Aktionen durchführen, der Kreativität sind keine Grenzen gesetzt

 

In der Arbeitsgruppe wurde auch kontrovers diskutiert. Doch waren sich alle Mitglieder einig, dass es wichtig ist das Bewusstsein in dieser Gesellschaft durch Aufklärung, durch Öffentlichkeitsarbeit, durch das Finden von Bündnispartnern zu verändern.
Der Autor dieses Beitrages möchte an einen Song der holländischen Gruppe Boots erinnern: „das weiche Wasser bricht den Stein“ das heißt, immer wieder nachhaltig zu sein, um so einen Beitrag zur Bekämpfung der Armut zu leisten.

 

R. Werner Franke

 

5. Zusammenfassung

 

Die Zusammenfassung der Ergebnisse und die Auswertung des Treffens fanden nach den Vorträgen von Herrn Holger Winkler aus dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales und Frau Gabriele Zimmer, Mitglied des Europäischen Parlaments für Die Linke, statt.

Die Vorträge liegen leider nicht in schriftlicher Form vor.

Herr Winkler bezog sich auf das Nationale Reformprogramm der Bundesregierung, in dem die Maßnahmen zur Erreichung der Ziele der Strategie 2020 festgeschrieben sind und versuchte den Kritiken z.B. hauptsächlich an der Reduzierung der Langzeitarbeitslosen anzusetzen und die Festlegung von Armut durch die gängige Armutsdefinition zu begegnen. Er sagte zu, dass die NAK bei der Fortschreibung des Nationalen Reformprogramms einbezogen würde. Informationen zum Nationalen Reformprogramm und zur EU Strategie 2020 unter …………. Verlinkung

Die Ausführungen von Frau Zimmer lenkten den Blick auf die Lücken und „verpassten“ Möglichkeiten der Armutsbekämpfung durch die Strategie 2020. Ihre Ausführungen zur Europäischen Plattform gegen Armut und soziale Ausgrenzung ließen die Vision nach dem Einbezug von Menschen mit Armutserfahrung und die Vermeidung von Armut durchscheinen, die praktische Umsetzung ist allerdings noch nicht konzeptionell beschrieben.

Herr Prof. Dr. Walter Hanesch hat eine Stellungnahme zur Strategie 2020 und der Umsetzung im Nationalen Reformprogramm verfasst, in der sich viele Punkte des Vortrags von Frau Zimmer wiederfinden. Der Artikel ist einzusehen unter………Verlinkung

Der Diözesanrat der Katholiken im Erzbistum Köln und der Diözesan-Caritasverband für das Erzbistum Köln e.V. hat eine Studie zu den geförderten Projekten im Europäischen Jahr gegen Armut und soziale Ausgrenzung im Hinblick auf die Förderung von Nachhaltigkeit und der Inklusion von ausgegrenzten Personen und Personengruppen herausgegeben, die zu dem Schluss kommt, dass die bisherigen Programme und Projekte keinerlei längerfristigen Effekt haben. Diese Studie wurde den beiden Vortragenden überreicht und sie gebeten, sich für eine nachhaltige Armutsbekämpfungsstrategie einzusetzen.

 

Wie auch schon in den vorherigen Treffen wurde in der Zusammenfassung der Arbeitsergebnisse deutlich, dass es den Anwesenden in erster Linie um Partizipation und gesellschaftlicher Teilhabe geht und erst in zweiter Linie um die Erhöhung des Regelsatzes. Eine Forderung nach mehr Geld wird nicht formuliert. Wohl die Forderung nach mehr Respekt, nach mehr Inklusion und mehr Treffen von Menschen mit Armutserfahrung auf der kommunalen, Landes- und Bundesebene.

Die Auswertung der Arbeitsgruppenergebnisse ergaben, dass mehr an der Rechtsdurchsetzung der Sozialgesetzbücher gearbeitet werden muss und hierzu Musterklagen, Aufklärung über Rechte und Begleitung zum Jobcenter und anderen Ämtern organisiert werden sollten.

Mehr und bessere Öffentlichkeitsarbeit im Vorfeld des Treffens von Menschen mit Armutserfahrung wurden als ein umsetzbares Ziel sowie der Einbezug von Menschen mit Armutserfahrung in die Öffentlichkeitsarbeit vereinbart.

Kritik gibt es immer wieder an den Räumlichkeiten, der kurzen Austauschzeiten oder der Inhalte der Treffen.

Aufgrund der doch sehr großen unterschiedlichen Erwartungen der Teilnehmenden und der geringen finanziellen Ausstattung der Treffen, wird es der Nationalen Armutskonferenz auch in Zukunft nicht gelingen, alle Ideen und Anregungen umzusetzen.

Das Treffen der Menschen mit Armutserfahrung dient dem Austausch, der Vernetzung, der Partizipation an politischen Prozessen, der Vereinbarung auf Forderungen und Lösungsmodellen im Kampf gegen Armut und dem Wissen um die Auswirkungen von Armut und sozialer Ausgrenzung. All dies wird von der Nationalen Armutskonferenz im politischen Prozess benötigt, um praxisnahe und an den Bedürfnissen von Menschen ausgerichtete Vorschläge zur Vermeidung und Bekämpfung von Armut und sozialer Ausgrenzung einbringen zu können.

Die Perspektive von Menschen mit Armutserfahrung ist die Basis unserer Konzepte.

 

6. Ausblick auf die weiteren Treffen von Menschen mit Armutserfahrung

2012 und 2013

Norbert Koczorski/Michaela Hofmann

Das 7. Treffen von Menschen mit Armutserfahrung wird am 13. und 14.3.2012 in Düsseldorf stattfinden. Aufgegriffen wird das Thema „Menschenwürdiges Wohnen“.

Eine Arbeitsgruppe arbeitet zurzeit den Programmablauf aus und wird hierbei versuchen, die geäußerten Wünsche der diesjährigen Teilnehmenden zu berücksichtigen.

Die Einladung wird zu Beginn des Jahres 2012 verschickt und auf der Webseite der NAK hinterlegt.

Das 8. Treffen von Menschen mit Armutserfahrung wird 2013 in Darmstadt durchgeführt. Im Jahr 2013 ist der 200 Todestag von Georg Büchner, der mit seinem Manifest „Krieg den Palästen – Frieden den Hütten“ die Armut der damaligen Zeit und die Zusammenhänge zwischen Armut und Reichtum aufgegriffen hat.

Hierzu soll ein Mail-Art-Projekt durchgeführt werden und über 300 Künstler um ihre Beteiligung gebeten werden. Die Ausstellung der eingegangenen Postkarten soll zum Zeitpunkt des Treffens eröffnet werden.