Präventive Sozialpolitik

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Rudolf H. Strahm referierte vor SozialarbeiterInnen

Hälfte / Moitié / An der Berner Konferenz für Sozialhilfe, Kindes- und Erwachse­nenschutz (BKSE) referierte am 21. Mai 2012 Rudolf H. Strahm über neueste Trends im Sozialstaat. Er bezeichnete die Arbeitsmarktintegration als präven­tive Sozialpolitik. Die BKSE ist eine Fachorganisation der Sozialarbeitenden in den bernischen Gemeinden.

In einem ersten Teil ging Strahm auf das Armutsrisiko und die Arbeitsmarktintegra­tion ein und deckte Zusammenhänge auf. Die Arbeitslosigkeit bezeichnete er als pri­märe Ursache der Sozial­lasten.

Er wies auch auf das grosse Drama der Jugendarbeitslosigkeit hin, das besonders in der EU grassiert. Fünf Industrieländer in Europa mit Berufslehre hatten schon 2008 vor der vergan­genen Finanzkrise relativ niedrige Jugend-Arbeitslosenquoten von durchschnittlich 7%.Es waren dies Dänemark, Österreich, Deutschland (West), die Schweiz und Holland. Industrie­länder mit vollschulischer Ausbildung ohne Berufs­lehre wiesen zur gleichen Zeit eine wesentlich höhere Durchschnittsquote von 19% Jugend-Arbeitslosigkeit auf. Ein Jahr später, nach der Krise, ergaben sich leicht er­höhte, aber analoge Zahlen: Länder mit Berufslehre wiesen nun eine Jugend-Ar­beitslosigkeit von rund 8%, Länder ohne Berufslehre jedoch bereits von rund 25% Jugendarbeitslosigkeit auf. Spanien hatte im Herbst 2009 insgesamt 43% Ju­gend-Arbeitslosigkeit.

Plädoyer für die Berufslehre

Auch die eidgenössische Volkszählung 2000 ergab, dass Beschäftigte mit einer Be­rufslehre am wenigsten von Arbeitslosigkeit betroffen sind. Im Bereich der working poor wirkt sich der Mangel an Berufsausbildung ebenfalls drastisch aus. Ungenü­gende Ausbildung ist in der Arbeitswelt ein grosses Armutsrisiko. Strahm erinnerte in seinem Referat auch auf die hohen Folgekosten für die Gesellschaft und die Produk­tivitätseinbussen für die Wirtschaft, welche durch fehlende Berufsbildung entstehen. Die Wirtschaft brauche mehr gelernte und weniger ungelernte Arbeitskräfte, so lau­tete der Appell von Strahm. Er bezog sich auf seine Publikation „Warum wir so reich sind. Wirtschaftsbuch Schweiz“.

Berufsbildung sei die beste soziale Absicherung gegen Armut und gegen Sozialhilfe­bezug, denn es besteht ein Zusammenhang zwischen Berufsbildung und gesell­schaftlichem Status. Folgende Argumente machte Strahm geltend:

  • ► Nach der Berufslehre kann monatlich 1000 bis 1500 Franken mehr verdient wer­den als ohne Lehre.
  • ► Das Risiko, arbeitslos zu werden, ist mit Berufslehre 3 mal kleiner als ohne Be­rufslehre.
  • ► Wer über eine Berufslehre verfügt, riskiert 2,5 mal weniger, Sozialhilfe zu bezie­hen.
  • ► Mit einer Berufslehre wird der wirtschaftliche Strukturwandel besser bewältigt.
  • ► Mit Berufsbildung und Weiterbildung kann Karriere gemacht werden.

Änderungsvorschläge für die Sozialarbeit

Um Armut zu verhindern und zu bekämpfen, schlägt Strahm eine berufspraktische Ausbildung zur Integration in den Arbeitsmarkt vor. Kritik gilt dem bisherigen Selbst­verständnis der Sozialarbeit, bei der die finanzielle Unterstützung im Vordergrund steht. Den SozialarbeiterInnen wirft er vor, sie würden den Arbeitsmarkt und das Be­rufsbildungssystem nicht genü­gend kennen. Besser wäre es, mehr BerufsberaterIn­nen und LaufbahnberaterInnen anstelle von SozialarbeiterInnen auf den Sozialäm­tern einzusetzen oder die Ausbildung oder Weiterbildung der Sozialarbeiter auf Be­rufsbildungs- und Arbeitsmarktkenntnisse auszudehnen. Eine Möglichkeit bestünde sonst darin, private Sozialfirmen zum Zuge kommen zu lassen.

Grosse Hoffnung macht sich Strahm in Bezug auf die Interinstitutionelle Zusammen­arbeit (IIZ) von allen Leistungserbringern im Sozialwesen. Doch diese funktioniert sowohl auf Bun­des- als auch auf Kantonsebene nur schlecht. Nach Strahm fehlt oft die Führung auf oberster Ebene, es gibt zu viel Bürokratie. Die IIZ wäre jedoch Chef­sache, das heisst Aufgabe der BundesrätIn­nen und der RegierungsrätInnen. Auch mangelt es an Regeln zur Ko-Finanzierung im Case-Management.

Bei der Arbeitsmarktintegration erwähnt Strahm auch die Schwachstelle Wirtschaft. Im ersten Arbeitsmarkt gibt es keinerlei Pflichten der Arbeitgeberschaft zur Integra­tion von Arbeit­nehmerInnen. Nirgends wird die Rolle der Arbeitgeberschaft in diese Sache gesetzlich festgehalten. Auf der Suche nach finanziellen Anreizen zur Ar­beitsintegration schlägt Strahm unter Anderem neue SKOS-Finanzierungsregeln vor.

Die Ablösungsquoten von der Sozialhilfe sind regional sehr unterschiedlich. Bern mit 45% mit seinem Kompetenzzentrum Arbeit ist Spitzenreiter. Es folgt St. Gallen mit rund 43%. Dort wurde die Sozialhilfe an private Sozialfirmen ausgelagert. In Basel geschieht die Arbeitsvermittlung von Staates wegen. Die Ablösungsquote beträgt rund 32 %. Besonders tief ist die Quote in Luzern mit nur 18%

Auf der Suche nach effizienter Arbeitsvermittlung erwähnt Strahm auch das Modell „Passage“ in Winterthur. Von 390 arbeitsfähigen SozialhilfebezügerInnen verzichte­ten nach einem Aufgebot rund 100 Personen auf Arbeit und Sozialrente. Als Anreiz wurde zur Sozialrente ein Zuschlag von Fr. 300.- monatlich gewährt, 53 Personen bezogen nach der Absolvierung von „Passage“ keine Sozialhilfe mehr.

Härtere Gangart gefordert

Im Bereich der Migration schlägt Strahm vor, die Grundkompetenzen der Betroffenen zu standardisieren. Alle, die in der Schweiz bleiben wollen, müssen genügend Schreib-, Sprach- und Rechenkompetenz besitzen, sich in der Alltagsinformatik aus­kennen und über ein zivilrechtliches Grundwissen verfügen. Eine Integrationsverein­barung soll neu als Verpflichtung ins AusländerInnengesetz aufgenommen werden. Deswegen fordert Strahm die Unterstützung der vorgesehenen Revision des Aus­ländergesetzes, wie sie vom Bundesrat vorgeschlagen werde. Das Motto sei: För­dern und fordern.

Zum Schluss seines Referates widmete sich Strahm noch dem Thema des Sozial­hilfemissbrauches. Angebliche oder echte Missbrauchsfälle würden den Sozialge­danken und die Solidarität zerstören. Das Sozialsystem sei „zugeschnitten auf die arbeitswillige, integrierte Bevölkerung“, Mit dem Sozialhilfemissbrauch würde das Wertsystem: Sozialhilfe an unverschuldet Arme in Frage gestellt. Es gelte nun, die Missbräuche rigide zu be­kämpfen und das Vertrauen der Bevölkerung in das Sozial­system herzustellen.

Kritisches Echo bei den Fachleuten

In der kurzen anschliessenden Diskussion stellte ein Sozialarbeiter einer bernischen Gemeinde an den Referenten die Frage, wie denn in Arbeit integriert werden solle, wenn es nicht genügend Arbeit gibt. Strahm stellte fest, dass es nicht genügend Ar­beit für die Unqualifizierten gäbe, die Qualifizierten holten wir uns aus dem Ausland. Ein anderer Kritiker stellte lako­nisch fest, dass die Inter-Institutionelle Zusammenar­beit (IIZ) zwischen den LeistungserbringerInnen zu einem Kampfplatz der JuristInnen geworden ist. Alle LeistungserbringerInnen hätte heute dieselbe Vorgabe, nämlich möglichst viele Hilfesuchende abzuwimmeln. So hätten die LeistungserbringerInnen ihre Rechtsdienste aufgestockt. Diese führten nun gegen die anderen Leistungser­bringerInnen oft einen regelrechten Krieg.

(Quelle u.a.: PPP von Rudolf H. Strahm)

Zur Person: Rudolf H. Strahm, alt Nationalrat, ehemaliger Preisüberwacher, Präsi­dent Schweizerischer Verband für Weiterbildung SVEB.

Kommentar:

Nicht gebraucht, nicht gerufe­n

Paul Ignaz Vogel

Rudolf H. Strahm hat an der Delegiertenversammlung der Berner Konferenz für Sozial­hilfe, Kindes- und Erwachsenenschutz (BKSE) referiert, wie eine aktivierende Sozi­alpolitik auszusehen hätte. Sein Konzept besticht durch Einfachheit. Strahm lehnt sich unausge­sprochen an die Utopie der Vollbeschäftigung an. Arbeit ist alles und der Ar­beitslohn das einzige Einkommensmodell, das anzu­streben wäre. Vom bedingungslosen Grundeinkommen natürlich kein Wort. Dafür Akti­vierung der Menschen zur Arbeit – auch wenn diese fehlt. Ein Herrschaftsanspruch der Habenden wird sichtbar. Prävention als Ankündigung von Repression. Wird hier mit leeren Versprechungen für die Zukunft noch mehr Druck aufgebaut?

Strahm ist der plausiblen Überzeugung, dass heute auf dem sogenannten Arbeits­markt nur Gelernte gebraucht würden. Als Beweis führte er den Import von Fach­kräften aus dem Ausland an. Eine Nachfrage nach Gelernten bestünde nach wie vor. SchweizerInnen seien von Kindsbeinen an besser zu schulen, AusländerInnen mit Minimalanforderungen zu konfrontieren, damit sie hier bleiben dürfen.

Doch so einfach ist es eben nicht. Zwischen dem utopischen Bild einer aktivierenden Sozialpolitik und den Realitäten unserer Gesellschaft ganz unten, mit den politischen Mehrheitsver­hältnissen in der Schweiz, den bestehenden, immer re­pressiver wer­denden Gesetzen im Sozialen, dem Diktat der internationalen Finanzmärkte, die ge­rettet werden müssen durch Sparen als Politikersatz: Durch all das besteht ein gros­ser Graben, in welchen die Benachtei­lig­ten fallen. Es geht um fast eine Million real existierender Menschen in der Schweiz, die im Hier und Jetzt von einer gestaltenden Politik aus­ser Acht gelassen werden. Verachtung durch Verwal­tung. Menschen­rechte ade.

Was heisst es, zur Migration gezwungen worden zu sein? Oder un­gewolltes Opfer eines wegstrukturierten Arbeitsplatzes zu werden? Und was tun, wenn einst erlernte Berufe wegen des rasanten technologischen Wandels wäh­rend der eigenen Berufszeit verschwinden? Wenn jemand den technologischen und strukturbe­dingten Wandel in der Arbeitswelt am eigenen Leib erfahren muss? Und wegen der Dynamik der Entwicklung und der pausenlosen Veränderung der An­schluss an eine effiziente Umschulung und Weiterbildung verpasst wird? Wenn nicht nur der Wille des Gesetz­gebers fehlt, sondern auch die beste­henden Instru­mente versagen? Und die persönliche Kraft und die Ressourcen einmal aufgebraucht sind?

Strahm, ein ehrlicher Mensch, hat zwar in seinem Referat eingestanden, dass die Arbeitgeberschaft in kein Gesetz eingebunden und in keine Pflicht genommen wer­den kann. Womit sein Kon­zept in sich zusam­menbricht. Denn in seinen Über­legun­gen haben gerade die Menschen in Not, die den sozialen Abstieg in ihrer Vita hinneh­men mussten, keinen Platz. Sie dürften in­nerhalb ihres eigenen Le­benslaufes kaum mehr genügend Ausbildung oder/und Weiterbildung erfahren.

Wenn aber jeder politische Gestaltungswille fehlt, der Gedanke des sozialen Frie­dens in der Gesellschaft abhanden gekommen ist und die verheis­sene Ausbildung in utopische Ferne ge­rückt wird, bleibt nur noch die Wundversor­gung der Opfer im neo­liberalen Wirtschaftskrieg gegen die Bevölkerungen auf der ganzen Welt. Sprich: Ge­setzlich besser geregelte humane Be­dingungen zur Pflege der Einzelopfer, im Sinne eines Henri Dunant. Und es bleibt die soziale Frage.

Kommentar:

Wer treulich arbeitet

Oswald Sigg

Einleuchtend zunächst, was Rudolf Strahm zur Berufsbildung sagt. Die Wirtschaft braucht berufsgelernte Arbeitskräfte. AbsolventInnen einer Berufslehre sind weniger als andere von der Arbeitslosigkeit oder vom Armutsrisiko heimgesucht. Deshalb bezahlt die Wirtschaft diesen bis 1‘500 Franken mehr (monatlich!) als den Ungelernten. Mit einer Berufsbildung kann man aber auch viel besser Karriere machen und dann kriegt man monatlich erst noch mehr als die 1‘500 Franken, die man allein schon der Berufslehre wegen mehr erhalten hat. Auch wenn mittlerweilen selbst Daniel Lampart vom Schweizerischen Gewerkschaftsbund (SGB) öffentlich davon spricht, eine Lehre sei in der Schweiz leider auch keine Garantie mehr für einen Lohn, der zum leben ausreiche, muss man dennoch Strahms Erkenntnisse auf den Punkt bringen: wären nur alle Arbeitnehmenden mindestens berufslehregebildet, würden sie allesamt in den Arbeitsmarkt integriert und die öffentliche Sozialhilfe könnte glatt abgeschafft werden.

So taucht es wieder einmal auf, das Märchen von der Vollbeschäftigung und jenes vom Arbeitsmarkt. Mitten in der europäischen Realität, geprägt von 25 Millionen Lohnarbeitslosen. Da, wo eben gerade tagtäglich mit betriebswirtschaftlicher Effizienz Tausende von Arbeitsplätzen in der Substanz verunstaltet, global verschoben oder kurzerhand vernichtet werden. Im Hintergrund der Strahm‘schen Power Point-Präsentation wetterleuchtet aber auch das allzu simple Verständnis von der Arbeit als Lohnarbeit und dass der Mensch allein damit den Anspruch auf die Würde und die Erfüllung seines Lebens erwirbt. Die Arbeit zum redlichen Erwerb des Glücks auf Erden. Und es wäre auch die schematische Darstellung der Lohnarbeits-Ideologie zu optimieren: Arbeit = Lohn / mehr Arbeit = mehr Lohn / mehr Ausbildung = noch bessere Arbeit = noch mehr Lohn usw. Die Moral dieses Märchens: der Arbeitsmarkt ist eine Fiktion, die Vollbeschäftigung eine Halluzination. Aber was bedeutet eigentlich das Wort Arbeit?

Die Arbeit wird gemeinhin als zweckgerichtete körperliche und geistige Tätigkeit des Menschen bezeichnet. Noch im frühen Mittelalter wurde unter dem deutschen Begriff Arbeit vorwiegend Mühsal, Plage oder Anstrengung verstanden, in den altslawischen und russischen Sprachräumen war rabota (Arbeit) der Inbegriff für Knechtschaft und Sklaverei. Erst mit Martin Luther bekommt die Arbeit auch eine positive Bedeutung: „Wer treulich arbeitet, betet zwiefältig“. Das wäre dann die Formel: Arbeit = Gebet = Himmel. Über Jahrhunderte hinweg war und ist mit der Arbeit ein Zwang verbunden. „Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen“ – das mittelalterliche Sprichwort gilt heute mit der Lohnarbeit unverändert. Die Arbeit erschöpft sich aber gar nicht in der Lohnarbeit. Diese ist nur das Trinkgeld des Arbeitsmarkts. Die meiste, ja die grosse Arbeit wird unbezahlt geleistet, weil sie ein Prozess ist, der Mensch, Gesellschaft und Natur gestaltet und dauernd verändert.

Ich habe von einer Lesung in den sechziger Jahren im Zürcher Hechtplatztheater noch den greisen Ernst Bloch in Erinnerung, wie er die letzten Sätze aus seinem Prinzip Hoffnung vortrug:

„Die Wurzel der Geschichte aber ist der arbeitende, schaffende, die Gegebenheiten umbildende und überholende Mensch. Hat er sich erfasst und das Seine ohne Entäußerung und Entfremdung in realer Demokratie begründet, so entsteht in der Welt etwas, das allen in die Kindheit scheint und worin noch niemand war: Heimat.“

Die Arbeit neu verteilen

Geschrieben von Oswald Sigg. Veröffentlicht in andere Länder

Kurzfassung der Rede von Oswald Sigg vor der Generalversammlung der Gewerkschaft UNIA Biel/Seeland am 28. April 2012 im Kongresszentrum Biel / Bienne.

Die Arbeit umverteilen – was soll dieser Titel, werdet ihr euch fragen. Bis jetzt haben wir doch immer eine Umverteilung des wachsenden Reichtums gefordert. Das ist richtig so und diese Forderung halten wir weiterhin aufrecht. Denn der Reichtum eini­ger weniger wird zum grössten sozialen und politischen Problem in diesem Land.

Vermögensverteilung in der Schweiz: 1 = 99

Stellt euch vor: Jeder zehnte Milliardär auf der Welt wohnt in der Schweiz. Warum wohl? Weil man hier sein Vermögen für ein Trinkgeld besteuert. Ein Prozent der in der Schweiz wohnhaften privaten Steuerpflichtigen besitzt gleich viel Vermögen wie die restlichen 99 Prozente. Das ist die 1:99%-Schweiz.

Die Vermögen der 300 Reichsten stiegen in den letzten 20 Jahren von 86 Milliarden auf 459 Milliarden Fran­ken. Demgegenüber lebten im Jahr 2011 fast 8 % der Bevöl­kerung unter der Ar­mutsgrenze von 2‘243 Franken monatlichem Einkommen. Anders gesagt: 586‘000 Menschen haben in diesem reichen Land nicht mehr genug zum leben.

Die ganze Steuer- und Abgabenpolitik sorgt dafür, dass der Reichtum dort gedeiht und wächst, wo er ist. Stattdessen leiden die Bezüger von tiefen und mittleren Einkommen unter indirekten Steuern, Abgaben, Gebühren, Krankenkassenprämien, Mieten. Vielen Leuten aus diesen Einkommensschichten bleibt netto 1‘300 Franken weniger übrig, als noch vor 10 Jahren.

Es gibt weltweit fast kein zweites Land, in dem der Unter­schied zwischen arm und reich so krass ist, wie bei uns. Die Arbeitgeber bekämpfen die Mindestlohninitiative der Gewerkschaften mit dem Argument: „Nicht jeder Lohn kann existenzsichernd sein.“ Haben wir denn allen Ernstes dafür die öffentliche Sozi­alhilfe?

Dank Gewerkschaften steigende Mindestlöhne

Eine löbliche Ausnahme ist hier zu erwähnen. Die aktive gewerkschaftliche Politik hat dazu geführt, dass die Tiefstlöhne im Dienstleistungsbereich angehoben worden sind. Der neue SGB-Verteilungsbericht zeigt, wie etwa im Detailhandel und im Gastgewerbe die Mindestlöhne seit 1988 teilweise um über 40% gestiegen sind.

Diese nüchternen Zahlen sind gesamthaft aber doch das Abbild einer Sozialpolitik mit umgekehrten Vorzeichen. Umverteilt wird noch immer nach oben, gegeben wird denen, die schon viel haben. Dank einer asozialen Politik der schamlosen Reichtumsakkumula­tion. Gefördert durch kommunale und kantonale Steuer- und Siedlungspolitiken und auf Bundesebene durch die skandalöse Unternehmenssteuerreform II. Jetzt kommt noch hinzu, dass die Arbeitgeber die Renten senken, das Rentenalter erhöhen und die Unternehmenssteuern noch mehr reduzieren wollen.

Brutale Arbeitswelt

Anderseits ist da die immer brutaler und rücksichtsloser werdende Arbeitswelt. Dazu nur ein paar Unternehmen und Zahlen:

Osterwalder Lyss: minus 30 Arbeitsplätze.
Papierfabrik Biberist: 454 Arbeitsplätze vernichtet.
Papierfabrik Balsthal: 42 Entlassungen.
Forteq Nidau: 25 Stellen aufgehoben.

Der jüngste Fall: Merck Serono in Genf – 1‘300 Arbeitsplätze stehen vor der Aufhe­bung. Der Alinghi-Segler Bertarelli hatte beim Verkauf von Merck zwischen 10 und 16 Milliarden Franken unter anderem mit dem Versprechen erzielt, die Firma bleibe in Genf.

Ende letzten Jahres zog die Tagesschau des Schweizer Fernsehens eine vorläufige Bilanz vom Arbeitsplatzabbau in der Schweiz: Credit Suisse, Novartis, Huntsman, Schindler, Swissmetal, UBS, Nobel Biocare, Alpiq etc. sind nur die grössten Beispiele von Unternehmen, die insgesamt Tausende von Arbeitsplätzen abgebaut haben.

Die Desindustrialisierung geht weiter. Die Arbeitslosigkeit geht weiter.

Das Geld bestimmt die Politik

Das Geld, der Besitz – sie bestimmen nicht nur die Wirtschaft und die Sozialpolitik, sondern auch und gerade die Politik in unserer direkten Demokratie. Wir sind das Volk. Aber die Volkspartei macht mit ihrem Geld für uns die Politik. Besser gesagt: gegen uns.

So ist es doch: ich kann nur immer wieder auf denselben Umstand hinweisen: jene Partei, die mit Abstand am meisten Geld für Wahlen, Abstimmungen und Initiativen zur Verfügung hat, jene Partei, von der man nicht weiss, woher sie wie viel Millionen erhält und die ihre Spenden gern und seltsamerweise in grösseren Köfferli mit ein paar hundert Tausendernoten drin entgegennimmt, diese Partei, die SVP, ist noch immer die grösste Partei und sie ist seit 25 Jahren auf einem Erfolgskurs, der nur gerade im letzten Herbst einen hoffentlich nur ersten Einbruch erlitten hat.

Die Schweiz ist das einzige Land in Europa und weit darüber hinaus, das weder ein Spenden- noch ein Parteiengesetz kennt, das die private oder öffentliche Finanzie­rung dieser staatstragenden Institutionen regelt. Im Unterschied zu vielen anderen Ländern gibt es in der Schweiz auch keinerlei Einschränkungen der politischen Wer­bung. Mit Ausnahme des Verbots der politischen Werbung in Radio und Fernsehen. Das allerdings etwa von den Grossbanken regelmässig gebrochen wird. Auch in die­sem für eine direkte Demokratie hoch sensiblen Bereich können die Arbeitgeber mit ihrer Economiesuisse buchstäblich schalten und walten, wie sie wollen. Haben sie früher mit der Wirtschaftsförderung wenigstens noch die Politik des Bundesrates un­terstützt, so schwenken sie heute auch einmal an den rechtsbürgerlichen Rand ab. Gegen die Minarettverbotsinitiative haben sie keine Plakate geschaltet. Und prompt ist sie angenommen worden.

Solange die Parteienfinanzierung in erster Linie, aber auch solange die Finanzierung der politischen Werbung nicht geregelt ist, kann und muss man leider weiterhin von der käuflichen Schweiz sprechen.

Das Geld degeneriert die Sozialpolitik

Das Geld hat auch und gerade in der Sozialpolitik verheerende Auswirkungen. Die immer noch grösste Partei versteht es seit Jahren, alle Sozialhilfebezüger als Scheinasylanten, Sozialschmarotzer, im Zweifelsfall als Kriminelle hinzustellen. In der Sozialarbeit Tätige werden als „Gutmenschen“ verhöhnt. Die öffentliche Verach­tung, der Argwohn und das Misstrauen, das man ganz allgemein Menschen in Notla­gen entgegenbringt, führen dazu, dass vermutlich die Hälfte der Anspruchsberech­tigten auf soziale Unterstützung und Begleitung sich gar nicht erst am Schalter des Sozialamts meldet. 50 % ist eine Dunkelziffer. Die Politiker interessiert sie eigentlich nicht gross. Man schaut da lieber weg. Aber im Endeffekt reduziert diese Stigmatisie­rungspolitik natürlich die Kosten der Sozialhilfe. Das zu sagen ist zwar zynisch, aber leider wahr.

Die verletzte Würde des Menschen

In meiner Arbeit für den sozialpolitischen Mediendienst „Hälfte/Moitié“ treffe ich auf Menschen, die Opfer dieses Systems geworden sind.

Da ist die IV-Rentnerin, der die lieben Nachbarn ihre kleine Welt zur Hölle machen. So dass sie nur noch in einem Zustand chronischer Verzweiflung lebt.

Da ist der gesundheitlich stark angeschlagene Elektriker, der die Tage zählt, bis er die AHV erhält und nicht mehr vom Sozialdienst abhängig ist, weil man ihn dort schi­kaniert.

Da ist der politische Flüchtling aus Afrika, seit sieben Jahren in der Schweiz, seit sie­ben Jahren arbeitslos. Der Mann hilft den Bauern im Seeland bei der Gemüseernte. Für einen Stundenlohn von 4 Franken.

Und da gibt es noch bernische Gemeinden, die private Sicherheitsfirmen mit der Kontrolle und Überwachung solcher Sozialhilfebezüger beauftragen.

Das ist dann der Gipfel des sozialpolitischen Zynismus. Und der gemeinsame Kern aller dieser sogenannten „Sozialfälle“: das ist die grobe Verletzung der Würde dieser Men­schen.

Das Bedingungslose Grundeinkommen

Das ist die Wirkungsweise unserer Sozialpolitik. Viele Bereiche der Sozialhilfe werden privatisiert. Genau so werden die Schulen und die Hoch­schulen – überhaupt ein grosser Teil des Bildungsbereichs - zum Geschäft gemacht. Namentlich bei der Bildung zählt immer mehr das Geld, das der Einzelne hat oder eben nicht hat. Ganz allgemein wächst in der Gesellschaft die Chancenungleichheit in krassem Ausmass. Alles dies und auch die Tatsache, dass wir immer weniger Lohnarbeit zur Verfügung haben werden, haben mich dazu motiviert, mitzuhelfen, die Idee des Bedingungslosen Grundeinkommens mit einer Volksinitiative öffentlich zur Diskussion zu stellen.

Dabei geht es in erster Linie um die Menschenwürde. Seit langem wieder einmal eine Initia­tive, die nicht die Menschenrechte ritzt, tangiert oder umgeht, sondern im Gegenteil mit einem allgemeinen Anspruch auf ein Grundeinkommen, mit einem neuen Grund­recht soziale Ungerechtigkeit abbauen will.

Die Arbeit neu verteilen

Bezüglich der Arbeit unterscheiden wir zwischen bezahlter Arbeit, freiwilliger Arbeit und unbezahlter notwendiger Arbeit. Letztere entspricht 50% aller heute insgesamt geleisteten Arbeitsstunden.

Auf dem Arbeitsmarkt werden die Arbeitnehmer und ihre Gewerkschaften mit einem Grundeinkommen auf Augenhöhe mit den Arbeitgebern verhandeln können. Vor al­lem: die Arbeitnehmer werden nicht mehr aus finanziellen Gründen gezwungen sein, eine, manchmal auch jede Arbeit anzunehmen. Man kann sie nicht mehr erpressen. Sie wählen jene Arbeit, die sie tun wollen. Die Stellung der Gewerkschaften wird mit dem Grundeinkommen massiv verbessert. Soziale Auseinandersetzungen, Arbeits­kämpfe, Vertragsverhandlungen überall dort, wo es nicht nur um Geld sondern ums Ganze geht – diese Arbeitskämpfe werden alle neu positioniert und programmiert durch ein Grundeinkommen für alle, gerade auch für die bisherigen Lohnabhängigen. Damit werden nicht nur das Geld, sondern auch die Macht und die Arbeit neu verteilt.

Hauptsächlich zwei Fragen stellt man uns zum Grundeinkommen.

Wer arbeitet dann noch? Alle Leute werden weiter arbeiten, aber nicht unbedingt dasselbe und ihre Lohnarbeit kann zugunsten anderer Arbeit reduziert werden. Das Grundeinkommen wird es jedem Men­schen erlauben, das zu tun, was ihn interessiert und was er als sinnvoll und seinen Fähigkeiten angemessen erachtet. Daneben wird er sich vermehrt der Familienarbeit und dem freiwilligen sozialen, politischen oder kulturellen Engagement widmen kön­nen. Auch für den Sport, für die Bewegung bleibt mehr Zeit übrig als bisher.

Die solidarische Finanzierung

Wer finanziert uns das Grundeinkommen? Die Initiative überlässt die konkrete Ant­wort auf diese Frage dem Gesetzgeber. In ersten Diskussionen zu dieser Frage wird auch von Mitinitianten auf eine Restfinanzierung des BGE über eine stark erhöhte Mehrwertsteuer verwiesen. Das ist meines Erachtens ein grundfalscher Ansatz. Zum grossen Teil kann das BGE über die Umlagerung der bisherigen Sozialversicherungen finan­ziert werden. Es verbleibt ein Rest, der auf 20 bis 30 Milliarden Franken veranschlagt wird.

Für mich kommt natürlich dafür eine Konsumsteuer, die ohnehin die Schwächsten trifft, nicht in Frage. Ich denke vielmehr an das Gegenteil, an eine Ver­mögensabgabe, an eine Reichtums- und/oder an eine Finanztransaktionsbesteue­rung. Die Rei­chen haben schon die AHV nicht nötig gehabt. Aber wie die AHV wird auch das Grundeinkommen die Reichen nötig haben. Das wäre dann eine solidari­sche Finan­zierung. Und die 1:99%-Schweiz bietet hierzu die besten Voraussetzun­gen.

Verantwortlich für die Redaktion: Oswald Sigg, Paul Ignaz Vogel. E-mail: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!.

Telefon + 41 (0)31 972 82 23 (Beantworter).

www.haelfte.ch

Leben vom Müll

Geschrieben von Miserior. Veröffentlicht in andere Länder

Misereor-Projektpartner aus Kalkutta weist Wege aus dem Teufelskreis der Armut

Unter unmenschlichen Bedingungen sich für ein Leben in Würde einzusetzen – das treibt Aftabuddin Ahmad und seine Nichtregierungsorganisation Tiljala Society for Human and Educational Development (Tiljala SHED) an. Im Einsatz für die Slumbewohnerinnen und -bewohner zählt für ihn jeder einzelne Mensch.


Foto: Schwarzbach/Miserior

 

Nach einer Laufbahn als Betriebwirt mit internationalen Abschlüssen arbeitet Ahmad seit zehn Jahren für Tiljala SHED, der Vereinigung der Müllsammlerinnen und Müllsammler von Tiljala,einem Slumgebiet von Kalkutta. Auf der Suche nach Überlebensmöglichkeiten in den Slums von Kalkutta sammeln vor allem Kinder und Jugendliche wieder verwertbaren Müll wie Glas, Papier und Plastik. Sie geben ihn an Zwischenhändler weiter, die oft keine angemessenen Preise zahlen. Meist besuchen sie keine Schule und leben allein auf den Bürgersteigen von Kalkutta.

Seit 1995 organisiert Tiljala SHED die Müllsammler von Tiljala. Die Müllsammlerfamilien haben sich zusammengeschlossen und vertreten gemeinsam ihre Interessen. Mit Hilfe von Tiljala SHED haben sie den Müll besser vermarktet und so ein höheres Einkommen erzielt. Um den Teufelskreis der Armut zu durchbrechen, kümmert sich die Organisation auch um eine bessere Bildung für die Müllsammlerfamilien, um Gesundheitsaufklärung und um die Schaffung von anderen Einkommensquellen als dem Müllsammeln. Tiljala SHED arbeitet mit mehr als 350 Müllsammlerfamilien damit sie ihre Rechte wahrnehmen und auf eine bessere Zukunft hoffen können.

Tiljala SHED wird von dem bischöflichen Hilfswerk Misereor unterstützt. Unter dem Motto „Menschenwürdig leben. Kindern Zukunft geben!“ richtet Misereor in seiner diesjährigen Kampagne die Aufmerksamkeit insbesondere auf die Millionen von Kindern, die auch heute noch unter unmenschlichen Bedingungen aufwachsen müssen und auf die Anstrengungen, die Lebenssituation dieser Kinder menschenwürdiger und hoffnungsvoller zu gestalten.

Ahmad berichtet über die Aktivitäten von Tiljala SHED am Dienstag, dem 13. März 2012, um 19.30 Uhr im CVJM HOTEL in der Graf-Adolf-Str. 102 in Düsseldorf (Nähe Hauptbahnhof).

Die Veranstaltung findet im Kontext des 7. Treffen der Menschen mit Armutserfahrung 13. /14. März 2012 „Armut und Wohnen – Wohnen ein Menschenrecht!?“ statt.

Links:

Mehr Informationen:

  • Gottfried Baumann, Misereor – Presse- und Öffentlichkeitsarbeit, Tel.: 0241/442-132
  • Nina Krespach, Misereor – Bildung und Pastoral (Vortragsreise Ahmad in Deutschland), Tel.: 0241/442-185
  • Volker Hohengarten, Erzbistum Köln – Generalvikariat (Vortragsreise Ahmad im Erzbistum Köln), Tel.: 0221/1642-1448
  • Michaela Hofmann, Diözesan-Caritasverband für das Erzbistum Köln, Nationale Armutskonferenz (Mitveranstalterin Treffen der Menschen mit Armutserfahrung), Tel.: 0221/2010-288

Bauernsohn, Typograf, arbeitslos

Geschrieben von Paul Ignaz Vogel. Veröffentlicht in andere Länder

Ein Bauernsohn erlebt den Niedergang des väterlichen Landwirtschaftsbetriebes, lässt sich zum Schriftsetzer ausbilden. Im Beruf erfolgt bald der rasante technologische Umschwung. Das einst stolze Druckereigewerbe wird vom neoliberalen Preis- und Lohndumping zerstört. Die Folgen dieses Prozesses sind Arbeitslosigkeit und Entwurzelung.


Xavier stammt aus einer Bauernfamilie. Sein Vater bewirtschaftete als Pächter und Kleinlandwirt einen Betrieb mit Kühen, Schweinen, Pferden, Kälbern, Hühnern, Schafen, Ziegen und Kaninchen. Als eine neue Autobahn durch landwirtschaftliches Gebiet gezogen wurde und der Bauboom im stadtnahen Dorf einsetzte, gab der Vater den Betrieb auf und verdingte sich als Hilfsarbeiter in einer Fabrik im Nachbardorf.

Ausbildung zum Schriftsetzer   Als Kind musste Xavier im väterlichen Betrieb mithelfen. Nach der Sekundarschule machte er in einer Grossdruckerei die Lehre als Schriftsetzer. Es folgten die ersten Arbeitsjahre, in denen noch mit Blei gesetzt wurde. Bald begann die rasante technologische Entwicklung, zuerst mit der Einführung des Lichtsatzes, des Fotosatzes mit abstrakten Befehlsketten, schliesslich mit Computer-Betriebssystemen. Langsam verleidete Xavier die Arbeit als Typograf mit stetigem technologischem Wandel. Als Bauernsohn hatte er das bisherige eher handwerklich orientierte Schriftsetzen geschätzt. Er versuchte den Ausstieg auf Raten und fügte in seinen Lebensplan Sabbatjahre ein.

Als Alphirt angestelltSo zog es Xavier in den Beruf zurück, den er als Kind in seiner Herkunftsfamilie miterlebt hatte. Er liess seinen «Typografen» beiseite und arbeitete viermal als Alphirt zur Sömmerung in den Bergen. Von zwei Landwirten im Unterland übernahm er die Bewirtschaftung und Obsorge von 30 Rindern und einer Kuh. Für seine Dienstleistung zwischen Ende Mai und Ende September erhielt er einen Barlohn von Fr. 4000.-. Es war ein mündlicher Vertrag mit Handschlag. Mit seinem Motorrad fuhr Xavier zum Einkaufen ins Tal. An den Wochenenden bekam er oft Besuch von Freunden aus dem Unterland; diese gingen wandern und Pilze sammeln. Geselligkeit war somit während der ganzen Sömmerungszeit gegeben. Xavier kannte das Metier des Landwirtes, er war kein Aussteiger. Noch als Alphirt wurde er in den Vorstand einer Gewerkschaftssektion der Druckereibranche berufen. Darauf kehrte Xavier wieder in den erlernten Beruf zurück und engagierte sich schliesslich in einem Betrieb.


Stelle als Typograf verloren

Nach langen Jahren der Bewährung musste diese Druckerei schliessen. Zu gross war die Konkurrenz geworden, welche mit Dumping-Preisen arbeitete. Mit Bitternis stellt Xavier fest: „Seitdem ich nicht mehr Typograf bin, habe ich mein Selbstwertgefühl verloren. Ich möchte arbeiten, kann mich aber nicht unterwerfen.“ Als Stellenloser lernte er die erniedrigende Situation und den totalen Leerlauf beim Besuch des Regionalen Arbeitsvermittlungszentrums kennen. Lakonisch äussert sich Xavier zum RAV: „Stillos, sinnlos, offenbar, wie Würde zerbricht.“

Absurditäten des Daseins
Xavier beschreibt seine neue Situation als entlohnter Stellensuchender (Arbeitslosenversicherung) folgendermassen: “Ohne Rhythmus, Tat, ist keine Bestätigung zu finden, mangelt’s am Auftrag, an Aufgabe, konstatierst gebeugt: Liegt fern die Leidenschaft, harzig bleibt die Anstrengung, frösteln tut der Tatendrang, brotloses Investieren erzeugt totes Engagement, lässt die Bereitschaft schwinden.“

Amerikaner werden schneller arm

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Die Hälfte aller Arbeiter in den USA verdiente weniger als 26.364 Dollar - was der Median-Lohn im Jahr 2010 war. Das bedeutet, dass der durchschnittliche Lohn auf dem niedrigsten Niveau seit 1999 ist, bereinigt um die Inflation. Das bedeutet 50% aller Arbeiter verdienten weniger als 26.000 $ im Jahr. Dagegen ist die Zahl der Millionäre um 20% gestiegen. Es fehlen heute rund 10 Mio. Arbeitsplätze. Die Zahl der Beschäftigten ging seit 2007 um 5,2 Mio. zurück. Basierend auf dem Bevölkerungswachstum müssten zwischen 2007 und 2011 eigentlich 4,5 Mio. neue Arbeiter auf den Markt geströmt sein. Beides zusammen ergibt eine "10-Millionen-Arbeitsplätze-Lücke". Die durchschnittlichen Löhne sind nach 2007 deutlich gefallen - und effektiv sind damit alle Lohnzuwächse der vorangegangenen 8 Jahre aufgefressen worden.

Die Amerikaner werden schneller arm, als sie zuvor reich geworden waren.