Menschen rein, Konzerne raus

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Aufruf zur Unterzeichnung

Liebe Freundinnen und Freunde,


In 24 Stunden treffen sich die Regierungen der G20, um über die weltweite Wirtschaftskrise zu beraten, und Banken und Großkonzerne sponsern den Gipfel im Austausch für uneingeschränkten Zugang. Dies geschieht, während die Bürger außen vor bleiben. Lassen Sie uns Nicolas Sarkozy eine riesige Petition schicken, die ihm zeigt: Raus mit den Unternehmen -- die G20 sind für die Menschen da.

Es ist unglaublich. Die G20 -- Treffpunkt der mächtigsten Regierungen der Welt -- kommen in zwei Tagen zusammen, um die weltweite Wirtschaftskrise zu besprechen, und wer sponsert das Treffen? Banken und Großunternehmen!

Kein Wunder, dass der Ort des Treffens -- die französische Stadt Cannes -- komplett abgeriegelt und für Normalbürger unzugänglich ist, während Banken und Vorstände von Großkonzernen Zugang haben und Einfluss auf unsere Regierungen nehmen können.

Unternehmen haben sich unserer Regierungen ermächtigt und weitreichende Rettungszahlungen erwirkt, obwohl sie unsere Wirtschaft zerstören. Jetzt erkaufen sie sich den Weg in genau den Gipfel, der die finanzielle Zukunft des Großteils der Welt entscheiden könnte. Gemeinsam können wir den Gastgeber des Gipfels, Nicolas Sarkozy, überzeugen, den Sponsoren den Laufpass zu geben -- lassen Sie uns eine Welle der Entrüstung starten, die die Medien aufrüttelt und Sarkozy zwingt, die Unternehmenssponsoren rauszuwerfen und die G20 für uns alle zurückzugewinnen. Unterzeichnen Sie die Petition und leiten Sie diese E-Mail weiter:

http://www.avaaz.org/de/occupy_g20/?vl

Die Grenze zwischen Großkonzernen und verantwortungsvollen Regierungen verwischt zunehmend. Politiker finanzieren ihre Wahlkämpfe mit Geld von Unternehmen, revanchieren sich dann nach der Wahl mit entsprechenden Gesetzen für den Gefallen, und nehmen gutbezahlte Jobs bei den Unternehmen an, wenn sie aus dem Amt ausscheiden. Man nennt das Korruption, ganz einfach.

Nun hat Société Générale, eine französische Bank, die mit öffentlichen Geldern gerettet wurde und ein Eigeninteresse an Europas Finanzpolitik hat, für die prominente Platzierung ihres Logos als offizieller Sponsor bezahlt. Die US- und weitere Handelskammern werden zu einem gemütlichen “B20-Gipfel” eingeladen, wo sie unseren Politikern ihre Gedanken mitteilen können.

Der einzige Weg, Gesetze zu bekommen, die Arbeitsplätze schützen, Spekulanten anpacken und eine gerechte Zukunft garantieren, ist, die Lobbies zurückzudrängen und unsere Politiker aus den Fängen von Unternehmensinteressen zu befreien. Teilen wir Nicolas Sarkozy und den anderen Entscheidungsträgern mit, dass ihre Zukunft davon abhängt, dass sie die Sponsoren jetzt sein lassen und sich gegen die Einnahme unserer Regierungen durch Unternehmen stellen. Unterzeichnen Sie die Petition und leiten Sie diese E-Mail an alle weiter:

http://www.avaaz.org/de/occupy_g20/?vl

Die weltweite Wirtschaftskrise ist aus Gier und Eigeninteresse entsprungen. Aber in der Not können wir auf wunderbare Arten zusammenkommen, wie wir dieses Jahr schon wiederholt gesehen haben. Von der Wall Street und London bis nach Melbourne besetzen zehntausende von Bürgern ihre Städte -- wir können uns ihnen anschließen, verantwortungbewusste Regierungen fordern, und die Unternehmen rauswerfen!

Voller Hoffnung und Entschlossenheit,

Alex, Maria Paz, Morgan, Emma, Ricken, Wissam und der Rest des Avaaz-Teams

Weitere Informationen:

Neue Regeln für die Banken (Zeit)
http://www.zeit.de/wirtschaft/2011-10/G20-Gipfel-Cannes

Kommentar: Club der Rückwärtsdenker (TAZ)
http://www.taz.de/Debatte-G-20-Gipfel/!81084/

Wirtschaftskapitäne setzen die G20 unter Druck (Financial Times) Englisch
http://www.ft.com/cms/s/0/21ccfea6-02e6-11e1-899a-00144feabdc0.html#axzz1cMLOw7GP

Liste der G20 Cannes Sponsoren (Englisch)
http://www.g20-g8.com/g8-g20/g20/english/the-2011-summit/partnerships/partnerships.69.html

Business-Gipfel B20 parallel zu G20 (Englisch)
http://www.b20businesssummit.com/guests/business-organizations

Ottawa vermied Unternehmenssponsoren für G20 (Englisch)
http://www.theglobeandmail.com/news/world/g8-g20/news/ottawa-steered-clear-of-corporate-sponsorships-for-g8-g20/article1608401/

„Menschen mit Armutserfahrungen müssen ein Mitspracherecht bekommen“

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Nationale Armutskonferenz (nak) zur Konzeption des 4. Armuts- und Reichtumsberichts der Bundesregierung

Ein Korrektiv der Armutspolitik der Bundesregierung – so versteht sich die Nationale Armutskonferenz (nak). Dieser Funktion entsprechend hat die nak jetzt zur Konzeption des 4. Armuts- und Reichtumsberichts der Bundesregierung Stellung bezogen. „Die bisherige Gliederung und das Schwerpunktthema der Sozialen Mobilität lassen darauf schließen, dass der Bericht Armut und dessen Ursachen wieder eher individualisiert und weniger die gesellschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen, die veränderbar wären, darstellt “, urteilt Michaela Hofmann, stellvertretende nak-Sprecherin, über den Entwurf, der im Sommer 2012 erscheinen soll. Deshalb hat die nak eine Reihe von Verbesserungsvorschlägen beim Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) eingereicht.
Unter anderem fordert sie: „Menschen mit Armutserfahrung sollten aktiv in den Prozess einbezogen werden“, erklärt Hofmann. Vorstellbar sei etwa ein eigenes und selbstverantwortetes Kapitel innerhalb des Berichts. Für die Umsetzung stehe man als kompetenter Ansprechpartner zur Verfügung. Außerdem bemängelt die nak, dass dem derzeitigen Entwurf ein reflektierter und kritischer Blick auf die Kürzungen in der Arbeitsförderung (SGB III und insbesondere SGB II) fehlt. Hofmann: „Diese Perspektive sollte in einem gesonderten Kapitel aufgenommen werden.“
Die nak unterstützt die vom Deutschen Caritasverband vorgenommenen Einschätzungen und Aufforderungen einer empirischen Studie zu so genannten verdeckt Armen sowie zur Aufnahme eines Indikators, der eine Aussage zur Linderung des Armutsrisikos durch die bestehenden Grundsicherungssysteme trifft. Nicht zuletzt ist man der Meinung, dass der Beraterkreis, zu dem auch die nak gehört, den Status einer Expertenkommission bekommen sollte, „deren fachliche Expertise und Kompetenz im Rahmen des Partnerschaftsprinzips Einfluss auf die Entstehung des Berichts nehmen kann“, erläutert Hofmann.

nak-Sprecher Thomas Beyer im SWR 2-Tagesgespräch

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Das Ziel der UNO, die Armut weltweit bis zum Jahr 2015 zu halbieren, ist „völlig unrealistisch“. Das erklärt Thomas Beyer, Sprecher der Nationalen Armutskonferenz (nak), im Tagesgespräch von SWR 2 mit dem Moderator Rudolf Geissler. Anlass ist der heutige Internationale Tag für die Beseitigung von Armut, den die Vereinten Nationen 1992 ausgerufen haben. „Der Trend geht genau in die andere Richtung“, sagt Beyer. Das Armutsrisiko steige, weil immer mehr Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mit niedrigen Löhnen bezahlt werden. Nicht zuletzt Alleinerziehende und Migranten hätten inzwischen „echte Probleme, ihr Leben zu meistern“, so der Sprecher der Konferenz.

Das gesamte Interview, das im Laufe des Tages von den verschiedenen Anstalten der ARD ausgestrahlt werden wird, kann auch als Podcast angehört werden: (http://www1.swr.de/podcast/xml/swr2/interviews.xml).

Armutsquote ist ein Armutszeugnis

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Zum Internationalen Tag für die Beseitigung von Armut am 17. Oktober

„Eine Armutsquote von 14,5 Prozent ist für ein so reiches Land wie Deutschland ein Armutszeugnis“, erklärt Thomas Beyer, Sprecher der Nationalen Armutskonferenz (nak), anlässlich des Internationalen Tags für die Beseitigung von Armut am kommenden Montag. In Mecklenburg-Vorpommern sind sogar 22,4 Prozent (amtliche Statistik, Stand 2010) der Einwohner von Armut betroffen – so viele wie in keinem anderen deutschen Bundesland. Aber selbst im wohlhabendsten Bundesstaat Bayern gelten 10,8 Prozent der Bevölkerung (Stand 2010) als arm. Beyer: „Wir müssen aufhören, Armut als Tabuthema zu verdrängen. Gesellschaft wie Politik sind aufgefordert, sich der ständigen Auseinanderentwicklung von Arm und Reich zu stellen!“

Neben Kindern und Jugendlichen aus Hartz-IV-Haushalten sowie Alleinerziehenden ist es vor allem eine Bevölkerungsgruppe, deren Bedürftigkeit in Zukunft stetig steigen wird: die Rentnerinnen und Rentner. Daran kann laut Beyer auch der von Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen eingeleitete Rentendialog nichts ändern – wenn die Bundesregierung an den bisherigen Voraussetzungen für die so genannte Zuschussrente festhalten will: Demnach setzt diese Altersversorgung im Endausbau 45 Beitragsjahre und 35 Jahre zusätzliche private Vorsorgeleistung voraus. „Das ist kein wirksamer Gesamtbeitrag zum Thema Altersarmut“, urteilt Beyer.

Es existiere ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen niedriger Höhe des Verdienstes und der Möglichkeit, für das Alter zusätzliche private Vorsorge zu treffen. Hierauf gebe das Regierungskonzept ungeachtet der Verbesserungen im Bereich der anrechenbaren Beitragszeiten keine Antwort. Im Gegenteil: „Es setzt eine ausgedehnte private Vorsorge voraus. Aber genau die können sich Menschen, denen häufig die finanziellen Mittel für das Nötigste fehlen, nicht leisten“, sagt Beyer. Deshalb fordert der nak-Sprecher: „Wenn ihr die Bekämpfung der Altersarmut tatsächlich ein Anliegen ist, muss gerade die Arbeitsministerin ernst machen mit der Bekämpfung des Niedriglohnsektors. Mini-Löhne heute sind Mini-Renten morgen.“

„Der Ernährungsetat für Hartz-IV-Empfänger muss dringend aufgestockt werden“

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nak-Forderung zum Welternährungstag am 16. Oktober 2011

„Eine ausgewogene Ernährung ist für die physische und psychische Entwicklung junger Menschen mitentscheidend“, hält Professor Gerhard Trabert, stellvertretender Sprecher der Nationalen Armutskonferenz (nak), anlässlich des Welternährungstags am kommenden Montag fest. Wie weit die Menschheit von diesem Ziel entfernt ist, zeigen indes folgende Zahlen des Welternährungsprogramms der Vereinten Nationen: Demnach hungern rund 925 Millionen Menschen weltweit. Das bedeutet, dass sich jeder siebte Erdenbürger nicht ausreichend ernähren kann.

Neben dem offensichtlichen Hunger, der auf einen leeren Magen zurückgeht, gibt es auch den so genannten versteckten: Schlechte Ernährung gekennzeichnet von einem Mangel an Mikronährstoffen führt häufig zu Infektionskrankheiten, behindert die geistige und körperliche Entwicklung und kann mittelfristig zum Tod führen.

Vom versteckten Hunger sind auch in Deutschland viele Bürgerinnen und Bürger betroffen. Vor allem Kinder und Jugendliche, die in AlG-II-Haushalten aufwachsen, können sich wegen finanzieller Not häufig nur mangelhaft ernähren: „Aufgeteilt auf die einzelnen Mahlzeiten steht ihnen teilweise nicht einmal 1 Euro pro Frühstück, Mittag- sowie Abendessen zur Verfügung“, rechnet Trabert vor. Und: „Der Ernährungsetat für Bezieher von Arbeitslosengeld II ist einfach zu niedrig und muss dringend aufgestockt werden“, fordert der Mediziner.

Eine Zusammenfassung einschlägiger Studien zum Thema (PDF)

Problem endlich erkannt, Lösung erneut verfehlt

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„Der vorliegende Vorschlag ist ein Schlag ins Gesicht all derjenigen Menschen, die sich mit Mini-Jobs über Wasser halten müssen.“ So kommentiert Michaela Hofmann, stellvertretende Sprecherin der Nationalen Armutskonferenz (nak), die Pläne von Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU), Altersarmut zu bekämpfen. Wie bereits beim Bildungspaket für Hartz-IV-Empfänger würden auch in Sachen Rente realitätsferne Entscheidungen vorbereitet.

Von der Leyen strebt eine steuerfinanzierte Zuschussrente für Geringverdiener an – vorausgesetzt Letztere haben 45 Jahre in die Rentenkasse eingezahlt. Eine sehr lange Zeitspanne, die laut Hofmann insbesondere viele Frauen, auch wenn einige Jahre der Kindererziehung angerechnet werden,  nicht erfüllen werden. Überhaupt ist diese Hürde in Zeiten unsteter Erwerbsbiografien für den Großteil der Arbeitnehmer viel zu hoch. Darüber hinaus moniert Hofmann: „Die Einführung des Bildes vom ,guten und schlechten‘ arbeitenden Menschen ist in der Sache weder zielführend noch angemessen.“

Schließlich handele es sich bei Altersarmut um ein ebenso bekanntes wie drängendes Thema, für das die Lösungen längst auf der Hand liegen: „Die heißen Mindestlohn sowie Verbesserung der Bildungschancen und der Kinderbetreuung“, formuliert Hofmann nak-Forderungen an die Adresse von der Leyens. Immerhin gebe es genügend Konzepte von Verbänden und Parteien, die auf ihre Wirksamkeit und Umsetzbarkeit geprüft werden könnten.

Armut ist falsch verteilter Reichtum

Geschrieben von Arnd Zickgraf . Veröffentlicht in Pressemitteilungen

Gespräch mit Thomas Beyer, Sprecher der Nationalen Armutskonferenz, über soziales Gewissen und gute Arbeit

 

Die Mehrheit der deutschen Bevölkerung hat kein Vermögen - immer mehr Menschen sind verschuldet. Doch Armut wird verdrängt in einer Gesellschaft, in der Gewinner alles bekommen und Verlierer in der Versenkung verschwinden. Kein Wunder, dass vor diesem Hintergrund nur wenige die Nationale Armutskonferenz (nak) kennen - die sozialpolitische Lobby deutscher Wohlfahrtsverbände und Gewerkschaften, die auch Mitglied des Europäischen Netzwerkes zur Armutsbekämpfung (EAPN) ist.

Thomas Beyer ist stellvertretender Vorsitzender des Landesverbandes der SPD in Bayern und seit 2011 Sprecher der Nationalen Armutskonferenz. Zum Anlass des 20-jährigen Bestehens der nak sprach Telepolis mit Beyer über Glaubwürdigkeitsprobleme von SPD-Politikern, sich als Anwalt von sozial Benachteiligten zu profilieren, die Verarmung von Kindern, Alleinstehenden und Rentnern und falsche Signale Deutschlands an die europäischen Nachbarländer.

Auf Ihrer Homepage taucht das Wort "Armut" kaum auf. Stehen Sie als Abgeordneter nicht zu Ihrem Engagement als Lobbyist für die Armen?

Thomas Beyer: Selbstverständlich stehe ich zu meinem Engagement. In meinem ehrenamtlichen Engagement bei der Nationalen Armutskonferenz bin ich übrigens nicht als SPD-Landespolitiker tätig, sondern als Mitglied des Bundesverbandes der Arbeiterwohlfahrt.

Bayern gilt als reiches Bundesland. Gibt es für die Nationale Armutskonferenz in Bayern überhaupt etwas zu tun?

Thomas Beyer: Die Nationale Armutskonferenz engagiert sich bundesweit. Das Thema Armut beschäftigt uns jedoch auch in Bayern. Es gibt nach dem Armuts- und Reichtumsbericht des Bayerischen Sozialministeriums rund 1,6 Millionen Menschen, also rund 13,6 Prozent, die in Bayern in Armut leben. Dabei verzeichnet das Land ein besonders hohes Maß an Armut bei Alleinerziehenden.Und was viele nicht wissen: Bayern ist ein Land, in dem Rentner überdurchschnittlich hoch von Altersarmut betroffen sind, da es über lange Jahre ein durch landwirtschaftliche Kultur geprägtes Land war. Zusammen mit Rheinland-Pfalz hat Bayern das niedrigste Rentenniveau in Deutschland. "Laptop und Lederhose", Industrie und Hightech haben sich erst seit wenigen Jahrzehnten im Zuge des Strukturwandels entwickelt.

Welche Form der Armut regt Sie auf?

Thomas Beyer: Mich persönlich regt Kinderarmut auf, weil es ein Skandal ist, wenn etwa in einem so reichen Bundesland wie Bayern zur Zeit rund 135.000 Kinder unter 15 Jahren im Regelbezug von Hartz-IV sind.

In der AWO Langzeit-Studie kamen Sozialwissenschaftler schon vor Jahren zu dem Ergebnis, dass Kinder aus armen Familien bei gleichen schulischen Leistungen eine mehrfach geringere Chance haben, gute Bildungsabschlüsse zu bekommen; sie sind von vielen sozialen Kontakten ausgeschlossen, in der Schule auffälliger und kränker.

Weite Bereiche der konservativen Politik verschließen vor diesen Tatsachen die Augen, obwohl kein Kind kann etwas für die Verhältnisse kann, in die es hineingeboren ist.

Im Jahr 2003 kommentierte N-TV die Pläne der Rot-Grünen Koalition, den Sozialstaat umzubauen: "SPD macht arm". Selbst der damalige Sprecher der Nationalen Armutskonferenz, Paul Saatkamp, rechnete damit, dass durch den Umbau etwa 15 Millionen Menschen in Deutschland verarmen würden. Wie glaubwürdig ist es, wenn ein SPD-Politiker heutzutage noch als Anwalt für die Armen auftritt?

Thomas Beyer: Ich bin tatsächlich klischeebehafteten Vorbehalten begegnet. Doch innerhalb weniger Monate der Arbeit für die Nationale Armutskonferenz habe ich deutlich machen können, dass es mir ein wirkliches Anliegen ist, für die Belange sozial benachteiligter Menschen einzutreten.

Es war ja die Arbeiterwohlfahrt, die die Agenda 2010 der damaligen Rot-Grünen Koalition unter Gerhard Schröder sehr kritisch kommentiert hat. Die Arbeiterwohlfahrt ist nach wie vor das soziale Gewissen der Arbeiterbewegung. Leider ist es so, dass man innerhalb der SPD nicht immer mit offenen Armen empfangen wird, wenn man dezidiert sozialpolitische Themen vertritt.

Warum nicht?

Thomas Beyer: Weil die Frage, welcher Kurs die SPD erfolgreich macht, seit Gerhard Schröder sehr umstritten ist. Doch gerade ein sozialpolitisches Ehrenamt auszuüben und eine so wichtige Aufgabe für die Nationale Armutskonferenz wahrzunehmen, kann der SPD heutzutage nur gut tun.

Sozial kann nur sein, was gute Arbeit schafft

Wie stark schätzen Sie die Kräfte in der SPD ein, die sich wirklich für das Armutsproblem interessieren?

Thomas Beyer: Beim Landesparteitag der SPD in Bayern vor drei Wochen habe ich den Antrag vorgestellt, die Vermögenssteuer wieder einzuführen - es gab nur zwei Gegenstimmen. Damit will ich sagen: Die Basis der Landespartei will meiner Meinung nach zweifelsfrei die Partei des sozialen Gewissens sein. Die bayerische SPD gilt in den Medien als linker Landesverband. Das macht uns beim Parteivorstand in Berlin nicht gerade unverdächtig.

Aber darauf kommt es nicht an. Nur das immer neue Ringen um Entscheidungen, die einmal getroffen wurden, die Überprüfung beispielsweise der Agenda-Politik, gibt der Partei die Chance, die Belange der Menschen wahrzunehmen.

Das Nettovermögen ist ungleich verteilt. Das reichste Zehntel der Bevölkerung hält über 60 Prozent des gesamten Vermögens. Ist es nur der Reichtum, der falsch verteilt ist, oder müssen mehr Arbeitsplätze geschaffen werden, damit mehr Menschen am Wohlstand teilhaben?

Thomas Beyer: Die Mehrheit der Bevölkerung hat wenig Vermögen, minimales Vermögen oder sogar Schulden. In der Breite ist die deutsche Bevölkerung vermögenslos. Das kann auf Dauer gesellschaftlich nicht gut gehen. Das Motto der Nationalen Armutskonferenz lautet dementsprechend: Armut ist falsch verteilter Reichtum. Das heißt, es bedarf eines sozialen Ausgleichs für sozial benachteiligte Menschen. Diejenigen, die sehr viel besitzen, müssen stärker an der Finanzierung gesellschaftlicher Aufgaben beteiligt werden.

Dabei gilt: Nicht jede Arbeit ist sozial. Sozial kann nur sein, was gute Arbeit schafft. Gegenwärtig haben wir das Problem, dass im wirtschaftlichen Aufschwung weitaus mehr Menschen beschäftigt sind als vor der Finanzkrise. Aber die Beschäftigungszuwächse wurden nicht mit regulären Arbeitsverhältnissen erzielt.

Wir verzeichnen Rekorde bei geringfügigen Beschäftigungen, bei Teilzeitbeschäftigungen, bei befristeten Arbeitsverhältnissen und bei Leiharbeit. Die Haltung der Bundesregierung, die Menschen irgendwie in Arbeit zu bringen, wirkt sich fatal aus, insbesondere weil die meisten mit geringen Löhnen beschäftigt sind - damit wird das Problem der Altersarmut in Zukunft massiv verschärft.

Deutschland gibt falsche Signale

Deutschland ist eines der reichsten Länder der Welt. Reiche werden immer reicher, Arme immer ärmer. Steckt Deutschland mit seiner Sozialpolitik auch andere Länder der Europäischen Union an?

Thomas Beyer: Wenn es schon das reichste Land Europas nicht schafft, dass die Schere zwischen Armen und Reichen weniger auseinandergeht, mit welcher Berechtigung schaut es dann auf andere Länder herab?

Deutschland wird in zweifacher Hinsicht seiner Verantwortung nicht gerecht: Wir schaffen es nicht, im eigenen Land die gesellschaftlichen Verhältnisse sozial gerecht zu ordnen - und wir geben damit anderen EU-Ländern die falschen Signale.

Im Dezember 2011 kann die Nationale Armutskonferenz auf ihr 20 jähriges Bestehen zurückschauen. Wie arbeitet sie?

Thomas Beyer: Die Nationale Armutskonferenz arbeitet demokratisch, das heißt, sie gibt allen Mitgliedern die Möglichkeit, mitzusprechen. In den vergangenen 20 Jahren ist es uns mal mehr und mal weniger gut gelungen die öffentliche Meinung mit unseren Themen zu erreichen.

Da, wo man sie hört, wird sie als glaubwürdiger Anwalt der Betroffenen verstanden. Wir arbeiten daran, die öffentliche Diskussion mehr zu durchdringen, nicht nur Mahner zu sein, sondern auch lautstarker Anwalt. Wir wollen der Regierung lästig sein.

Nur wenige kennen die Nationale Armutskonferenz. Welches politische Gewicht hat sie derzeit?

Thomas Beyer: Die gegenwärtige politische Situation lässt nicht den Eindruck zu, dass die Nationale Armutskonferenz der erste Ansprechpartner der Bundesregierung in sozialen Fragen ist. Doch zum ersten Mal sind wir zum nationalen Rentendialog im Herbst 2011 eingeladen.

Wir haben außerdem erreicht, dass wir am Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung mitarbeiten können. Es muss selbstverständlich werden, dass solche Berichte nicht mehr ohne das Sprachrohr der Betroffenen geschrieben werden.

(Mit freundlicher Genehmigung von Arndt Zickgraf, Telepolis)