Sozialpolitik

Bahnhofsmissionen, der Seismograph der Gesellschaft

Veröffentlicht in Obdachlos

Sie sind ein Seismograph der Gesellschaft, die Bahnhofsmissionen in Deutschland: Die Folgen aktueller politischer und wirtschaftlicher Entwicklungen für die Notleidenden unserer Gesellschaft spiegeln sich im Alltag der Anlaufstelle wider. Beispielsweise sind die Bahnhofsmissionen auch ein Fluchtpunkt für Menschen aus den von der Finanzkrise betroffenen Ländern: Viele dieser Bürger haben vergeblich nach einem Auskommen im reichen Deutschland gesucht. In den Räumen der Bahnhofsmissionen reichen ihnen die meist ehrenamtlich tätigen Mitarbeitenden Tee und Brote, versuchen ein Dach über dem Kopf  oder eine Rückreise in die Heimat zu organisieren - und vermitteln auf Wunsch an andere Anlaufstellen.

Thomas Beyer, Sprecher der Nationalen Armutskonferenz (nak),
zu Besuch bei der Münchner Anlaufstelle

Das haben vier Mitarbeiterinnen Thomas Beyer, Sprecher der Nationalen Armutskonferenz (nak), berichtet: Andrea Sontheim, Leiterin der katholischen Bahnhofsmission, Hedwig Gappa-Langer, Referentin der katholischen Bahnhofsmisionen des IN VIA Landesverband Bayern, Rita Schulz, Geschäftsführerin des bayerischen Landesverbands von INVIA Katholische Mädchensozialarbeit und Gabriele Ochse, Leiterin der evangelischen Bahnhofsmission (siehe Foto von links nach rechts), gaben Einblicke in die Arbeit der Bahnhofsmissionen. Beyer: „Den wenigsten Menschen dürfte bekannt sein, wie umfangreich und tiefgreifend die Arbeit der Bahnhofsmissionen längst  ist.“

„Selbstredend leisten wir nach wie vor klassische Hilfe für Reisende“, sagte Gappa-Langer. Dazu zählt die Unterstützung von älteren oder behinderten Menschen beim Ein-, Aus- und Umsteigen. Rollstuhl, Gepäckwagen und Hebebühnen stehen für diese Zwecke zur Verfügung. Auch begleiten die Mitarbeitenden Kinder, die alleine unterwegs sind.

Bei akuten Nöten – hier heißen einige Stichworte laut Webseite „Ohne Schlafplatz. Hungrig. Durstig. Bestohlen. Verletzt. Krank. Schwach.“ – sorgen die „Missionare der Bahnhöfe“ zeitnah für Abhilfe. Religionszugehörigkeit (oder auch nicht) der Betroffenen spielen dabei keine Rolle.

Vor allem aber der dritte Bereich ist es, der zunehmend an Bedeutung gewinnt: Immer mehr Menschen in prekären Situationen suchen Hilfe bei den Bahnhofsmissionen. Von mehr als 100 Menschen, die täglich in die Münchner Anlaufstelle kommen, sind viele arbeitslos, etliche wohnungslos, manche psychisch krank. Auf nicht wenige treffen gleich mehrere dieser Umstände gleichzeitig zu. Manche kommen regelmäßig, um sich aufzuwärmen. Aber auch, weil sie jemanden brauchen, der ihnen zuhört. 60 Prozent der Gäste haben laut Sontheim und Ochse einen Migrationshintergrund. Außerdem: „Uns fällt auf, dass die Zahl der jungen Menschen, die uns aufsucht, zunimmt.“

Ohne Termin ins nächste freie Büro: Offener kann ein Hilfsangebot nicht sein. In einigen Fällen zahlen die Mitarbeitenden kleinere Geldbeträge etwa für Windeln und Lebensmittel aus. Oft vermitteln sie die Hilfesuchenden an andere Anlaufstellen wie das Wohnungsamt oder Jadwiga, eine spezielle Fachberatungsstelle für weibliche Hilfesuchende, die Opfer von Frauenhandel geworden sind.

Während die  Arbeit in den Bahnhofsmissionen stetig zunimmt, fehlt es an vielen Standorten an Personal und finanziellen Mitteln. Gappa-Langer: „Längst nicht jede Bahnhofsmission kann sich Fachpersonal leisten.“ In manchen bayerischen Städten gibt es gar keine Bahnhofsmission, beispielsweise im oberfränkischen Bamberg. Dabei sind diese Anlaufstellen in Beyers Augen auch „ein Modell eines niederschwelligen Angebots für soziale Belange in der Kommune“.

Qualität von Sozialen Diensten - Aus der Perspektive der Wohnungslosenhilfe

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Die erste  Europäische Konferenz zum Thema "Qualität in Diensten der Wohnungslosenhilfe" zielte darauf ab, Teilnehmern die Möglichkeit zum gegenseitigen Lernen zu geben und das Potenzial für die Entwicklung eines Europäischen Qualitätssicherungssystems für die Wohnungslosenhilfe auszuloten. Die konferenz wurde von der FEANTSA, dem Europäischen Dachverband der Wohnungslosenhilfe, mit der Unterstützung lokaler Partner (Caritas Empfang und Solidarität, Konföderation Caritas Luxemburg, Universität Luxemburg) organisiert. Sie fand  vom 19.-22.11.2011 in Luxemburg City statt. Qualität in sozialen Diensten ist FEANTSA-Thema des Jahres 2011. In diesem Zusammenhang führten FEANTSA's nationale Mitgliedsorganisationen eine Bestandsaufnahme der Qualitätssicherung in der Wohnungslosenhilfe durch. Das Ziel dieser Arbeit war es, die bestehenden Qualitätsrichtlinien zu ermitteln und im Hinblick auf ihren Ansatz, auf ihre Qualitätsdimensionen und auf ihre Einschätzung durch die Anbieter der Wohnungslosenhilfe zu prüfen. Die dabei gesammelten Informationen wurden anschließend in einem Europäischen Bericht über die Qualität von sozialen Diensten aus der Perspektive der Wohnungslosenhilfe zusammengetragen und am 21. Oktober 2011 in Luxemburg vorgedstellt. Sie werden im November 2011 veröffentlicht.

Mit einer Podiumsdiskussion zu den Themen "Qualität von sozialen Diensten aus der Perspektive der Wohnungslosenhilfe" (Karolina Krzystek, FEANTSA Policy Officer), "Managerial Turn in der sozialen Arbeit" (Claude Haas, Dozent, Forschungsabteilung INSIDE, Universität Luxemburg) und "Role of the European Commission in Promoting Quality of Social Services" (Concetta Cultrera, Head of Sector 'Social Services', European Commission) wurden zwei Workshoprunden mit insgesamt 10 Themenkomplexen eingeleitet. Ein zusammenfassender Bericht zu den Ergebnissen wird zum Ende des Jahres erwartet.

Welttag der Armut am 17. Oktober: Malaria ist eine der Hauptursachen von Armut

Veröffentlicht in Gesundheit

Tönisvorst (ots) - Weltweit leben 1,4 Milliarden Menschen in absoluter Armut, das heißt von weniger als 1,25 US-Dollar am Tag - die meisten davon in Malariarisikogebieten. Anlässlich des internationalen Tages der Armutsbekämpfung weist die vom deutschen Medikamenten-Hifswerk action medeor initiierte Kampagne Stop Malaria Now! auf die enormen wirtschaftlichen Konsequenzen von Malaria für betroffene Staaten und Familien hin.

Jedes Jahr sterben fast 800.000 Menschen an Malaria, obwohl die Krankheit vermeid- und behandelbar ist. Sie verhindert die wirtschaftliche und soziale Entwicklung in den ärmsten Ländern. Denn Malaria kostet allein afrikanische Staaten zwölf Milliarden US-Dollar jährlich und verschlingt bis zu 25 Prozent des Haushaltseinkommens von Familien sowie 40 Prozent der öffentlichen Gesundheitsausgaben. "Nur wenn Malaria wirksam bekämpf wird, können sich Menschen und Volkswirtschaften aus der Armutsfalle befreien. Umgekehrt können wir durch wirksame Armutsbekämpfung dazu beitragen, unzählige Todesfälle durch Malaria zu verhindern", sagt Bernd Pastors, Vorstand von action medeor.

In den letzten zehn Jahren wurden durch gemeinsame weltweite Anstrengungen im Kampf gegen Malaria 1,1 Milliarden Menschenleben gerettet. 43 Länder, 11 davon in Afrika, konnten die Infektions- und Todeszahlen um 50 Prozent oder mehr reduzieren. "Diese Erfolge zeigen, dass Malaria effektiv bekämpft werden kann, wenn der notwendige politische Wille und die entsprechenden Gelder vorhanden sind", so Pastors. Trotz der Fortschritte haben viele Betroffene aber immer noch keinen Zugang zu lebensrettenden Vorsorge- und Behandlungsmaßnahmen. Dazu gehören unter anderem insektizidbehandelte Moskitonetze und wirksame Medikamente, einschließlich Arzneimittel zur Prävention einer Malariainfektion bei schwangeren Frauen.

"Um bis 2015 alle Betroffenen mit den notwendigen Medikamenten und Schutzmaßnahmen zu versorgen und die Zahl der Todesfälle auf Null zu reduzieren, wie es im globalen Malariaaktionsplan der Roll Back Malaria Partnership gefordert ist, muss die Politik Malaria weiter den Kampf ansagen und die Finanzierung des Aktionsplans sicherstellen" fordert Bernd Pastors.

(Quelle und weitere Informationen: www.medeor.de; www.stopmalarianow.org)

 

Scheidung barrierefrei?

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Dies ist ein Gastbeitrag im Rahmen des Netzwerkes der Blogpaten
von Gabriela Pichelmayer aus Wien.

Foto: Michael Grabscheit / pixelio.deIch bin kein Pfleger, Schatz! Ich habe nur ein Leben, Schatz! Du wirst sicher einen netten Rollstuhlfahrer finden, Schatz! Auch für dich wird es noch Möglichkeiten im Leben geben, Schatz! Ich liebe eine andere, Schatz!

Diese Sätze sitzen tiefer als tief. Wohl hat man schon dergleichen mit Unverständnis vernommen. Von anderen. Von Gleichgestellten. Jedoch ein ähnliches Schicksal nicht nur ausgeschlossen, sondern auch erst gar nicht in Erwägung gezogen.  Die Krankheit war ihm immer bekannt, schon vor der Hochzeit. Gewiss, damals war man noch mobil und nicht auf Hilfe angewiesen. Aber die Prognose der fortschreitenden Verschlechterung war immer klar und eindeutig. Es verhielt sich so, als würden die körperlichen Ausfälle in den 25 Beziehungsjahren mitwachsen wie die beiden Kinder.

 

Dachte man zumindest. Sämtliche Vorschläge von therapeutischen Maßnahmen wurden von ihm in den letzten Jahren abgelehnt. Denn, die Ausnahmesituation einer schweren Erkrankung ist ja nicht nur für den Betroffenen eine Herausforderung. Erst recht für Angehörige und für die Beziehung an sich, seit man ein gehöriges Quantum an Mobilität und Selbständigkeit verloren hat. Nein, das brauch ich nicht. Nein, das sollen andere machen. – hieß es. Und jetzt? Die Überforderung ist ihm zu groß, das Leben zu kurz, die neue Frau viel unbeschwerter. Jetzt wo man im Rollstuhl sitzt und schon 50 Jahre „geschafft“ hat im Leben, ist man plötzlich alleine und gilt es sich von Grund auf neu zu ordnen. 25 Jahre hat man mit ihm auf- und abgebaut.

Das Schiff „Familie“ unerschütterlich versucht ober Wasser zu halten. Hat unterstützt, hat verstanden und geholfen. Was man eben alles gerne so tut innerhalb eines Gefüges. Was bleibt übrig? Man will die Scheidung und bemüht das Gericht. In der Hoffnung „alles wird gut“ schiebt man diesen Schritt schon wochenlang vor sich her. Muss jedoch erkennen, dass die Frage nach Unterhalt, Witwenpension, die gemeinsame Wohnung, das gemeinsame Auto, die gemeinsamen Kinder, die gemeinsamen Jahre und vieles mehr offen bleibt. Und auch seine vorhandene Beistandspflicht und deren Verletzung will nicht außer Acht gelassen werden. Als Mensch mit Behinderung hat man das Recht auf Beistand und der Gatte die Pflicht. Auch wenn die Grenzen dieses Begriffes verschwinden und die Bedeutung in der Praxis nicht klar definierbar ist.

Um dem Verlangen zu entsprechen in den dritten Stock des Bezirksgerichtes zu kommen, benötigt man drei Aufzüge und durchrollt drei lange Gänge. Die Größe der Aufzugskabinen verkleinert sich pro Stockwerk. Ohne Hilfe ist es nicht zu bewerkstelligen in die letzte Kabine mit dem Rollstuhl hineinzufahren. Prädikat: nicht behindertengerecht. Trotz psychischer Belastung ist man auch noch körperlicher Belastung ausgesetzt und wird gezwungen der Unselbständigkeit frontal ins Auge zu blicken. Muss das denn sein?

Foto: Albrecht E. Arnold / pixelio.deZimmer 325 präsentiert sich als wunderschöner großer Altbauraum, in dem drei Damen ihre Mittagsjause verzehren. „Karin, da will sich wer scheiden lassen! Nemmas noch dran? Es is scho halb 12!“ ruft eine der Ruhebedürftigen, die vielleicht vergessen wollte, dass die Parteienverkehrszeiten von 8 – 13h nur dienstags ihre Berechtigung haben. Und es ist Dienstag! Man staunt und hofft diese Barriere überwinden zu können, hat man diesen Weg doch endlich mit allen dazugehörenden Hindernissen von Selbstzweifel über Gewissenskonflikte getraut zu beschreiten und ist sich nicht sicher ob man zu einem weiteren Anlauf in der Lage ist.

Der Mann bekommt die Ehescheidungsklage wegen Ehebruch. Selbst holt man sich einen feuchten Händedruck von der Richterin ab und stellt sich die Frage, ob es denn „legitim“ sei 25 Jahre vor Gericht zu beenden. Geht es nicht auch um innere Größe, Großmut und Einvernehmen im Leben?

Statistisch gesehen ist die Tendenz der Scheidungen in Österreich stark ansteigend. Zwar lässt man/frau sich nicht mehr scheiden, weil der Pudding nicht schmeckt oder der Partner die Zahnpastatube nach Gebrauch nicht verschließt.  Aber die Überzeugung, dass der indirekte Scheidungsgrund „Krankheit“ eine großer Rolle spielt, will man sich nicht nehmen lassen. Zumal man es auch schon oft vernommen hat. 900.000 Österreicher sind allein von psychischer Erkrankung betroffen. Ein Wunder in dieser Gesellschaft voll von Neid, Mobbing, Falschheit und Korruption? Und 1,6 Millionen Österreicher leben mit körperlicher Behinderung. Selbst wenn dies keinerlei Einfluss auf die eigene Situation hat. Trotzdem. Das Bewusstsein mit dieser Problematik nicht allein zu sein tut gut.

Ich habe die innere Größe nicht, Schatz! Auch ich habe nur ein Leben, Schatz!

Gabriela Pichelmayer, geb. 1960, Multiple Sklerose seit 1980, Pensionsversicherungsanstalt/Vergleichsurteil vom 16.5.2007: Pflegestufe 3 befristet bis 31.7.2008 zuerkannt. Auf Grund einer wiederholten ärztlichen Untersuchung im Juli 2008, Pflegestufe 4 unbefristet zuerkannt.

 

Der Text steht unter einer Creative Commons Namensnennung-NichtKommerziell-KeineBearbeitung 3.0 Deutschland Lizenz und kann komplett oder in Ausschnitten verwendet werden. Über eine Verbreitung in anderen Blogs wie auch über die gängigen Social-Media-Kanäle möchten wir uns schon jetzt bei allen Unterstützern bedanken.

Fotos Copyright: (1) Foto: Michael Grabscheit / pixelio.de
(2) Albrecht E. Arnold / pixelio.de

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nak-Sprecher Thomas Beyer im SWR 2-Tagesgespräch

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Das Ziel der UNO, die Armut weltweit bis zum Jahr 2015 zu halbieren, ist „völlig unrealistisch“. Das erklärt Thomas Beyer, Sprecher der Nationalen Armutskonferenz (nak), im Tagesgespräch von SWR 2 mit dem Moderator Rudolf Geissler. Anlass ist der heutige Internationale Tag für die Beseitigung von Armut, den die Vereinten Nationen 1992 ausgerufen haben. „Der Trend geht genau in die andere Richtung“, sagt Beyer. Das Armutsrisiko steige, weil immer mehr Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mit niedrigen Löhnen bezahlt werden. Nicht zuletzt Alleinerziehende und Migranten hätten inzwischen „echte Probleme, ihr Leben zu meistern“, so der Sprecher der Konferenz.

Das gesamte Interview, das im Laufe des Tages von den verschiedenen Anstalten der ARD ausgestrahlt werden wird, kann auch als Podcast angehört werden: (http://www1.swr.de/podcast/xml/swr2/interviews.xml).

Reich bleibt reich, arm bleibt arm - Datenreport 2011 - Sozialbericht für Deutschland

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Mit dem »Datenreport 2011« präsen -tieren die amtliche Statistik und die so zialwissenschaftliche Forschung ihren Sozialbericht für die BundesrepublikDeutschland in der 13. Auflage. Die er-folgreiche Kooperation zwischen dem Statistischen Bundesamt und der wis -senschaftlichen Sozialberichterstattungbegann 1985 durch eine Initiative derBundeszentrale für politische Bildung.Mit der Erstellung des ersten gemein -samen »Datenreport 1985« und der vonProfessor Wolfgang Glatzer und Pro -fessor Wolfgang Zapf herausgegebenen empirischen Studie »Lebensqualität in derBundesrepublik Deutschland« wurdenEmpfehlungen umgesetzt, die ProfessorHans-Jürgen Krupp und Wolfgang Zapfbereits 1972 in ihrem Gutachten »Die Rol-lealternativer Wohlstandsindikatoren beider Begutachtung der gesamtwirtschaft-lichen Entwicklung« formuliert hatten.

Aktuell wird der Zusammenhang zwi-schen Wirtschaftswachstum, Lebensqua-lität und Wohlfahrt wieder neu diskutiertund steht in der aktuellen politischen und wissenschaftlichen Debatte weit obenauf der Tagesordnung. Vor allem das Un-behagen mit dem Bruttoinlandsproduktals »Universalindikator für gesellschaft-liche Wohlfahrt« hat zu unterschiedlichenAktivitäten geführt. Im Januar 2011nahm die vom Deutschen Bundestag ein-gesetzte Enquetekommission »Wachstum,Wohlstand, Lebensqualität – Wege zunachhaltigem Wirtschaften und gesell-schaftlichem Fortschritt in der SozialenMarktwirtschaft« ihre Arbeit auf.

Das Bruttoinlandsprodukt ist nach wievor eine der wichtigsten volkswirtschaft-lichen Größen. International vergleichbarund aussagekräftig – vor allem zur Beob-achtung der Konjunkturentwicklung –wurde es in den letzten Jahrzehnten oftauch als Indikator für Wohlstand undFortschritt verwendet. Aktuelle Diskus-sionen hinterfragen, ob die einseitige Ausrichtung auf Wirtschaftswachstum,gleichbedeutend mit dem Wachstum desBruttoinlandsprodukts, automatisch zugesellschaftlichem Fortschritt und hö hererLebensqualität für die Menschen führt.Dazu kommt die Frage der Nachhaltig-keit: Inwieweit generiert die heutigeGeneration W irtschaftswachstum aufKosten der nachfolgenden Generationendurch die Vernichtung natürlicher Res -sourcen oder eine zunehmende Staatsver-schuldung, die den finanziellen Spielraumin Zukunft immer mehr einschränkt?Zum anderen wird bemängelt, dass dienicht-materielle Seite der Lebensqualitätzu wenig beleuchtet wird.

Der französische Staatspräsident Sarkozyberief im Februar 2008 eine hochrangigbesetzte, internationale Expertenkommis -sion, die sogenannte Stiglitz-Sen-FitoussiKommission ein. Sie sollte Vorschläge er-arbeiten, wie die wirtschaftliche Leistungund der soziale Fortschritt einer Gesell-schaft künftig besser statistisch gemessenwerden kann. Schon allein die Tatsache,dass fünf der 25 Mitglieder Nobelpreis-träger waren, gab dieser Kommission ei-ne herausragende Bedeutung. Gemessenam Umfang der Aufgabe stand der Kommission wenig Zeit für ihre Arbeiten zurVerfügung. Sie stellte ihren Abschluss-Bericht mit Vorschlägen zur Verbesserungder statistischen Berichterstattung bereitsim September 2009 in Paris der Öffent-lichkeit vor. Der Bericht betont einerseitsdie Bedeutung von Daten zur Verteilungvon Wohlstand und geht andererseitskonkret auf die Messung von Aspektenein, die nach Ansicht der Kommmissionfür die Lebensqualität der Menschen vongroßer Bedeutung sind: Gesundheit, Bil-dung, persönliche Aktivitäten einschließ-lich Erwerbsarbeit, politische Partizi -pation und Qualität der Staatstätigkeit,soziale Beziehungen, Umwelt, persön licheund wirtschaftliche Unsicherheit. Außer-dem enthält der Bericht Vorschläge zurNachhaltigkeitsmessung.

Für die neue Enquete-Kommission »Wachs-tum,Wohlstand, Lebensqualität« wurdenehrgeizige Ziele gesteckt: Sie soll denStellenwert von W achstum in Wirtschaftund Gesellschaft ermitteln, einen ganz-heitlichen Wohlstands- und Fortschritts -indikator entwickeln sowie Möglich -keiten und Grenzen der Entkopplung von Wachstum, Ressourcenverbrauch undtechnischem Fortschritt aufzeigen. Dabeisind vor allem Aspekte wie materiel-ler Lebensstandard und Verteilung vonWohlstand, soziale Inklusion und so zialerZusammenhalt, Qualität der Arbeit, Ge-sundheit, Bildungschancen, soziale Siche-rung und politische Partizipation sowiedie von den Bürgern wahrgenommene Le-bensqualität zu berücksichtigen. Viele dergenannten Themen finden sich auch im Datenreport wieder. Hier werden die Er-gebnisse des Statistischen Bundesamtesund der sozialwissenschaftlichen For-schungzusammengeführt, so dass ein dif-ferenziertes Bild der Lebensverhältnisse inDeutschland entsteht. Die dargestelltenErgebnisse können zur Beantwortung vie-ler der vermeintlich neu gestellten Fragenherangezogen werden und Anregungenfür die weitere Debatte liefern.

Die amtliche Statistik ist mit ihren um-fangreichen, vielfältigen und kontinuier-lich durchgeführten Erhebungen nach wievor der wichtigste Anbieter von Infor -mationen über die Lebensverhältnisse und gesellschaftlichen Entwicklungen inDeutschland. Eine leistungsfähige sozial-wissenschaftliche Datengrundlage ist je-doch für eine aktuelle und differenzierteSozialberichterstattung ebenso notwen-dig. Sie ergänzt und bereichert das Infor-mations- und Analysepotential der amt-lichen Daten.

Mit ihren speziell für die gesellschaftlicheDauerbeobachtung konzipierten sozial-wissenschaftlichen Repräsentativerhebun-gen stellt die wissenschaftliche Sozial -berichterstattung Informationen zu The-men und Fragestellungen bereit, die häufignicht von der amtlichen Statistik erhobenwerden, wie z.B. subjektive Wahrneh-mungen, Einstellungen und Bewertungen.

Mit seiner umfassenden Beschreibung der Lebensverhältnisse in Deutschlandstellt der Datenreport den Entscheidungs -trägern in Politik und Wirtschaft hand-
lungsrelevante Informationen zur Ver -fügung. Seine wichtigste Aufgabe ist al-lerdings – als ein von der Bundeszentrale für politische Bildung veröffentlichter Sozialbericht – dem Informationsbedürf-nis der Öffentlichkeit und des Bildungs-systems in einer demokratischen Gesell-schaft gerecht zu werden.

Seit seinem erstmaligen Erscheinen vorüber 25 Jahren hat der Datenreport deut-lich an Themen und Gewicht zugelegt.Aus diesem Grund erscheint die gedruck-te Ausgabe in Form von zwei Bänden. Dieelektronische Fassung finden Sie wie im-mer auf den Internetseiten der beteiligtenInstitutionen.

Die Herausgeber

Berlin/Wiesbaden, im August 2011

Zum Datenreport

Mit Trommeln und Trompeten zum Times Square

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Bei den Protesten gegen die Macht der Banken in New York sind mehr als 70 Menschen festgenommen worden. Zuvor waren Tausende Menschen vom Finanzdistrikt zum Times Square marschiert - und hatten dort den Verkehr lahmgelegt. Insgesamt blieb der Protest friedlich.

Mit Transparenten, Trommeln und Trompeten bewaffnet marschierten Tausende Demonstranten der "Occupy Wall Street"- Bewegung in New York zum Times Square. "So sieht Demokratie aus", skandierten sie. Hundertschaften von Polizisten mit Pferdestaffeln passten auf, dass sie den Bürgersteig nicht verließen, um den ohnehin zähflüssigen Verkehr nicht zu behindern. Nur zögerlich sperrten die Beamten Straßen, um den Menschen mehr Platz zu geben. Als sich eine Gruppe von Demonstranten nach Angaben der Polizei ihrer Aufforderung widersetzte, eine Nebenstraße freizumachen, kam es zu Festnahmen. Die Beamten führten rund 40 Leute in Handschellen ab.

"So kann es nicht weitergehen"

An der berühmten Vergnügungsmeile im Herzen Manhattans erreichte die Anti-Kapitalismus-Bewegung ihren Höhepunkt. Tausende Menschen drängten sich auf dem Platz und machten ihrem Ärger über die sozialen und wirtschaftlichen Zustände Luft.

"Die jungen Leute können nach der Uni nicht arbeiten", sagt eine Frau. "Sie haben horrende Schulden, es gibt keine Krankenversicherung." So könne es nicht weiter gehen. Eine andere Demonstrantin meint: "Jeder weiß, dass man für das Land kämpfen muss, sonst verliert man es."

Wie schon in der vergangenen Woche hatten sich auch diesmal zahlreiche Gewerkschaftsverbände, Vereine und Organisationen den Protesten angeschlossen. Seit Jahren bestehe ein soziales Ungleichgewicht, sagt ein Gewerkschafter. Auf der einen Seite gebe es Leute, die irgendwie versuchten, zu überleben. Auf der anderen Seite gebe es die Wall-Street-Bosse, die immer reicher würden.

Festnahmen vor Bankfiliale

Zuvor waren die Demonstranten vom Zucotti Park, dem Hauptquartier der "Occupy Wall Street Bewegung", zu einer Filiale der US-Großbank JP Morgan Chase im Finanzviertel Manhattans gezogen. Einige der Teilnehmer gingen in die Bank, um ihr Konto zu kündigen. Insgesamt blieben die Proteste friedlich. Die Polizei nahm aber rund 24 Menschen wegen ungebührlichen Verhaltens fest.

Die Organisatoren werteten diesen Protesttag als ihren bislang größten Erfolg. Rund 80 Länder auf der ganzen Welt hätten mitgemacht - in Europa, in Asien und Südamerika, sagte ein Demonstrant.  Es sei eine weltumspannende Bewegung und jeder, der mitmache, habe das gleiche Gefühl: Die soziale Ungerechtigkeit müsse beigelegt werden. Weltweit protestierten am Samstag Menschen in fast tausend Städten gegen die Macht der Finanzmärkte. Auch in Deutschland kam es in vielen Städten zu Kundgebungen.

(Quelle:ard-tagesschau)

Armutsquote ist ein Armutszeugnis

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Zum Internationalen Tag für die Beseitigung von Armut am 17. Oktober

„Eine Armutsquote von 14,5 Prozent ist für ein so reiches Land wie Deutschland ein Armutszeugnis“, erklärt Thomas Beyer, Sprecher der Nationalen Armutskonferenz (nak), anlässlich des Internationalen Tags für die Beseitigung von Armut am kommenden Montag. In Mecklenburg-Vorpommern sind sogar 22,4 Prozent (amtliche Statistik, Stand 2010) der Einwohner von Armut betroffen – so viele wie in keinem anderen deutschen Bundesland. Aber selbst im wohlhabendsten Bundesstaat Bayern gelten 10,8 Prozent der Bevölkerung (Stand 2010) als arm. Beyer: „Wir müssen aufhören, Armut als Tabuthema zu verdrängen. Gesellschaft wie Politik sind aufgefordert, sich der ständigen Auseinanderentwicklung von Arm und Reich zu stellen!“

Neben Kindern und Jugendlichen aus Hartz-IV-Haushalten sowie Alleinerziehenden ist es vor allem eine Bevölkerungsgruppe, deren Bedürftigkeit in Zukunft stetig steigen wird: die Rentnerinnen und Rentner. Daran kann laut Beyer auch der von Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen eingeleitete Rentendialog nichts ändern – wenn die Bundesregierung an den bisherigen Voraussetzungen für die so genannte Zuschussrente festhalten will: Demnach setzt diese Altersversorgung im Endausbau 45 Beitragsjahre und 35 Jahre zusätzliche private Vorsorgeleistung voraus. „Das ist kein wirksamer Gesamtbeitrag zum Thema Altersarmut“, urteilt Beyer.

Es existiere ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen niedriger Höhe des Verdienstes und der Möglichkeit, für das Alter zusätzliche private Vorsorge zu treffen. Hierauf gebe das Regierungskonzept ungeachtet der Verbesserungen im Bereich der anrechenbaren Beitragszeiten keine Antwort. Im Gegenteil: „Es setzt eine ausgedehnte private Vorsorge voraus. Aber genau die können sich Menschen, denen häufig die finanziellen Mittel für das Nötigste fehlen, nicht leisten“, sagt Beyer. Deshalb fordert der nak-Sprecher: „Wenn ihr die Bekämpfung der Altersarmut tatsächlich ein Anliegen ist, muss gerade die Arbeitsministerin ernst machen mit der Bekämpfung des Niedriglohnsektors. Mini-Löhne heute sind Mini-Renten morgen.“