Sozialpolitik

Experten-Mehrheit lehnt Wohnkostenpauschalen bei Hartz-IV-Empfängern ab

Geschrieben von Deutscher Bundestag. Veröffentlicht in Pressemitteilungen

Ausschuss für Arbeit und Soziales (Anhörung) - 07.05.2012

Berlin: (hib/MLA) In einer öffentlichen Anhörung zur Berechnung von Wohn- und Heizkosten von Hartz-IV-Beziehern im Ausschuss für Arbeit und Soziales äußerten sich zwölf geladene Experten. Vorausgegangen war der Antrag der Fraktion Die Linke (17/7847). Die Abgeordneten kritisieren in ihrem Antrag das Recht der Länder, Kreise und kreisfreie Städte zu ermächtigen, monatliche Pauschalen für die Höhe von Miet-und Heizungskosten bei Hartz-IV-Beziehern festzulegen. Durch Pauschalen würden sich letztlich bei den Kommunen „die Kosten nicht verringern, sondern erhöhen“, argumentiert die Linksfraktion. Schon um den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts zu entsprechen, müssten Pauschalen sehr hoch angesetzt werden, um „bedarfsdeckend“ zu sein. Schließlich dürfe kein Hartz-IV-Bezieher gezwungen sein, „Teile seines Regelsatzes für die Kosten der Unterkunft zu verwenden.“ Stattdessen sollten neue Mindeststandards für Wohn-und Heizungskosten eingeführt werden.

Zudem spricht sich die Die Linke gegen „Zwangsumzüge“ im ersten Jahr des Hartz-IV-Bezuges aus. Die gesetzliche Regelung sieht vor, dass Hartz-IV-Empfänger nach maximal sechs Monaten umziehen müssen, wenn ihre Wohnkosten zu hoch sind. Da sich Hartz-IV-Bezieher vor allem darum kümmern sollten, eine neue Arbeit und nicht eine neue Wohnung zu finden, sei die Sechs-Monatsregel kontraproduktiv, argumentiert die Linksfraktion. Sie fordert, die Bleibedauer in der angestammten Wohnung bei Hartz-IV-Bezug auf 12 Monate auszudehnen.

Die Sachverständige Alexandra Frank-Schinke lehnt bedarfsgerechte Pauschalen ab, weil sie „zu teuer“ sind. „Das würde nur dazu führen, dass die, die eine geringere Miete haben, trotzdem die volle Pauschale bekommen.“ Potenzial für Einsparungen durch Pauschalen sieht Frank-Schinke kaum, da eine Einzelfallprüfung ohnehin stets erfolgen müsse. „In der Praxis würden die Kommunen daher so gut wie nie auf Pauschalen zurückgreifen“, sagte Frank-Schinke.

Aus den gleichen Gründen sprach sich der Sachverständige Dr. Andy Groth gegen Wohnkosten-Pauschalen aus. Auch der Experte Joachim Rock sagte, dass Kostenersparnisse in der Verwaltung durch Pauschalen nicht zu erwarten seien.

Die Forderung nach neuen Mindeststandards bei der Berechnung der Aufwendungen für Wohn-und Heizungskosten wies Regine Offer vom Deutschen Städtetag zurück. Es herrsche kein Handlungsbedarf, da es bereits „sehr dezidierte Regelungen“ gebe. Neue zentrale Vorgaben seien „nicht zielführend“.

Kontroverser diskutiert wurde das Thema „Zwangsumzug“: Der Experte Dr. Stefan Schiffersdecker hält die im Antrag vorgeschlagene Fristverlängerung von sechs auf 12 Monate für zu lang. Er sieht die Gefahr von Missbrauch. Auch werde Harz-IV-Empfängern ein Anreiz genommen, sich der neuen Situation anzupassen. Laut dem Sachverständigen Holger Gautzsch könnte eine Fristverlängerung auf 12 Monate jedoch Sinn machen. Aufgrund der dreimonatigen Kündigungsfrist bei Wohnungen bliebe den Empfängern gegenwärtig kaum Zeit, sich eine neue Wohnung zu suchen.

Das Argument der Linksfraktion, die Wohnungssuche würde die Jobsuche behindern, ließ Michael Schweiger von der Bundesagentur für Arbeit nicht gelten. Dazu gebe es keine validen Erhebungen.

Auch unterwegs aktuell informiert mit der kostenlosen App "Deutscher Bundestag" und unter m.bundestag.de.

Gerechtere Vermögensverteilung - "UmFAIRteilen - Reichtum besteuern"

Geschrieben von nak. Veröffentlicht in Pressemitteilungen

Zum Tag der Arbeit am 1. Mai: Harsche Kritik von nak-Sprecher Thomas Beyer an ständig steigender prekärer Beschäftigung

Zynisch, gefährlich, unnötig – anders kann man diesen anhaltenden Trend auf dem Arbeitsmarkt nicht bezeichnen: Die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten, die von ihrer Arbeit nicht leben kann, steigt so stetig wie rasant. Mitte 2011 mussten laut DGB bundesweit 570.000 Menschen trotz einer sozialversicherungspflichtigen Tätigkeit mit Hartz IV-Leistungen aufstocken. Dafür ist innerhalb eines Jahrs die gigantische Summe von 4 Milliarden Euro geflossen. „Der Staat ist längst der Schutzpatron des Niedriglohnsektors“, empört sich Thomas Beyer, Sprecher der Nationalen Armutskonferenz (nak). Während hilfreiche Instrumente wie Beschäftigungsmaßnahmen von der Bundesregierung als überflüssig gestrichen wurden, subventioniere sie gerade die Arbeitgeber, die das andauernde Wirtschaftswachstum in keiner Weise an die Beschäftigten weitergeben: „Statt angemessen zu bezahlen, maximiert eine Vielzahl von ihnen ihre Gewinne mit Hungerlöhnen“, stellt Beyer fest.

Die Zahlen aus Studien und amtlicher Statistik lassen kein anderes Urteil zu: Zu den sozialversicherungspflichtig beschäftigten Aufstockern kommen jene Menschen im Hartz IV-Bezug, die einem Mini-Job nachgehen oder selbständig sind. Insgesamt leben laut DGB-Studie fast 1,4 Millionen Aufstocker in Deutschland; 100.000 mehr als noch im Jahr 2007. Beyer: „Während diese Menschen schon aktuell finanziell kaum über die Runden kommen, ist den meisten von ihnen Altersarmut so gut wie gewiss.“

Aber nicht nur Empfängern von Sozialleistungen droht dieses Schicksal: Laut statistischem Bundesamt basieren 75 Prozent des zwischen 2009 und 2010 verzeichneten Beschäftigungszuwachses auf atypischen Beschäftigungsverhältnissen – Stichwort  Leiharbeit: Über 900.000 Menschen waren es Mitte vergangenen Jahres (155 Prozent mehr als vor einem Jahrzehnt!), die Vollzeit für ein meist unterdurchschnittliches Einkommen mit laschem Kündigungsschutz arbeiten mussten. Zur gleichen Zeit arbeiteten etwa 2,7 Millionen befristet, denn nahezu  die Hälfte (45 Prozent) der neuen Arbeitsverträge ist zeitlich begrenzt. Und schließlich: Ende 2011 übten 7,5 Millionen Menschen einen Mini-Job aus. Summa summarum arbeitet jeder Vierte in Deutschland für einen Niedriglohn.

„Mindestlohn für alle, unbefristete Verträge und mehr sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze sind keine Utopien, sondern originäre Rechte der Arbeitnehmer, die endlich verankert werden müssen – damit jeder menschenwürdig leben kann und nicht zuletzt: Damit der soziale Frieden gewahrt bleibt“, fordert Beyer. Die gesellschaftlichen Unruhen in anderen EU-Staaten wie Spanien, Griechenland und Italien dürften nicht als weit weg vom Wirtschaftsboom-Land Deutschland abgetan werden: „Laut einer Studie des AWO-Bundesverbands empfinden 91 Prozent der Befragten, dass die Einkommensungleichheit in Deutschland ausufert“, sagt Beyer. 

Denkanstoß Nr.15

Geschrieben von Alexandra Bader. Veröffentlicht in Allgemeines

"Hunger mitten in Europa? Überlebensküche nötig?"
Kolumne von Gastautorin Alexandra Bader, Österreich, mit einem Vorwort von Dieter Carstensen

Die von mir sehr geschätze Vollblutjouranlistin Alexandra Bader aus Österreich, welche den Blog "Ceiberweiber" betreibt, hat sich in dem von mir weiter unten zitierten Artikel mit der Realität der Menschen in Griechenland beschäftigt.
Es geht, man muss sich das mal vorstellen, mitten in Europa, mittlerweile um reine "Überlebenstipps", wie können Menschen sich in der Wirtschaftskrise überhaupt noch ernähren, wie können sie so preiswert Lebensmittel organisieren, dass sie nicht verhungern müssen. Wer meint, uns hier Deutschland ginge das alles nichts an, irrt gewaltig!
Erst gestern entschied das Sozialgericht in Berlin, dass der Sozialhife/HartzIV Satz um 36 Euro/Monat zu niedirig und damit verfassungswidrig sei, da er Betroffene aus der menschlichen Teilhabe an unserer Gesellschaft, die im Grundgesetz ausdrücklich vorgesehen ist, ausschliesse.

Das Gericht hat den betroffenen Klägern ausdrücklich den Weg zum Bundesverfassungsgericht eröffnet. Beim "Betreuungsgeld" passiert ja gerade die nächste "Sauerei", sozial Bedürftigte sollen davon nichts behalten dürfen, aber jede Millionärsgattin bekommt das Geld in voller Höhe.
>In Italien haben sich schon zig Menschen wg. ihrer finanziellen Situation für den Freitod entschieden, in Portugal prostituieren sich die Frauen, um ihre Familien durchzubringen, die Kriminalitätsrate in Spanien und Portugal ist immens angestiegen, weil die Menschen nicht mehr weiter wissen und in Griechenland gibt es das "Überlebenskochbuch".
>Nein, das Europa der Merkels und Sarkozys ist nicht lustig, sondern ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit, so sehe ich das.
Alexandras Artikel hat mich wirklich erschüttert.
Man sollte als Hintergrund wissen, dass in Griechenland im zweiten Weltkrieg unter der Terrorherrschaft der Nazis zig Menschen eledenglich verhungert sind. Das haben die Menschen in Griechenland nicht vergessen und genau darauf bezieht sich dieser Satz in Alexandras Artikel, der die damalige, brutale Realität wahrheitsgemäss beschreibt:

"Vor 70 Jahren wurden freilich auch die Hügel um die Städte praktisch kahl "gefressen", und streunende Hunde und Katzen lebten gefährlich, da sie oft im Kochtopf landeten."

Es ist wieder soweit, in Griechenland herrscht wieder nackte Hungersnot! Menschen hungern wieder, mitten in Europa und kaum einer nimmt es wahr. Wer eine solche EU will, hat irgendwas nicht mitbekommen.

Seriöse Fernsehsender, wie "arte" berichten ganz offen darüber. Die Sendung kann sich jeder unter diesem Link anschauen:

Alexandra schrieb auf "Ceiberweiber":

"Überlebensküche aus Griechenland"

"Ein Aspekt der wirtschaftlichen Situation vieler Menschen in Griechenland ist, dass sie kaum genug zu essen haben. LehrerInnen erleben, dass Kinder hungrig in die Schule kommen, so auch Eleni Nikolaidou, deren Buch "Starvation Recipes" zum Beststeller wurde.

Die Historikerin wertete dafür 6000 Zeitungsartikel aus den Jahren 1941 bis 1944 aus, der Zeit der deutschen Besatzung. Rezepte für Essen aus fast nichts und andere Überlebenstipps waren damals oft auf der Titelseite zu finden."

"Im Interview mit der "taz" fasst Nikolaidou die Ratschläge so zusammen: "Man sollte das Essen so lange wie möglich kauen. Krümel sollte man auch nicht wegwerfen, sondern in einem Glas sammeln. Eine Aubergine kann man durch den Fleischwolf drehen und anstelle von Hackfleisch verwenden. In einem Rezept steht auch, wie man aus Resten, die gerade mal für eine Person reichen, eine Suppe für eine fünfköpfige Familie machen kann."

Vor 70 Jahren wurden freilich auch die Hügel um die Städte praktisch kahl "gefressen", und streunende Hunde und Katzen lebten gefährlich, da sie oft im Kochtopf landeten. Nikolaidou zieht dennoch gewisse Parallelen, nicht zuletzt, weil nach "Starvation Recipes" mehr Nachfrage besteht als nach ihren bisherigen historischen Büchern:

"Immer mehr Griechen müssen ums Überleben kämpfen. Über eine Million Menschen sind arbeitslos und die Zahl steigt täglich. Es ist definitiv so, dass die Griechen ihre Gewohnheiten geändert haben, auch wenn es ums Essen geht. Die Straßenmärkte sind jetzt immer am Ende des Tages überfüllt, die Menschen versuchen verbilligte Produkte zu ergattern. Die Ansprüche sind durch das fehlende Geld gesunken. Viele suchen auch im Müll der Märkte nach verdorbenem Obst und Gemüse. Viele Schüler kaufen sich in der Schule kein Mitagessen mehr, weil oft beide Eltern ohne Arbeit sind. Inzwischen gibt es für die armen Kinder das Essen in den Schulen gratis."

"Nikolaidou hat tausende Mails erhalten, sowohl von Jüngeren als auch von Älteren. Die einen meinen, sie hoffen, dass sie diese Rezepte nie brauchen werden, die anderern erinnern sich an ihre harte Jugend. Damals musste man sehr einfallsreich sein: während bei uns etwa Eicheln als Kaffee herhalten mussten, verwendeten die GriechInnen Kichererbsen. Zeitungen meinten, dieser Kaffee sei genauso gut wie jener vor dem Krieg - schliesslich geht man ja nicht des Getränks wegen ins Kaffeehaus.

Man verwendete Rosinen als Süßstoff, was dazu führte, dass die traditionell bei Hochzeiten verteiten Mandeln schwarz wurden. Heute gibt es Menschen, sagt Nikolaidou, die ihre Küchenkästen öffnen und nicht viel mehr als ein Päckchen Mehl vorfinden - für sie bieten die Rezepte aus dem Krieg die eine oder andere Anregung.

Etwa eine Gemüsesuppe, die aus bisher weggeworfenen abgeschnittenen Fisolenspitzen besteht - dazu dann noch Salz und wenn vorhanden eine Karotte, eine Zwiebel oder eine Kartoffel. Man kann nicht nur Fleisch durch Auberginen ersetzen, sondern auch Eier durch Gelatine. Damals wurden Krümel auch nicht entsorgt, sondern in einem Glas gesammelt, um sie wieder zu verwenden.

Der griechische Koch FT Bletsas, der über Fernsehshow, Webseite und Videochannel verfügt und ebenfalls Bücher veröffentlicht hat, plädiert für gute und billige Küche. Er kommuniziert auch via Mail und Newsletter und beschreibt leicht nachzukochende günstige Gerichte wie Reis mit Rote Beete. Auch er rät, nichts wegzuwerfen, einzufrieren, was übrigbleibt, es bei einem neuen Essen mitzukochen oder jemanden zu geben, der es dringender braucht.

Wie in Low Budget-Kochbüchern empfiehlt er, bei gewissen Zutaten nicht zu sparen, sondern etwa in qualitativ hochwertiges OIivenöl zu investieren. Seine Rezepte basieren auch auf Sardinen in Dosen, Linsen, Weizen und gutem, aber selten verwendetem Fleisch. Bletsas will den Menschen helfen, Geld zu sparen und gut zu essen - so kann man entweder mehr Ressourcen für die Zutaten aufwenden oder sich etwas anderes leisten. Er rät, mit viel Energie in den Tag zu starten - zum Beispiel mit einer Mischung aus Weizen, Apfel, Honig und Joghurt...."

Zum Originalartikel auf dem Blog "Ceiberweiber"

Infos:

http://eleninikolaidou.weebly.com/
http://www.cookingeconomy.com/
Die griechische Katastrophe beleuchten (von Dieter Carstensen)
Kochen mit Christine Nöstlinger (günstig Kochen aus Österreich)

****************
Alexandra Bader
Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!

 

Hartz IV verfassungswidrig - Regelsatz um 36 Euro zu niedrig

Veröffentlicht in Pressemitteilungen

Beschluss vom 25. April 2012 (S 55 AS 9238/12): Nach Auffassung der 55. Kammer des Sozialgerichts Berlin verstoßen die Leistungen des SGB II gegen das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums. Die Kammer hat daher dem Bundesverfassungsgericht die Frage der Verfassungswidrigkeit des SGB-II-Regelbedarfs zur Prüfung vorgelegt. Zwar seien die Leistungen nicht evident unzureichend. Der Gesetzgeber habe bei der Festlegung des Regelsatzes jedoch seinen Gestaltungsspielraum verletzt. Die Referenzgruppe (untere 15 % der Alleinstehenden), anhand deren Verbrauchs die Bedarfe für Erwachsene ermittelt worden sind, sei fehlerhaft bestimmt worden. Die im Anschluss an die statistische Bedarfsermittlung vorgenommenen Kürzungen einzelner Positionen (Ausgaben für Verkehr, alkoholische Getränke, Mahlzeiten in Gaststätten und Kantinen, Schnittblumen u.s.w) seien ungerechtfertigt. Insbesondere habe der Gesetzgeber dabei den Aspekt der Teilhabe am gesellschaftlichen Leben unzureichend gewürdigt. Im Ergebnis seien die Leistungen für einen Alleinstehenden um monatlich rund 36 Euro und für eine dreiköpfige Familie (Eltern und 16-jähriger Sohn) um monatlich rund 100 Euro zu niedrig bemessen.

Die Kläger, eine gewerkschaftlich vertretene dreiköpfige Familie aus Neukölln, erhoben am 13. Juli 2011 Klage gegen das Jobcenter Berlin Neukölln wegen der Höhe der ab Januar 2011 bewilligten Leistungen. Für den letzten umstrittenen Zeitraum Januar bis Juli 2012 waren ihnen nach Anrechnung von Einkünften aus Erwerbsminderungsrente, Kindergeld und Erwerbseinkommen Leistungen von insgesamt 439,10 Euro bewilligt worden. Das Jobcenter hatte der Leistungsberechnung den gesetzlichen Regelbedarf von 2 x 337 Euro für die Eltern und 287 Euro für den 16-jährigen Sohn zuzüglich Kosten für Unterkunft und Heizung zugrunde gelegt. Die Kläger trugen vor, dass sie mit dem bewilligten ALG II ihre Ausgaben nicht decken könnten. Trotz größter Sparsamkeit müssten sie regelmäßig ihren Dispokredit und Privatdarlehen in Anspruch nehmen.

Die 55. Kammer des Sozialgerichts Berlin in der Besetzung mit einem Berufsrichter und zwei ehrenamtlichen Richterninnen kam heute nach öffentlicher mündlicher Verhandlung zu der Überzeugung, dass die Kläger zwar nach den ab 2011 gültigen SGB II-Vorschriften keine höheren Leistungen beanspruchen könnten. Diese Vorschriften seien jedoch mit dem Grundgesetz nicht vereinbar. Die Richter haben das Verfahren daher ausgesetzt und die Frage der Verfassungsmäßigkeit des aktuellen Regelsatzes dem Bundesverfassungsgericht zur Entscheidung vorgelegt.

Das Bundesverfassungsgericht habe dem Gesetzgeber in seinem Urteil vom 9. Februar 2010 (1 BvL 1/09)(Externer Link) einen Gestaltungsspielraum zur Bestimmung des Existenzminimums eingeräumt. Das Gesetzgebungsverfahren müsse jedoch transparent erfolgen und methodisch und sachlich nachvollziehbar sein. Insoweit zulässig habe der Gesetzgeber zur Bemessung des Existenzminimums ein Statistikmodell verwandt, das auf einer Auswertung der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe 2008 (EVS 2008) beruhe.

Bereits die Auswahl der unteren 15 % der Alleinstehenden als Referenzgruppe sei jedoch mit massiven Fehlern behaftet. Sie sei ohne nachvollziehbare Wertung und damit willkürlich erfolgt. Es sei nicht begründet worden, wie aus dem Ausgabeverhalten dieser Gruppe auf eine Bedarfsdeckung der Leistungsberechtigten geschlossen werden könne. Die Referenzgruppe enthalte unter anderem auch Haushalte von Erwerbstätigen mit „aufstockendem“ Bezug von existenzsichernden Leistungen sowie Studenten im BAföG-Bezug und Fälle „versteckter Armut“. Es stelle einen unzulässigen Zirkelschluss dar, deren Ausgaben zur Grundlage der Berechnung existenzsichernder Leistungen zu machen. Darüber hinaus lasse das Ausgabeverhalten Alleinstehender keinen Schluss auf die besondere Bedarfslage von Familien zu. Nicht hinreichend statistisch belegt sei zudem, dass es mit den ermittelten Beträgen noch möglich sei, auf langlebige Gebrauchsgüter (Kühlschrank/Waschmaschine) anzusparen.

Auch der wertende Ausschluss bestimmter Güter und Dienstleistungen aus dem Ausgabekatalog der EVS 2008 sei jedenfalls hinsichtlich der Positionen Verkehr, Mahlzeiten in Restaurants/Cafés und Kantinen, Ausgaben für alkoholische Getränke, Schnittblumen und chemische Reinigung nicht nachvollziehbar begründet. Der Gesetzgeber verkenne insbesondere, dass das Existenzminimum auch die Pflege zwischenmenschlicher Beziehungen zu ermöglichen habe. Im Übrigen sei bei einem derart „auf Kante genähten“ Regelbedarf das Statistikmodell seiner Legitimation beraubt. Das Statistikmodell und die Gewährung pauschaler Leistungen beruhten gerade darauf, dass der Gesamtbetrag der Leistung es erlaube, einen überdurchschnittlichen Bedarf in einer Position durch einen unterdurchschnittlichen Bedarf in einer anderen Position auszugleichen. Dieser interne Ausgleich sei durch die umfangreichen Streichungen nicht mehr ausreichend möglich.

Angesichts des Ausmaßes der aufgezeigten Fehler seien die Vorschriften zur Höhe des Regelsatzes (§§ 19, 20, 28 SGB II) verfassungswidrig. Für alleinstehende Personen müsse ab 2012 ein monatlicher Fehlbetrag von 36,07 Euro, für die klägerische Bedarfsgemeinschaft von ca. 100 Euro angenommen werden.

Schriftliche Entscheidungsgründe liegen noch nicht vor.

Anmerkungen der Pressestelle: Der Beschluss der 55. Kammer ist der deutschlandweit erste Vorlagebeschluss an das Bundesverfassungsgericht, in dem es um die Klärung der Verfassungsmäßigkeit der neuen Regelsatzhöhe geht. Allein das Bundesverfassungsgericht ist befugt, ein Parlamentsgesetz für verfassungswidrig zu erklären.

Am Berliner Sozialgericht sind zurzeit 107 Kammern mit der Bearbeitung von Klagen aus dem Recht der Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II – dem sogenannten Hartz IV Gesetz) befasst. Weitere Entscheidungen, die von der Verfassungswidrigkeit des aktuellen Regelsatzes ausgehen, sind bisher nicht bekannt. Ausdrücklich bejaht hat die Verfassungsmäßigkeit des Regelsatzes unter Verweis auf entsprechende Urteile der Landessozialgerichte von Bayern und Baden-Württemberg zum Beispiel die 18. Kammer des Sozialgerichts Berlin, Urteil vom 29. März 2012 – S 18 AS 38234/10.(Externer Link)

Nach wie vor bewegen sich die Eingangszahlen am SG Berlin auf dem Rekordniveau der letzten beiden Jahre. Im ersten Quartal 2012 gingen 7.857 neue Hartz IV Verfahren ein – ein monatlicher Durchschnitt von 2.619.

Quelle: berlin.de

 

Gründung des Bundesverbandes Deutsche Kulturloge (e.V.)

Veröffentlicht in Allgemeines

am 19.04.2012 wurde in den Räumen der Kulturloge Marburg der Bundesverband Deutsche Kulturloge (e.V.) gegründet.

Die Idee der Marburger Kulturloge soll bundesweit wirksam werden.

Zahlreiche kommunale Initiativen und Einzelpersonen sind seit der Gründung der Kulturloge Marburg e. V. an den Verein herangetreten und haben um Unterstützung bei der eigenen örtlichen Vereinsgründung und dem Aufbau der Kulturlogenarbeit gebeten. Diese Interessen und Bedürfnisse greift der Bundesverband Deutsche Kulturloge (e.V.) auf und bietet über die Mitgliedschaft den örtlichen Kulturlogen umfassende Unterstützung und Betreuung an.

Die Kulturloge Marburg e.V. ist der Pionier der Kulturlogenarbeit. Immer mehr Menschen werden vom Zugang zu kulturellen Veranstaltungen ausgeschlossen, nicht aus mangelndem Interesse, sondern aus Geldnot. Der Zweck und das Ziel der Kulturloge ist es, nicht verkaufte Eintrittskarten, die Kulturveranstalter zur Verfügung stellen, an Menschen mit geringem Einkommen kostenlos weiterzugeben. Ehrenamtliche Helferinnen und Helfer vermitteln die Karten und lassen sie beim Veranstalter an der Abendkasse auf den Namen des Kulturgastes hinterlegen. So wird die Kulturloge diesen Menschen eine Teilhabe an der Kultur und am gesellschaftlichen Leben ermöglichen.

Der Bundesverband Deutsche Kulturloge (e.V.) will bundesweit örtliche Kulturlogen initiieren, unterstützen und deren Arbeit bündeln. Den Familien mit geringem Einkommen sollen in möglichst zahlreichen Städten und Landkreisen, über die Vermittlung von nicht verkauften und gespendeten Eintrittskarten ermöglicht werden, kostenfrei kulturelle Veranstaltungen zu besuchen. Dabei ist es wichtig, das einzigartige Konzept der Kulturloge umzusetzen, nämlich besonderen Wert darauf zu legen, dass es keine Stigmatisierung der Kulturgäste geben kann. Die örtlichen sozialen Initiativen und Beratungsstellen informieren die Menschen mit geringen Einkommen über das Angebot der Kulturloge, sie haben ja bereits Vertrauen zur Zielgruppe aufgebaut, kennen die Menschen und ihre Verhältnisse und Probleme. Bei diesen Kooperationspartnern können Kulturgäste ihre Anmeldeformulare versehen mit ihren kulturellen Interessen für die Kulturloge abgeben, mit ihrem Stempel empfehlen die Institutionen den Bewerber für die Kulturloge. Die Grundsätze „behutsam-würdevoll-nachhaltig“ schützen das Selbstwertgefühl der Kulturgäste. Niemand darf bloßgestellt oder beschämt werden.

Der Gründungsprozess des Bundesverbandes Deutsche Kulturloge wurde von Marburg aus auf den Weg gebracht werden. Die Schutzrechte der Kulturloge Marburg e. V., die an die Grundsätze gebunden sind, werden auf den Bundesverband Deutsche Kulturloge (e.V.) übertragen.

Der Bundesverband Deutsche Kulturloge (e.V.) will für die bundesweite Kulturlogenarbeit transparente klare und verbindliche Regelungen vereinbaren. Es ist wichtig, eine geordnete Struktur bundesweit aufzubauen und den sich bundesweit gründenden Kulturlogen Hilfestellung zu geben

Die wichtigsten Pfeiler der Arbeit der Kulturlogen sind die Künstler, Kulturveranstalter, Sozialinstitutionen und die Ehrenamtlichkeit. Sie garantieren das würdevolle Miteinander und stärken das Selbstbewusstsein aller Beteiligten. Das Konzept wird gesichert durch die Einhaltung der Grundsätze der Kulturloge.

Der Bundesverband Deutsche Kulturloge (e.V.) versteht seine konkrete Arbeit zur kulturellen Teilhabe bundesweit auch als Handlungsappell an die Politik. Sozialpolitik, Kulturpolitik und Bildungspolitik .

Die bundesweite Kulturlogenarbeit soll mit demokratischen Strukturen, einer verabschiedeten Satzung verbindlich und planbar als ehrenamtliches, bürgerschaftliches Engagement gestaltet werden und vor allem vielen Menschen mit geringem Einkommen die Möglichkeit geben, wieder an der Kultur und am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen.

Viele Grüße

Hilde Rektorschek
1.Vorsitzende des Bundesverbandes
Deutsche Kulturloge (e.V.)
Mobil: 01702916764

Der Vorstand des Bundesverbandes:

Vorsitzende: Hilde Rektorschek, (KL Marburg)
1. Stellvertreter: Uwe Maedchen (KL Wuppertal)
2. Stellvertreter: Andreas von Glahn (KL Bremervörde)
Schatzmeister: Mathias Gröbner (KL Naumburg)

Krieg den Palästen

Veröffentlicht in Allgemeines

Mail Art Projekt Georg Büchner

Initiative Norbert Koczorski

2008 begann ich mit Recherchen zu Büchners Werk für eine Arbeit, die ich im Jubiläumsjahr 2013 zu Georg Büchners 200. Geburtstag aufführen wollte.

2009 platzte die Spekulationsblase der Banken weltweit. Es folgte in Deutschland das Urteil des Verfassungsgerichtes zur Sozialgesetzgebung. - Wie viel Geld ein Mensch zum Leben braucht. Die deutsche Politik inszenierte ein jahrelanges Trauerspiel mit einer minimalen schön gerechneten Erhöhung des Sozialgeldes. Die Löhne sind im sogenannten Niedriglohnbereich so niedrig, dass kein Mensch mehr davon leben kann. Im Gegensatz dazu: Steuergeschenke an die Reichen, mit Hohn und Spott der Politiker über die Armen, die sinnlos ihr Geld verprassen würden.

Mir reichte es, dass die Reichen immer reicher werden und die Armen immer ärmer. Ich sprach darauf hin Vertreter der Nationalen Armutskonferenz an, ob wir zu einem Mail Art Projekt zum Jubiläumsjahr Georg Büchners mit dem Titel

"Friede den Hütten, Krieg den Palästen"

aufrufen könnten. Die Gremien der Nationalen Armutskonferenz beschlossen, das Projekt zu realisieren.

Was ist Mail Art?

muss was Neuzeitliches sein, könnte man denken. Hört sich so an als wäre mail-art zwangsläufig mit dem Computerzeitalter verbunden, oder? Weit gefehlt; denn alles „englische“ hat eine anderssprachliche Bedeutung und infolgedessen oft auch einen anderen Ursprung.
Ursprung; ja den gilt es zu finden: „mail“ heißt „Post (-sendung)“. „art“ heißt „Kunst“. Damit ist doch alles klar: Post-Kunst Postkartenkunst, Kunstpostkarte etc....

Bitte sendet uns eure Ideen zum Thema auf einer Postkarte zu. Die Technik ist frei. Zeichnung, Foto, Gemälde, Collage, wir freuen uns auf eure Zusendungen.

EMPÖRT EUCH - WIR SIND 99 %

Herzliche Grüße

Euer Norbert Koczorski

Anschrift:   Mail Art Projekt
200 Jahre Georg Büchner
Postfach 1209
49356 Diepholz

Das Bildungs- und Teilhabepaket – Probleme und Kritik aus Betroffenensicht

Geschrieben von Andreas Geiger. Veröffentlicht in Bildung

Was will die Bundesregierung?

Auf der Homepage des Bundesarbeitsministeriums lässt sich folgende Information zum Bildungs- und Teilhabepaket nachlesen:

„Liebe Bürgerinnen und Bürger, das Bildungspaket gibt 2,5 Millionen bedürftigen Kindern aus Geringverdienerfamilien mehr Zukunftschancen. Sie haben jetzt einen Rechtsanspruch auf Bildung und aufs Mitmachen. (…) Das Bildungspaket folgt der großen Leitidee: Chancen eröffnen. Darauf haben die Kinder ein Anrecht. Es lohnt sich, dass wir alle unsere Kraft für die Kinder und ihre Lebensperspektiven einsetzen. Dazu lade ich Sie herzlich ein.“ Ursula von der Leyen, Bundesministerin für Arbeit und Soziales(1)

Das Bildungs- und Teilhabepaket fand mit Wirkung für 2011 Eingang in das Sozialgesetzbuch II (= ‚Hartz IV‘), eingefügt wurden die Paragrafen 28 („Leistungen für Bildung und Teilhabe“) und 29 („Erbringung der Leistungen für Bildung und Teilhabe“). Paragraf 28 regelt die Leistungen, die grundsätzlich und zusätzlich zum ‚normalen‘ ‚Hartz IV‘- Antrag beantragt werden können(2), Paragraf 29 wie bzw. in welcher Form es diese Leistungen geben soll (3).

Hintergrund der Neuregelungen ist das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 09.02.2010 zum Regelsatz in ‚Hartz IV‘: Dieses hatte festgestellt, dass insbesondere Ausgaben für Bildung und Teilhabe als Bestandteile des soziokulturellen Existenzminimums im Regelsatz von Kindern und Jugendlichen nicht adäquat berücksichtigt werden (4). Um nun aber den Regelsatz nicht für alle Kinder und Jugendlichen erhöhen zu müssen, da diese und ihre Eltern sich von dem Geld sonst womöglich Alkohol, Drogen, Flachbildschirme und große Autos kaufen würden; sicher aber auch um Geld zu sparen, da es bei antragsabhängigen, bedüftigkeitsgeprüften Leistungen immer einen hohen Anteil von Menschen gibt, die solche Leistungen

  • aus Scham, aus Unkenntnis, aus datenschutzrechtlichen Gründen
  • oder wegen des hohen Aufwands (Antrag ausfüllen, Nachweise kopieren, Bescheinigungen von Lehrern einholen, Bescheinigung eventuell vom Wohngeldamt holen, von Vereinen, immer wieder aufs Neue anfragen, was nun mit dem Antrag passiert, telefonisch auf Besetztzeichen hören, den Tag auf Ämtern verbringen, …),
  • wegen der grundsätzlichen Diskriminierung
  • oder einfach auch aus systembedingten Mängeln (Anträge verschwinden oft, werden wochen- oder monatelang nicht bearbeitet, werden nicht richtig berechnet oder ausbezahlt, es fehlt qualifiziertes Personal, das auch Zeit hat, …)
  • oder der Tatsache, dass manche Leistungen (Hausaufgabenbetreuung) oft nicht zur Verfügung stehen, nur schwer
  • erreichbar sind oder schlichtweg teurer sind, als das Gesetz bzw. Frau von der Leyen es annehmen.

Um also den Regelsatz nicht für alle erhöhen zu müssen, hat die Bundesregierung beschlossen, zwei gesonderte Paragrafen zu konstruieren, deren Ausführung den Jobcentern vor Ort überlassen wird. Theoretisch Anspruch auf die Leistungen zur Bildung und Teilhabe hätten knapp 2,5 Millionen Menschen, bis 1. November 2011 haben ca. 44% der Betroffenen die Unterstützung beantragt (5).

Die Zielgruppe (Berechtigte)

Anspruch auf Leistungen nach dem Bildungs- und Teilhabepaket haben Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene mit ihren Eltern bzw. in Bedarfsgemeinschaften, die

  • in Haushalten mit ‚Hartz IV‘-Bezug (§§ 28, 29 SGB II)/ (§§ 34, 34a SGB XII) leben
  • in Haushalten mit Wohngeldbezug (§ 6b BKGG) leben,
  • den Kinderzuschlag erhalten (ebd.)
  • nach dem Asylbewerberleistungsgesetz unterstützt werden, wenn mindestens eine Person länger als 48 Monate Leistungen nach dem AsylbLG bezieht.

Das heißt, bei entsprechend geringem Einkommen und vor allem dessen Nachweis (plus Antragstellung) können auch Menschen, die ansonsten keinen Anspruch auf ‚Hartz IV‘-Leistungen haben, Leistungen nach § 28 und § 29 SGB II beantragen!

Die Leistungen

Die Leistungen teilen sich auf in:

  • Leistungen für Bildung (§ 28 Abs. 1 – 6 SGB II): insbesondere für Schülerinnen und Schüler unter 25 Jahren, die allgemein-/berufsbildende Schulen besuchen und keine Ausbildungsvergütung erhalten
  • Leistungen für Teilhabe am sozialen und kulturellen Leben (§ 28 Abs. 7 SGB II): 10 EURO im Monat für minderjährige Leistungsberechtigte/ Schülerinnen und Schüler

Sie umfassen im Einzelnen:

  • 1. die Kosten für Schulausflüge und mehrtägige Klassenfahrten (je nach Höhe)
  • 2. den so genannten persönlichen Schulbedarf, der zweimal im Jahr ausbezahlt wird: es gibt 70 Euro am 1. August (ab 1.8.2011) und 30 Euro am 1. Februar eines Schuljahres
  • 3. weitere Leistungen, die je nach Bundesland oder Region (ländlicher Raum, Stadt) eingeschränkt erhältlich sind:
    • – Objektiv‘ eingeschränkt sind die Leistungen für Fahrtkosten zur nächstgelegenen Schule; diese sind nur dann zu übernehmen, wenn ein entsprechendes Angebot besteht und die Fahrtkosten nicht von anderen (Land) übernommen werden, ebenso verhält es sich mit der Übernahme der Kosten für Mittagessen (hier muss in Höhe des regelsatzrelevanten Mittagessens zugezahlt werden, ca. 1 Euro/Mahlzeit)
    • – ‚Subjektiv‘ eingeschränkt gibt es die ergänzende Lernförderung, die je nach schulischer Leistung, sprich Versetzungsgefährdung, bewilligt werden kann, wenn schulische Angebote nicht vorliegen. Bei ausreichenden Leistungen (= Note 4) kann das Lernziel als erreicht gelten, d.h. es muss nicht mehr weiterbewilligt werden !!
    • – ‚Objektiv‘ stark eingeschränkt sind auch die 10 Euro für Bildung und Teilhabe pro Monat, die als Zuschuss bzw. Gesamtbetrag für Sportvereinsbeiträge etc. gedacht sind. Zuschüsse für Turnschuhe, Trikots, Ballettschuhe oder ähnliches sind nicht vorgesehen.

Bis auf den persönlichen Schulbedarf müssen übrigens alle Leistungen einzeln und für jedes Kind gesondert beantragt werden! Als Kosten für das Bildungs- und Teilhabepaket für 2011 hat der Bund ca. 1 Milliarde Euro vorgesehen, real wird es aber wohl aufgrund der geringeren Inanspruchnahme zu Ausgaben von ca. 500 Millionen Euro kommen.(6)

Probleme

Schülerbeförderung in Rheinland-Pfalz
In Rheinland-Pfalz wurde die Schülerbeförderung im Zuge der Schulstrukturreform neu geregelt. Von Schülerinnen und Schülern der Realschule Plus wurde nun keine Eigenbeteiligung mehr erhoben; für die Schülerinnen und Schüler der Sekundarstufe I an Gymnasien und der IGS wurde eine Einkommensgrenze festgelegt. Sie entsprach der Einkommensgrenze bei der Schulbuchausleihe.
Ab Schuljahr 2012/2013 wird diese Regelung ausgeweitet. Nachdem das Landesverfassungsgericht im November 2010 eine Gleichbehandlung aller Sekundarstufe I-Schulen gefordert hatte, beschloss die Landesregierung eine generelle Kostenfreiheit bei der Schülerbeförderung bis Klasse 10.
Eine Einschränkung gibt es allerdings: Die „Zumutbarkeitsklausel“ – sie besagt, dass „der Schulweg (…) ohne Benutzung eines Verkehrsmittels nicht zumutbar (ist), wenn er besonders gefährlich ist oder wenn der kürzeste nicht besonders gefährliche Fußweg zwischen Wohnung und Grundschule länger als zwei Kilometer, zwischen Wohnung und Realschule plus, Integrierter Gesamtschule oder Gymnasium länger als vier Kilometer ist.“ (Rheinland-Pfälzisches Schulgesetz, § 69, S. 41)
Kurz: Die kostenlose Schülerbeförderung greift nur bei Schulwegen ab drei bzw. ab fünf Kilometern. Und sie gilt in der Regel nur für nächstgelegene Schulen.
Für Schülerinnen und Schüler, die die gymnasiale Oberstufe besuchen, wird weiterhin eine Eigenbeteiligung erhoben, es sei denn das Einkommen ihrer Eltern bewegt sich unterhalb der oben erwähnten Einkommensgrenzen. Bezogen auf das Bildungs- und Teilhabepaket bedeutet dies, dass § 28, Abs.4 SGB II für rheinland-pfälzische Schülerinnen und Schüler nicht greift.

Keine Regelsatzerhöhung

Nach einer Pressemitteilung des Deutschen Landkreistags vom 01.11.2011 (7) wurden bisher von 44 % der Leistungsberechtigten, die von den Behörden im Bereich der beiden Verbände befragt wurden, entsprechende Anträge gestellt. Dies wertet der Zusammenschluss der 295 deutschen Landkreise als Erfolg der Aufklärungsarbeit seiner Mitglieder. Besonders gefragt seien Zuschüsse für Schulessen, Ausflüge und Klassenfahrten. Gleiches berichtet auch der Deutsche Städtetag als größter kommunaler Spitzenverband: „Von den einzelnen Leistungen am stärksten nachgefragt werden weiterhin der Zuschuss zur Mittagsverpflegung, gefolgt von Zuschüssen zu Ausflügen und Klassenfahrten. Die Lernförderung wird seltener beantragt, aber inzwischen vielfach stärker in Anspruch genommen als noch im Juni.“ (8) Dass insbesondere Leistungen für Mittagsverpflegung und Zuschüsse zu Klassenfahrten beantragt werden, wundert nicht, da diese Leistungen vergleichsweise einfach zu beantragen und auch relativ einfach zu bescheiden sind. Was Frau von der Leyen jedoch verwundern sollte ist, dass die 10 Euro für „gesellschaftliche Teilhabe“ und die Lernförderung weniger abgerufen werden, und diese eigentlich die Kernelemente einer menschenwürdigen, zugänglichen und teilhabefördernden Leistungsgestaltung sein sollten.
Das hat meines Erachtens mehrere Gründe: Diese Punkte bergen zum einen einen besonders hohen ‚Beschämungsfaktor‘, da hier bei der Beantragung oder spätestens bei der Erstattung erbrachter Leistungen am deutlichsten wird, dass jemand in der ‚Hartz IV‘-Falle steckt, zum anderen ist hier relativ unklar, wie und welche Leistungen beantragt werden können. Gleichzeitig sind diese Leistungen auch besonders aufwandsintensiv und unklar ausgestaltet. Dass das nicht unintendiert sein kann, zeigt die gesamte Konstruktion des Gesetzes, die auf Einsparungen ausgelegt ist, so dass sich damit faktisch keine Regelsatzerhöhung für die meisten Betroffenen ergibt.
Muss ich wirklich einen Antrag stellen, wenn ich möchte, dass meine Kinder in den Fußballverein gehen und muss ich dann wirklich erst zum Sportverein gehen, mich als bedürftig outen, dann zum Amt, dann warten und dann wieder zum Verein? Und sind 10 Euro im Monat, deren Äquivalente ja gleichzeitig aus dem ‚materiellen‘ Regelsatz gestrichen wurden, wirklich ausreichend für die Bedürfnisse von Kindern und Jugendlichen und wäre diesen nicht mehr geholfen, wenn sie bzw. ihre Eltern eine höhere Regelleistung erhielten, so dass sie sich von den zu geringen ‚Hartz IV‘-Leistungen mehr als das absolut notwendige Minimum leisten können?
Basierend auf fachlichen Auswertungen der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe EVS, die auch der aktuellen Regelsatzberechnung zu Grunde liegt, hat die Bundesarbeitsgemeinschaft der Erwerbslosen- und Sozialhilfeinitiativen (BAG-SHI) bereits für 2007 (Werte beruhend auf EVS 2003) Regelsätze von 370 Euro für Kinder unter 6 Jahren, von 438 Euro für Kinder von sechs bis 12 Jahren und von 486 Euro für Kinder und Jugendliche bis 18 Jahren errechnet (9). Faktisch bedeutet das Bildungsund Teilhabepaket also, dass zwar offiziell der Regelsatz für Kinder und Jugendliche um einen (zu geringen) Betrag angehoben wurde, um den Forderungen des Bundesverfassungsgerichtes zu genügen, dass aber gleichzeitig für viele Kinder und Jugendliche keine Erhöhung der Leistungen erfolgt. Das ist Mogelei auf höchstem Niveau!

Restriktive Regelung der Schülerbeförderung (§ 28 Abs. 4 SGB II)

Gesetzlich vorgesehen ist der Besuch der nächstgelegenen Schule, wird eine andere Schule besucht, muss ein Ablehnungsbescheid der nächstgelegenen Schule vorgelegt werden, bestimmte Strecken müssen mit dem Fahrrad oder zu Fuß zurückgelegt werden (3 km bis zur vierten Klasse, 5 km ab der fünften; (10)). Erfolgt die Erstattung durch andere, insbesondere die Bundesländer, wird keine Kostenerstattung gewährt.

Lernförderung nach § 28 Abs. 5 SGB II als Sachleistung mit einer Anzahl unbestimmter Rechtsbegriffe

Die bisherige Erfahrung zeigt, dass die Lernförderung noch nicht genügend bekannt ist und auch in den Schulen nicht ausreichend kommuniziert wird. Die Kostenerstattung für Lernförderung gibt es nur als Ergänzung schulischer Angebote und sie ist beschränkt auf nicht näher definierte ‚angemessene‘ (!) Kosten. In der Begründung des Gesetzgebers wird ausdrücklich darauf verwiesen, dass diese nur in Ausnahmefällen geeignet und erforderlich und damit im Gesetzessinn notwendig sei.
Das bedeutet:

  • Lernförderung erfolgt nur, wenn die Schule keine entsprechenden Angebote vorhält.
  • Vor Ort muss eine kostengünstige Anbieterstruktur vorhanden sein, um diese Leistung überhaupt abrufen zu können.
  • Es muss eine konkret benötigte Lernförderung nachgewiesen werden, gegebenenfalls müssen die Antragstellerinnen und Antragsteller nachweisen, dass die Lernförderung, d.h. die Unterstützung des jeweiligen Kindes nicht durch Eltern, Geschwister etc. (Verweis auf die Selbsthilfe) oder schulische Angebote möglich ist.

Ein Hauptkriterium reduziert die Lernförderung auf die Fälle, in denen die Versetzung in die nächste Klassenstufe gefährdet bzw. kein ausreichendes Leistungsniveau vorhanden ist! Wenn dieses wesentliche Lernziel (Versetzung) nicht mehr erreicht werden kann, ist eine Lernförderung auch nicht mehr nötig. Bei unentschuldigtem Fehlen und fehlender Leistungsverbesserung über mehrere Wochen bzw. Monate muss die Lernförderung wieder gestrichen werden. Erbracht wird die Lernförderung in Form von Sach- und Dienstleistungen (personalisierte Gutscheine oder Direktzahlungen an Leistungsanbieter).

Kritik

Die Voraussetzungen für die Gewährung sind viel zu restriktiv gesetzt, da faktisch nur im Falle gefährdeter Versetzung gefördert werden darf und der Anspruch an die Eigeninitiative der betreffenden Eltern, die oft eine Bildungsdifferenz im Vergleich zur ‚nachhilfegeförderten Mittelschicht‘ haben oder denen schlicht die Zeit fehlt, sehr hoch gesetzt sind. Hier wird es wohl vor allem auf die Leistungskulanz der Sachbearbeiterinnen und Sachbearbeiter vor Ort ankommen – so wird Soziales Recht wieder zur bittstellenden Fürsorge, die nicht mehr auf gesichertem Rechtsanspruch sondern auf Gewährung beruht!

Teilhabe am sozialen und kulturellen Leben in der Gemeinschaft

Der zweite Teil des Bildungs- und Teilhabepakets wird bis zum 18. Lebensjahr gewährt in Höhe von 10 Euro als Pauschalbetrag im Monat für Mitgliedsbeiträge in den Bereichen Sport, Kultur und Geselligkeit, d.h. es können auch mehrere Monate ‚zusammengespart‘ werden, um eine teurere Sportart in vergleichsweise geringerem Umfang zu betreiben (da Leistung nach § 29 Abs. 2 Satz 3 SGB II im Voraus ausgegeben werden kann). Für diesen niedrigen Betrag haben Betroffene einen hohen bürokratischen Aufwand. Ein individueller Rechtsanspruch auf eine umfassende Deckung kinderspezifischer Bedarfe ist daraus leider nicht ableitbar, zudem werden die Bedarfe nicht bei allen Kindern gedeckt (vgl. z.B. Erreichbarkeit und Vielfalt der Angebote im ländlichen Raum), die Altersbegrenzung bis 18 Jahre ist ebenfalls nicht nachvollziehbar. Eine Erhöhung und eine Anpassung an die generelle Preisentwicklung scheinen nicht vorgesehen.

Kritik

Das Gesetz ist gegenfinanziert durch teilweise stagnierende und nicht abgerufene Regelleistungen sowie Kürzungen im Bereich des SGB II von 2,4 Milliarden EURO (11).

Sinnvoller als das komplizierte Instrument der Förderungen nach dem SGB II wären entsprechende Förderangebote an Schulen, die alle Schülerinnen und Schüler je nach individueller Problemlage erreichen und diskriminierungsfrei ausgestaltet werden könnten.

Der Umgang mit der Menschenwürde

Im Allgemeinen sind Sachleistungen im SGB II nur in gesetzlich ausdrücklich geregelten Fällen möglich und bedürfen grundsätzlich „stets einer Einzelfallentscheidung, die generelle Erbringung von Sachleistungen an Gruppen von Leistungsberechtigten (z.B. nach § 24 Abs. 2 bei Drogen- oder Alkoholabhängigen) ist rechtlich unzulässig.“ (12)

Sachleistungen haben tendenziell einen diskriminierenden Charakter, die Leistungen gehören als Geldleistung in die Hand der Eltern. Die Sachleistungs- bzw. Gutscheinregelung stellt Eltern unter den Generalverdacht, nicht mit Geld umgehen zu können – eine Behauptung, die inzwischen in mehr als genug Studien widerlegt wurde und jeglicher Grundlage entbehrt, gerade Eltern mit geringem Einkommen sparen mehr an sich, als an ihren Kindern (13).

Bundesweit befürchten Sozialhilfeinitiativen, dass das Bildungs- und Teilhabepaket den Einstieg in eine zunehmende generelle Sachleistungserbringungslogik darstellt, um damit direkt in die Gestaltungsfreiheit von Menschen in Notlagen eingreifen zu können und von der Wahrnehmung sozialer auch als materieller Rechte abzuschrecken.

Grundsätzliche Kritik:

Das Leistungspaket dient letztendlich der Entmündigung und Diskriminierung von Eltern im Sozialleistungsbezug, da ihnen pauschal unterstellt wird, dass sie Geldleistungen nicht für ihre Kinder ausgeben würden. Auch aufgrund der Ausgestaltung der Leistung drängt sich sehr stark die Frage auf, ob das ‚Bildungspaket‘ nicht nur geschnürt wurde, um auf ‚Hartz IV‘-Leistungen angewiesene Menschen generell öffentlich weiter zu diskreditieren. Würde es wirklich um eine Verbesserung im Rahmen der Bildungsbeteiligung gehen, müsste auch die Leistungsgewährung der Lernförderung anders ausgestaltet sein und dürfte sich nicht nur an der Überwindung akut bestehender Versetzungsgefährdung orientieren.

Die intendierte Diskriminierung belegt folgender Ausschnitt aus der online-Ausgabe des Münchner Merkur vom 21.04.2011: „Die Behörden müssen sich kümmern, aber die Eltern müssen sich auch kümmern“, sagte von der Leyen im Fernsehsender n-tv.“ „Damit die Angebote stärker angenommen werden, sollen die Eltern nach von der Leyens Worten in einem dreistufigen Verfahren motiviert werden. Dazu zählen separate Anschreiben und Hausbesuche von Sozialarbeitern oder Familienlotsen.“(14). Hier offenbart sich ein mittelalterliches Sozialstaatsverständnis: „armenpolizeiliche“ Maßnahmen wie Hausbesuche ohne Verdachtsmomente gelten eigentlich schon seit der Einführung der Fürsorgepflichtverordnung in den 1920er Jahren als überholt und stellen einen massiven, unzumutbaren Eingriff in die Persönlichkeits- und Freiheitsrechte der Menschen dar. Damit wird die vordergründige Einführung eines „Rechts“ für Wenige zur Gefahr für alle, die sich nicht von der Beantragung von notwendigen Leistungen abhalten lassen wollen und können. So wird sozialstaatliches „Fördern“ zum sozialdisziplinierenden „Fordern“ und die Diskriminierungsschraube weiter und ungerechtfertigt angezogen!

Auf der praktischen Ebene dient die Form der gesonderten Beantragung von Leistungen nach § 28 Abs. 2, Abs. 4–7 der Einsparung, nicht der Hilfe. Für Menschen, die auf ‚Hartz IV‘ angewiesen sind, ließe sich, selbst wenn man der Sachleistungslogik der Ministerin folgt, eine weit unbürokratischere, menschenfreundlichere und verwaltungstechnisch einfachere Lösung finden.

»»Kritikpunkt Gegenfinanzierung

Durch die Herausnahme der Bildungsleistungen aus dem Regelsatz und die abzusehenden Nichtausgaben finanziert sich das Bildungspaket quasi selbst und dient im Prinzip der Einsparung verfassungsgerichtlich geforderter Leistungserhöhungen: Durch die Schaffung der Möglichkeit, Leistungen zu beantragen, die größtenteils gar nicht für alle Kinder und Jugendlichen gelten (Stichwort: Versetzungsgefährdung) und die gleichzeitige ‚Überleitung‘ der bisher im Regelsatz enthaltenen Bildungsleistungen in das Bildungs- und Teilhabepaket wird im gleichen Segment mehr Geld eingespart als ausgegeben! Ein Schelm, wer Böses dabei denkt. Dazu kommen noch die Gesamteinsparungen von 2,4 Milliarden Euro, die für 2011 im ‚Hartz IV‘-Gesamtpaket stattfinden.

»»Kritikpunkt fehlende Individualisierung/‘Öffnungsklausel‘

Wenn die Leistung wirklich zielführend sein soll, insbesondere bei Kindern und Jugendlichen mit Schwierigkeiten im schulischen Bereich, so wäre es kein Problem gewesen, auf gesetzlicher Ebene individuelle und wirksame Fördermöglichkeiten zu gestatten. Allerdings ist das Sozialgesetzbuch II mit seiner einseitigen Ausrichtung auf die Aufnahme jeder Art von Erwerbsarbeit weder gesetzlich noch personell auf die Förderung von Kindern und Jugendlichen ausgerichtet. Dies würde mehr Rechte für Betroffene, aber auch besser geschultes und auch mit zeitlich mehr Ressourcen ausgestattetes Personal voraussetzen und eine Abkehr von der gesetzlich vorgegebenen gängigen Philosophie des ‚Forderns statt Förderns‘. Das SGB II kennt aber leider keine Kinder und Jugendliche sondern nur Menschen, die „alle Möglichkeiten zur Beendigung oder Verringerung ihrer Hilfebedürftigkeit ausschöpfen.“ (15) Es ist daher nämlich kein Sozialgesetz, das der Überwindung von Notlagen dienen soll oder kann, sondern ein Gesetz, dass Menschen möglichst schnell aus seinem Geltungsbereich herausbefördern soll.

»»Kritikpunkt fehlende Ausstattungsbedarfe z.B. bei Sportvereinen – Sportkleidung, Turnschuhe, gemeinsame Unternehmungen

Die Möglichkeit für Kinder und Jugendliche, sich in Vereinen Dank einer Unterstützung von 10 Euro/Monat beteiligen zu können, werden weiter begrenzt durch Zusatzausgaben, die bei bestimmten Sportarten unweigerlich auftreten, seien es der Kauf von Turnschuhen oder eines Judo-Anzuges, … . Hier wäre es sinnvoll gewesen, zusätzlich zu dem jeweils anstehenden Vereinsbeitrag per ‚Öffnungsklausel‘ im Einzelfall auch weitere Leistungen zu gewähren.

Andreas Geiger, allein erziehender Vater mit zwei Töchtern, 10 und 13 Jahre alt, vertritt die Landeserwerbskonferenz Rheinland-Pfalz (L.E.K.) und ist Mitglied im Sprecherkreis der Landesarmutskonferenz Rheinland-Pfalz. Er ist darüber hinaus seit 1998 ehrenamtlich in der Sozialhilfe- und ‚Hartz IV‘- Beratung aktiv.

»»Kritikpunkt eingeschränkte Angebotsförderung

Die Tatsache, dass nur bestimmte Angebote gefördert werden, offenbart einen stark eingeschränkten „Kultur“- Begriff, provokativ gesagt: Skateboards statt Geigen! Gerade um sich in den für Kinder und Jugendliche immer wichtiger werdenden peer-groups adäquat bewegen und ‚mithalten‘ zu können sind oft einmalig anzuschaffende Dinge wichtig, beispielsweise ein Skateboard, Inline-Skates etc. Auch hier wäre eine Erhöhung des Regelsatzes sinnvoller gewesen als die nachzuweisende Förderung von Vereinsbeiträgen oder spezieller, mit 10 Euro kaum finanzierbarer Musikunterrichtskosten, an die der Gesetzgeber wohl in erster Linie gedacht hat.

»»Kritikpunkt hoher Verwaltungsaufwand

Ca. 20% der Kosten des gesamten Bildungs- und Teilhabepakets fließen in die Verwaltung!
Gesamtgesellschaftlich betrachtet bleibt das Hauptproblem jedoch, und dies sollte der Dreh- und Angelpunkt aller Kritik am Bildungs- und Teilhabepaket und dessen Ausgestaltung sein, die implizite Diskriminierung Betroffener und die Gefahr des Einstiegs in eine zunehmende Sachleistungsdynamik auch für weitere Leistungen. Provokant formuliert signalisiert das Bildungs- und Teilhabepaket den Einstieg in den Ausstieg sozialpolitischer Errungenschaften und dient damit eher der Abschreckung als der Inanspruchnahme notwendiger Grundleistungen im Sinne von Teilhabe, Selbstbestimmung und Menschenwürde.

 


 

(1) http://www.bildungspaket.bmas.de/, Startseite; Abruf 11.11.2011
(2) http://www.gesetze-im-internet.de/sgb_2/__28.html ; Abruf 11.12.2011
(3) http://www.gesetze-im-internet.de/sgb_2/__29.html ; Abruf 11.12.2011
(4) vgl. http://www.bverfg.de/pressemitteilungen/bvg10-005
(5) http://www.der-paritaetische.de/fachinfos/artikel/news/bildungs-und-teilhabepaket/; Abruf 11.12.2011
(6) ebd.
(7) http://www.kreise.de/__cms1/presseforum/652-pressemitteilung-vom-1-november-2011.pdf ; Abruf 11.11.2011
(8) http://www.staedtetag.de/10/presseecke/pressedienst/artikel/2011/11/01/00817/index.html ; Abruf 11.12.2011
(9) http://www.bag-shi.de/BAGSHI_Archiv/sozialpolitik/arbeitslosengeld2/kinderregelsatz
(10) vgl. Münder, Johannes (Hrsg.): Sozialgesetzbuch II – Grundsicherung für Arbeitsuchende, Lehr- und Praxiskommentar; 4. Auflage, Baden-Baden, S. 680
(11) DER PARITÄTISCHE: Paritätische Forschungsstelle – Arbeitspapier: Leistungskürzungen für SGB II-Bezieher und Minderausgaben im Teilhabe- und Bildungspaket für das Jahr 2011, S. 3f; in: http://www.der-paritaetische.de/index.php?elD= tx_nawsecuredl&u=0&file=/uploads/media/Bildungs_Teilhabpaket_11_2011a.pdf&t=1324296367&hash=76eead904e852bc6657c4147c803c68ef773a445
(12) Münder, J.: a.a.O., S. 84f
(13) Münnich, Margot: Einkommensverhältnisse von Familienhaushalten und ihre Ausgaben für Kinder – Berechnungen auf der Grundlage der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe 2003; in: Wirtschaft und Statistik 6/2006, S.644ff und: Münnich, M./Krebs, Thomas: Ausgaben für Kinder in Deutschland – Berechnungen auf der Grundlage der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe 1998, in: Wirtschaft und Statistik 12/2002, S. 1080ff
(14) http://www.merkur-online.de/nachrichten/politik/leyen-fordert-breiten-einsatz-auf-allen-seiten-1214519.html
(15) § 2 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch II – Grundsicherung für Arbeitsuchende, zit. nach: http://www.arbeitsagentur.de/zentraler-Content/A20-Intern/A201-Organisation/Publikation/pdf/Sozialgesetzbuch-Zweites-Buch-SGB-II.pdf

Erstes VAMV-Forum: Teilhabe zum Abholen – was bringt das Bildungspaket?

Geschrieben von Monika Wilwerding VAMV . Veröffentlicht in Bildung

Das Forum zum Bildungs- und Teilhabepaket ist die erste Veranstaltung in dieser Form, die der VAMV-Landesverband durchführte. Laut Beschluss der letzten Landesdelegiertenversammlung sollen Foren zukünftig die bisherigen so genannten erweiterten Vorstandssitzungen ersetzen. Dem Verband war es wichtig, ein unbürokratisches Gremium zu schaffen und über aktuelle Schwerpunktthemen mit Praktikerinnen und Praktikern ins Gespräch zu kommen. Die Ergebnisse der Diskussion sollen als Handlungsempfehlungen an die politisch Verantwortlichen transportiert werden. Ein Anliegen war es auch, die Veranstaltung entsprechend in der Verbandszeitschrift zu dokumentieren.

Als Gäste hatte der Verband Vertreterinnen und Vertreter derjenigen Institutionen eingeladen, die mit dem Bildungs- und Teilhabepaket im Alltag konfrontiert werden. Das sind unter anderem Jobcenter, Sportvereine, Betroffenenverbände, Schulen, Nachhilfeeinrichtungen, Gewerkschaften.
Darüber hinaus waren bei diesem Forum neben dem Vorstand auch VAMV-Mitglieder anwesend, die aus ihrer persönlichen Erfahrung mit dem Bildungs- und Teilhabepaket berichten konnten. Nach den Vorträgen der Expertinnen und Experten wurden im gemeinsamen Gespräch konkrete Verbesserungsvorschläge und Handlungsempfehlungen entwickelt, die im Folgenden dargestellt werden.

Abschaffen oder Nachbessern?

Neben der allgemeinen Kritik am Bildungs- und Teilhabepaket als zu bürokratisch, zu willkürlich und finanziell nicht ausreichend stellte sich in der Diskussion um seine Auswirkungen eine zentrale Frage: Ist es nicht sinnvoller das Gesetz grundsätzlich abzuschaffen als sich für eine „kleine“ Lösung einzusetzen, die den Umgang mit der gesetzlichen Vorlage erleichtert und das Bestmögliche für die Betroffenen erreicht? Die Antwort auf diese Frage lautete:
Auf Landesebene und auf kommunaler Ebene muss sich der Verband für die pragmatische Möglichkeit einsetzen – auf Bundesebene müssen die Lobbyverbände vehement für eine Abschaffung des Gesetzes und einen grundsätzlichen Perspektivenwechsel kämpfen, denn das Bildungs- und Teilhabepaket trägt definitiv nicht zu mehr Bildungsgerechtigkeit bei. Statt vereinzelter individueller Leistungen auf Antrag für Kinder, deren Eltern ALG-II Bezieher sind, muss Schule als Institution so gefördert werden, dass alle Kinder, gleich welcher Herkunft, gleiche Chancen und gleiche Möglichkeiten der Teilhabe haben. Gleichzeitig brauchen Kinder eine eigenständige Existenzsicherung, sei es nun ein Existenz sichernder Regelsatz oder eine staatliche einkommensunabhängige Kindergrundsicherung in Höhe von 500 Euro, die viele Verbände schon seit langem fordern.

Doch bis dieses Ziel erreicht ist, brauchen diejenigen, die sich für Chancengleichheit von Kindern einsetzen, noch einen langen Atem.

Gesellschaftliche Auswirkungen

Im Verlaufe der Diskussion wurde deutlich, dass das Bildungs- und Teilhabepaket vom Ansatz her impliziert, dass Eltern, die am Rande des Existenzminimums leben und auf staatliche Transferleistungen angewiesen sind, unter Generalverdacht gestellt werden, sie könnten nicht richtig für ihre Kinder sorgen. Deshalb dürfe man ihnen das Geld nicht in die Hand geben. Derartige pauschalen Vorurteile sind diffarmierend und führen zur gesellschaftlichen Spaltung. Sind arme Eltern gleichzeitig schlechte Eltern? Die Spaltung verläuft darüber hinaus zwischen ALG-Empfänger/innen und berufstätigen Eltern, deren Einkommen gerade so über dem Existenzminimum liegt. Es ist kaum vermittelbar, dass deren Kinder keine Leistungen aus dem Bildungs- und Teilhabepaket erhalten.

Mehr Flexibilität statt restriktiver Vorgaben

Aus den Beiträgen der Expertinnen und Experten ging eindeutig hervor, dass das Gesetz viele Vorgaben enthält, die restriktiv sind und daher verändert werden müssen. Dazu gehören vor allem:

  • Die Abschaffung der starren Altersgrenze von 18 Jahren
  • Ein präventiveres Verständnis von Lernförderung. Diese darf nicht an Versetzung gekoppelt sein und muss früher ansetzen können. Grundsätzlich gehört Lernförderung an die Schulen, weil sie dort am direktesten und effektivsten umgesetzt werden kann. 
  • Die Ausweitung des Kulturbegriffs – Teilhabe drückt sich nicht nur in Sportvereinen und Geigenunterricht aus, sondern darin, ob Kinder sich adäquat und gleichberechtigt in ihren Peer-groups bewegen können
  • Die Ausweitung der Förderung auf mehrtägige Schulveranstaltungen statt Beschränkung auf Klassenfahrten nach schulrechtlichen Bestimmungen
  • Eine Kostenerstattung für Vorleistungen, die nachgewiesen werden
  • Die Ermöglichung rückwirkender Antragstellung für die Teilhabe am sozialen und kulturellen Leben

Kostenlose Schulmahlzeiten für alle Kinder

Die Eigenbeteiligung beim Mittagessen in den Schulen muss abgeschafft werden – die negativen Auswirkungen der jetzigen Regelung werden in vielen Gesprächen mit Betroffenen und Schulen deutlich. So werden Kinder beispielsweise vom Mittagessen abgemeldet, weil ihre Eltern nicht in der Lage sind, den entsprechenden Antrag zu stellen. Oder noch schlimmer: sie stehen an der Essensausgabe Schlange und erhalten kein Mittagessen.

Bürokratieabbau

Die Anträge auf das Bildungs- und Teilhabepaket müssen vereinfacht werden. Grundsätzlich sollte gleichzeitig mit dem Antrag auf ALG-II Leistungen auch der Antrag auf das Bildungs- und Teilhabepaket verknüpft sein, um alle Betroffenen zu erreichen und bürokratische Hindernisse abzubauen. Das würde auch deutlich machen, dass das Bildungs- und Teilhabepaket zu den ALG-II Leistungen gehört und ein automatischer Anspruch besteht. Bei den derzeitigen Bedingungen schreckt der Arbeitsaufwand viele Eltern ab, weil sie eh schon zermürbt sind und oft die Initiative für eine komplizierte Antragstellung nicht aufbringen können.

Gezielte und offensive Informationspolitik

Informationswirrwarr und Intransparenz in Bezug auf das Bildungs- und Teilhabepaket müssen beendet werden. Dazu gehören auch einheitliche Regelungen in den Kommunen und den zuständigen Behörden (Jobcenter, Sozialämter, Kindergeldstellen). Das erfordert einheitliche Vorgaben seitens der zuständigen Bundes- und Länderministerien. Die Jobcenter müssen aktiv auf die ALG-II Empfänger/ innen zugehen und über das Bildungs- und Teilhabepaket informieren. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Jobcenter müssen entsprechend qualifiziert werden. Anträge müssen unbürokratisch und vor allem zeitnah bearbeitet und bewilligt werden. Es darf grundsätzlich nicht von der Art des Engagements einzelner Behörden abhängig sein, wie und wann betroffene Eltern von den Möglichkeiten des Bildungs- und Teilhabepakets erfahren und wie erfolgreich seine Möglichkeiten umgesetzt werden.

Kommunen könnten beispielsweise einen „Bildungsangebotsführer“ mit allen Angeboten der jeweiligen Kommune erarbeiten und diesen über Jobcenter und Schulen allen betreffenden Eltern zugänglich machen. Das von der Bundesregierung erarbeitete Informationsmaterial ist weitgehend unbekannt – wenn es einen Sinn haben soll, dann müssten die Flyer und Broschüren flächendeckend verbreitet werden.

Mehr Vernetzung

Vereine, Bildungsträger und Jobcenter müssen sich regional vernetzen und gemeinsame Ideen entwickeln, a) zur Verbesserung der Abläufe vor Ort und b) für Projekte, die aus Mitteln des Bildungspakets gefördert werden können. Viele Mittel aus 2011 warten noch auf ihre Abrufung – hier ist die Kreativität der Organisationen gefordert. Den Kommunen kommt bei dieser Vernetzung eine zentrale Rolle zu – sie haben Koordinierungsfunktion und müssen dafür sorgen, dass die Umsetzung des Bildungsund Teilhabepakets vor Ort möglichst optimal gelingt. Grundsätzlich gilt also: Den Kopf in den Sand zu stecken angesichts des bürokratischen Ungetüms eines Bildungsund Teilhabepakets gilt nicht. Sämtliche Interessenverbände müssen sich für eine Verbesserung einsetzen, auch die Forderung nach Erhöhung der Beträge für die Betroffenen muss immer wieder erhoben werden. Die Chancen, die sich im Bildungs- und Teilhabepaket verstecken, müssen vor Ort in einer gemeinsamen Anstrengung aller Akteurinnen und Akteure genutzt und phantasievoll umgesetzt werden.