STREET JUMPER - Ein Projekt von Armut und Gesundheit in Deutschland e.V.

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Mit unserem STREET JUMPER“, suchen wir Kinder und Jugendliche in benachteiligten Wohngebieten in Mainz auf.

Herzstück des Angebots ist ein für Kinder und Jugendliche attraktives, auffälliges Wohnmobil mit kleiner Küche, Sitzecke, Stauraum für Materialien etc. Es besucht zu immer gleichen Zeiten Orte in verschiedenen Stadtgebieten, an denen sich Kinder und Jugendliche aufhalten.

Bei uns gibt  es einen gesunden Imbiss, eine warme Suppe, Getränke und ansprechende Sport- und Spielmöglichkeiten, körpertherapeutische Angebote und immer ein offenes Ohr für alles. Eine kleine Bibliothek ist vorhanden, ebenfalls Internetzugang, vor Ort wird ein improvisiertes Straßencafé eingerichtet.

Im Mobil ist auch bei schlechtem Wetter Platz für Gespräche und individuelle Beratung oder um sich mal zum Lesen zurückzuziehen.

Für besondere Angebote können wir feste Räume ansässiger Jugendhilfeeinrichtungen nutzen.

Mit Eltern und Großeltern wollen wir durch einen Nachmittagscafétreff ins Gespräch kommen.

Um die Angebote so vielfältig wie möglich zu machen und gleichzeitig auf vorhandene Vereine und deren Angebote aufmerksam zu machen, werden Institutionen und Initiativen aus den Stadtteilen als Kooperationspartner in die Arbeit mit einbezogen. Auch die Menschen, mit denen wir in der inzwischen aufgelösten Obdachlosensiedlung „Zwerchallee“ zusammengearbeitet haben und die in anderen Stadtteilen eine Wohnung bekommen haben, werden aktiv in unsere Arbeit mit einbezogen, damit der gute Kontakt erhalten bleibt, und wir sie bei Problemen auch weiterhin unterstützen können.

Information für Eltern

Das Projekt wurde mit dem Helmut-Simon-Preis ausgezeichnet.

(Quelle: armut-gesundheit.de)

 

Obdachlosen - Uni

Geschrieben von Maik Eimertenbrink. Veröffentlicht in Allgemeines

Sehr geehrte Damen und Herren, sehr geehrte Freundinnen und Freunde der Obdachlosenhilfe,

mein Name ist Maik Eimertenbrink, ich arbeite zusammen mit dem Verband für sozial-kulturelle Arbeit e. V. und der MUT Gesellschaft für Gesundheit mbH an einem Projekt mit dem Arbeitstitel "Obdachlosen-Uni". Das Projekt wird von der Stiftung Pfefferwerk finanziert.

Es geht bei diesem Projekt darum, herauszufinden, wie groß ein mögliches Interesse seitens von Obdachlosen und Bedürftigen an eine Art "Bildungseinrichtung für Obdachlose" ist. Dabei geht es nicht vorrangig darum, die "üblichen" Lehrinhalte bzgl. Hygiene und Selbsthilfe auf der Strasse etc. vorzutragen. Es geht vielmehr darum, dass evtl. sogar Obdachlose selbst (mit Hilfe von zur Seite gestellen Dozenten) "Vorlesungen" durchführen - und das in Ihrem gewohnten Umfeld.

Wie genau und ob soetwas angenommen wird - dies gilt es zu ergründen. Ich schicke Ihnen im Anhang mal einen Fragebogen, den wir so gern in Ihrer Einrichtung auslegen würden. Gern nehmen wir auch Tipps und Anmerkungen von Ihnen entgegen!

Download des Fragebogens

Die Bahá'í-Religion

Geschrieben von Dietmar Hamann. Veröffentlicht in Allgemeines

Unsere Welt befindet sich in einer Phase tiefgreifender Veränderungen. Wichtige geistige Impulse empfängt die Menschheit in solchen Zeiten stets von der Religion. Religionsstifter wie Abraham, Zoroaster, Moses, Buddha, Krishna, Christus und Mohammed  haben jeweils entscheidend zur ethischen und kulturellen Entwicklung der Menschheit beigetragen.

Bahá'u'lláh (1817 bis 1892) ist der Stifter der Bahá'í-Religion. Er erkennt die Ihm vorausgegangenen Religionsstifter als Gottgesandte an und beansprucht gleichzeitig, jüngstes Glied in einer Kette der Gottesboten zu sein und die Verheißungen der früheren Religionen zu erfüllen.

Die Bahá'í-Religion stellt eine unabhängige Offenbarungsreligion dar und stimmt in ihren ethischen Kernaussagen mit den anderen Hochreligionen überein. Darüberhinaus enthält sie jedoch zahlreiche Elemente, die neue Impulse für die Entwicklung der Menschheit darstellen und für das friedliche Zusammenleben aller Völker unabdingbar sind.

Die weltweite Gemeinde im Überblick

In etwas mehr als 150 Jahren ist die Bahá’í-Religion von einer unbekannten Bewegung im Mittleren Osten zu einer der am weitesten verbreiteten, unabhängigen Weltreligionen herangewachsen. Ihr gehören mehr als fünf Millionen Menschen aus mehr als 2.100 Volks- und Stammesgruppen an, die an über 100.000 Orten der Erde leben - damit ist sie die wohl vielfältigste organisierte Gemeinschaft der Erde.

Die Globalität der Gemeinde spiegelt sich in ihrer Zusammensetzung: Die Bahá’í entstammen annähernd allen Völkern, Volksgruppen, Kulturen, Berufen und sozialen Klassen und stellen somit einen Querschnitt der Menschheit dar.

Der Stifter der Religion ist Bahá’u’lláh, ein persischer Adliger aus Teheran, der um die Mitte des 19. Jahrhunderts ein Leben fürstlicher Bequemlichkeit und Sicherheit aufgab und der Menschheit trotz schwerster Verfolgungen und Entbehrungen eine aufrüttelnde neue Botschaft des Friedens und der Einheit brachte.

Bahá’u’lláh erhob den hohen Anspruch, ein neuer und unabhängiger Bote Gottes zu sein. Sein Leben, Sein Werk und Sein Einfluss entsprechen dem von Abraham, Krishna, Moses, Zarathustra, Buddha, Christus und Muhammad. Die Bahá’í betrachten Bahá’u’lláh als den vorläufig letzten in dieser Reihe der Gottesboten.

Die heiligen Schriften der Bahá’í-Religion und die vielfältigen Aktivitäten ihrer Anhänger befassen sich mit den sozialen Nöten und allen wichtigen Problemen der Zeit: von einer neuen Einstellung zu kultureller Vielfalt und zum Umweltschutz bis hin zu dezentraler Entscheidungsfindung; von einem erneuerten Bekenntnis zu Familienleben und moralischen Werten bis hin zur Forderung sozialer und wirtschaftlicher Gerechtigkeit in einer Welt, die schnell zu weltweiter Nachbarschaft zusammenwächst.

Die bei weitem bemerkenswerteste Leistung der Bahá’í–Religion ist jedoch ihre Einheit. Im Unterschied zu jeder anderen Religion - ganz zu schweigen von den meisten sozialen und politischen Bewegungen - hat die Bahá’í–Gemeinde dem wiederkehrenden Impuls, sich in Sekten und Untergruppen zu spalten, erfolgreich widerstanden. Sie hat ihre Einheit bewahrt, obwohl ihre Geschichte ebenso wechselvoll verlief wie die jeder anderen Religion von alters her.

In den Jahren seit Bahá’u’lláhs Lebzeiten ist der Prozess der globalen Vereinigung, zu dem Er aufrief, schnell vorangeschritten. Der Lauf der Geschichte hat die althergebrachten Barrieren der Rasse, Klasse, Religion und Nation immer weiter zusammenbrechen lassen. Die Kräfte, die hier am Werk sind, werden, so hat es Bahá’u’lláh vorhergesagt, schließlich eine Weltkultur hervorbringen. Die Völker der Welt stehen vor der großen Herausforderung, die Tatsache ihrer Einheit zu akzeptieren und beim Bau dieser neuen Welt zu helfen.

Damit eine globale Gesellschaft erblühen kann, muss sie, wie Bahá’u’lláh sagt, auf bestimmte Grundprinzipien gegründet sein. Dazu gehören die Tilgung aller Arten von Vorurteil, volle Gleichberechtigung der Geschlechter, die Anerkennung der Wesenseinheit der großen Weltreligionen, die Beseitigung der Extreme von Armut und Reichtum, allgemeine Bildung, die Harmonie zwischen Wissenschaft und Religion, ein nachhaltiges Gleichgewicht zwischen Natur und Technologie und die Errichtung eines weltweiten föderalen Systems, das auf kollektiver Sicherheit und der Einheit der Menschheit beruht.

Weltweit zeigen die Bahá’í ihr Engagement für diese Prinzipien hauptsächlich durch die Wandlung des Einzelnen wie der Gesellschaft, wozu auch sehr viele kleine Basisprojekte zur sozialen und wirtschaftlichen Entwicklung dienen, die von den Bahá’í–Gemeinden in den letzten Jahren in Gang gesetzt wurden.

Die Anhänger Bahá’u’lláhs haben ein geeintes Netzwerk von örtlichen, nationalen und internationalen leitenden Körperschaften aufgebaut und dadurch eine weitverzweigte, mannigfaltige weltweite Gemeinschaft geschaffen, die durch ein eigenes Lebens- und Tätigkeitsmuster gekennzeichnet ist - und ein ermutigendes Modell für Zusammenarbeit, Harmonie und soziales Handeln anbietet. In einer Welt, die durch vielerlei Loyalitäten gespalten ist, ist dies allein schon eine besondere Leistung.

Eine soziale Frage

Geschrieben von Sevim Dagdelen (Die Linke) . Veröffentlicht in Allgemeines

Die Wissenschaft ist sich weitgehend einig: Die Probleme der Mehrheit der Migrantinnen und Mi-granten haben soziale Ursachen und liegen nicht an deren Herkunft, Religionszugehörigkeit, Sprache oder Hautfarbe. So sieht es auch Die Linke: Integration ist eine soziale Frage. Deshalb ist beim Thema Integration die Verbesserung der Lebenssituation gefragt und keine ethnisierenden oder kulturalisierenden Vorwürfe, die nur Vorurteile bestärken und das gesellschaftliche Klima vergiften. Eine gebührenfreie Bildung von der Krippe über Ausbildung und Studium bis zur Weiterbildung und eine Gemeinschaftsschule statt des mehrgliedrigen Schulsystems, eine gesetzliche Ausbildungsplatzumlage, ein gesetzlicher Mindestlohn von zehn Euro und das Verbot der Leiharbeit statt prekäre Arbeitsverhältnisse, eine sanktionsfreie Mindestsicherung von 500 Euro statt Hartz IV, die leichtere Einbürgerung, eine solidarische Bürgerversicherung für Gesundheit und Pflege statt Drei-Klassen-Medizin, eine solidarische Mindestrente statt Altersarmut und ein Rechtsanspruch auf die Anerkennung von im Ausland erworbenen Abschlüssen wären Schritte, um auch für Migranten die soziale und rechtliche Teilhabe zu ermöglichen.

(Quelle: www.das-parlament.de)

Menschenrechte

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Als Menschenrechte werden subjektive Rechte bezeichnet, die jedem Menschen gleichermaßen zustehen. Das Konzept der Menschenrechte geht davon aus, dass alle Menschen allein aufgrund ihres Menschseins mit gleichen Rechten ausgestattet und dass diese egalitär begründeten Rechte universell, unveräußerlich und unteilbar sind.Die Idee der Menschenrechte ist eng verbunden mit dem Humanismus und der im Zeitalter der Aufklärung entwickelten Idee des Naturrechtes.
Das Bestehen von Menschenrechten wird heute von fast allen Staaten prinzipiell anerkannt. Die Universalität ist gleichwohl Grundlage politischer Debatten und Auseinandersetzungen.
Menschenrechte werden heute gewöhnlich als Abwehrrechte des Bürgers gegen den Staat zum Schutz seiner Freiheitssphäre verstanden. Weil aber Menschenrechte auch von dritter Seite bedroht werden, wird davon ausgegangen, dass außerdem zu jedem Menschenrecht eine staatliche Schutzpflicht gehört, mit der erst ein Menschenrecht vollständig verwirklicht werden kann. Durch die Ratifizierung von internationalen Menschenrechtsabkommen sowie durch deren Verankerung in ihren nationalen Verfassungen verpflichten sich die Staaten, die Grundrechte und Völkerrechte zunehmend umzusetzen, als einklagbare Rechte auszugestalten.
In einem engeren Sinne wird der Begriff „Menschenrechte“ auch als Gegenbegriff zu „Bürgerrechte“ verstanden: Er steht dann für Grundrechte, die unabhängig von der Staatsangehörigkeit allen Menschen zustehen.

Quellen: ePolitik Wissenswerte, Wikipedia

Wirtschaftsaufschwung - Sozialentwicklung

Geschrieben von Dirk Baas. Veröffentlicht in Allgemeines

Zur Erinnerung an die soziale Lage im Jahre 2009 an dieser Stelle noch einmal ein Interview von Dirk Baas, epd mit Pfarrer Dr. Wolfgang Gern, damaliger Sprecher der Nationalen Armutskonferenz und Vorstandsvorsitzender des Diakonischen Werkes in Hessen und Nassau am 16. Dezember 2009
Ich weiß nicht, wie sich das bei Ihnen anfühlt, mir gibt es einiges zu denken.


Frage: Die wachsende Armut in Deutschland ist längst kein Tabu mehr. Armutsberichte und Studien werden publiziert, dennoch reagiert die Politik nur zögerlich. Haben sie dafür eine Erklärung?

Gern: Die Beteiligung der Armen an den Wahlen in Land und Bund geht rapide zurück – und zugleich deren gesellschaftspolitische Partizipation. Dass arme Menschen sich nicht mehr von der Politik vertreten sehen und deshalb der Wahl fern bleiben, ist ein Warnsignal. Es gibt Stadtteile mit einem hohen Anteil an Armen, in denen die Wahlbeteiligung sehr gering ausfällt. Arme Menschen erleben ihre Situation als Ausgrenzung und Machtlosigkeit. Die Erfahrung der Ohnmacht wird verstärkt durch einen gesellschaftlichen Diskurs, der von oben nach unten schaut und der nicht selten degradierend „über“ die Armen spricht anstatt mit ihnen. Ausgelassen wird, dass Armut und Verarmung in einem der reichsten Länder „gemacht“ sind. Dass stärkere Schultern mehr tragen können als schwächere – das erscheint als Überzeugung aus einer vergangenen Epoche. Auch medial hat man den Eindruck, dass die Armen keine Stimme haben – und daher zu wenig vorkommen. Und auf der anderen Seite darf ungestraft behauptet werden, dass Arme mit ihrem Geld nicht umgehen können und ihr Geld versaufen. Und Steuerpolitik, die für sozialen Ausgleich sorgen sollte, wird als Enteignungspolitik diffamiert. Die Ständerepublik lässt grüßen.

Frage: War 2009 ein gutes oder ein schlechtes Jahr im Kampf gegen die Armut?

Gern: 2009 war ein schlechtes Jahr, was die Armutsbekämpfung angeht. Die Zahl der Armen ist gestiegen. Die Zahl der Niedriglöhner wächst wie in keinem anderen westeuropäischen Land. Und die Arbeitslosigkeit nimmt weiter zu. Die Schwächsten haben zuerst die Folgen der Wirtschafts- und Bankenkrise zu tragen, die sie nicht zu verantworten haben.

 

Frage: Das kommende Jahr ist das „Europäische Jahr zur Bekämpfung von Armut und sozialer Ausgrenzung“. Was ist deren Ziel und welche Hoffnung verbinden Sie mit Blick auf Deutschland mit der Initiative?

Gern: „Make poverty history“, sagen die Engländer. Armut muss zur Vergangenheit werden. Unser Land und das reiche Europa sind reich genug, um das zu Wege zu bringen. Armut und Ausgrenzung müssen überwunden werden. Das ist keine Illusion, sondern eine Hoffnung, die sich aus unserem gesellschaftlichen Reichtum und vor allem aus unseren ethischen und kulturellen Überzeugungen speist. Alles hängt daran, dass der politische Wille in diese Richtung weist und dafür mobilisiert wird. Es geht um die Teilhabe aller am gesellschaftlichen Leben. Wir müssen wieder das Teilen einüben. Dazu reicht ein Jahr nicht aus. Und wir werden sehen: Wer teilt, mehrt das Leben.
Übrigens, auch das Grundgesetz will es so – bis hin zur Sozialpflichtigkeit des Eigentums. Wir müssen uns dafür einsetzen, dass Armutsbekämpfung wieder mehrheitsfähig wird. Dass der Sozialstaat nicht als Anhängsel der Marktwirtschaft erscheint, sondern als kulturelle Errungenschaft.

Frage: Die Erkenntnis, dass Arme keine Lobby haben, ist nicht neu. Wohlfahrtsverbände und Kirchen versuchen, die Interessen der Betroffenen, allen voran die der armen Kinder, zu vertreten. Erklingt ihre Stimme überhaupt laut genug?

Gern: Es kommt gerade jetzt darauf an, dass wir nicht stumpf und gleichgültig werden. Und dass wir nicht den Mut verlieren. Ich denke, da gab es ein Problem. Und wir müssen aufmerksam beobachten, wo die Kluft zwischen reich und arm sich vertieft. Manchmal auffällig, manchmal unauffällig. Aus Lateinamerika kommt der humorvolle Hinweis: Lass dich nicht durch das Grinsen der Mächtigen „einwickeln“ und ruhig stellen. Ein Beispiel: Im Koalitionsvertrag der Bundesregierung fehlt der Hinweis darauf, einen Armuts- und Reichtumsbericht veröffentlichen zu wollen. Gerade er hat uns in den letzten zehn Jahren dazu verholfen, die Situation der Armen durch Lebenslagenberichte und Zahlen in den Blick zu bekommen. Manchmal hat man den Eindruck, das ist gar nicht gewollt. Wir brauchen eine Politik, die solche Berichte veranlasst, stützt und durch transparente und selbstkritische Korrekturen auf sie reagiert.

Frage: „Armut muss berühren“, sagte jüngst Ulrich Schneider, der Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes, bei einer Tagung. Tut sie das als sichtbares Massenphänomen nicht längst?

Gern: Wir in Hessen und Nassau haben gerade Erfahrungen aus der Beratung mit Hartz-IV-Empfängern veröffentlicht – unter dem Titel: „Als Kunde bezeichnet, als Bettler behandelt“. Heiner Geißler sagte nach der Lektüre: Er hätte nicht gedacht, dass es solche Dinge in Deutschland gibt. Etwa dass ein Kind seinen Verdienst aus einem Ferienjob vom Regelsatz abgezogen bekommt. Wir sollten nicht vergessen: In den deutschen Großstädten lebt jedes fünfte Kind in Armut, in Dänemark jedes 36. Kind!

Frage: Anfang 2010 entscheidet das Bundesverfassungsgericht über die Höhe der Regelsätze. Dann rückt die Situation der Bedürftigen und Ausgegrenzten erneut schlagartig in den Fokus der Öffentlichkeit? Was ist Ihre Erwartung an das Gericht?

Gern: Wir erwarten, dass das Bundesverfassungsgericht bestätigen möge, was im alten BSHG im ersten Paragraphen stand: Die Würde des Menschen. Zur Würde gehört, dass die Menschen in einem Sozialstaat ein Aus- und Einkommen haben, von dem sie in Würde leben können. Deshalb erwarten wir, dass das Gericht ein soziales Grundrecht auf Existenzsicherung formulieren wird. Dann ist der Gesetzgeber in der Pflicht, dieses Grundrecht umzusetzen. Dieses Recht ist bisher schon tief in unserer Sozialstaatlichkeit verankert. Die Politik und der Gesetzgeber müssen sich deshalb fragen lassen, warum sie nicht von sich aus dieses sozialstaatliche Recht beachtet haben. Sie haben es nicht getan und dadurch Not und Entbehrung hervorgerufen.

Frage: Selbst wenn die Karlsruher Richter der Politik aufgeben, zur Berechnung der Kinderregelsätze eine eigene Berechnungsgrundlage mit höherem Hilfebedarf zu finden, wird die Armut nicht schlagartig verschwinden. Wo sehen Sie für 2010 dringenden Handlungsbedarf, damit sich die Schere zwischen arm und reich wenigstens nicht weiter öffnet?

Gern: Erstens – wir brauchen einen Wachruf für die Öffentlichkeit. Sie muss wach werden: Wenn wir es wollen, wenn wir die Politiker drängen, dann werden wir wichtige Schritte zu einer effektiven Armutsbekämpfung einleiten. Das aber wird nur mehrheitsfähig, wenn der gesellschaftliche Wille gefördert wird. Wir brauchen eine neue Kultur des Sozialen als Grundlage für eine Politik des Sozialen.

Zweitens – wie Menschen Armut bewältigen können, hängt ganz entscheidend auch an der sozialen Infrastruktur. Diese muss erhalten bleiben, gerade auch in sozial schwierigen Zeiten. Ich erwarte deshalb von der Politik in den anstehenden Diskussionen über die Konsolidierung des Haushalts einen Bestandsschutz der sozialen Infrastruktur. Für Steuersenkungen ist im Moment kein Spielraum. Wenn ich das fordere, dann weiß ich mich getragen vom Bundesrechnungshof und allen führenden Ökonomen. Übrigens hat die EKD in ihrer jüngst erschienenen Schrift zur Steuergerechtigkeit auch diese Position unterstrichen. Wir brauchen andere Diskussionen: Nicht eine Diskussion über die weitere Entlastung der Wohlhabenden, sondern eine entschiedene Debatte über den sozialen Zusammenhalt und was er uns "wert" ist. Und wenn der soziale Zusammenhalt uns wert und teuer ist, dann hat er auch seinen Preis.

Drittens – wir sollten das Europäische Jahr nutzen und eine konkrete Strategie entwickeln, wie wir es in der Entwicklungspolitik mit den Milleniumszielen gemacht haben. Wenn wir die Armut halbieren wollen, dann sind folgende Schritte nötig: ein Regelsatz, der armutsfest ist; eine Schule für alle; ein Mindestlohn; Abbau von Niedriglohnarbeit; eine Mindestrente. Das große Thema der nächsten beiden Jahrzehnte ist die Globalisierung sozialer Gerechtigkeit und ökologischer Nachhaltigkeit. Dazu gehört, dass jeder ein Recht hat, am wirtschaftlichen Leben seiner Gesellschaft teilzunehmen. Erich Fromm hat zurecht in den sechziger Jahren hinzugefügt: Dieses Recht gilt – unabhängig davon, ob sie oder er für die Gesellschaft von wirtschaftlichem Nutzen ist.